TE Vfgh Beschluss 2012/9/20 G115/11

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Veröffentlicht am 20.09.2012
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Index

24 STRAFRECHT
24/01 Strafgesetzbuch

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StGB §283
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Aussichtslosigkeit von Verfahrenshilfeanträgen zur Erhebung von Individualanträgen betreffend den Verhetzungstatbestand im Strafgesetzbuch mangels Darlegung eines unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre der Antragsteller

Spruch

              Die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe

werden abgewiesen.

Begründung

Begründung:

              1. Die Einschreiter begehren die Bewilligung der Verfahrenshilfe zwecks Erhebung eines Individualantrages zur Durchführung eines "Normenkontrollverfahren[s] aufgrund zugelassener Verteidigungs- und Sicherheitsfolter betreffend Art3 und 13 EMRK in Bezug auf den erweiterten §283 StGB, weil in Österreich Folter unter Anwendung anderer Gesetze bereits anwendbar und straflos ist [...]".

              In einer Beilage zum Verfahrenshilfeantrag führen die Einschreiter insbesondere aus:

              "Jeder der sich gegen Folter - so wie die Betroffenen - beschwert, kann wegen innenpolitischer Instabilität oder sonstigen öffentlichen Notständen unter dem erweiterten §283 StGB belangt werden [...]. Der erweiterte §283 StGB kann, ohne dessen Benennung, durch Anwendung anderer Gesetze, die Folter an Pflegschaftsgerichten und Jugendgerichten rechtfertigen. [...] Es besteht keine Beschwerdemöglichkeit bei Folter für Betroffene."

              2. §283 StGB, BGBl. 60/1974, ist idF BGBl. I 103/2011 mit 1. Jänner 2012 in Kraft getreten und lautet seither:

"Verhetzung

              §283. (1) Wer öffentlich auf eine Weise, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu gefährden, oder wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar zu Gewalt gegen eine Kirche oder Religionsgesellschaft oder eine andere nach den Kriterien der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung, der Staatsangehörigkeit, der Abstammung oder nationalen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe auffordert oder aufreizt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

              (2) Ebenso ist zu bestrafen, wer für eine breite Öffentlichkeit wahrnehmbar gegen eine in Abs1 bezeichnete Gruppe hetzt oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpft und dadurch verächtlich zu machen sucht."

              3. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Anfechtungsberechtigter ist also von vornherein nur ein Rechtsträger, an den oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (Normadressat). Bei der Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

              Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

              4. Die Einschreiter begründen ihre Antragslegitimation damit, dass jeder, der sich gegen Folter beschwert, wegen "innenpolitischer Instabilität oder sonstiger öffentlicher Notstände" nach §283 StGB belangt werden könne. Dieses Vorbringen ist aber von vornherein nicht geeignet, einen aktuellen und unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller darzutun.

              5. Da somit schon aus den dargelegten Gründen die Zurückweisung der Individualanträge mangels Legitimation zu gewärtigen ist, erscheint die Rechtsverfolgung als offenbar aussichtslos, weshalb der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen waren (§35 Abs1 VfGG iVm §63 Abs1 ZPO).

              6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Verfahrenshilfe, VfGH / Individualantrag, Strafrecht, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:G115.2011

Zuletzt aktualisiert am

31.10.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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