TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/19 2000/05/0210

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Veröffentlicht am 19.12.2000
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L80003 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan
Niederösterreich;
L82000 Bauordnung;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

AVG §8;
BauO NÖ 1996 §20 Abs1;
BauO NÖ 1996 §23 Abs1;
BauO NÖ 1996 §48;
BauO NÖ 1996 §6 Abs2 Z2;
BauRallg;
GewO 1994 §359b;
ROG NÖ 1976 §16 Abs1 Z4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde der Waltraud Gruber in Lilienfeld, des Dr. Heinz Gruber in Sao Paulo und der Ingrid Monaghan in Bethesda, alle vertreten durch Dr. Wolfram Wutzel, Rechtsanwalt in Linz, Promenade 6, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 28. Juli 2000, Zl. RU1-B-9904/01, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Neuman Aluminium Strangpresswerk GesmbH. in Marktl, vertreten durch Hofbauer & Hofbauer, Rechtsanwälte Partnerschaft in St. Pölten, Riemerplatz 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 7. März 2000, Zl. 99/05/0223, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid der belangten Behörde vom 2. August 1999 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben, weil die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass trotz der Aufhebung des Absatzes 3 des § 6 der NÖ Bauordnung 1996 durch den Verfassungsgerichtshof diese Bestimmung dennoch anzuwenden war. Da sich die Rechtslage durch die Aufhebung des Absatzes 3 des § 6 der NÖ BauO 1996 während des Verfahrens insofern geändert hatte, als den Beschwerdeführern im Baubewilligungsverfahren weitere subjektiv-öffentliche Rechte zustanden, wäre die belangte Behörde als Berufungsbehörde gehalten gewesen, die Beschwerdeführer von dieser Änderung der Rechtslage zu informieren und ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.

In der Folge hat die belangte Behörde den Beschwerdeführern die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt. Die Beschwerdeführer haben drei Mal um Fristverlängerung angesucht, die letztmalig verlängerte Frist hat am 23. Juni 2000 geendet. Im Schreiben vom 21. Juni 2000, das am selben Tag zur Post gegeben und am 23. Juni 2000 der belangten Behörde ausgefolgt wurde, haben die Beschwerdeführer im Wesentlichen ausgeführt, das beantragte Projekt gefährde auf Grund der von ihm ausgehenden Lärmimmissionen die Gesundheit der Beschwerdeführer, es lägen auch unzumutbare Geruchsimmissionen vor. Die mitbeteiligte Partei sei bei der Ausführung des Vorhabens aus technischen Gründen vom ursprünglichen Projekt abgewichen. Den Einwendungen waren ein schalltechnischer Prüfbericht der TAS Sch. GesmbH. vom 8. Mai 2000, eine Stellungnahme dieser GesmbH. vom 23. Mai 2000 sowie ein Vereinbarungsentwurf vom 21. März 2000, die ÖNORM S 5010 und ein Fax des Österreichischen Normungsinstitutes vom 19. Juni 2000 beigeschlossen. Im gewerberechtlichen Verfahren erfolgte eine Bewilligung im vereinfachten Verfahren gemäß § 359b GewO.

Auf Grund eines Zuordnungsfehlers innerhalb des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung sind vorerst weder die Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 21. Juni 2000 noch die diesen beigelegten Unterlagen der zuständigen Abteilung, sondern zunächst einer anderen Abteilung zugeteilt worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 4. Februar 1999, mit dem der Mitbeteiligten die beantragte Baubewilligung erteilt worden war, neuerlich abgewiesen. Lediglich hinsichtlich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung wurde der Berufung Folge gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführer innerhalb der ihnen eingeräumten Frist keine Stellungnahme und damit keine weiteren Einwendungen erhoben hätten.

Der Umstand, dass die von den Beschwerdeführern rechtzeitig erhobenen Einwendungen, die sie durch weitere Stellungnahmen und Gutachten unterlegt haben, von der belangten Behörde unberücksichtigt blieben, stellt einen Verfahrensmangel dar. Ein Verfahrensmangel ist im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG dann wesentlich, wenn die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Mangels zu einem anderen Bescheidergebnis hätte gelangen können. Den Beschwerdeführern standen nach Aufhebung des Absatzes 3 des § 6 der NÖ Bauordnung 1996 durch den Verfassungsgerichtshof alle im § 6 Abs. 2 leg. cit. genannten subjektiv-öffentlichen Rechte offen. In ihren Einwendungen vom 21. Juni 2000 haben sie ausschließlich unzulässige Immissionen geltend gemacht.

Mit Bescheid der NÖ Landesregierung vom 19. Jänner 1999 wurde die Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Lilienfeld vom 17. Dezember 1998, mit dem u.a. die zu bebauenden Grundstücke als Bauland-Industriegebiet gewidmet worden sind, genehmigt. Gemäß § 16 Abs. 1 Z. 4 des NÖ Raumordnungsgesetzes 1976 sind Industriegebiete für betriebliche Bauwerke bestimmt, die wegen ihrer Auswirkungen, ihrer Erscheinungsform oder ihrer räumlichen Ausdehnung nicht in den anderen Nutzungsarten des Baulandes zulässig sind. Diese Bestimmung enthält keinen Immissionsschutz, wohl aber § 48 Nö. BauO 1996. Gemäß § 20 Abs. 1 der NÖ BauO 1996 ist (bei der Vorprüfung) die Prüfungsbefugnis der Baubehörde bei gewerblichen Betriebsanlagen, die einer Genehmigung durch die Gewerbebehörde bedürfen, nach den Bestimmungen der Bauordnung, der NÖ Aufzugsordnung, des NÖ Kleingartengesetzes oder einer Durchführungsverordnung zu einem dieser Gesetze auf jene Fragen eingeschränkt, deren Regelungsinhalt durch diese Genehmigung nicht erfasst ist. Diese Bestimmung hat, wie aus dem Ausschussbericht hervorgeht, den Zweck, für gewerbliche Betriebsanlagen die Doppelgleisigkeit und damit die bisher üblichen Widersprüche im Bau- und Gewerbeverfahren auszuschließen. Gemäß § 23 Abs. 1 dritter Satz NÖ BauO 1996 gilt für die Baubewilligung bei gewerblichen Betriebsanlagen § 20 Abs. 1 letzter Satz leg. cit. sinngemäß. Im Beschwerdefall erfolgte die Betriebsanlagengenehmigung im vereinfachten Verfahren gemäß § 359b GewO; in einem solchen Verfahren haben die Nachbarn keine Parteistellung und daher keine Gelegenheit, den Immissionsschutz geltend zu machen. Von einer "Doppelgleisigkeit", die nach dem Ausschussbericht vermieden werden soll, kann daher in einem derartigen Fall keine Rede sein. Im Sinne des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 23. Februar 1999, G 231/98, muss aber die Bestimmung des § 23 Abs. 1 dritter Satz in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nö. BauO 1996 so ausgelegt werden, dass den Anrainern dort, wo ihnen im gewerbebehördlichen Verfahren keine Parteistellung zukommt, im Baubewilligungsverfahren die Möglichkeit eingeräumt ist, den ihnen durch die Bauordnung eingeräumten Immissionsschutz geltend zu machen.

In diesem Zusammenhang wäre daher die Baubehörde gehalten gewesen, sich mit den in der Eingabe vom 21. Juni 2000 vorgebrachten Einwendungen der Beschwerdeführer auseinander zu setzen.

Da somit nicht auszuschließen ist, dass die Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheidergebnis gelangt wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Dezember 2000

Schlagworte

Baurecht Nachbar Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Schutz vor Immissionen BauRallg5/1/6

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000050210.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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