TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/20 98/08/0269

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Veröffentlicht am 20.12.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AlVG 1977 §12 Abs1;
AlVG 1977 §12 Abs3 lita;
AlVG 1977 §24 Abs2;
AlVG 1977 §45;
AVG §38;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des V in W, vertreten durch Mag.Dr. Günter Harrich, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Schönbrunner Straße 90/10, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 16. Juli 1998, Zl. LGSW Abt. 10-AlV/1218/56/1998-801, betreffend Widerruf und Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer den Widerruf der Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 24 Abs. 2 AlVG für die Zeit vom 1. Jänner bis 1. Mai 1997 und die Rückforderung des unberechtigt Empfangenen "in der Höhe von S 34.495,-- (richtig: S 47.714,--)" gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ausgesprochen.

Nach Hinweisen auf die von ihr angewendeten gesetzlichen Bestimmungen begründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer ab 20. Dezember 1996 Arbeitslosengeld bezogen habe, vom 1. Jänner 1997 bis 17. Juli 1997 in einem Dienstverhältnis bei einer näher bezeichneten Baugesellschaft gestanden sei und gleichzeitig weiterhin vom 1. Jänner 1997 bis 1. Mai 1997 Arbeitslosengeld bezogen habe. Dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, worin er bestritt, im fraglichen Zeitraum bei der genannten Gesellschaft beschäftigt gewesen zu sein, entgegnet die belangte Behörde, dass aufgrund einer Meldung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger nachträglich bekannt geworden sei, dass der Beschwerdeführer im genannten Zeitraum beim genannten Dienstgeber vollversicherungspflichtig - und somit Arbeitslosigkeit ausschließend - beschäftigt gewesen sei. Da "bis dato eine Berichtigung oder Stornierung der Anmeldung zur Sozialversicherung für die Zeit vom 1.1.1997 bis 1.5.1997 bei der Firma ... laut Versicherungsdatei des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger nicht erfolgte, ist die Berufungsbehörde den Feststellungen der Wiener Gebietskrankenkasse gefolgt und davon ausgegangen, dass (der Beschwerdeführer) in der Zeit vom 1.1.1997 bis 17.9.1997 bei (der genannten Gesellschaft) in einer vollversicherungspflichtigen ... Beschäftigung gestanden" sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer im Wesentlichen kritisiert, dass die belangte Behörde eine Unrichtigkeit von bei der Wiener Gebietskrankenkasse aufscheinenden Daten nicht in Erwägung gezogen habe. Sie hätte aber zu ermitteln gehabt, ob der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum arbeitslos, arbeitsfähig und arbeitswillig gewesen sei.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie im Wesentlichen das Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit - wie der Sache nach auch schon im angefochtenen Bescheid - damit begründet, dass sie sich "an die Daten der Versicherungsdatei des Hauptverbandes gebunden" erachtet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen und die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sie die Zuerkennung oder Bemessung des Arbeitslosengeldes nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.

Der Widerruf nach § 24 Abs. 2 AlVG hängt im Beschwerdefall somit davon ab, ob der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde behauptet - im Sinne des § 12 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 Abs. 3 lit. a AlVG in einem Dienstverhältnis gestanden ist.

Gem. § 45 AlVG sind Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht oder über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren zu entscheiden. In diesem Verfahren kommt den Landesgeschäftsstellen Parteistellung zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 30. Juni 1998, Zl. 98/08/0129, zwar ausgesprochen, dass die Behörden des Arbeitsmarktservice in dieser Frage an einen rechtskräftigen, ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis für den fraglichen Zeitraum bejahenden Bescheid gebunden ist. Eine weiterreichende Bindung, insbesondere an die beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger tatsächlich geführten Versicherten-Daten kann dem Gesetz, insbesondere auch § 45 AlVG, ebenso wenig entnommen werden, wie ein Verbot der Beurteilung des Vorliegens der Versicherungspflicht eines Beschäftigungsverhältnisses als Vorfrage. Die belangte Behörde ist daher verpflichtet, die Frage des Vorliegens eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses - sofern dies als Hauptfrage nicht bindend entschieden und ein solches Verfahren auch nicht anhängig ist oder anhängig gemacht wird - als Vorfrage iS des § 38 AVG selbst zu beurteilen.

Im Beschwerdefall ist aber nicht (bloß) die Versicherungspflicht eines Beschäftigungsverhältnisses, sondern dessen Bestand strittig: der Beschwerdeführer hat sich im Verwaltungsverfahren nämlich nicht damit begnügt, die Versicherungspflicht eines nicht bestrittenen Beschäftigungsverhältnisses in Zweifel zu ziehen, es hat vielmehr bestritten, bei dem genannten Arbeitgeber im fraglichen Zeitraum des Aufscheinens von Versicherungszeiten in der Versichertendatei überhaupt beschäftigt gewesen zu sein. Ob der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum überhaupt bei dem genannten Dienstgeber in Beschäftigung gestanden ist, ist jedoch Tatbestandsmoment (und nicht als Vorfrage im Sinne einer Rechtsfrage) für eine auf § 12 AlVG gestützte Entscheidung und daher jedenfalls von der belangten Behörde als Tatfrage festzustellen. Einer rechtskräftigen Hauptfragenentscheidung über das Bestehen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (also die Beantwortung einer quaestio mixta) käme insoweit zwar auch Tatbestandswirkung zu, als die Versicherungspflicht das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses gedanklich zwingend voraussetzt, eine solche Entscheidung (oder eine gerichtliche Entscheidung über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses) liegt hier aber nicht vor.

Es war daher Aufgabe der belangten Behörde ein dem Gesetz entsprechendes Ermittlungsverfahren durchzuführen und (vor dem Hintergrund der Bestreitungslage durch den Beschwerdeführer) zumindest festzustellen, ob der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum bei dem genannten Arbeitgeber in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden ist. Die belangte Behörde war daher nicht berechtigt, die in der Berufung gestellten Beweisanträge des Beschwerdeführers zu übergehen und statt dessen auf einem vom Beschwerdeführer zu erbringenden Nachweis über die Berichtigung der Versicherungsdatei zu bestehen. Entgegen der noch in der Gegenschrift vertretenen - weiterreichenden - Auffassung der belangten Behörde sind diese Daten unter den hier vorliegenden Voraussetzungen für sie auch nicht in dem Sinne "maßgeblich", dass ein Ermittlungsverfahren im Falle einer substantiierten Bestreitung entbehrlich wäre.

Die belangte Behörde hat die erforderlichen Feststellungen aufgrund ihrer unrichtigen Rechtsauffassung unterlassen, sie sei berechtigt, die Versichertendaten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger bis zum Nachweis von deren Änderung ohne Aufnahme weiterer Beweise der Feststellung über das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses des Beschwerdeführers im Zeitraum vom 1.1. bis 1.5 1997 zugrundezulegen; der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 20. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998080269.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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