TE Vwgh Erkenntnis 2011/10/13 2010/07/0163

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Veröffentlicht am 13.10.2011
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Index

L66507 Flurverfassung Zusammenlegung landw Grundstücke
Flurbereinigung Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/06 Bodenreform;

Norm

AVG §56;
FlVfGG §15;
FlVfLG Tir 1952 §36 Abs1 litb;
FlVfLG Tir 1952 §36 Abs2 litd;
FlVfLG Tir 1978 §33 Abs1 litb;
FlVfLG Tir 1978 §33 Abs2 litc;
FlVfLG Tir 1996 §33 Abs1;
FlVfLG Tir 1996 §33 Abs2 litc Z2 idF 2010/007;
FlVfLG Tir 1996 §33 Abs2 litc Z2;
FlVfLG Tir 1996 §33 Abs2 litc;
FlVfLG Tir 1996 §33 Abs5;
FlVfLG Tir 1996 §33 idF 2010/007;
FlVfLG Tir 1996 §33;
FlVfLGNov Tir 2010;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde der Agrargemeinschaft V, vertreten durch Univ. Doz. Dr. Bernd A. Oberhofer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schöpfstraße 6b, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 19. August 2010, Zl. LAS - 1010/10-10, betreffend Feststellung von Gemeindegut (mitbeteiligte Partei:

Gemeinde S, vertreten durch Dr. Andreas Brugger, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Spruchabschnitt A) des angefochtenen Bescheides wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 9. Oktober 2009, modifiziert durch einen Schriftsatz vom 16. Jänner 2010, beantragte die beschwerdeführende Partei beim Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz (AB) die Erlassung eines Feststellungsbescheides des Inhalts, dass der politischen Ortsgemeinde S am Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft keinerlei Rechte zustehen, insbesondere auch nicht an der Substanz des Regulierungsgebietes, und dass die politische Ortsgemeinde S nicht mitberechtigt im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Juni 2008, B 464/07, sei.

Dieser Antrag wurde der Gemeinde S, der mitbeteiligten Partei (in weiterer Folge: mP) zur Kenntnis gebracht. Diese reagierte darauf mit einem eigenen Antrag vom 24. Februar 2010. Sie begehrte die Feststellung, dass es sich beim Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft V um Gemeindegut der Gemeinde S im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 in der mit der Novelle vom 17. Dezember 2009 geänderten Fassung handle. Weiters beantragte die mP, es möge veranlasst werden, dass gemäß § 38 Abs. 2 TFLG 1996 im A2-Blatt der Liegenschaften EZ 201, 203, 206 und 487 je KG S, die Bezeichnung "Gemeindegutsagrargemeinschaft" ersichtlich gemacht werde und dass der Regulierungsplan vom 15. November 1979 sowie die Satzungen der Agrargemeinschaft so geändert werden, dass "das Recht der Gemeinde S auf die Substanz des Regulierungsgebietes vollständig zur Geltung gebracht wird".

Mit Bescheid vom 23. März 2010 wies die AB unter Spruchpunkt I den Antrag der beschwerdeführenden Partei als unbegründet ab. Unter Spruchpunkt II gab sie dem Antrag der mP Folge und stellte fest, dass das ursprüngliche Regulierungsgebiet (der Agrargemeinschaft), bestehend aus näher bezeichneten Grundstücken in den EZ 201, 203, 206 und 487, je GB S, Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 darstelle und die Agrargemeinschaft V sohin eine Gemeindegutsagrargemeinschaft sei. Weiters wurden grundbücherliche Maßnahmen angekündigt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.

Mit Spruchabschnitt A) des nunmehr angefochtenen Bescheides vom 19. August 2010 behob die belangte Behörde Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides ersatzlos; im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. Spruchabschnitt B) des angefochtenen Bescheides betrifft die Abweisung eines Devolutionsantrages und ist für das verwaltungsgerichtliche Verfahren ohne Bedeutung, da dieser Spruchabschnitt in der Beschwerde ausdrücklich unangefochten bleibt.

In der Begründung heißt es, im Regulierungsplan vom 15. November 1979 seien die Gemeinschaftsgrundstücke als solche im Sinne des § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 festgestellt worden. Auf die Rechtskraft dieser Qualifizierung der gemeinschaftlichen Grundstücke könne sich die beschwerdeführende Partei aber nicht berufen, weil sich durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vom 1. März 1982, G 35/81 u.a., und vom 11. Juni 2008, B 464/07, die rechtliche Situation entscheidend geändert habe. Es sei daher anhand der heute geltenden Bestimmungen des § 33 Abs. 2 TFLG 1996 zu prüfen, ob Gemeindegut vorliege. Das sei zu bejahen, weil im Grundbuchsanlegungsprotokoll als Eigentümer der fraglichen Grundstücke die "Altgemeinde V, nun Fraktion V mit Ausschluss der R-Höfe" vermerkt sei und es sich bei dem so bezeichneten Eigentümer um die politische Gemeinde S handle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Die mP erstattete ebenfalls eine Gegenschrift, die sie in der Folge noch ergänzte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die mP bestreitet, dass die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid beschwert sei. Die Feststellung, dass es sich beim Regulierungsgebiet um Gemeindegut handle, wirke sich nur auf das Innenverhältnis der Agrargemeinschaftsmitglieder aus, berühre aber nicht die Interessenssphäre der Beschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin der agrargemeinschaftlichen Grundstücke. Mit der Feststellung dieser Grundstücke als Gemeindegut sind einschneidende Beschränkungen dieses Eigentums verbunden. So steht etwa der Substanzwert solcher Grundstücke der Gemeinde zu (§ 33 Abs. 5 TFLG 1996). Damit kann es aber keinem Zweifel unterliegen, dass die beschwerdeführende Partei durch die angefochtene Feststellung in ihren Rechten berührt ist.

2. Die beschwerdeführende Partei erachtet sich in ihrem "Recht auf Negativfeststellung des Restitutionsanspruches der politischen Gemeinde W" verletzt.

Dazu meint die mP, in diesem Recht könne die beschwerdeführende Partei schon deshalb nicht verletzt sein, weil die Gemeinde W ca. 100 Straßenkilometer entfernt sei und nie behauptet habe, Rechte am Gebiet der Beschwerdeführerin zu haben, weshalb die Beschwerdeführerin auch kein diesbezügliches Feststellungsinteresse haben könne. Gleiches gelte aber auch bezüglich der Gemeinde S, weil auch diese niemals einen Restitutionsanspruch geltend gemacht habe. Die bescheidmäßige Negativfeststellung des Restitutionsanspruches einer Gemeinde sei in keiner gesetzlichen Bestimmung vorgesehen. An einer solchen Feststellung könne die beschwerdeführende Partei auch kein Interesse haben, weil die Existenz eines solchen Anspruches weder von der mP noch von Dritten jemals behauptet worden sei.

Dass es sich bei der Anführung der Gemeinde "W" um ein Versehen bei der Verfassung der Beschwerde handelt, ist offenkundig. Aus dem verfahrenseinleitenden Antrag der Beschwerdeführerin und aus dem gesamten Verwaltungsakt ergibt sich zweifelsfrei, dass nur die Gemeinde S gemeint sein kann. Aus dieser irrtümlichen Anführung der Gemeinde W ist daher kein Mangel des Beschwerdepunktes abzuleiten.

Mit ihrem weiteren Vorbringen verkennt die mP, dass bei einer Feststellung, wonach Gemeindegut nach § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 idgF vorliegt, vor dem Hintergrund des § 33 Abs. 5 TFLG 1996 idgF auch der Restitutionsanspruch der politischen Gemeinde feststeht (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Dezember 2010, B 639/10, B 640/10). Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass mit dem angefochtenen Bescheid (auch) über den Restitutionsanspruch der Gemeinde abgesprochen wurde.

Daraus folgt, dass die von der Beschwerdeführerin gewählte Bezeichnung des Beschwerdepunktes (Verletzung im "Recht auf Negativfeststellung des Restitutionsanspruches der politischen Gemeinde") im Rahmen des § 28 VwGG ihre Deckung findet (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2011, 2011/07/0050).

3. Die belangte Behörde wies die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Erstbescheid ab und übernahm dadurch die dort ausgesprochene Feststellung, dass die (näher angeführten) Grundstücke der EZ 201, 203, 206 und 487, je GB S, Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 in der Fassung der TFLG-Novelle 2010 sind.

§ 33 TFLG 1996 lautet in dieser Fassung (auszugsweise):

"§ 33. (1) Agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind Grundstücke, die von allen oder mehreren Mitgliedern einer Gemeinde oder von den Mitgliedern einer Nachbarschaft, einer Interessentschaft, einer Fraktion oder einer ähnlichen Mehrheit von Berechtigten kraft einer mit einer Liegenschaft (Stammsitzliegenschaft) verbundenen oder einer persönlichen (walzenden) Mitgliedschaft gemeinschaftlich und unmittelbar für land- und forstwirtschaftliche Zwecke auf Grund alter Übung genutzt werden. Als gemeinschaftliche Nutzung gilt auch eine wechselweise sowie eine nach Raum, Zeit und Art verschiedene Nutzung.

(2) Agrargemeinschaftliche Grundstücke sind, unbeschadet der Rechte aus einer bereits vollendeten Ersitzung, insbesondere:

a) Grundstücke, die im Zuge von Verfahren nach der Kaiserlichen Entschließung vom 6. Februar 1847, Provinzialgesetzsammlung von Tirol und Vorarlberg für das Jahr 1847, S. 253, einer Mehrheit von Berechtigten ins Eigentum übertragen wurden;

b) Grundstücke, die im Zuge von Verfahren nach dem Kaiserlichen Patent vom 5. Juli 1853, RGBl. Nr. 130, einer Mehrheit von Berechtigten ins Eigentum übertragen wurden;

c) Grundstücke, die

1. im Eigentum einer Gemeinde stehen und zur Deckung des Haus- und Gutsbedarfes von Stammsitzliegenschaften dienen oder

2. vormals im Eigentum einer Gemeinde gestanden sind, durch Regulierungsplan ins Eigentum einer Agrargemeinschaft übertragen wurden, vor dieser Übertragung der Deckung des Haus- und Gutsbedarfes von Stammsitzliegenschaften gedient haben und nicht Gegenstand einer Hauptteilung waren

(Gemeindegut);

d) Waldgrundstücke, die im Eigentum einer Gemeinde oder einer Mehrheit von Berechtigten (Agrargemeinschaft) stehen und auf denen Teilwaldrechte (Abs. 3) bestehen (Teilwälder).

(3) Teilwaldrechte sind Holz- und Streunutzungsrechte, die auf Grund öffentlicher Urkunden oder auf Grund örtlicher Übung zugunsten bestimmter Liegenschaften oder bestimmter Personen auf nach Größe, Form und Lage bestimmten oder bestimmbaren Teilflächen von Waldgrundstücken bestehen. Teilwaldrechte gelten als Anteilsrechte im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Der Substanzwert eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes ist jener Wert, der nach Abzug der Belastung durch die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrechte verbleibt. Der Substanzwert steht der Gemeinde zu. Die Substanz eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes wird insbesondere auch dann genutzt, wenn dieses veräußert, wenn dieses als Schottergrube, Steinbruch und dergleichen verwendet, wenn es verpachtet oder wenn darauf eine Dienstbarkeit oder ein Baurecht begründet wird. Die Agrarbehörde hat auf Antrag der betroffenen Gemeinde oder Agrargemeinschaft nach Abs. 2 lit c Z. 2 festzustellen, ob eine bestimmte Tätigkeit die Nutzung der Substanz oder die land- und forstwirtschaftliche Nutzung eines agrargemeinschaftlichen Grundstückes betrifft oder in welchem Verhältnis die beiden Nutzungsarten von dieser Tätigkeit betroffen sind."

§ 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 nennt in seinen beiden Ziffern zwei Arten von Gemeindegut. Unstrittig ist, dass die Z 1 solche Grundstücke betrifft, die im Eigentum einer politischen Gemeinde stehen, und dass diese Voraussetzung im hier vorliegenden Fall nicht gegeben ist.

Weiters ist davon auszugehen, dass mit der Formulierung in Z 2 "vormals im Eigentum einer Gemeinde gestanden sind" gemeint ist, dass die fraglichen Grundflächen vormals, also im Zeitpunkt der Übertragung an die Agrargemeinschaft, im Eigentum der politischen Gemeinde gestanden sind.

Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass keine Hauptteilung stattgefunden hat und dass die agrargemeinschaftlichen Grundstücke der Deckung des Haus- und Gutsbedarfs von Stammsitzliegenschaften gedient haben.

Der Regulierungsplan für die Agrargemeinschaft V (Bescheid der AB vom 15. November 1979) enthält im Abschnitt A (Haupturkunde) folgenden Ausspruch:

"Gemäß § 38 Abs. 1 TFLG 1978 wird festgestellt, dass die oben erwähnten Grundstücke in EZl. 201 II (V S), EZl. 203 II (V S), EZl. 206 II und EZl. 487 II (T Alpe) agrargemeinschaftlich im Sinne des § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1979 sind und, soweit es sich um die EZln. 201 II, 203 II und 206 II handelt, zur Gänze, und soweit es sich um die EZl. 487 II handelt, zur Hälfte, im Eigentum der Agrargemeinschaft V stehen."

In der Begründung heißt es dazu:

"Strittig war in diesem Verfahren, wem das Grundeigentum am Regulierungsgebiet zukommt. Die Gemeinde S hat die Ansicht vertreten, dass die Gemeinde S Rechtsnachfolgerin der im Grundbuch aufscheinenden Altgemeinde V der Gemeinde S unter Ausschluss der R-Höfe sei. Einer Übertragung des Grundeigentums hat der Gemeinderat der Gemeinde S die Zustimmung versagt. Die Anteilsberechtigten haben dem gegenüber behauptet, dass ihnen als Agrargemeinschaft das Eigentum zustehen müsste. Die Agrarbehörde hat daher Erhebungen zu dieser Frage durchgeführt und hat auf Grund des Ermittlungsverfahrens erwogen:

Im Grundbuch ist als Eigentümer die Fraktion Altgemeinde V der Gemeinde S unter Ausschluss der R-Höfe einverleibt. Das Eigentumsrecht hinsichtlich der Liegenschaften EZl. 487 II stützt sich auf eine Urkunde aus dem Jahre 1415. Die Gemeinde S ist der Meinung, dass es sich somit um agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1978 handelt. Dieser Auffassung kann sich die Agrarbehörde nicht anschließen. Bei den genannten Grundstücken handelt es sich vielmehr nach Meinung der Agrarbehörde um agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne des § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978, somit nicht um ehemaliges Fraktionsgut, sondern um Grundstücke, die seit jeher im Eigentum einer Nachbarschaft, also einer agrarischen Gemeinschaft, gestanden sind. So wird bereits in der Urkunde vom 14.11.1415 von der 'T-Gemeinschaft von V' gesprochen, die das Besitz- und Nutzungsrecht am R-Kogel hat. (Die Mitglieder der Agrargemeinschaft V sind auch Mitglieder der Agrargemeinschaft R-Alpe.) Aber auch in späterer Zeit war nicht von einer Fraktion sondern von der Nachbarschaft die Rede. So wurde im Jahre 1745 ein Vergleich niedergelegt, welcher zwischen der 'Nachbarschaft F' und deren R-Hofsinhabern abgeschlossen wurde. Hiebei ging es um die Weiderechte der Nachbarschaft V.

Dies lässt eindeutig darauf schließen, dass es sich bei der vorliegenden Gemeinschaft nicht um eine Fraktion im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1978 handelt, deren Rechtsnachfolgerin die Gemeinde S ist, sondern um eine agrarische Gemeinschaft gemäß § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978. Das Grundeigentum steht daher nicht der Gemeinde S zu, sondern eben der Nachbarschaft (= Agrargemeinschaft) V. Daran vermag auch die Bezeichnung Alt-Gemeinde im Grundbuch nichts ändern, da es sich hiebei offensichtlich um einen zur Zeit der Grundbuchsanlegung gebräuchlichen Begriff gehandelt hat, der in der Urkunde von 1415, welche die Grundlage der Grundbuchseintragung bildet, gar nicht vorkommt. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Eintragung der Weiderechte im C-Blatt zu verstehen."

Der Regulierungsplan ist rechtskräftig.

§ 33 Abs. 1 und 2 TFLG 1978 hatte folgenden (auszugsweisen)

Wortlaut:

"§ 33. (1) Agrargemeinschaftliche Grundstücke im Sinne dieses Gesetzes sind solche,

a)….

b) welche von allen oder von gewissen Mitgliedern einer Ortsgemeinde (Ortschaft), eines oder mehrerer Gemeindeteile (Ortsteile), einer oder mehrerer Nachbarschaften oder ähnlicher agrarischer Gemeinschaften kraft ihrer persönlichen oder mit einem Besitz verbundenen Mitgliedschaft oder von den Mitberechtigten an Wechsel- und Wandelgründen gemeinschaftlich oder wechselweise benutzt werden.

(2) Zu diesen Grundstücken sind, unbeschadet der Rechte an einer bereits vollendeten Ersitzung, ferner zu zählen:

a) Grundstücke, die einer gemeinschaftlichen Benutzung (Abs. 1) früher unterlagen, inzwischen aber infolge physischer Teilung in Einzelbesitz übergegangen sind, wenn die Teilung in den öffentlichen Büchern noch nicht durchgeführt worden ist;

b) Grundstücke, die in Ausführung der Gesetze über die Regulierung und Ablösung der Servituten (Wald- und Weideservitutengesetz, LGBl. Nr. 21/1952) einer Ortgemeinde (Ortschaft) oder Gesamtheit von Berechtigten zu gemeinsamer Benutzung und gemeinsamem Besitz abgetreten worden sind;

c) das einer gemeinschaftlichen Benutzung nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung unterliegende Gemeindegut bzw. ehemalige Ortschafts- oder Fraktionsgut;

d) im Eigentum der Gemeinde oder einer Agrargemeinschaft stehende Waldgrundstücke, an denen zugunsten bestimmter Liegenschaften oder Personen auf nach Größe, Form und Lage bestimmten oder bestimmbaren Teilflächen ausschließliche Holz- und Streunutzungsrechte bestehen (Teilwälder);…."

Wird eine agrargemeinschaftliche Liegenschaft von der AB als eine solche nach § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 qualifiziert, so ist damit nicht das Gemeindegut der politischen Gemeinde, sondern das Gut einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten gemeint (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 30. Juni 2011, 2010/07/0091, 2011/07/0039 und 2011/07/0050).

Dem Spruch des rechtskräftigen Bescheides (Regulierungsplan) vom 15. November 1979 ist nun eindeutig zu entnehmen, dass es sich bei den agrargemeinschaftlichen Grundstücken um solche nach § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 handelt. Dass es sich dabei nicht etwa um einen Irrtum oder eine Flüchtigkeit oder eine Ungenauigkeit handelte, sondern dass diese Qualifizierung das Ergebnis von eingehenden Überlegungen der Behörde war, ergibt sich aus der oben wiedergegebenen Begründung dieses Bescheides. Der Verwaltungsgerichtshof geht daher davon aus, dass eine der Rechtswirkungen des genannten Bescheides die rechtskräftige Qualifizierung dieser Grundstücke als Gut einer Gemeinschaft von Berechtigten und nicht als Gemeindegut im Sinne der TGO 1966 darstellt.

Daraus folgt aber, dass diese rechtskräftige Feststellung in der weiteren Folge die Agrarbehörden, aber auch den Verwaltungsgerichtshof bindet.

Der Verfassungsgerichtshof wollte in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.446/2008 nur solche Fälle und die dort ergangenen Bescheide verfassungskonform interpretieren, in denen Gemeindegut vorlag, das an die Agrargemeinschaft unter Aufrechterhaltung der Qualifikation als Gemeindegut übertragen wurde. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Die Qualifikation von Gemeindegut nach § 33 Abs. 2 lit. c Z. 2 TFLG 1996 sollte aber - nach dem Inhalt der Gesetzesmaterialien - nur die Fälle umfassen, die der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vor Augen hatte.

Es braucht daher nicht untersucht werden, ob - wie die belangte Behörde meint - mit dem im Grundbuch zur Zeit der Regulierung eingetragenen Eigentümer "Altgemeinde V, nun Fraktion V mit Ausschluss der R-Höfe" tatsächlich die politische Gemeinde gemeint war, ob diese auch fallweise als Eigentümerin der Grundstücke agierte und welche Bedeutung dies haben könnte. Die rechtskräftige Qualifikation der agrargemeinschaftlichen Grundstücke als solche nach § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 schloss eine solche als Gemeindegut und damit in weiterer Folge eine Feststellung nach § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 aus. Das Tatbestandsmerkmal des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG, dass es sich um ein Grundstück handeln muss, das vormals im Eigentum einer Gemeinde gestanden ist, ist nicht erfüllt.

Die belangte Behörde argumentiert im angefochtenen Bescheid in diesem Zusammenhang dahin, dass "die damaligen Grundstücksqualifizierungen auch heute noch entsprechendes Gewicht hätten, insbesondere dann, wenn die damaligen Feststellungsentscheidungen auch für die heutige Rechtslage noch zutreffend seien. Dies schließe allerdings nicht aus, dass man zum jetzigen Zeitpunkt auch zu einer anderen Entscheidung als im seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt kommen könne, habe sich doch die Rechtslage insbesondere durch die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes zwischenzeitig geändert."

In früheren Entscheidungen der belangten Behörde in Bezug auf Feststellungen nach § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 ging diese zutreffend davon aus, dass die Rechtskraft der im Regulierungsverfahren ergangenen Bescheide und der dort getroffenen Qualifizierungen der agrargemeinschaftlichen Gebiete bindend sei und z.B. mit einer in einem Regulierungsplan getroffenen Feststellung von Grundstücken als solche nach § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 bindend festgestellt worden sei, dass Gemeindegut nach den Gemeindeordnungen vorliege.

Der Verwaltungsgerichtshof ist diesem Verständnis, auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, gefolgt. Liegt eine rechtskräftige Qualifizierung von Grundstücken als Gemeindegut nach den Gemeindeordnungen vor, so sind die Agrarbehörden in weiterer Folge daran gebunden. Liegt eine rechtskräftige Qualifizierung von Grundstücken als Gut einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten und eben nicht als Gemeindegut nach den Gemeindeordnungen vor, so sind die Agrarbehörden aber ebenfalls daran gebunden.

Im Gegensatz zur nun von der belangten Behörde vertretenen Rechtsansicht rechtfertigt auch keine Änderung der Rechtslage eine inhaltlich andere Qualifizierung der letztgenannten Grundstücke. Es trifft zwar zu, dass infolge der Umsetzung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg 18.446/2008 die lit. c des § 33 Abs. 2 TFLG 1996 in zwei Tatbestände aufgesplittert wurde. Dabei wurde aber weder der Begriff des Gemeindegutes neu gefasst oder ihm ein neues Verständnis gegeben noch der Begriff des Gutes einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten. Der Gesetzgeber versuchte vielmehr infolge des zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes die dort angesprochene spezielle Art des Gemeindegutes im Gesetz abzubilden. Am Begriffsverständnis des Gemeindegutes nach den Gemeindeordnungen bzw. - im Gegensatz dazu -

des Gutes einer Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten wurde hingegen nichts verändert.

In diesem Zusammenhang sei ergänzend darauf hingewiesen, dass wegen des neu herausgebildeten Tatbestandes des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 und der daran geknüpften weiteren Rechtsfolgen ein Feststellungsinteresse der Agrargemeinschaften aber auch der Gemeinden daran besteht, welche Qualifikation ihre agrargemeinschaftlichen Grundstücke aufweisen (vgl. auch dazu das Erkenntnis vom 30. Juni 2011, 2010/07/0091). Diese Feststellung hat sich aber - mangels Änderung der entscheidungswesentlichen Begriffe des Gemeindegutes bzw. des Gutes der Nutzungsberechtigten - an den bisher ergangenen rechtskräftigen und bindenden Feststellungen der Qualifikation der agrargemeinschaftlichen Grundstücke zu orientieren.

Im vorliegenden Fall waren daher die Verwaltungsbehörden, aber auch der Verwaltungsgerichtshof an die rechtskräftige Feststellung, es liege im Zeitpunkt der Übertragung in Bezug auf das Regulierungsgebiet der Agrargemeinschaft gemeinsames Gut der Nutzungsberechtigten und kein Gemeindegut vor, gebunden. Ausgehend davon verletzte die im angefochtenen Bescheid vorgenommene Feststellung, wonach auch in Bezug auf diese Grundstücke Gemeindegut nach § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 vorliege, Rechte der Agrargemeinschaft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2011, 2011/07/0050).

Die mP meint in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 21. Juli 2011, die Definition des atypischen Gemeindegutes in § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 knüpfe eben nicht nur an die im Regulierungsverfahren erlassenen Bescheide an, sondern an jene Sach- und Rechtslage, insbesondere die Eigentumslage, die vor der Änderung durch die AB bestanden habe. Damit sei es nicht in Einklang zu bringen, bei der Qualifizierung eines Grundstückes als atypisches Gemeindegut im Sinne des § 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996 nur auf den Inhalt der im Regulierungsverfahren ergangenen Bescheide abzustellen, wie dies der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis 2011/07/0039 getan habe. Nicht die Rechtskraft eines Bescheides könne die Anwendung eines später erlassenen Gesetzes verhindern, sondern es ende umgekehrt die Rechtskraft eines Bescheides, wenn sich die Rechtslage ändere. Abgesehen davon ergebe sich aus § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 - wie eine Betrachtung der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung zeige - keineswegs, dass darunter nur Grundstücke fielen, die im Eigentum der Nutzungsberechtigten stünden.

Eine Änderung der Rechtslage beendet nicht in jedem Fall die Rechtskraft früherer Bescheide. Vielmehr ist im Fall einer Änderung der Rechtslage anhand der neuen Rechtslage zu untersuchen, ob der Gesetzgeber damit rechtskräftige Bescheide abändern oder aufheben wollte. Die Novelle zum TFLG 1996, insbesondere ihr § 33, enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber die Rechtskraft früherer Bescheide, mit denen Grundstücke in eine der Kategorien agrargemeinschaftlicher Grundstücke nach den flurverfassungsrechtlichen Vorschriften eingestuft wurden, beseitigen wollte. Die Annahme, der Gesetzgeber habe in die Rechtskraft solcher Bescheide eingreifen wollen, verbietet sich umso mehr, als er nicht einmal die Rechtskraft jener Bescheide angetastet hat, die vor dem Hintergrund des VfGH-Erkenntnisses VfSlg 18.446 Anlass für die TFLG-Novelle 2010 waren, nämlich jene Bescheide, mit denen Gemeindegut in das Eigentum von Agrargemeinschaften übertragen wurde. Bei der Prüfung, ob Grundstücke "vormals im Eigentum einer Gemeinde gestanden sind" (§ 33 Abs. 2 lit. c Z 2 TFLG 1996) sind daher Bescheide, die diese Frage rechtskräftig entschieden haben, zu beachten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 30. Juni 2011, 2010/07/0091, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, dargelegt, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 2 lit. d TFLG 1952 (die mit § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1978 übereinstimmt), Gemeindegut im Sinn der Gemeindeordnung erfasst, während § 36 Abs. 1 lit. b TFLG 1952 (der wiederum § 33 Abs. 1 lit. b TFLG 1978 entspricht), das gemeinsame Gut von Nutzungsberechtigten z.B. eines Ortsteiles (einer Fraktion), auf dem die Nutzungsberechtigungen einzelner Stammsitzliegenschaften lasten, umschreibt. Zu diesem Ergebnis ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuletzt auf Grund einer Betrachtung der Entstehungsgeschichte dieser Bestimmungen gekommen. Dass diese Überlegungen in Übereinstimmung mit dem Verständnis der hier auftretenden historischen Agrarbehörde stehen, zeigt die oben wiedergegebene Begründung des Regulierungsplanes. Auch aus diesem Grund bieten die Ausführungen im Schriftsatz der mP vom 21. Juli 2011 keinen Anlass, von der im Erkenntnis vom 30. Juni 2011, 2010/07/0091, vertretenen Auffassung abzugehen.

Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 13. Oktober 2011

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltBesondere RechtsgebieteAuslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung FeststellungsbescheideMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Rechtsverletzung des Beschwerdeführers Beschwerdelegitimation bejahtIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2011:2010070163.X00

Im RIS seit

07.11.2011

Zuletzt aktualisiert am

30.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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