TE OGH 2010/2/11 12Os189/09z

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Veröffentlicht am 11.02.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Februar 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jauk als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Kalam B***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Kalam B*****, Rede Be*****, Youssef S***** und Karim R***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als (Jugend-)Schöffengericht vom 21. Juli 2009, GZ 27 Hv 63/09i-134, sowie über die Beschwerde des Angeklagten Kalam B***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Kalam B***** (zu I/1 und 5) und Rede Be***** (zu I/2 und II) jeweils mehrerer, Youssef S***** (zu I/3) und Karim R***** (zu I/4) jeweils eines Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB (Rede B***** teilweise auch nach § 12 zweiter Fall StGB) sowie Kalam B***** zudem des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (III) schuldig erkannt.

Danach haben sie in Innsbruck in der Nacht zum und am 18. Jänner 2009

I. Maria M*****, die nach übermäßigem Alkoholkonsum aufgrund einer daraus resultierenden tiefgreifenden Bewusstseinsstörung und tiefen Schlafs (zu I/5) unfähig war, die Bedeutung der Vorgänge einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, demnach eine wehrlose Person, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass sie jeweils den Beischlaf mit ihr vornahmen, und zwar Kalam B***** in drei Angriffen und Rede Be*****, Youssef S***** sowie Karim R***** jeweils in einem Angriff;

II. Rede Be***** die Mitangeklagten Kalam B*****, Youssef S***** und Karim R***** zu den unter I/1, 3 und 4 genannten Taten bestimmt, indem er ihnen anbot, mit Maria M*****, die sich nach dem Geschlechtsverkehr mit ihm noch in einer Tiefgarage befand, ebenfalls den Beischlaf zu vollziehen und sie an den Tatort führte;

III. Kalam B***** die erwachende und sich wehrende Maria M***** mit Gewalt, indem er unter Anwendung seiner überlegenen Körperkraft ihren Körper, insbesondere ihre Hände, mit seinem Körpergewicht fixierte, zur weiteren Duldung des Beischlafs genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen - weitgehend wortgleichen - jeweils aus den Gründen der Z 5 und 5a, von Karim R***** auch aus dem Grund der Z 10a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten verfehlen ihr Ziel.

Die von allen Angeklagten als übergangen reklamierten (Z 5 zweiter Fall) Aussagen der Zeugen Charlotte S*****, Marco Ber***** und Maria M***** zum Grad der Alkoholisierung Letztgenannter und ihrer Ansprechbarkeit und Kommunikationsfähigkeit im Lokal „Re*****" betreffen - dem Beschwerdevorbringen zuwider - keine für die Feststellung entscheidender Tatsachen erheblichen Umstände, weil für die Lösung der Schuld- und Subsumtionsfrage alleine entscheidend ist, dass sich das Tatopfer zum Zeitpunkt des an ihm vollzogenen Beischlafs jeweils in dem für die Subsumtion unter § 205 Abs 1 StGB erforderlichen Zustand befand und dies für die Beschwerdeführer erkennbar war. Davon aber gingen die Tatrichter - den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend - zusammengefasst aufgrund der Aufnahmen aus der vor der Tiefgarage (dem Tatort) aufgestellten Videoüberwachungskamera, den Angaben der Maria M***** zu ihrem Zustand in diesem Zeitraum und der Verantwortung der Angeklagten zum Verhalten der Genannten während der Verbringung zu den Tatorten und der sexuellen Handlungen im Verein mit den Ausführungen des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Walter Ra***** aus (US 13 ff; vgl vor allem die Erläuterungen des Experten, wonach es nach Verlassen geschlossener Räume zu einer schlagartigen Verschlechterung des durch Alkohol beeinträchtigten Zustands kommen kann [ON 133 S 91]), was aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden ist.

Von insoweit unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall), wie in der Mängelrüge des Angeklagten Kalam B***** behauptet, kann demnach keine Rede sein. Indem dieser Beschwerdeführer einzelne Elemente der erstrichterlichen Argumentationskette in Frage zu stellen versucht (I/g der BS), nimmt er nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß und verfehlt insoweit den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394). Dass ihm die Argumente des Erstgerichts nicht überzeugend scheinen und dass auch andere für ihn günstigere Schlüsse denkbar gewesen wären, vermag den angesprochenen Nichtigkeitsgrund nicht herzustellen (RIS-Justiz RS0099535, RS0098362).

Den - wiederum von sämtlichen Angeklagten aufgestellten - weiteren Beschwerdebehauptungen undeutlicher (Z 5 erster Fall) und widersprüchlicher (Z 5 dritter Fall) Feststellungen zum exakten Grad der Alkoholisierung der - auch nach Ansicht der Rechtsmittelwerber zumindest mittelstark alkoholisierten - Maria M*****, zu deren genauer Trinkmenge sowie angeblich fehlender „Zurechnungsunfähigkeit" und insoweit unvollständiger (Z 5 zweiter Fall) und aktenwidriger (Z 5 fünfter Fall) Begründung, genügt es zu erwidern, dass weder Zurechnungsunfähigkeit noch eine volle Berauschung des Tatopfers zur Subsumtion unter § 205 Abs 1 StGB erforderlich ist. Denn trotz der Anlehnung des Wortlauts an die Bestimmung des § 11 StGB ist das objektive Tatbild des § 205 Abs 1 erster Fall StGB bereits dann erfüllt, wenn die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit des Opfers, etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum, insoweit aufgehoben ist, als es unfähig ist, die Bedeutung des sexuellen Vorgangs zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Dazu muss die Willenstätigkeit nicht vollständig ausgeschaltet sein; es genügt vielmehr, wenn das Opfer nicht in der Lage ist, durch verstandesmäßige Erwägungen über das an es gestellte Verlangen frei zu entscheiden. Dies kann - grundsätzlich unter Berücksichtigung des Lebensalters des Opfers (Maria M***** war zum Tatzeitpunkt 17 Jahre alt) - bereits bei mittelgradiger Berauschung der Fall sein (Schick in WK² § 205 Rz 8 f; 15 Os 94/08z; zuletzt 15 Os 92/09g).

Ebenso wenig entscheidungswesentlich sind die genauen Zeitpunkte, zu denen die Angeklagten jeweils den Geschlechtsverkehr an Maria M***** vollzogen haben, weil das Erstgericht - dem Beschwerdevorbringen (Z 5 erster Fall) zuwider - unmissverständlich festgestellt hat, dass der Zustand der Widerstandsunfähigkeit des Tatopfers jedenfalls im Zeitpunkt des Eintreffens in der Tiefgarage der U***** (also vor der ersten Missbrauchshandlung) einsetzte und aufgrund unmittelbar nachfolgenden Tiefschlafs bis zum Erwachen am 18. Jänner 2009 fortdauerte (US 10, 11 und 12) und diese Konstatierungen - wie bereits oben dargestellt - den Gesetzen logischen Denkens und den grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend ausführlich begründet hat (US 15 ff; zu ihrem Zustand während des Geschlechtsverkehrs mit Kalam B***** im Kellergeschoss des Abbruchhauses: US 19).

Die Feststellungen zu den - nur Kalab B***** betreffenden - Schuldsprüchen I/5 und III stützten die Tatrichter auf die für glaubwürdig erachteten Angaben des Tatopfers Maria M*****. Dass sie anlässlich ihrer ersten Vernehmung erklärte, am Nachmittag des 18. Jänner 2009 alleine im Kellerraum aufgewacht zu sein und diesen dann auch alleine verlassen zu haben, wurde dabei - dem Standpunkt der Mängelrüge des Angeklagten Kalam B***** (Z 5 zweiter Fall) zuwider - gar wohl erörtert (US 20). Dass Karim R***** - anders als anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme (ON 23 S 175) - in der Hauptverhandlung angab, keine Schmerzensschreie des Tatopfers, sondern bloß gehört zu haben, dass „sie reden" (ON 133 S 65), war schon deshalb nicht erörterungsbedürftig, weil der Genannte mangels konkreter Wahrnehmungen eine Vergewaltigung keineswegs ausschließen konnte (ON 133 S 63 ff). Mit dem urteilsfremden Hinweis darauf, dass Maria M***** das Haus im Anschluss an den Geschlechtsverkehr „offenbar ohne jede Auseinandersetzung" gemeinsam mit Kalam B***** verließ und mit ihm bis zur Bushaltestelle ging ohne sich zu wehren oder um Hilfe zu rufen, spricht die Rüge erneut keine entscheidende Tatsache an und unterlässt zudem jegliche Bezugnahme auf angeblich übergangene Verfahrensergebnisse. Solcherart vermag sie keinen Begründungsmangel iSd Z 5 zweiter Fall aufzuzeigen.

In den Tatsachenrügen (Z 5a) sämtlicher Angeklagten wird weitgehend das Vorbringen der Mängelrügen wiederholt und darauf gestützt sowie mit eigenen Beweiswerterwägungen die Lösung der Schuldfrage zufolge angeblich nicht erwiesener Volltrunkenheit des Tatopfers als solche angezweifelt, ohne damit sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Gleiches gilt für das Vorbringen des Rede Be*****, der bloß auf seine, eine Bestimmung der drei Mitangeklagten zu den von den Schuldsprüchen I/1, 3 und 4 umfassten Taten (Schuldspruch II) leugnende, Verantwortung verweist, - daran die Forderung knüpft, das Erstgericht hätte dieser Aussage und nicht den ihn belastenden Depositionen der unmittelbaren Täter folgen müssen, und solcherart bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung bekämpft (RIS-Justiz RS0099649).

Schließlich kommt auch der Diversionsrüge (Z 10a) des jugendlichen Angeklagten Karim R***** keine Berechtigung zu. Gegenstand der Z 10a ist - neben einem hier nicht behaupteten Feststellungsmangel in Bezug auf in der Hauptverhandlung hervorgekommene Umstände, die für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäben - die rechtsfehlerhafte Beurteilung der tatsächlichen Urteilsannahmen, nicht aber deren einwandfreie Ermittlung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 659 ff); ein Urteil ist demnach - unter dem hier interessierenden Aspekt - dann nichtig iSd Z 10a, wenn die darin enthaltenen Feststellungen die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen.

Indem der Rechtsmittelwerber - ohne insoweit im dargelegten Sinn einen Feststellungsmangel geltend zu machen - die Sachverhaltsannahmen der Tatrichter durch zusätzliche Tatumstände ergänzt, auf dieser Basis einzelne Strafzumessungsgründe erörtert, und bloß argumentationslos behauptet, dass Handlungs- und Gesinnungsunwert „keine auffallende und ungewöhnliche Höhe erreichen", verfehlt er eine am Verfahrensrecht ausgerichtete Darstellung des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrunds. Insoweit die Rüge auf die - von den Tatrichtern berücksichtigte - lediglich in tatsächlicher Hinsicht geständige Verantwortung des Beschwerdeführers verweist, wird zudem nicht dargelegt, weshalb - mag auch ein Geständnis nicht als generelle Voraussetzung für diversionelle Erledigung angesehen werden dürfen (für alle: 13 Os 16/04) - fallbezogen eine das Unrecht des Verhaltens akzeptierende Einsicht als Voraussetzung entbehrlich wäre, um diversionshindernde spezialpräventive Bedenken iSd § 7 Abs 1 JGG auszuräumen. Eine solche Verantwortungsübernahme würde im Übrigen auch - die bei allen Diversionsvarianten vorgesehene - (innere) Bereitschaft zur Schadensgutmachung bzw zum Tatfolgenausgleich erfordern, welche nur bei entsprechendem Unrechtsbewusstsein möglich ist (Schroll, WK-StPO § 198 Rz 36; RIS-Justiz RS0116299).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Textnummer

E93232

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120OS00189.09Z.0211.000

Im RIS seit

26.04.2010

Zuletzt aktualisiert am

26.04.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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