TE OGH 2010/8/12 12Ns49/10t

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Veröffentlicht am 12.08.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Reich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Joachim K***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 21 Hv 8/08g des Landesgerichts Feldkirch, über die Anzeige der Ausgeschlossenheit des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz sowie Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig sind von der Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Joachim K***** nicht ausgeschlossen.

Text

Gründe:

Mit insoweit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 6. Mai 2008, GZ 21 Hv 8/08g-72, wurde Joachim K***** ua vom Vorwurf einer betrügerischen Vorgangsweise anlässlich eines mit Günther V***** geschlossenen Versicherungsvertrags freigesprochen. Die mit diesem Urteil ergangenen Schuldsprüche bekämpfte der Angeklagte ua mit Nichtigkeitsbeschwerde, welche der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 5. November 2008, AZ 13 Os 146/08g, zurückwies. Dem Senat gehörten damals ua Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz sowie Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig an.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2009, GZ 21 Hv 8/08g-108, gab das Landesgericht Feldkirch dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Umfang des oben dargestellten Freispruchs statt.

Mit Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 8. September 2009, GZ 21 Hv 8/08g-130, wurde Joachim K***** ua im Umfang des Vorwurfs einer betrügerischen Vorgangsweise anlässlich eines mit Günther V***** geschlossenen Versicherungsvertrags schuldig erkannt.

Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr über eine die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Joachim K***** gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 8. September 2009 zu befinden.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Geschäftsverteilung des Obersten Gerichtshofs hat der Senat 13 über dieses Rechtsmittel zu entscheiden. Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz sowie Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig sind Mitglieder dieses Senats.

Nach § 43 Abs 4 StPO ist ein Richter von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme oder einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a StPO) und von der Mitwirkung und Entscheidung im erneuerten Verfahren ausgeschlossen, wenn er im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist.

Wegen der Vorbefassung in derselben (dazu Lässig, WK-StPO § 43 Rz 16) Sache ist ein Richter im Fall der Wiederaufnahme des Verfahrens zunächst dann ausgeschlossen, wenn er in dieser Strafsache bereits ermittlungs- oder erkenntnisrichterliche Tätigigkeiten entfaltet hatte. Bei dieser Beurteilung ist eine inhaltliche Betrachtung des vorangegangenen richterlichen Einschreitens anzustellen (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 32 iVm Rz 18 ff). Ob sich diese richterliche Erledigung im Ermittlungsverfahren konkret gegen die Person des Angeklagten bezog, ist dabei gleichgültig, sofern dieses Einschreiten aufgrund objektiver oder subjektiv-objektiver Konnexität (vgl Nordmeyer, WK-StPO § 26 Rz 3; Fabrizy StPO10 § 26 Rz 1) auch wegen des im Wiederaufnahmeverfahren relevierten und gegen den Angeklagten bestehenden Verdachts der Begehung einer mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlung erfolgte (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 16; SSt 56/84). Insofern reicht es aus, dass der Richter an einer der im § 43 Abs 2 StPO aufgezählten Entscheidungen gegen einen Mitbeschuldigten mitwirkte (vgl SSt 56/84).

Eine solche Vorbefasstheit besteht naturgemäß dann, wenn der Richter an einem schuldig- oder freisprechenden Erkenntnis zur gleichen - nunmehr in der Wiederaufnahme neuerlich zu prüfenden - Verdachtslage beteiligt war.

Einen Ausschluss nach § 43 Abs 4 StPO bewirkt auch eine in dieser Sache entfaltete Rechtsmitteltätigkeit, und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsmittelrichter über die Tat-, Schuld- oder Straffrage unmittelbar entschieden hat oder „nur“ mit einer Verdachtsprüfung befasst war (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 32; 12 Os 83/10p; iS eines solchen generellen Ausschlusses auch Fabrizy StPO10 § 43 Rz 14; EBRV StPORefG 25 BlgNR 22. GP, 61). Daher begründet die Mitwirkung an einer Entscheidung über eine Beschwerde im Ermittlungsverfahren oder über einen Anklageeinspruch die Ausgeschlossenheit der über ein Rechtsmittel gegen die verweigerte Wiederaufnahme befindenden Instanzrichter (vgl 12 Os 83/10p) ebenso wie die Beteiligung an einer Entscheidung anlässlich der Erledigung einer Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung betreffend den dem Wiederaufnahmeverfahren zugrundeliegenden Sachverhaltskomplex.

Sinn und Zweck der Ausschlussregelung des § 43 Abs 4 StPO liegt somit zusammengefasst darin, die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag und die Führung des erneuerten Verfahrens einem Richter zu übertragen, der die dem Wiederaufnahmeverfahren zugrunde liegende Verdachtslage bislang noch nicht geprüft und noch keine inhaltlichen Entscheidungen dazu getroffen oder an einer Sanktionierung dieses Angeklagten mitgewirkt hat. Daher bewirkt eine richterliche Tätigkeit in einem einbezogenen, jedoch zur Gänze wieder ausgeschiedenen Verfahren ohne objektive oder subjektiv-objektive Konnexitätsbezugspunkte zum Angeklagten mangels Sachidentität keine Ausgeschlossenheit (idS Lässig, WK-StPO § 43 Rz 16).

Auf dieser Basis ist mit Blick auf § 43 Abs 4 StPO jener Fall zu lösen, dass ein Teil der im Verfahren inkriminierten Sachverhalte durch einen rechtskräftig gewordenen Freispruch erledigt wurde. Bekämpft eine Partei den darüber hinausgehenden Schuldspruch im Rechtsmittelweg, so entscheiden die über eine Nichtigkeitsbeschwerde oder Berufung befindenden Richter mangels sachlichen Bezugs gerade nicht in dem durch Freispruch erledigten Verfahrensteil. Haben in der Folge die im vorangegangenen (die freisprechende Entscheidung nicht berührenden) Rechtsmittelverfahren tätig gewesenen Richter über den dem Freispruch zugrunde gelegt gewesenen Sachverhalt bei einem nach Wiederaufnahme des Verfahrens gefällten und nunmehr mit Nichtigkeitsbeschwerde und/oder Berufung bekämpften Schuldspruch oder Sanktionsausspruch zu entscheiden, so liegt keine Vorbefassung iSd § 43 Abs 4 StPO vor.

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz sowie Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig sind somit von der Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Joachim K***** nicht ausgeschlossen.

Textnummer

E95077

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:0120NS00049.10T.0812.000

Im RIS seit

14.10.2010

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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