Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Dezember 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Metzler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Raimund P***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 11. März 2009, GZ 6 U 21/09m-8, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen Raimund P***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 6 U 21/09m des Bezirksgerichts Bregenz, verletzt die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten ohne vorangehende Vernehmung desselben zu den Anklagevorwürfen § 427 Abs 1 erster Satz StPO.
Das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 11. März 2009 und der unter einem gefasste Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO werden aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Bregenz verwiesen.
Text
Gründe:
Raimund P***** wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 11. März 2009, GZ 6 U 21/09m-8, in seiner Abwesenheit des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe (sowie gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung eines Schmerzengeldbetrags) verurteilt. Mit einem zugleich gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO gefassten Beschluss wurde vom Widerruf einer mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 6. Februar 2008, AZ 21 Hv 104/07y, gewährten bedingten Nachsicht abgesehen, die Probezeit jedoch auf fünf Jahre verlängert. Die Durchführung der Hauptverhandlung sowie die Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte, obwohl dieser zum Anklagevorwurf niemals vernommen worden war.
Mit (irrigerweise mit der gemäß Art 82 Abs 2 B-VG sowie § 114 Abs 1 Geo der Urteilsform vorbehaltenen Aufschrift „Im Namen der Republik" ausgefertigtem) Beschluss vom 29. September 2009, AZ 25 Bl 62/09w (ON 13 des U-Aktes), wies das Landesgericht Feldkirch als Berufungsgericht die (mit Schreiben vom 6. April 2009 nach Ablauf von drei Tagen nach Urteilszustellung [§ 466 Abs 2 StPO] erhobene) Berufung des Angeklagten wegen Verspätung als unzulässig zurück. Dabei wurde indes übersehen, dass der Angeklagte nach der Aktenlage (nämlich dem Inhalt eines im Nachhang zum Protokoll der Hauptverhandlung vom 11. März 2009 verfassten Aktenvermerks des Bezirksrichters [ON 7 S 38 f]) am 11. März 2009 kurz nach dem Ende der Hauptverhandlung bei Gericht erschienen war und nach Mitteilung des Inhalts des Abwesenheitsurteils und Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung gegen das in Rede stehende Urteil (bereits) Berufung wegen Nichtigkeit sowie der Aussprüche über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche angemeldet hatte.
Rechtliche Beurteilung
Die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang. Dies setzt nämlich nach § 427 Abs 1 erster Satz StPO unter anderem - den durch Art 6 MRK auf Verfassungsebene gehobenen Grundsatz des beiderseitigen Gehörs Rechnung tragend - zwingend voraus, dass der Angeklagte bereits gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde (Bauer/Jerabek, WK-StPO § 427 Rz 8), was vorliegend unterblieben ist.
Diese Gesetzesverletzung gereichte dem Angeklagten zum Nachteil, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, das Urteil und den Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 und 6 StPO aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht zu verweisen.
Einer förmlichen Aufhebung (auch) des von dem zu kassierenden Urteil des Bezirksgerichts Bregenz rechtslogisch abhängigen Beschlusses des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht bedarf es nicht (RIS-Justiz RS0100444; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28).
Anmerkung
E9280715Os166.09iEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0150OS00166.09I.1216.000Zuletzt aktualisiert am
12.02.2010