TE OGH 2010/9/22 8ObA70/09s

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Veröffentlicht am 22.09.2010
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Thomas Keppert und Franz Kisling als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Raimund Gehart, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** M*****, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz, Dr. Paul Wachschütz, Rechtsanwälte in Villach, wegen 6.853,16 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 6.260,05 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Oktober 2009, GZ 8 Ra 68/09w-14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Februar 2009, GZ 33 Cga 226/08s-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden abgeändert, sodass die Entscheidung unter Einschluss der der Klägerin bereits rechtskräftig zugesprochenen Forderung von 609,50 EUR sA insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin 5.737,03 EUR samt 11,70 % Zinsen seit 30. 8. 2008 binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 1.116,13 EUR samt 11,70 % Zinsen seit 30. 8. 2008 wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.766,20 EUR bestimmten Verfahrenskosten (darin enthalten 258,39 EUR USt und 215,88 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.765,11 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 146,04 EUR USt und 888,88 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 13. 11. 1985 geborene Beklagte, die an einer HBLA die Matura mit gutem Erfolg abgelegt hat, bewarb sich bei der Klägerin mit E-Mail vom 15. 12. 2005 als Speditionsangestellte. Die Klägerin antwortete ihr mit E-Mail vom 20. 12. 2005, das auszugsweise lautet:

„Ausbildung für Maturanten

Sehr geehrte Frau M*****,

wir nehmen Bezug auf das Vorstellungsgespräch mit Herrn Prokurist K***** vom 6. 6. 2006 und bestätigen hiermit Ihre Aufnahme als Speditionsangestellte ab 1. 8. 2006.

Eine Ausbildungszeit von zwei Jahren in verschiedenen Abteilungen wurde vereinbart, ein gezielter Ausbildungsplan wird noch festgelegt. Zu einem Besuch der Lehrgänge für Maturanten in Mitterdorf/Steiermark mit anschließender Handelskammerprüfung für Spediteure sind Sie verpflichtet. Wir verweisen auf die gleichzeitig abzuschließende Rückerstattungsvereinbarung. […]

Ihr Dienstverhältnis wird nach Ablauf der einmonatigen Probezeit auf weitere zwei Monate befristet. Als Bruttobezug wurden monatlich 1.202,54 EUR vereinbart und gelten im Übrigen die Bestimmungen des Kollektivvertrags für die Speditionsangestellten.“

Die Klägerin trat ihre Arbeit am 1. 8. 2006 an. Sie unterzeichnete am 3. 8. 2006 eine Vereinbarung über Ausbildungskostenrückerstattung, die unter anderem lautet:

„[...] Die Firma S***** AG (im Folgenden Dienstgeber genannt) ermöglicht es dem Dienstnehmer, sich einer Ausbildung als Speditionskauffrau zu unterziehen. Zu diesem Zweck wird der Dienstnehmer mehreren Abteilungen des Betriebs zur Ausbildung für die Dauer von zwei Jahren zugeteilt, wobei ausdrücklich anerkannt wird, dass diese Ausbildung einen auch außerhalb des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich verwertbaren Vorteil begründet.

Der Dienstgeber übernimmt die notwendigen Kosten der Ausbildung, wie Schulkostenbeträge, Umlagen und Prüfungsgebühren sowie die Anschaffung der Lehrmittel (über deren Höhe im Einzelnen Einvernehmen erzielt werden muss). Der Dienstnehmer erhält während der Dauer seiner Ausbildung das laufende Gehalt weiter bezahlt.

Der Dienstnehmer verpflichtet sich, seine Arbeitskraft und die zusätzlich erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nach Beendigung der Ausbildung der S***** AG auf die Dauer von mindestens drei Jahren zur Verfügung zu stellen, […].

Ausdrücklich wird Folgendes vereinbart:

Für den Fall, dass der Dienstnehmer vor Ablauf dieser vereinbarten Frist kündigt oder das Arbeitsverhältnis wegen eines vom Dienstnehmer verschuldeten wichtigen Grundes oder Arbeitsvertragsbruchs des Dienstnehmers beendet wird, hat der Dienstnehmer die vom Dienstgeber getragenen gesamten Ausbildungskosten mit den Lohnkosten diesem zurückzuzahlen. Unter Lohnkosten ist das für die Dauer der Ausbildung fortgezahlte Bruttoentgelt samt einer Nebenkostenpauschale von 25 % zu verstehen.

Diese Rückzahlungsverpflichtung verringert sich pro Monat der im Arbeitsverhältnis nach Beendigung der Ausbildung zurückgelegten Dienstzeit um jeweils 1/36. [...]“

Die Klägerin begann ihre Tätigkeit in der Luftfrachtabteilung. Vom 13. 11. 2006 bis 16. 1. 2007 besuchte sie die Berufsschule. Danach war sie in anderen Abteilungen eingesetzt. Nicht alle im Ausbildungsplan vorgesehenen Abteilungen wurden von der Beklagten auch durchlaufen, weil sie von der Klägerin für ein besonderes Projekt beschäftigt wurde. Von April bis Ende Juni 2008 besuchte die Beklagte wiederum die Berufsschule und bestand die Lehrabschlussprüfung mit gutem Erfolg. Danach mit der Klägerin geführte Verhandlungen über eine Entgelterhöhung scheiterten. Nachdem die Beklagte im Vergleich mit anderen Berufsschulkollegen erkennen musste, dass sie weit weniger als diese verdiente und sogar Lehrlinge, die nur die Lehrabschlussprüfung vorweisen konnten, mehr verdienten als sie, entschloss sie sich, das Arbeitsverhältnis per 31. 8. 2008 aufzukündigen.

Die Beklagte war Speditionsangestellte mit einem Ausbildungsvertrag. Im Rahmen der Ausbildung wurden die betrieblichen Erfordernisse der Klägerin berücksichtigt. Inhaltlich unterschied sich die Ausbildung der Beklagten von jener eines Lehrlings nicht, lediglich die Ausbildungsdauer war mit zwei Jahren vereinbart, während Lehrlinge eine dreijährige Ausbildung durchlaufen.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung von Ausbildungskosten und Entgelten, die sie der Beklagten während der Zeiten des Besuchs der Berufsschule gezahlt hatte, zuzüglich einer Lohnnebenkostenpauschale. Ausgehend vom vereinbarten Bruttomonatsgehalt der Klägerin in Höhe von 1.202,54 EUR errechnete sie ihre Forderung wie folgt:

60 Berufsschultage á 40,09 EUR

1. Ausbildungsjahr

 

2.405,08 EUR

68 Berufsschultage á 42,45 EUR

2. Ausbildungsjahr

 

2.886,37 EUR

25 % Lohnnebenkosten

1.322,86 EUR

Ausbildungskosten (Prüfungsgebühren etc)

 

609,50 EUR

Summe

7.223,82 EUR

abzüglich 1/36

- 200,66 EUR

Gesamtsumme

7.023,16 EUR

einbehalten von der Gehaltsabrechnung per 31. 8. 2008

 

- 170 EUR

gesamt

6.853,16 EUR

Die Beklagte schulde die Rückerstattung von Ausbildungskosten und Entgelt, weil sie die Vereinbarung, zumindest drei Jahre ab Beendigung der Ausbildung für die Klägerin tätig zu sein, nicht eingehalten habe. Die Voraussetzungen des § 2d AVRAG für die Rückforderung seien erfüllt.

Die Beklagte wandte gegen das Klagebegehren zusammengefasst ein, dass ihre Ausbildung Inhalt des Arbeitsvertrags gewesen sei, dies gelte auch für den Besuch der Berufsschule. Sie sei daher von ihrer betrieblichen Verwendung keineswegs entbunden gewesen und nicht verpflichtet, das für diese Zeit vereinbarte Entgelt für die Arbeitsleistung zurückzuerstatten. Der Arbeitsvertrag sei ein Umgehungsgeschäft; es habe eine Verpflichtung zum Besuch der Berufsschule bestanden, weshalb von einem Lehrvertrag auszugehen sei. Die von der Klägerin behauptete Vereinbarung sei sittenwidrig, weil der Rückforderungsanspruch in keinem Verhältnis zum vereinbarten Lohn stehe. Das Kostenrisiko für die Ausbildung werde auf die Beklagte überwälzt. Im Übrigen werde die Anwendung des richterlichen Mäßigungsrechts beantragt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang eines im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Teils an sonstigen Ausbildungskosten in Höhe von 593,11 EUR statt. Dies entspricht dem begehrten Betrag von gesamt 609,50 EUR abzüglich der vereinbarten Aliquotierung von 16,39 EUR. Das Mehrbegehren auf Rückersatz von Entgelt und einer Lohnnebenkostenpauschale für die Zeiten des Berufsschulbesuchs wies es hingegen ab. Die Beklagte habe der Klägerin die tatsächlichen Ausbildungskosten (Kursgebühren, Reisekosten, Sachaufwand, etc) zu ersetzen. Die Berufsschule habe die Beklagte jedoch in Erfüllung des Arbeitsvertrags besucht. Sie sei von ihrer betrieblichen Verwendung daher nicht entbunden und somit nicht zur Gänze vom Dienst freigestellt gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil nicht Folge. Zwar ermögliche der hier anwendbare § 2d AVRAG auch die Rückforderung von Lohnkosten, die während einer Ausbildung anfielen. Diese könnten jedoch nur dann zurückgefordert werden, wenn die Ausbildung mit keiner Verwendung verbunden sei und keine Erfüllung des Arbeitsvertrags darstelle. Im vorliegenden Fall sei die Beklagte jedoch aufgrund des Arbeitsvertrags verpflichtet gewesen, die Berufsschule zu besuchen. Schon begrifflich komme daher eine „Dienstfreistellung“ iSd § 2d Abs 2 letzter Satz AVRAG nicht in Frage.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil zur Auslegung des § 2d Abs 2 AVRAG im Zusammenhang mit der begehrten Rückforderung von Lohnkosten als Ausbildungskosten noch keine höchstgerichtliche Judikatur bestehe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt.

1. Zutreffend haben die Vorinstanzen ausgeführt, dass auf die hier getroffene Vereinbarung der Streitteile § 2d AVRAG idF BGBl I 2006/36 anzuwenden ist. Neben dem Ersatz von vom Arbeitgeber tatsächlich aufgewendeten Ausbildungskosten sieht § 2d Abs 2 AVRAG ausdrücklich den Ersatz von Entgelt vor, das während einer Ausbildung dem Arbeitnehmer fortgezahlt wird. § 2d Abs 2 Satz 2 AVRAG lautet wörtlich: „Die Vereinbarung der Rückforderung des während einer Ausbildung nach Abs 1 fortgezahlten Entgelts ist hingegen zulässig, sofern der Arbeitnehmer für die Dauer der Ausbildung von der Dienstleistung freigestellt ist.“

2. Schon nach der vor Inkrafttreten des § 2d AVRAG ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs konnte im Fall einer entsprechenden Vereinbarung der während der Ausbildung fortgezahlte Lohn vom Arbeitgeber (nur) dann zurückgefordert werden, wenn die Ausbildung m it keiner Verwendung verbunden und keine Erfüllung des Arbeitsvertrags war. In diesem Fall stellte nämlich der Lohn kein Entgelt für die Arbeitsleistung dar (RIS-Justiz RS0028912; zuletzt 8 ObA 73/07d mwH). Die Möglichkeit der Rückforderung wurde auch bejaht, wenn eine arbeitsvertragliche Verpflichtung zur Ausbildung bestand (für den Erhalt einer Bewilligung eines Piloten notwendige Typeratings, 9 ObA 130-132/93 = DRdA 1994, 247 mit Anm von Dirschmied).

Entscheidend war, ob der Arbeitnehmer in jener Zeit, in der er ausgebildet wurde, zur Gänze von der Arbeitsleistung freigestellt war, weil nur unter dieser Voraussetzung davon ausgegangen werden konnte, dass der fortgezahlte Lohn nicht Entgelt für die Arbeitsleistung ist. Soweit die gleichzeitige Ausbildung mit keiner Verwendung verbunden war, waren Lohnkosten rückforderbar, weil die synallagmatische Beziehung zwischen Arbeitsleistung und Entgelt sich darin zeige, dass ohne Arbeitsleistung auch keine Entgeltpflicht besteht (9 ObA 130-132/93, 9 ObA 2272/96z). Die Rückforderung von Lohnkosten könne dort bejaht werden, wo ein Abbedingen des Entgelts grundsätzlich möglich wäre, weil in der Ausbildung keine Erfüllung der Arbeitspflicht liege (Resch, Lehrausbildung und Betriebsbindung, RdW 2006/161, 158).

3. Die hier bereits anwendbare Bestimmung des § 2d Abs 2 Satz 2 AVRAG knüpft an die bisherige Rechtsprechung an. Die Materialien führen dazu Folgendes aus (Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, 1215 BlgNR 22. GP, 4):

„Die Rückforderung des während der Ausbildung erhaltenen Entgelts ist grundsätzlich unzulässig, da eine derartige Vereinbarung zu einer wesentlichen und einseitigen Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers führen würde. Nach der Judikatur (vgl etwa OGH v. 26. 11. 1985, 4 Ob 124/85, mit Entscheidungsbesprechung von Dusak, ZAS 1987, 124; OGH v. 11. 8. 1993, 9 ObA 151/93) und der arbeitsrechtlichen Lehre dazu kann das während der Ausbildung gezahlte Entgelt nur dann rückgefordert werden, wenn einerseits die Rückforderung des Entgelts ausdrücklich vereinbart wurde (aus der bloßen Vereinbarung der Rückzahlung von Ausbildungskosten kann die Verpflichtung zur Rückzahlung des Entgelts nicht abgeleitet werden), sowie andererseits der Arbeitnehmer vom Dienst zum Zweck der Ausbildung von jeglicher betrieblichen Verwendung unter Fortzahlung des Entgelts entbunden wird, um eine Ausbildung, die vor allem ihm selbst zu Gute kommt, zu absolvieren.“

4. In der in den Materialien genannten Entscheidungsbesprechung unterscheidet Dusak (ZAS 1987, 128) den Fall der Freistellung des Arbeitnehmers vom Dienst von jenem der Ausbildung durch Verwendung. Er führt zusammengefasst aus, dass für Zeiten der Dienstfreistellung sogar Unentgeltlichkeit vereinbart werden kann, sodass es zulässig ist, für diesen Zeitraum eine Entlohnung unter der Bedingung zuzusagen, dass der Arbeitnehmer nach Abschluss der Ausbildung für eine gewisse Zeit im Betrieb des Trägers der Ausbildungs-(und Entgeltfortzahlungs-)kosten verbleibt.

Reissner (in ZellKomm § 2d Rz 24) deutet den in § 2d Abs 2 Satz 2 AVRAG verwendeten Begriff der „Dienstfreistellung“ dahin, dass der Arbeitnehmer während der Ausbildung aus seinem „üblichen Arbeitsbereich“ abgezogen sein müsse, sodass er mit den ihm grundsätzlich obliegenden Verpflichtungen nichts bzw nur ganz ausnahmsweise, etwa im Notfall, zu tun habe (so schon Reissner/Preiss, Die Neuerungen im Recht der Konkurrenzklausel und der Ausbildungskostenklausel, DRdA 2006, 183 [188]).

Risak (Konkurrenzklausel und Ausbildungskostenrückersatz neu, ZAS 2006/8, Editorial) und Oberhofer (Ausbildungskosten: Rückforderung des während einer Ausbildung fortgezahlten Entgelts, ZAS 2009/30) sprechen davon, dass der Rückersatz nur verlangt werden könne, wenn der Arbeitnehmer während der vertraglich vereinbarten Ausbildung keine „werthaften“ Arbeitsleistungen für den Arbeitgeber erbringe.

Neubauer/Rath (in ASoK 2006, 125 [128]) und Radner (in Reissner/Neumayr, Zeller HB Arbeitsvertragsklauseln Rz 34.33) vertreten die Ansicht, dass die Rückforderung fortgezahlten Entgelts dann ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer die Ausbildung auf Anordnung des Arbeitgebers oder aufgrund arbeitsvertraglicher Verpflichtung absolviert, weil der Arbeitnehmer in diesen Fällen eine „Dienstleistung“ - wenn auch in anderer Form - erbringt. Auch Schrammel (in Tomandl/Schrammel6, Arbeitsrecht II 98) führt aus, dass eine Freistellung von der Dienstleistung nicht vorliegt, wenn der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich zur Ausbildung verpflichtet ist. Erfülle der Arbeitnehmer mit der Ausbildung den Arbeitsvertrag, sei eine Rückforderung von Ausbildungskosten nicht möglich.

Auch Schindler versteht die „sibyllinische“ Formulierung in den EB (IA 605/A BlgNR 22. GP) dahin, dass die Rückforderung von Entgelt während einer Ausbildung nur möglich ist, wenn sie nicht in Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Pflicht, gewissermaßen daher „in einer Art bezahlten Sonderurlaubs“ absolviert wird (in Mazal/Risak, Das Arbeitsrecht, XX. Rz 173).

5. Ausgehend von den aus den Materialien ersichtlichen Überlegungen des Gesetzgebers und seiner daraus ersichtlichen Absicht folgt der Oberste Gerichtshof jenen Lehrmeinungen, die den Begriff der Dienstfreistellung in Abgrenzung von der Ausbildung durch Verwendung definieren und demgemäß darauf abstellen, ob der Arbeitnehmer während der Ausbildung unter Fortzahlung des Entgelts von seinen üblichen betrieblichen Aufgaben gänzlich freigestellt ist und sich stattdessen der Ausbildung widmet. (Nur) Auf diesen Fall treffen die gesetzgeberischen Wertungen zu, die den Gesetzgeber (und früher die Rechtsprechung) veranlasst haben, Vereinbarungen über eine Verpflichtung zum Rückersatz des ausgezahlten Lohns zu ermöglichen. Erfolgt hingegen die Ausbildung durch Verwendung im Betrieb, treffen diese Wertungen nicht zu.

Ob der Arbeitnehmer arbeitsvertraglich verpflichtet ist, sich der Ausbildung zu unterziehen, ist auch im Anwendungsbereich des § 2d Abs 2 AVRAG nicht entscheidend (so schon zur alten Rechtslage die bereits oben zitierte Entscheidung 9 ObA 130-132/93). Auch wenn dies der Fall ist, ist der gänzlich für die Ausbildung freigestellte Arbeitnehmer von seiner betrieblichen Verwendung („von der Dienstleistung“) entbunden, sodass die gesetzgeberischen Motive für die Zulassung von Rückersatzvereinbarungen zum Tragen kommen. Die gegenteilige Meinung, die im Fall einer Verpflichtung zur Ausbildung deren Absolvierung als „Dienstleistung“ iSd § 2d Abs 2 Satz 2 AVRAG werten will, wird dem Wortlaut des Gesetzes, den Motiven des Gesetzgebers und dem Zweck der Bestimmung nicht gerecht.

6. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung erweist sich die hier zu beurteilende Rückersatzvereinbarung grundsätzlich als zulässig, weil die Beklagte für die Dauer des Berufsschulbesuchs völlig von ihrer betrieblichen Verwendung - von ihrer „Dienstleistung“ - freigestellt war.

7. Ebenso unberechtigt ist der Einwand der Beklagten, die mit der Klägerin geschlossene Vereinbarung stelle ein unzulässiges Umgehungsgeschäft dar. Die Beklagte begründet dies damit, dass die Streitteile, die ja eine Verpflichtung zum Besuch der Berufsschule vereinbart haben, in Wahrheit den Abschluss eines Lehrvertrags angestrebt hätten.

Dieser Einwand verkennt, dass die Zivilrechtsordnung auch neben den gesetzlich (ua) im BAG geregelten Ausbildungsverhältnissen im Rahmen der vertraglichen Gestaltungsfreiheit die privatrechtliche Begründung und Ausgestaltung von Ausbildungsverhältnissen ermöglicht (Berger/Fida/Gruber, BAG § 1 Rz 2). So sieht etwa § 23 Abs 5 bis 8 BAG im Interesse des Ausbaus eines zweiten Bildungswegs die Möglichkeit der ausnahmsweisen Zulassung zur Lehrabschlussprüfung ohne Absolvierung einer Lehre vor (Berger/Fida/Gruber aaO § 23 Rz 30). Dazu hat etwa nach § 23 Abs 5 BAG der zumindest 18-jährige Prüfungswerber glaubhaft zu machen, dass er auf andere Art und Weise, etwa durch praktische Tätigkeit oder den Besuch entsprechender Kursveranstaltungen die für den Lehrberuf erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten erworben hat. Damit korrespondierend sieht § 4 Abs 1 SchulunterrichtsG (SchUG, BGBl 1986/472) vor, dass in Berufsschulen auch außerordentliche Schüler, auch wenn sie nicht schulpflichtig sind, aufgenommen werden können.

Unbestritten blieb das Vorbringen der Klägerin, dass der Lohn der Beklagten nach dem Kollektivvertrag jenem einer Angestellten im ersten Dienstjahr entsprach, mag dieser nach dem Kollektivvertrag auch dieselbe Höhe wie die Lehrlingsentschädigung für das vierte Lehrjahr betragen haben (vgl §§ 15 Z 1, 17 KV für die Speditionsangestellten Österreichs, Rahmen 1. 4. 2006). Aus dem Umstand, dass das Arbeitsverhältnis auch Ausbildungszwecke verfolgte und dass die Beklagte die Berufsschule besucht hat, kann daher im konkreten Fall nicht auf das Vorliegen eines Umgehungsgeschäfts geschlossen werden.

8. Auch die behauptete Sittenwidrigkeit der Vereinbarung der Streitteile liegt nicht vor. Dieser Einwand ist schon deshalb unzutreffend, weil die Vereinbarung nach den Verfahrensergebnissen den gesetzlichen Vorgaben - insbesondere auch des § 2d Abs 3 AVRAG - entspricht. Dass eine Anwendbarkeit des richterlichen Mäßigungsrechts im Bereich des § 2d AVRAG nicht vorgesehen ist, hat schon das Erstgericht zutreffend und unbekämpft ausgeführt.

9. Die der Höhe nach unstrittige Forderung der Klägerin ist aber nur teilweise berechtigt.

9.1 § 2d Abs 2 AVRAG ermöglicht die Vereinbarung der Rückforderung von bezahltem Entgelt. Die Streitteile vereinbarten die Rückzahlung von Lohnkosten, wobei sie in ihrer Vereinbarung ausdrücklich festhielten, dass unter dem Begriff der Lohnkosten (ua) das Bruttoentgelt zu verstehen sei. Da unter dem vom Gesetzgeber verwendeten Begriff des „Entgelts“ im Zweifel das Bruttoentgelt zu verstehen ist, verstößt diese Vereinbarung nicht gegen § 2d Abs 2 AVRAG (Rebhahn in ZellKomm, § 1152 Rz 24).

9.2 Nach § 2d AVRAG ist der Arbeitgeber allerdings nur berechtigt, tatsächlich aufgewendete Ausbildungskosten zurückzufordern (Reissner aaO § 2d AVRAG Rz 7; RIS-Justiz RS0028886). Diese Grundsätze haben grundsätzlich auch für die Rückforderung von Entgelt iSd § 2 Abs 2 Satz 2 AVRAG zur Anwendung zu gelangen. Damit ist aber die Vereinbarung eines Pauschalbetrags (hier: „Lohnnebenkostenpauschale von 25 %“), von dem begrifflich nicht feststeht, dass er den tatsächlich aufgewendeten Kosten entspricht, nicht zulässig. In diesem Umfang erweist sich das Klagebegehren daher nicht als berechtigt.

9.3 Die der Klägerin zustehende gesamte Forderung berechnet sich - unter Einschluss des schon im Verfahren erster Instanz rechtskräftig zuerkannten Betrags für Ausbildungskosten - daher wie folgt:

60 Berufsschultage

1. Ausbildungsjahr

 

2.405,08 EUR

68 Berufsschultage

2. Ausbildungsjahr

 

2.886,37 EUR

Summe

5.291,45 EUR

sonstige Ausbildungskosten

(ohne Aliquotierung)

 

609,50 EUR

Summe

5.900,95 EUR

abzüglich 1/36

- 163,92 EUR

Gesamtsumme

5.737,03 EUR

10. Der Revision war daher teilweise Folge zu geben. Die gemäß § 49a ASGG begehrten Zinsen wurden der Höhe nach von der Beklagten im Verfahren nicht bestritten.

11. Infolge der Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen war über die Kosten des gesamten Verfahrens neu zu entscheiden. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 43 Abs 1 und 50 ZPO. Im Verfahren erster Instanz obsiegte die Klägerin im Ausmaß von rund 84 % ihrer Ansprüche, sodass ihr die Beklagte 68 % der Kosten und 84 % der Barauslagen zu ersetzen hat. In zweiter und dritter Instanz obsiegte die Klägerin mit 82 % und hat daher Anspruch auf 64 % ihrer Kosten und 82 % ihrer Barauslagen.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E95270

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:008OBA00070.09S.0922.000

Im RIS seit

04.11.2010

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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