TE Vwgh Erkenntnis 2001/1/25 98/20/0555

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Veröffentlicht am 25.01.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und die Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 21. Mai 1967 geborenen UEin Graz, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Oktober 1998, Zl. 205.225/0-XI/35/98, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste am 29. Jänner 1998 in das Bundesgebiet ein und stellte am 30. Jänner 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Als Asylgründe gab der Beschwerdeführer an, sein Vater sei Oberhaupt der Gesellschaft "Ogboni-Fatalisi" gewesen und er habe nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1996 dessen Funktion einnehmen sollen. Er habe dies aber nicht gewollt und sei geflüchtet. Diese Gesellschaft habe viele Mitglieder, welche Menschenfleisch essen und Menschenblut trinken würden. Er selbst sei nicht Mitglied dieser Gesellschaft gewesen. Sein Vater sei am 2. Februar 1996 verstorben und er habe am 3. Februar 1996 dessen Platz einnehmen sollen. Er habe dies aber abgelehnt. Die Mitglieder dieser Gesellschaft seien in das Haus des Beschwerdeführers gekommen und hätten ihn eingeladen, im Zimmer seines Vaters "Blut zu spenden", welches die Angehörigen der vorhin erwähnten Gesellschaft hätten trinken wollen. Sein Vater sei in seinem Zimmer aufgebahrt gewesen und die Mitglieder dieser Gesellschaft hätten auch dessen Blut trinken wollen. Er habe dies aber abgelehnt und mit den Angehörigen der Gesellschaft diskutiert. Während der Diskussion sei er angeschossen worden und habe dadurch an der linken Seite oberhalb der Hüfte eine ca. 6 cm rundliche Narbe und auf der rechten Seite ungefähr in derselben Höhe eine ca. 4 cm rundliche Narbe (Austrittsöffnung) davongetragen. Er sei danach in ein Spital gebracht worden und habe sich dort 3 Monate und 8 Tage aufgehalten; während dieses Zeitraumes sei er zweimal operiert worden und habe dadurch eine ca. 15 cm längliche Narbe in der Mitte des Bauches senkrecht nach oben verlaufend davongetragen. Er sei mit einem Gewehr angeschossen und von einem Schuss mit 5 Kugeln getroffen worden. Nachdem er angeschossen worden sei, seien die Mitglieder der erwähnten geheimen Gesellschaft geflohen. Er habe nach seiner Spitalsentlassung wieder zu Hause gewohnt und die Autobusse eines Verwandten in Benin City gelenkt. Die Mitglieder der Geheimgesellschaft seien im Oktober 1996 wieder gekommen und hätten ihn geschlagen, wobei sie eine Maske vor dem Gesicht gehabt hätten. Er sei zur Polizei gegangen und habe diesen Vorfall angezeigt, die Polizeibeamten hätten ihm helfen wollen und sich bemüht, die Täter aufzugreifen, diese hätten jedoch nicht gefunden werden können. Die Mitglieder dieser Gesellschaft hätten den Beschwerdeführer auch im Dezember 1997 geschlagen und er habe dabei Zähne verloren. Auch im Jahre 1996 habe er durch die Schläge Zähne verloren; insgesamt habe er sechs Zähne verloren. Er sei damals nicht zu Hause geschlagen worden, sondern nachdem er den Autobus verlassen habe; er sei gerade einkaufen gegangen und es sei ca. 21.00 Uhr gewesen.

Auf den Vorhalt, der Beschwerdeführer sei mehr als eineinhalb Jahre nach diesem Vorfall nicht aus seinem Heimatland geflüchtet, erklärte dieser, die Wahrheit gesagt zu haben. Auf die Frage, warum er nicht versucht habe, in einem anderen Teil des Heimatlandes zu wohnen, erklärte der Beschwerdeführer, er hätte dort niemanden gekannt. Im Fall seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat nehme er an, dass er von den Angehörigen der Geheimgesellschaft getötet werden würde. Im Dezember 1997 sei er auch mit einem Messer an der rechten Hand verletzt worden und habe dadurch eine ca. 2 cm ovale Narbe davongetragen. Er wolle nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren, weil er Angst davor habe, getötet zu werden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 2. September 1998 unter Spruchpunkt I den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab und sprach unter Spruchpunkt II aus, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria sei gemäß § 8 AsylG zulässig. Die Behörde erster Instanz erachtete die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe - aus näher dargestellten Gründen - als nicht glaubwürdig; die vom Beschwerdeführer genannten Verletzungen hätte er sich auch auf andere Weise zugezogen haben können. Als Alternativbegründung führte die Behörde erster Instanz aus, selbst wenn der Beschwerdeführer von einigen Mitgliedern einer geheimen Organisation verfolgt worden wäre, wäre dies eine Verfolgung durch Privatpersonen und nicht durch staatliche Organe, was keinen asylrechtlich relevanten Sachverhalt darstelle. Schutz vor bösen Geistern, Flüchen, Aberglauben oder der Verfolgung durch eine Geheimgesellschaft mit magischen Mitteln könne auch nicht durch die Gewährung von Asyl erreicht werden.

Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung und machte geltend, die Behörde habe die Beweiswürdigung schlecht bzw. überhaupt nicht begründet und habe keine Feststellungen über die Situation in seinem Heimatland getroffen. Er wiederholte im Wesentlichen das Vorbringen während seiner Ersteinvernahme und ergänze dieses um einige Details. Der Berufung wurde weiters sowohl ein Artikel aus dem Internet (Electronic Mail & Guardian vom 21. Mai 1997) über die Situation der Sekten in Nigeria als auch ein ärztlicher "Befundbericht" vom 18. September 1998 eines Grazer Arztes beigelegt. Der Beschwerdeführer führte hinsichtlich des beigelegten Artikels aus, dort würde seine Aussage bestätigt, dass in den genannten Kulten Ritualmorde praktiziert würden und dass die Mitglieder der Vereinigungen fast immer einflussreichen Familien angehörten. Das ärztliche Attest solle bescheinigen, dass er tatsächlich im Bauchraum eine Schusswunde gehabt habe. Er sei im Übrigen auch deshalb nicht direkt nach dieser Verwundung aus dem Land geflohen, weil er dazu nach solch einer Operation gar nicht in der Lage gewesen sei und er darüber hinaus gedacht habe, die Repressalien durch die Geheimgesellschaft seien vorbei. Erst einige Monate später sei er wieder attackiert worden. Außerdem habe er in der Zeit vor seiner endgültigen Flucht öfters den Wohnort gewechselt, weil er sich ständig den willkürlichen Attacken der Mitglieder der Ogboni ausgeliefert gefühlt habe.

Weiters wies der Beschwerdeführer in seiner Berufung darauf hin, die Behörde habe es unterlassen, die Schutzpraxis der staatlichen Organe in Nigeria zu prüfen. Die nigerianischen Behörden seien nicht gewillt und auch nicht in der Lage, Personen vor den Übergriffen des Kultes zu schützen oder sich in kultische Voodoohandlungen einzumischen. Viele Regierungsmitglieder und auch Polizisten seien Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft und würden bei einer Anzeige schon deshalb nicht eingreifen. Hinsichtlich des Spruchpunktes II beanstandete der Beschwerdeführer insbesondere, dass es nicht nachvollziehbar und schlichtweg falsch sei, dass die Exekutive in Nigeria gegen derartige Gruppen rigoros einschreite.

Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1998 Ermittlungsergebnisse über die Situation in Nigeria im Hinblick auf die Sekten und Religionsgemeinschaften vor, und bezog sich dabei in erster Linie auf Angaben in einem Bericht der österreichischen Botschaft in Lagos vom 11. September 1997.

Der Beschwerdeführer erklärte mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1998 dazu, er sei als Sohn des Oberhauptes der Ogboni-Geheimgesellschaft nach dem Tode seines Vaters verpflichtet, dessen Stelle einzunehmen und müsse bei einer Weigerung getötet werden, da sonst niemand diese Stelle einnehmen könne. Daher sei seine Angst vor Verfolgung asylrelevant und diese Verfolgung würde sich auf das gesamte Staatsgebiet Nigerias erstrecken. Die staatlichen Organe seien im gesamten Staatsgebiet Nigerias nicht gewillt, sich in die Handlungen von Geheimgesellschaften einzumischen. Die Behörde hätte sich mit der Schutzpraxis in Nigeria auseinander zu setzen gehabt, was aber unterlassen worden sei. Als Beweismittel führe er seine persönlichen Angaben und näher genannte Medienberichte über das Sektenwesen in Nigeria an.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Die belangte Behörde äußerte Zweifel an der Authentizität der Schilderung des Beschwerdeführers hinsichtlich der von ihm genannten Ereignisse und sprach der Darstellung des Beschwerdeführers zur Gänze die Glaubwürdigkeit ab. Selbst dann, wenn man die vom Beschwerdeführer dargestellte Bedrohung seiner Person als glaubhaft gemacht ansehen würde, stelle sie keine der Flüchtlingskonvention subsumierbare Bedrohung dar, weil sie nicht dem Staat zuzurechnen wäre. Es ergebe sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers "nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die von ihm beschriebene Gefahr, Bedrohung bzw. Verfolgung - wenn sie gegeben wäre - vom Staat ausginge oder von ihm zumindest gebilligt würde. Eine lediglich von Privatpersonen ausgehende Verfolgung" vermöge die Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen.

Überdies sei eine Verfolgungshandlung, die ausschließlich etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet werde, nicht als eine asylrelevante Verfolgung zu erkennen. Derartige Übergriffe, mögen sie auch religiös motiviert sein, seien nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher Krimineller bzw. krimineller Organisationen. Selbst wenn man davon ausginge, dem Beschwerdeführer käme kein staatlicher Schutz vor der besagten Geheimorganisation zuteil, so sei daraus für ihn nichts zu gewinnen, zumal nicht einmal die Charakterisierung eines Geheimbundes als gesellschaftsbeherrschend dahin verstanden werden könne, der Heimatstaat des Asylwerbers sei generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht in der Lage, derartige Verfolgungsmaßnahmen zu verhindern.

Wenngleich es der nigerianischen Regierung nicht gelungen sei, das Sektenunwesen (durch Auflösung und Verbot der Sekten und Geheimorganisationen) in den Griff zu bekommen, sei anzumerken, dass es vermehrt zu Verhaftungen militanter Sektenmitglieder durch die Sicherheitsorgane gekommen sei. Es wäre dem Beschwerdeführer auch möglich und zumutbar gewesen, sich in einen anderen Landesteil (etwa nach Lagos) zu begeben, um dort vor Verfolgung durch Dritte sicher zu sein. Den Ausspruch nach § 8 AsylG stützte die belangte Behörde ergänzend darauf, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine aktuelle Bedrohungssituation glaubhaft zu machen; dies gelte gleichermaßen auch für die aus dieser Ursache resultierenden angeblichen Folgen.

Die Abstandnahme von der mündlichen Berufungsverhandlung begründete die belangte Behörde damit, dass der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung ausreichend geklärt erscheine, weshalb gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG i.V.m.

§ 67d AVG eine Verhandlung habe unterbleiben können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Beantragt wird, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 (im Folgenden: AsylG), hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1998 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden. Deshalb finden für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG Anwendung, sofern im AsylG oder in einem anderen Gesetz keine spezielle Bestimmung normiert ist. Im AsylG findet sich zu § 67d AVG keine spezielle Regelung. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hat der unabhängige Bundesasylsenat § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat etwa dann nicht als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn in der Berufung ein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. insoweit dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).

Im vorliegenden Fall ergibt sich die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer bereits daraus, dass dieser die Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz unter Vorlage von Beweismitteln bekämpft und ausdrücklich auf seine Glaubwürdigkeit hingewiesen hat. Auch durch den Umstand, dass die Berufungsbehörde von sich aus neue Ermittlungen angestellt und die daraus gewonnenen neuen Sachverhaltsfeststellungen ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat, ergibt sich die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung. Diesem Erfordernis kann nicht dadurch entsprochen werden, dass dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu Ermittlungsergebnissen eingeräumt wird.

Allerdings führt nicht jede Verfahrensverletzung zur Aufhebung eines damit belasteten Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben, wenn die von der belangten Behörde herangezogene Alternativbegründung - für den Fall, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers nach Durchführung der mündlichen Verhandlung Glaubwürdigkeit zuerkannt worden wäre - der rechtlichen Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht standhält.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers - unterstellt man ihm Glaubwürdigkeit - ist nicht zu entnehmen, dass er auf Grund eines bei ihm vorliegenden oder ihm zugeschriebenen asylrelevanten Merkmales, etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer anderen religiösen Gesinnung, von den Mitgliedern der angeführten Geheimgesellschaft bedroht worden wäre. Der aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ableitbare Grund für seine Verfolgung durch Mitglieder der Ogboni besteht darin, dass er sich weigerte, dieser Organisation (als Nachfolger in der Führungsposition seines verstorbenen Vaters) beizutreten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gewinnen aber selbst staatliche Maßnahmen nicht allein deshalb den Charakter einer politischen oder religiösen Verfolgung, weil sie die Menschenwürde des Betroffenen verletzen. Erst durch die Anknüpfung an bestimmte persönliche Merkmale des Betroffenen werden sie zu asylrelevanter Verfolgung.

Allerdings wäre es denkbar, dass aus der Sicht der "Gesellschaft der Ogboni" jeder, der sich weigert, sich bestimmten Nachfolgeritualen nach dem Tod eines Führers zu unterwerfen, dadurch die Regelung der Nachfolge in diese Funktion blockiert und die Organisation dieser Gesellschaft nachhaltig stört, als (nunmehriger) Gegner der Ideologie der Organisation angesehen wird. Die in der Reaktion auf diese Weigerung gesetzten Maßnahmen könnten daher durch das Motiv der Organisation bestimmt sein, damit die vermutete ablehnende Gesinnung dieses Gedankengutes zu treffen. Demnach ist das Vorbringen des Beschwerdeführers auch unter dem in der Beschwerde angesprochenen Gesichtspunkt einer Verfolgung aus Gründen der Religion zu prüfen.

Wie der Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich bereits im hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0557, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen hat, wäre zwar in der Verfolgung durch die Mitglieder einer Organisation, die sich ihrer Struktur, Ideologie und Zielsetzung nach ohne Wertesystem als eine ihre Mitglieder terrorisierende, deren Menschenwürde missachtende, auf dem Prinzip der Willensbeugung und Einschüchterung mit verbrecherischen Maßnahmen aufbauende Gruppierung erweisen würde, keine Verfolgung "aus Gründen der Religion" zu erblicken. Auch im vorliegenden Fall hat es die belangte Behörde aber unterlassen, die zur Beurteilung des Vorliegens einer Verfolgung aus religiösen Gründen erforderliche Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage insbesondere durch Einvernahme des Beschwerdeführers herbei zu führen. So blieb auch im vorliegenden Fall nach den Ergebnissen der Befragung des Beschwerdeführers in erster Instanz und dessen schriftlichen Ausführungen offen, ob die den Beschwerdeführer verfolgende Organisation der in Nigeria auch nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid existierenden, über den lokalen Lebensraum des Beschwerdeführers hinausgehenden Bewegung der "Ogboni" zuzuordnen sei. Die belangte Behörde hat es auch verabsäumt, sich damit auseinander zu setzen, ob diese in Nigeria weit verbreitete Bewegung auf religiösen Grundwerten in dem im genannten Vorerkenntnis näher dargestellten Sinn aufbaut, zumal sich aus den Feststellungen des angefochtenen Bescheides sehr wohl Anhaltspunkte dafür ergaben, dass die Bewegung der "Ogboni" für einen nicht unmaßgeblichen Teil der "Yoruba-Bevölkerung" in Nigeria große Bedeutung besitzt; weiters deuteten die diesbezüglichen Bescheidausführungen auf eine Verknüpfung dieser Bewegung mit der in Nigeria historisch dokumentierten und nach wie vor verbreiteten "Yoruba-Religion" hin.

Auch im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde ausdrücklich die Möglichkeit offen gelassen, die dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgungshandlungen seien "etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet" gewesen, sich jedoch mit der "religiösen Überzeugung" der Mitglieder der erwähnten Organisation nicht weiter auseinander gesetzt. Die von ihr in diesem Zusammenhang (zutreffend) vertretene Ansicht, die Verfolgungshandlung müsse an asylrelevante Merkmale des Asylwerbers anknüpfen, vermag den angefochtenen Bescheid aber nur dann zu tragen, wenn als Ursache der Verfolgung auch nicht eine dem Verfolgten zumindest unterstellte Ablehnung der religiösen Überzeugung des Verfolgers anzusehen ist. Dies ist im vorliegenden Fall aber - wie dargestellt - nicht ausreichend erhoben worden.

Es ist somit nicht auszuschließen, dass derartige Ermittlungen bzw. die Befragung des Beschwerdeführers ergeben würden, die den Beschwerdeführer bedrohende "Gesellschaft der Ogboni" beruhe auf religiösen Vorstellungen, deren Ablehnung dem Beschwerdeführer durch seine Weigerung, seinem Vater nachzufolgen, unterstellt wurde, und dass er deshalb bestraft und zum Eintritt gezwungen werden sollte; bei fehlender staatlicher Schutzgewährung läge gegebenenfalls eine mittelbare staatliche Verfolgung des Beschwerdeführers aus religiösen Gründen vor, weshalb sich die aufgezeigten Verfahrensmängel als für den Verfahrensausgang relevant erweisen.

Der angefochtene Bescheid war daher (aus den im hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0207, näher ausgeführten Erwägungen auch hinsichtlich dessen Ausspruch gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG betreffenden Spruchteiles) zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 25. Jänner 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998200555.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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