TE UVS Burgenland 2012/06/05 045/15/11002

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Veröffentlicht am 05.06.2012
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland hat durch die Kammervorsitzende Mag. Obrist und die Mitglieder Dr. Schwarz und Dr. Zechmeister über die gegen die Strafhöhe gerichtete Berufung des Herrn G.H., geboren am ***, wohnhaft in ***, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr. N.F. in ***, vom 15.06.2011, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See vom 26.05.2011, Zl. 300-3129-2010, wegen Bestrafung nach der Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), zu Recht erkannt:

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 VStG wird der Berufung Folge gegeben und werden der Strafausspruch sowie der Kostenausspruch ersatzlos behoben.

Text

 

Im angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See wurde dem Berufungswerber Folgendes vorgeworfen:

 

?Sie haben es als handelsrechtlicher Geschäftsführer der *** H. GmbH mit Sitz in *** zu verantworten, dass dieses Unternehmen den Bestimmungen der Bauarbeiterschutzverordnung zuwidergehandelt hat, da das Unternehmen am 28.04.2010 auf der Baustelle in *** (Firmengelände der Firma ***), Arbeiten am Dach durchgeführt hat, obwohl keinerlei sonstigen Sanierungsausrüstungen, wie beispielsweise ein Sicherheitsgeschirr, zur Verfügung standen. Bei Arbeiten auf Dächern von einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3 Metern müssen geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialien und Geräten in sicherer Weise verhindern. Die Arbeitnehmer Herr H.T., geb. ***, Herr W.G., geb. ***, Herr W.F., geb. *** und Herr M.Z., geb. *** befanden sich bei diesen Arbeiten in einer Höhe von ca. 7 bis 8 m. Während dieser Arbeiten waren keine Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden.

Der Arbeitnehmer M.Z., geb. ***, ist während seiner Tätigkeiten auf dem Dach des Einfamilienhauses abgestürzt und erlitt dabei schwere Verletzungen.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

§ 87 Abs. 2 BauV BGBl. Nr. 340/1994 idgF i.V.m. § 130 Abs. 5 Z. 1 AschG BGBl. Nr. 450/1994 idgF

 

Hierfür wird gemäß § 130 Abs. 5 Einleitungssatz ASchG idgF eine Geldstrafe von EUR 3.500,00 verhängt:

 

Falls die Geldstrafe uneinbringlich ist, tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 9 Stunden. Ferner haben Sie gemäß § 64 des VStG als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, somit EUR 350,00 zu zahlen.

 

Der zu zahlende Gesamtbetrag beträgt daher EUR 3.850,00. Außerdem sind die Kosten des Strafvollzuges zu ersetzen (§ 54d VStG).?

 

Die fristgerecht erhobene Berufung richtet sich ausdrücklich nur gegen die Strafhöhe. Der Schuldspruch des angefochtenen Bescheides ist daher in Rechtskraft erwachsen und hatte die Berufungsbehörde daher von dem im erstinstanzlichen Bescheid zur Schuldfrage festgestellten Sachverhalt auszugehen.

 

Betreffend Doppelbestrafungsverbot:

 

Das Verfahren beruht auf einer Anzeige des Arbeitsinspektorats Eisenstadt vom 29.4.2010 an die Bezirkshauptmannschaft. Darin wurde unter anderem ausgeführt, dass der Arbeitnehmer M.Z. vom Dach stürzte und schwer verletzt wurde. Wegen desselben Vorfalls hat das Arbeitsinspektorat Eisenstadt auch eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft Eisenstadt erstattet. Von der Verfolgung des Berufungswerbers wegen § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB wurde von der Staatsanwaltschaft nach Zahlung eines Geldbetrages durch den Berufungswerber gemäß § 200 Abs. 5 StPO zurückgetreten.

 

Nach Art. 4 Abs. 1 des 7. ZP zur EMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

 

Eine Bestrafung wegen einer strafbaren Handlung wird aufgrund des Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK sohin dann unzulässig, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war. Dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst.

 

Gemäß § 88 Abs. 1 und 4 StGB ist ? wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt und die Tat eine schwere Körperverletzung zur Folge hat, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Gemäß § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 ? bis 7 260 ?, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 290 ? bis 14 530 ? zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in u.a. gegen § 87 Abs. 2 BauV verstößt, wonach bei Arbeiten auf näher bezeichneten Dächern Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden sein müssen.

 

Wie der VfGH im Erkenntnis vom 7.10.1998, G51/97; G26/98, festgestellt hat, schließt die Bestrafung nach § 88 StGB die Bestrafung wegen desselben Verhaltens nach § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG aus. In Fällen, in denen (wie gegenständlich) eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs. 5 Z. 1 als auch unter die des § 88 StGB fällt, wird in der Regel davon auszugehen sein, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG vollständig erschöpft.

 

Wie der Verfassungsgerichtshof in dem zitierten Erkenntnis ausführt, beinhaltet § 6 StGB eine Legaldefinition der Fahrlässigkeit. Wesentliche Voraussetzung für fahrlässiges Verhalten ist demnach das Außerachtlassen jener Sorgfalt, zu der man nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die einem überdies zumutbar ist. Das Maß der erforderlichen objektiven Sorgfalt wird häufig durch Rechtsnormen bestimmt. Die Vorschriften der BauV i. V. m. den Straftatbeständen des ASchG sind derartige Regelungen, die ein bestimmtes Maß an erforderlicher Sorgfalt vorschreiben. Fahrlässigkeit kann mit der objektiven Sorgfaltswidrigkeit begründet werden, die in der Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften liegt, aufgrund derer auch die verwaltungsbehördliche Bestrafung erfolgt. Wenn der strafrechtsrelevante Erfolg durch die Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen verursacht wurde, liegen auch die übrigen, für die objektive Zurechnung des Erfolges erforderlichen Strafbarkeitsvoraussetzungen - Rechtswidrigkeits-, Adäquanz- und Kausalzusammenhang ? vor, da das Leben und die Gesundheit die primären Schutzzwecke der verletzten Vorschriften des ASchG sind. Bei der Außerachtlassung der Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt es sich also um ein zentrales Tatbestandselement der Körperverletzungsdelikte des StGB und daher um einen wesentlichen Gesichtspunkt des gerichtlichen Strafverfahrens. Es wird daher in der Regel davon auszugehen sein, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG vollständig erschöpft. Dies insbesondere dadurch, dass im Zuge des strafgerichtlichen Verfahrens wegen fahrlässiger Körperverletzung die objektive Sorgfaltswidrigkeit, d.h. die Verletzung von Verkehrsnormen, nämlich der entsprechenden Arbeitnehmerschutzvorschriften, wie auch die objektive Zurechnung geprüft werden und damit über alle Elemente der verletzten Arbeitnehmerschutzvorschriften entschieden wird. Wenn in dem Körperverletzungsdelikt des StGB bereits der volle Unrechts- und Schuldgehalt des in Rede stehenden Straftatbestandes des § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG enthalten ist, gibt es neben der Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung, die sich auf die Übertretung von Arbeitsnehmerschutzbestimmungen als verletzte Verkehrsnormen stützt, kein zusätzliches Strafbedürfnis aufgrund desselben Tatverhaltens.

 

Nichts anderes kann auch für den Fall eines Rücktritts von der Verfolgung nach Zahlung eines Geldbetrages im Rahmen einer Division gelten. Gegenständlich wurde eine Handlung gesetzt, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG in Verbindung mit § 87 Abs. 2 BauV als auch unter die des § 88 StGB fällt, sodass entsprechend dem zitierten VfGH-Erkenntnis das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 87 Abs. 2 BauV hinsichtlich des betroffenen Arbeitnehmers vollständig erschöpft. Die bereits erfolgte Bestrafung nach § 88 StGB durch Zahlung eines Geldbetrages im Zuge der Diversion schließt die Bestrafung wegen desselben Verhaltens nach § 130 Abs. 5 Z. 1 ASchG in Verbindung mit § 87 Abs. 2 BauV aus. Der Strafausspruch bezüglich der Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften bezüglich des Arbeitnehmers M.Z. ist daher wegen Verstoßes gegen das Doppelbestrafungsverbot zu beheben.

 

Betreffend Gesamtstrafe:

 

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass mehrere Straftaten vorliegen, wenn sich die rechtswidrigen Angriffe ? wie gegenständlich ? gegen die Gesundheit mehrerer (im Straferkenntnis auch namentlich zu nennender) Dienstnehmer richten. Es wäre daher eine Strafe pro Arbeitnehmer zu verhängen gewesen. Die Erstbehörde hat jedoch eine Gesamtstrafe verhängt.

 

Zum Tatvorwurf, der den Arbeitnehmer M.Z. betrifft, darf - wie oben ausgeführt - keine Strafe mehr verhängt werden. Bei der Strafbemessung für die übrigen Arbeitnehmer (H. T., W.G. und W.F.) ist das in § 51 Abs. 6 VStG ausdrücklich normierte Verbot der reformatio in peius zu beachten.

 

Aufgrund der Behebung des Strafausspruchs bezüglich eines Arbeitnehmers ist die vorliegende Fallkonstellation mit derjenigen vergleichbar, die der Entscheidung des VwGH vom 30.06.1994, GZ 94/09/0049, zugrunde lag. In diesem Fall hatte die Erstbehörde für zwei Übertretungen nur eine Geld- und Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und die Berufungsbehörde den Schuldspruch in Ansehung einer der beiden Übertretungen aufgehoben und eine niedrigere Strafe festgesetzt. Der VwGH hat den Strafausspruch aufgehoben, weil nicht festgestellt werden konnte, ob die Berufungsbehörde das Verbot der reformatio in peius verletzt hat (eine ?Hälfteaufteilung? kam nicht in Betracht).

 

Da sich dem erstinstanzlichen Straferkenntnis nicht entnehmen lässt (auch nicht in Verbindung mit seiner Begründung), wie die verhängte Gesamtstrafe von 3.500 Euro auf die zur Last gelegten vier Verwaltungsübertretungen aufzuteilen ist und sich diese in Bezug auf den Unrechtsgehalt und die Folgen der Tat (wegen der schweren Verletzung des M.Z.) unterscheiden (sodass eine ?Viertelaufteilung? der Gesamtstrafe von Vornherein ausscheidet), gibt es keinen Maßstab, anhand dessen sich zweifelsfrei beurteilen lässt, ob die Berufungsbehörde für die übrigen drei Verwaltungsübertretungen eine höhere Strafe verhängt hätte oder nicht.

Bei der vorliegenden Fallkonstellation, nämlich Aufhebung des Strafausspruches infolge Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes hinsichtlich des Arbeitnehmers M.Z. kann somit ? vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ? die in der Verhängung einer einheitlichen Gesamtstrafe gelegene Fehlleistung der Behörde I. Instanz von der Berufungsbehörde nicht mehr korrigiert werden und hat diese den Strafausspruch ersatzlos aufzuheben, da sie im Fall der Neufestsetzung der Strafe für die aufrecht erhaltenen Verwaltungsübertretungen ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belasten würde. Der Kostenausspruch hat daher ebenfalls zu entfallen.

 

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Doppelbestrafungsverbot, Verhängung Gesamtstrafe, reformatio in peius
Zuletzt aktualisiert am
18.06.2012
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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