TE OGH 2009/12/18 2Ob83/09h

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Veröffentlicht am 18.12.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj S***** J*****, geboren am *****, vertreten durch den Kollisionskurator Dr. Karlheinz de Cillia, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei mj D***** H*****, geboren am *****, vertreten durch die Mutter M***** T***** H*****, diese vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 7.244,86 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse: 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 13. Februar 2009, GZ 1 R 375/08d-23, womit infolge Berufungen beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 29. Oktober 2008, GZ 13 C 109/08h-17, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 292 EUR (Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen. Im Übrigen werden die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 21. 8. 2006 spielte der damals knapp fünfjährige Beklagte auf einer an die von ihm und seiner Familie bewohnten Wohnhausanlage angrenzenden Wiese mit einem Freund „Ritter". Die Wiese befindet sich in unmittelbarer Nähe des Spielplatzes, wo seine Mutter auf einer Bank saß. Das Spiel bestand darin, dass der Beklagte mit einem ca 30 cm langen und 2 bis 3 cm dicken Stecken gegen einen Baum schlug. Er befolgte damit die Anweisung seiner Mutter, dass man mit Stecken nicht gegeneinander „kämpfen", sondern nur gegen einen Baum schlagen dürfe.

Während des Spiels näherte sich der gleichaltrige Kläger, der mit seiner Mutter gerade vom Einkaufen gekommen war. Während die Mutter die Einkäufe in der Wohnung verstaute und danach auf den Spielplatz nachkommen wollte, ging der Kläger zu den beiden Kindern, um mitzuspielen. Der Beklagte, der weiterhin mit dem Stecken gegen den Baum schlug, sah den Kläger kommen. Als dieser ca 3 m von dem Baum entfernt war, brach der Stecken des Beklagten ab und ein Holzstück flog ins Auge des Klägers.

Der Kläger erlitt eine schmerzhafte Augenverletzung, die bis auf eine geringe Anisokorie (ungleich weite Pupille) folgenlos abgeheilt ist. Er hatte zwei Tage starke, sieben Tage mittelstarke und 14 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Die Anisokorie ist auf die Augenverletzung zurückzuführen. Mit höchster medizinischer Wahrscheinlichkeit werden sich keine Komplikationen ergeben. Spätfolgen sind aber nicht auszuschließen. Nach einem fünftägigen Aufenthalt im Krankenhaus wurde der Kläger zu Hause von seiner Mutter betreut, die sich dafür 14 Tage Urlaub nahm. Ein erhöhter Pflegebedarf bestand zu dieser Zeit grundsätzlich zwar nicht mehr, es war aber noch der Verbandswechsel und über einen Zeitraum von 14 Tagen viermal täglich die Verabreichung von Augentropfen sowie die Begleitung des Klägers zu mehreren Nachuntersuchungen erforderlich.

Beide Kinder sind altersgemäß normal entwickelt. Zu Gunsten des Beklagten besteht eine private Haftpflichtversicherung. Zu Gunsten des Klägers besteht eine Unfallversicherung, die jedoch Zahlungen aufgrund des Vorfalls abgelehnt hat.

Der Kläger begehrte mit der am 12. 2. 2008 beim Erstgericht eingebrachten Klage vom Beklagten den Ersatz seines zuletzt mit 7.244,86 EUR sA bezifferten Schadens (darin ua 6.000 EUR Schmerzengeld und 828 EUR Pflegekosten) sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Vorfall vom 21. 8. 2006. Da der Mutter des Beklagten eine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht nicht vorzuwerfen sei, hafte der Beklagte „im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere deshalb, da er über eine Haftpflichtversicherung verfügt".

Der Beklagte wandte ein, dass ihn kein Verschulden treffe. Die subsidiäre Haftung nach § 1310 ABGB setze aber ein Verschulden („Kindesverschulden") voraus. Der Mutter des Klägers sei eine Verletzung ihrer Aufsichtspflicht anzulasten. Eine allfällige Haftung für künftige Schäden sei mit der Haftungshöchstsumme der bestehenden Haftpflichtversicherung der Höhe nach begrenzt.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren mit einem Teilbetrag von 2.288,18 EUR sA und dem Feststellungsbegehren zur Hälfte statt, wobei es die Haftung für die künftigen Schäden (erkennbar) mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme begrenzte. Das (jeweilige) Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Erstgericht ging, soweit noch wesentlich, vom eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt aus und erörterte rechtlich, dass den Müttern beider Kinder keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen sei. Den Beklagten treffe kein Verschulden, weil bei einem knapp fünfjährigen Kind die Einsicht, dass es bei seinem Spiel zu einem Absplittern des Holzes mit den daraus resultierenden Folgen kommen könne, nicht vorauszusetzen sei. Ebenso könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden, dass er sich dem mit einem Holzstück gegen einen Baum schlagenden Kläger genähert habe. Die mangels Verschuldens zu prüfende Haftung nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB setze voraus, dass auch ein voll Deliktsfähiger im gleichen Fall haften würde. Das Vorliegen dieser Voraussetzung sei zu bejahen, weil es einem voll Deliktsfähigen als Verschulden zur Last zu legen wäre, dass er trotz einer sich nähernden Person mit einem Stock gegen einen Baum schlage. Andererseits träfe einen voll Deliktsfähigen ein Mitverschulden, wenn er sich einer erkennbaren Gefahrenquelle nähere. Es sei daher von einem (hypothetischen) gleichteiligen Verschulden auszugehen. Der Beklagte verfüge über eine Haftpflichtversicherung, die bei den anzustellenden Billigkeitserwägungen als Vermögen im Sinne des § 1310 ABGB zu berücksichtigen sei. Auf Seiten des Klägers sei hingegen ein solches Vermögen nicht vorhanden, da die zu seinen Gunsten bestehende Versicherung eine Haftung abgelehnt habe. Unter diesen Umständen entspreche es der Billigkeit, dass der Beklagte für die Hälfte des aus dem streitgegenständlichen Vorfall entstandenen Schadens hafte. Dieser bestehe neben dem angemessenen Schmerzengeld (4.000 EUR), den Fahrtkosten (158,36 EUR) und den Arzneimittelkosten (18 EUR) auch aus einem Pflegeaufwand, der gemäß § 273 ZPO mit 400 EUR bestimmt werde. Auch wenn sich die Heimpflege auf ein paar Minuten täglich beschränkt habe, so bedürfe doch ein an Schmerzen leidendes Kind mehr Trost, Nähe und Zuwendung als ein gesundes gleichaltriges Kind. Von der Summe der genannten Beträge (4.576,36 EUR) sei dem Kläger die Hälfte (2.288,18 EUR) zu ersetzen. Das Feststellungsinteresse liege vor, weil ein späterer Schaden nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei.

Dieses Urteil erwuchs in Rechtskraft, soweit ein Teilbegehren von 2.668,50 EUR sA abgewiesen wurde.

Das im Übrigen von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht verwies auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach der dritte Fall des § 1310 ABGB als Haftungsgrundlage nicht in Betracht komme, wenn das schädigende Verhalten nicht rechtswidrig gewesen sei. Hievon sei auch im vorliegenden Fall auszugehen. Wenn zwei fünfjährige Buben „Ritter" spielten und einer von ihnen mit einem ca 30 cm langen und 2 bis 3 cm dicken Stecken gegen einen Baum „fechte", der Stecken dabei abbreche und ein Stück davon einen rund drei Meter entfernten und damit jedenfalls außerhalb des Gefahrenbereichs der Stockbewegung befindlichen ebenfalls fünfjährigen Buben treffe, dann könne in diesem „Ritterspiel" keine gefahren- und schon gar nicht verletzungsträchtige rechtswidrige Tätigkeit erblickt werden. Mangels Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten erweise sich die auf seiner Seite bestehende Haftpflichtversicherung somit nicht als haftungsbegründend. Das Klagebegehren sei abzuweisen, ohne dass auf die (in der Berufung des Beklagten relevierten) Fragen des Feststellungsinteresses und des Zuspruchs von Pflegekosten einzugehen sei. Auch die Kriterien, nach denen das Mitverschulden eines Unmündigen zu beurteilen wäre, könnten auf sich beruhen.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Haftungsfragen nach § 1310 dritter Fall ABGB solche von grundsätzlicher Bedeutung seien und in der Lehre die Auffassung vertreten werde, dass im Zusammenhang mit der Tragfähigkeitshaftung nicht auf das Verhaltensunrecht abzustellen sei, sondern schon das Erfolgsunrecht genüge.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Stattgebung des Leistungsbegehrens mit 4.576,36 EUR sA und des mit der Höhe der Haftpflichtversicherungssumme begrenzten gesamten Feststellungsbegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist auch teilweise berechtigt.

Der Kläger macht geltend, der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 5 Ob 529/95 bei einem nahezu identen Sachverhalt die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des deliktsunfähigen Beklagten sowie dessen Haftung nach § 1310 dritter Fall ABGB bejaht. Es sei dem Erstgericht zuzustimmen, dass ein erwachsener Schädiger ein Verschulden zu verantworten hätte. Unrichtig sei jedoch, dass einen erwachsenen Geschädigten ein Mitverschulden treffen würde, weil für diesen die Wucht der gegen den Baum geführten Schläge nicht abschätzbar gewesen sei. Er hätte mit dem Brechen des Stocks daher nicht rechnen können.

Hiezu wurde erwogen:

1. In dritter Instanz ist als unstrittig voranzustellen, dass den Müttern der Streitteile unter den konkreten Umständen eine Verletzung der Aufsichtspflicht nicht vorzuwerfen ist und den Beklagten unter Berücksichtigung des von einem knapp Fünfjährigen zu erwartenden Maßes an Einsicht kein Verschulden an der Verletzung des Klägers trifft. Es kommt somit nur die Haftung des Beklagten nach § 1310 dritter Fall ABGB in Betracht. Danach kann mit Rücksicht auf das Vermögen des Schädigers und des Geschädigten Ersatz zugebilligt werden.

2. Die Haftung nach § 1310 ABGB setzt voraus, dass ein voll Deliktsfähiger im gleichen Fall haften würde (EvBl 1974/234; ZVR 1985/127; 5 Ob 529/95; 4 Ob 65/99h; RIS-Justiz RS0027662). Unter diesem Aspekt wurde in einigen Fällen die Haftung des Unmündigen mit der Begründung verneint, dass sein Verhalten nicht rechtswidrig sei (ZVR 1985/127 [Schneeballschlacht]; 7 Ob 55/99k [Rutschbahn]); in anderen Fällen wurde die Rechtswidrigkeit teils implizit, teils ausdrücklich bejaht (vgl EvBl 1974/234; 5 Ob 529/95; 1 Ob 161/05s [objektive Sorgfaltswidrigkeit]).

Die Entscheidung 5 Ob 529/95, auf die sich der Kläger in seinem Rechtsmittel stützt, hatte einen vergleichbaren Sachverhalt zum Gegenstand: Als eine größere Anzahl von Schülern in einer Bushaltestelle auf den Schulbus wartete, schlug einer von ihnen (der damals elfjährige spätere Beklagte) zum „Zeitvertreib" mit einem Holzstück mehrmals gegen einen Baum, wobei Holzstücke absplitterten und ein Holzsplitter den späteren Kläger im Auge traf. Der Oberste Gerichtshof verneinte - wie die Vorinstanzen - ein Verschulden des Schädigers, bejahte jedoch das Vorliegen einer objektiven Sorgfaltsverletzung. Er vertrat die Ansicht, ein unbeschränkt Deliktsfähiger hätte die Gefährlichkeit (und die sich daraus ergebende Verletzungsgefahr) des Schlagens mit einem Holzstock auf einen kleinen Laubbaum insbesondere in Anbetracht der in unmittelbarer Nähe stehenden Kindergruppe vorhersehen können. Es liege innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei kraftvoller Einwirkung auf ein Holzstück dieses splittere und Splitter lediglich 3 m entfernt stehende Personen am Körper, somit auch im Augenbereich, treffen könnten. Die Verletzungen des Klägers stellten daher keine inadäquate Folge des Verhaltens des Beklagten dar. Nach ständiger Rechtsprechung habe derjenige, der - wenn auch erlaubterweise - eine Gefahrenquelle schaffe, die entsprechende Sorgfalt anzuwenden, dass daraus kein Schaden entstehe. Entscheidend sei, wohin die Gefahrenquelle wirke. Dem die Gefahrenquelle Schaffenden müsse es möglich sein, die Verletzung von Rechtsgütern Dritter zu erkennen und der Gefahr durch zumutbare Maßnahmen vorzubeugen. Obwohl im Schlagen mit einem Holzstock auf einen kleinen Laubbaum an sich ein rechtswidriges Verhalten nicht erblickt werden könne, der Beklagte aber dadurch eine Gefahrenquelle eröffnet habe, hätte er dafür Sorge treffen müssen, dass hieraus Dritten kein Schaden entstehe. Eine hiefür zumutbare Maßnahme wäre das generelle Unterlassen eines solchen Verhaltens in Gegenwart anderer im Splitterbereich befindlicher Personen gewesen. Da der Beklagte darüber hinaus den ihm obliegenden Beweis, die nötige Sorgfalt nicht vernachlässigt zu haben, nicht erbracht habe, sei auch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten zu bejahen.

Die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen treffen - schon im Hinblick auf die Parallelität der Sachverhalte - auf den vorliegenden Fall uneingeschränkt zu. Die gegenteilige Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dem Klagebegehren komme schon mangels Rechtswidrigkeit keine Berechtigung zu, ist somit nicht haltbar. Da die Rechtswidrigkeit schon im Sinne eines Verhaltensunrechts zu bejahen ist, erübrigt es sich, auf die als erheblich erachtete Rechtsfrage, ob nicht auch Erfolgsunrecht genüge (so die Meinung Reischauers in Rummel, ABGB³ II/2a § 1310 Rz 9a), weiter einzugehen.

3. Bei der Ermessensentscheidung nach § 1310 dritter Fall ABGB kommt es nicht ausschließlich auf die Höhe des beiderseitigen Vermögens an. Die Entscheidung hat sich vielmehr danach zu richten, wer mit Rücksicht auf seine Vermögenslage den Schaden leichter tragen kann (5 Ob 529/954 Ob 2107/96y = SZ 69/156; RIS-Justiz RS0027582). Es bleibt dem billigen Ermessen des Richters überlassen, das Maß des zu leistenden Schadenersatzes festzusetzen, das unter Umständen den ganzen Betrag erreichen kann, aber nicht erreichen muss (9 Ob 181/00h = ZVR 2001/82; 2 Ob 167/03b; RIS-Justiz RS0027590). Dabei sind alle vorhandenen Elemente in die Billigkeitserwägung mit einzubeziehen, so etwa das Vorhandensein einer Haftpflichtversicherung auf Seiten des Schädigers, aber auch das Verhalten bzw ein allfälliges Verschulden des Geschädigten (2 Ob 167/03b; Reischauer aaO § 1310 Rz 10).

Der Beklagte hat schon in seiner Berufung die Auffassung des Erstgerichts nicht in Zweifel gezogen, dass der Kläger aus der zu seinen Gunsten bestehenden Unfallversicherung keine Leistungen zur Deckung der geltend gemachten Schadenersatzansprüche erlangen kann (vgl dazu 4 Ob 2107/96y). Zu berücksichtigen bleibt somit der Umstand, dass auf Seiten des Beklagten eine Haftpflichtversicherung vorhanden ist. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass ein Anspruch aus einer solchen Haftpflichtversicherung „Vermögen" im Sinne des § 1310 ABGB ist (1 Ob 161/05s; RIS-Justiz RS0027608). Soweit eine Haftpflichtversicherung den Schaden deckt, wird der Schädiger wirtschaftlich nicht belastet (5 Ob 529/95; Reischauer aaO § 1310 Rz 10a).

Letzteres trifft auch auf den Beklagten zu. Die vom Kläger behauptete Deckung der geltend gemachten Schäden durch diese Versicherung wurde von ihm inhaltlich nicht bestritten und war im gesamten Verfahren nicht zweifelhaft. Bei dieser Sachlage wird der Beklagte durch die Verpflichtung zum Schadenersatz wirtschaftlich nicht beschwert.

Zwischen den Streitteilen ist auch zu Recht nicht mehr strittig, dass den Kläger kein (Mit-)Verschulden trifft (vgl etwa 1 Ob 161/05s; Reischauer aaO § 1310 Rz 14). Im Rahmen der Billigkeitserwägungen ist aber zu berücksichtigen, dass die objektive Sorgfaltswidrigkeit auf Seiten des Beklagten nicht schwerer wiegt, als die - wenngleich altersbedingt nicht vorwerfbare - Sorglosigkeit des Klägers, mit der er sich der (objektiv erkennbaren) Gefahrenquelle genähert hat (vgl 2 Ob 346/97i [dort wurde ein einem Ball nachlaufender Siebenjähriger von einem neunjährigen Radfahrer erfasst]). Wie schon das Erstgericht erachtet der erkennende Senat daher unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit eine Kürzung des Schadenersatzanspruchs des Klägers um die Hälfte als sachgerecht.

4. Dieses Zwischenergebnis erfordert die Auseinandersetzung mit jenen Einwänden des Beklagten gegen den erstinstanzlichen Zuspruch, deren Prüfung das Berufungsgericht aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht unterließ:

4.1 Gegen die Zuerkennung von Pflegekosten führte der Beklagte ins Treffen, ein erhöhter Pflegeaufwand habe nur für die Dauer des Krankenhausaufenthalts bestanden, für den Zeitraum danach sei ein quantifizierbarer Mehraufwand nicht festgestellt.

Diese Argumentation lässt unberücksichtigt, dass der fünfjährige Kläger an insgesamt 23 Tagen, somit weit über den Spitalsaufenthalt hinaus durchgehend an Schmerzen litt. Unter diesem Aspekt ist die lebensnahe Auffassung des Erstgerichts, er habe auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus besonderer Betreuung bedurft, nicht zu beanstanden. Die scheinbar gegenteilige Feststellung bezieht sich erkennbar nur auf den mit der eigentlichen Versorgung der Verletzung verbundenen Aufwand, nicht aber auf die Befriedigung der für ein Kind im Alter des Klägers mit anhaltendem Schmerz üblicherweise verbundenen vermehrten Bedürfnisse. Dazu kommt noch jener Pflegeaufwand, den die Mutter auch nach dem Spitalsaufenthalt des Klägers zu erbringen hatte, wie die Verbandswechsel, das täglich mehrmalige Eintropfen der Augen und die Betreuung während der Nachuntersuchungen.

Ausgehend von dieser Sachverhaltsgrundlage steht der Zuspruch von Pflegekosten mit der Rechtsprechung im Einklang, wonach die aufgrund familienrechtlicher Verpflichtungen an den Geschädigten erbrachten Leistungen, die dessen unfallbedingte vermehrte Bedürfnisse befriedigen, den Schädiger nicht entlasten sollen (RIS-Justiz RS0022789). Die unter Anwendung des § 273 ZPO ermittelte Schadenshöhe von 400 EUR ist im Hinblick auf die Dauer der Gesundheitsbeeinträchtigung des Klägers unbedenklich.

4.2 Der Beklagte bestritt das Feststellungsinteresse mit der Begründung, der Sachverständige habe Spätkomplikationen mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Die Verletzung sei folgenlos ausgeheilt, die Anisokorie werde zu keiner Beeinträchtigung des Sehens führen.

Dem ist nicht zu folgen.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat, genügt zur Bejahung des Feststellungsinteresses im Sinne des § 228 ZPO bereits der allgemeine Hinweis, dass weitere Schäden aus dem Schadensereignis nicht mit Sicherheit (oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit; vgl 2 Ob 162/05w) auszuschließen sind; ein Feststellungsinteresse ist daher schon dann zu bejahen, wenn nur die Möglichkeit offen bleibt, dass das schädigende Ereignis den Eintritt eines künftigen Schadens verursachen könnte (2 Ob 29/05m; 2 Ob 30/05h; 4 Ob 46/06b; RIS-Justiz RS0038976 [T1]).

Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht - dem Sachverständigen folgend - festgestellt, dass sich „mit höchster medizinischer Wahrscheinlichkeit keine Komplikationen ergeben werden", Spätfolgen (die laut Sachverständigen in einer vorzeitigen Trübung der Linse bestehen könnten) aber nicht auszuschließen sind. Vom Sinngehalt der Feststellung bedeutet dies nichts anderes, als dass der Eintritt von Spätfolgen nicht zu erwarten ist. Bei einer solchen oder ähnlichen Prognose, hat der Oberste Gerichtshof das Feststellungsinteresse aber stets bejaht (vgl 2 Ob 29/05m; 2 Ob 30/05h; 4 Ob 46/06b; 2 Ob 232/06s uva).

Dies führt auch im vorliegenden Fall zur Stattgebung des Feststellungsbegehrens im erörterten Umfang, wobei die Beschränkung der Haftung auf die Höchstdeckung aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag unangefochten blieb.

5. Die angefochtene Entscheidung ist aus den dargelegten Erwägungen somit dahin abzuändern, dass das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 43 Abs 1, § 50 ZPO.

Textnummer

E93170

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00083.09H.1218.000

Im RIS seit

17.01.2010

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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