TE OGH 2009/12/17 13Os142/09w

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Veröffentlicht am 17.12.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Bekim R***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Avni I***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 7. September 2009, GZ 082 Hv 37/09z-66, sowie die Beschwerde dieses Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss (§ 494a Abs 1 Z 4 StPO) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Avni I***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Avni I***** (richtig:) jeweils des Vergehens des schweren Betrugs nach §§ 12 dritter Fall, 15, 146, 147 Abs 2 StGB und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 12 dritter Fall StGB, § 27 Abs 1 siebenter Fall SMG schuldig erkannt. Danach hat er am 23. März 2009 in Wien dazu beigetragen, dass Bekim R*****, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Flurim R***** (I.1) einen verdeckten Ermittler durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vorgabe, rund 400 Gramm ungestrecktes Heroin verkaufen und übergeben zu wollen, während es sich in Wahrheit um ein Paket mit 500 Gramm Kakao vermischt mit 5 Gramm Heroin handelte, zu einer Handlung zu verleiten versucht hat, die „diesen" um den 3.000 Euro übersteigenden Betrag von zumindest 19.500 Euro am Vermögen hätte schädigen sollen, nämlich zur Übergabe von 20.000 Euro Bargeld, und (I.2.) dadurch 5 Gramm Heroin in Verkehr zu setzen versucht hat, indem er bei den Verkaufsverhandlungen anwesend war und betonte, man müsse sehr vorsichtig sein. Nachdem der Angeklagte Avni I***** sogleich nach Verkündung des Urteils Nichtigkeitsbeschwerde und „volle" Berufung angemeldet hatte (ON 65 S 27), wurde seinem Wahlverteidiger Dr. K***** (ON 28) am 24. September 2009 eine Urteilsausfertigung zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel zugestellt (ON 1 S 27 mit Rückschein). Damit begann die vierwöchige Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 285 Abs 1 StPO) ungeachtet dessen, dass eine Zustellung des Protokolls der Hauptverhandlung (ON 65) entgegen § 271 Abs 6 letzter Satz StPO nicht verfügt worden war (ON 1 S 27; 11 Os 19/09t, 20/09i, 21/09m, EvBl 2009/92, 613).

In einem mit 25. September 2009 datierten und am selben Tag per Telefax dem Landesgericht für Strafsachen Wien übermittelten Schriftsatz gab Dr. K***** die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses „mit sofortiger Wirkung" bekannt (ON 72).

Daraufhin beschloss der Vorsitzende am 28. September 2009 die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und verfügte, diesem das Urteil zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde zuzustellen (ON 1 S 29), obwohl wie erwähnt eine Urteilsausfertigung bereits dem früheren Verteidiger während des aufrechten Vollmachtsverhältnisses zugestellt worden war. Dem vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien zum Verteidiger bestellten Dr. P***** wurde am 2. Oktober 2009 die Urteilsausfertigung zugestellt (ON 1 S 29 f, ON 74), worauf er durch die Substitutin Dr. W***** (ON 75) die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil sowie einer Beschwerde gegen einen Widerrufsbeschluss erstatten ließ, die am 30. Oktober 2009 zur Post gegeben wurde (ON 79).

Rechtliche Beurteilung

Die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde ist verspätet:

Die genannte Mitteilung von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses hatte zufolge § 63 Abs 2 erster Satz StPO (wonach der Lauf einer durch eine Zustellung an den Verteidiger ausgelösten Frist nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt wird, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird) keinen Einfluss auf die bereits mit der Urteilszustellung an den Wahlverteidiger am 24. September 2009 in Gang gesetzte Vierwochenfrist des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der Verteidiger in diesem Fall gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO weiterhin die Interessen des Beschuldigten (§ 48 Abs 2 StPO) zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen nötigenfalls vorzunehmen, es sei denn, dieser hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (wobei auch Letzteres am Lauf der Frist nichts ändern würde, 14 Os 42/09x, EvBl-LS 2009/170, 1020). Anzumerken bleibt, dass die (von Amts wegen beschlossene) Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers ohne Einfluss auf den Lauf der Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war: § 63 Abs 1 StPO gilt nicht für Fälle bereits erfolgter Zustellung an den Wahlverteidiger (RIS-Justiz RS0116182; Achammer WK-StPO § 63 Rz 4, 8; Ratz, WK-StPO § 285 Rz 2; Fabrizy StPO10 § 63 Rz 1). Für diese Auffassung ist übrigens schon mit Blick auf die in § 63 Abs 2 erster Satz StPO zum Ausdruck kommende Intention des Gesetzgebers, prozesstaktischen Manövern zur Fristverlängerung durch Vollmachtsbeendigung nach Zustellung eines Aktenstückes an den Wahlverteidiger vorzubeugen (Achammer WK-StPO § 63 Rz 16; 14 Os 42/09x), nicht entscheidend, ob der Angeklagte „während der gesamten ursprünglichen Frist bereits durch einen Verteidiger vertreten ist" (vgl RIS-Justiz RS0116182; anderes lässt sich auch den Beschlüssen 13 Os 182/01, 13 Os 2/02 und 13 Os 109/07i, 13 Os 110/07m nicht entnehmen).

Mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung von Nichtigkeitsgründen bei Anmeldung oder rechtzeitiger Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war auf diese keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO).

Eine - auch vom EGMR nur in Betreff grober Versäumnisse des Pflichtverteidigers bejahte (vgl EGMR 10. Oktober 2002, 38.830/97 Czekalla gg Portugal, Newsletter 2002, 209; EGMR 9. November 2004, Nr 77.837/01, Saez Maeso gg Spanien, Newsletter 2004, 274) - Verpflichtung der nationalen Behörden, in solchen Fällen im Interesse des Angeklagten einzugreifen, besteht übrigens schon deshalb nicht, weil das Verhältnis zwischen Angeklagtem und gewillkürtem Vertreter keinen Gegenstand des Art 6 Abs 3 MRK darstellt (14 Os 42/09x = RIS-Justiz RS0116182 [T10], instruktiv zum Problem: Pühringer, Die Sicherung der wirksamen Verteidigung - Verteidigungsfehler in der Judikatur des EGMR und des OGH, RZ 2009, 32).

Die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde bei nichtöffentlicher Beratung (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO) hat die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde zur Folge (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Avni I***** beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Anmerkung

E9279813Os142.09w

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0130OS00142.09W.1217.000

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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