TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/20 95/08/0089

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Veröffentlicht am 20.12.2000
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §25 Abs1 idF 1987/615;
B-VG Art140;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Paul Appiano u.a., Rechtsanwälte in Wien I, Bösendorferstraße 7, gegen den auf Grund eines Beschlusses des zuständigen Unterausschusses des Verwaltungsausschusses ausgefertigten Bescheid des Landesarbeitsamtes Wien vom 15. Juni 1994, Zl. IVb/7022/7100/B, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich des Widerrufs der Leistung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.280,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 2. September 1991 Arbeitslosengeld und gab im Antragsformblatt an, er stehe als "Geschäftsführer der Z. (Familienname des Beschwerdeführers) Bautechnik OHG IG" in Beschäftigung und sei selbstständig erwerbstätig. Die Frage nach der Erzielung eines eigenen Einkommens verneinte er. In einer bei der Antragsrückgabe am 16. September 1991 mit ihm aufgenommenen Niederschrift gab der Beschwerdeführer an, er habe die (nicht näher beschriebene) selbstständige Erwerbstätigkeit am 2. September 1991 begonnen, werde sie "von 16-21 Uhr" ausüben und erkläre an Eides statt, dass der "Gesamtbetrag" seiner "Einkünfte (=Einnahmen-Ausgaben) aus selbstständiger Erwerbstätigkeit im laufenden Wirtschaftsjahr/im o. a. Zeitraum voraussichtlich S 0,-- betragen" werde. In einer zweiten Niederschrift stimmte er der Einholung von Auskünften beim Finanzamt zu. Mit Zahlungs- und Verrechnungsauftrag vom 19. September 1991 wurde die Auszahlung der Leistung an den Beschwerdeführer für 210 Tage ab dem 1. September 1991 verfügt.

Im Dezember 1993 langte beim Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien der den Beschwerdeführer betreffende Einkommensteuerbescheid 1991 ein. Darin war ein Einkommen von S 223.345,-- ausgewiesen, das sich aus Einkünften aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 14.694,--, Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit in der Höhe von S 229.209,-- und Abzugsbeträgen ergab. In der angeschlossenen Kopie der Einkommensteuererklärung waren "Beruf oder Art der Tätigkeit" des Beschwerdeführers (ebenso wie für seine Ehegattin) mit "Angest., OHG-Ges." bezeichnet. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb in der Höhe von S 14.694,-- war angegeben, diese resultierten aus der 50 %igen Beteiligung an der J.L. OHG in Bozen laut einer (nicht angeschlossenen) Beilage.

Mit Bescheid vom 2. Februar 1994 sprach das Arbeitsamt Versicherungsdienste Wien gegenüber dem Beschwerdeführer aus, für die Zeit vom 1. September 1991 bis zum 31. Dezember 1991 werde der Bezug (gemeint: die Zuerkennung) des Arbeitslosengeldes "widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt" und der Beschwerdeführer zur Rückzahlung des unberechtigt empfangenen Arbeitslosengeldes im Gesamtbetrag von S 46.933,-- verpflichtet.

Das Ermittlungsverfahren habe Folgendes ergeben:

     "Sie erzielten im Jahr 1991 ein Einkommen aus selbstständiger

Erwerbstätigkeit, das über der Geringfügigkeitsgrenze lag."

     In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der

Beschwerdeführer geltend, das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit im Jahr 1991 im Betrag von S 14.694,-- liege "unter der Geringfügigkeitsgrenze". Er habe es "durch einen ausländischen OHG-Anteil; J.L. OHG Salurn/Bozen/Italien" erhalten. Für weitere Auskünfte stehe er gerne zur Verfügung.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Zur Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde - nach Gesetzeszitaten und einer kurzen Darstellung des Verfahrensganges - im Wesentlichen aus, auf Grund des Einkommensteuerbescheides 1991 habe sich nachträglich herausgestellt, dass der Beschwerdeführer Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von S 14.694,-- erzielt habe. Da der Beschwerdeführer "somit in den vier Monaten des Jahres 1991", in denen er "nach eigenen Angaben" seine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, durchschnittlich ein Einkommen von S 3.674,-- erzielt habe und dieser Betrag die Geringfügigkeitsgrenze (für 1991) von S 2.772,-- überstiegen habe, sei die Leistung mangels Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers während des Zeitraumes vom 1. September 1991 bis zum 31. Dezember 1991 zu widerrufen und zurückzufordern gewesen. In seiner Berufung habe der Beschwerdeführer den "Sachverhalt (Einkommen 1991: S 14.694,--)" bestätigt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der im Wesentlichen geltend gemacht wird, der Betrag von S 14.694,-- aus der Beteiligung des Beschwerdeführers an einer ausländischen Gesellschaft wäre nicht durch vier, sondern durch 12 zu teilen gewesen, womit sich ein unter der Geringfügigkeitsgrenze liegendes Einkommen ergeben hätte.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 31. Jänner 1995, Zl. A 5/95, in der vorliegenden Beschwerdesache an den Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, auszusprechen, § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 615/1987 sei verfassungswidrig gewesen. Mit Erkenntnis vom 16. März 1995, VfSlg. 14.095, hat der Verfassungsgerichtshof mit Wirkung u.a. für den vorliegenden Fall ausgesprochen, die erwähnte Bestimmung sei verfassungswidrig gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer - der in einem im Mai 1990 gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld noch jede Beschäftigung, selbstständige Erwerbstätigkeit oder sonstige Einkommenserzielung verneint hatte - gab auch im Antrag vom 2. September 1991 an, er habe kein eigenes Einkommen (Frage 8. des Antragsformblattes). Die selbstständige Erwerbstätigkeit, deren Vorliegen er bejahte (Frage 5. des Antragsformblattes), bezeichnete er nicht näher. Bei der Frage, ob er in Beschäftigung stehe, gab er an, er sei "Geschäftsführer der Z. Bautechnik OHG IG" (Frage 4. des Antragsformulares). In der mit ihm aufgenommenen Niederschrift erklärte er ohne Einschränkung auf eine bestimmte Tätigkeit, er habe seine selbstständige Erwerbstätigkeit "am 2.9.91 begonnen". Weiters erklärte er "an Eidesstatt" und ebenfalls ohne Einschränkung etwa auf eine von mehreren Personengesellschaften, dass der "Gesamtbetrag" seiner Einkünfte aus selbstständiger Erwerbstätigkeit S 0,-- betragen werde.

In der Berufung erhob der Beschwerdeführer zwar die Rechtsbehauptung, das Einkommen aus seiner Beteiligung an der J.L. OHG sei unter der Geringfügigkeitsgrenze gelegen. Wie lange diese - von ihm bisher nicht in aktenkundiger Weise offen gelegte - Beteiligung schon bestanden habe, wurde in der Berufung nicht dargelegt, wozu die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides aber auch keinen Anlass gab: Dass sich die Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze daraus ergeben habe, dass der Gesamtbetrag der im Einkommensteuerbescheid 1991 ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb einem Teilzeitraum von vier Monaten zugeordnet worden war, ging aus dem erstinstanzlichen Bescheid nämlich nicht hervor.

Die belangte Behörde ist der Frage, ob die Beteiligung des Beschwerdeführers an der J.L. OHG das ganze Jahr hindurch bestanden habe, nicht nachgegangen und hat sich mit dem Umstand, dass die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbebetrieb eine ausländische OHG und nicht die in Gründung befindliche Gesellschaft betrafen, als deren "Geschäftsführer" der Beschwerdeführer nach seinen Angaben im Antrag "beschäftigt" war, nicht auseinander gesetzt. Die Begründung des angefochtenen Bescheides lässt im Besonderen nicht erkennen, dass und aus welchen Gründen die belangte Behörde davon ausgegangen sei, bei der Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft solle es sich - zusätzlich zu der im Antrag erwähnten "Beschäftigung" als "Geschäftsführer" der in Gründung befindlichen Z. Bautechnik OHG - um die "selbstständige Erwerbstätigkeit" handeln, die der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge seit dem 2. September 1991 "von 16-21 Uhr" ausübe und aus der er 1991 keine Einkünfte erwarte.

Bei verständiger Würdigung der Angaben und des Verhaltens des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde wohl davon ausgehen müssen, dass es sich bei der Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft um einen vom Beschwerdeführer bisher zur Gänze verschwiegenen Umstand handle. Diesfalls wäre es erforderlich gewesen, die näheren Umstände dieser Beteiligung im Besonderen unter dem für die Frage der Ermittlung des monatlichen Durchschnittseinkommens entscheidenden Gesichtspunkt ihrer Dauer (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 8. September 1998, Zl. 95/08/0229, und vom 20. Oktober 1999, Zl. 97/08/0522) zu klären und den Beschwerdeführer zur Vorlage zweckdienlicher Unterlagen hierüber aufzufordern. Wäre die belangte Behörde stattdessen zu der Überzeugung gelangt, die Beteiligung an der ausländischen Gesellschaft habe deshalb erst ab September 1991 bestanden, weil in den niederschriftlichen Angaben vom 16. September 1991 in Verbindung mit den Angaben im Antrag nicht eine Verschweigung dieser Beteiligung, sondern ein Vorbringen darüber, seit wann sie bestehe, zu sehen gewesen sei, so hätte die belangte Behörde dies - angesichts der Verschiedenheit der im Antrag und in der Einkommensteuererklärung genannten Gesellschaften, wobei es sich bei letzterer auch um eine ausländische Gesellschaft handelte - im angefochtenen Bescheid näher begründen müssen. Die belangte Behörde hat in der Begründung ihrer Entscheidung den (auf Grund der Einkommensteuererklärung aktenkundigen und in der Berufung ausdrücklich geltend gemachten) Umstand, dass es sich bei den festgestellten Einkünften um solche aus der Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft handle, aber in keiner Weise - auch nicht durch Wiedergabe des Berufungsvorbringens - erwähnt. Von welchen Überlegungen die belangte Behörde bei der für ihre Entscheidung über den Widerruf der Leistung ausschlaggebenden Annahme, die Einkünfte seien zur Gänze innerhalb des Zeitraumes vom 1. September 1991 bis zum 31. Dezember 1991 erzielt worden, in Bezug auf die Beteiligung an dieser Gesellschaft ausgegangen ist, ist für den Verwaltungsgerichtshof daher nicht erkennbar.

In Bezug auf die Rückforderung der Leistung hat die belangte Behörde ihre Entscheidung, die sich insoweit nur darauf gründete, dass sich die Einkünfte nachträglich auf Grund des Einkommensteuerbescheides 1991 herausgestellt hätten, auf die Vorschrift des § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG gestützt, die nach dem eingangs erwähnten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bei der Überprüfung des angefochtenen Bescheides nicht mehr anzuwenden ist.

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich des Widerrufes der Leistung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und hinsichtlich der Rückforderung der Leistung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 und 4 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Dem Beschwerdeführer steht danach ein Schriftsatzaufwand von S 12.500,-- (und nicht S 15.000,--) und kein gesonderter Ersatz von Umsatzsteuer aus diesem Aufwand zu.

Wien, am 20. Dezember 2000

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1995080089.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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