TE Vwgh Erkenntnis 2001/1/30 98/18/0225

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Veröffentlicht am 30.01.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36;
RAO 1868 §11 Abs1;
RAO 1868 §11 Abs2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des MY, (geboren am 11. November 1952), in Wien, vertreten durch Dr. Martin Meusburger, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Bernardgasse 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 13. Februar 1998, Zl. SD 1255/97, betreffend die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid vom 2. Juni 1997 erließ die Bundespolizeidirektion Wien gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von fünf Jahren. Dieser Bescheid wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 6. Juni 1997 zugestellt. In einem am 4. Juli 1997 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und erhob unter einem gegen den genannten Bescheid Berufung.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 13. Februar 1998 wurde dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

Der Wiedereinsetzungswerber begründe seinen Antrag damit, dass er von seinem Anwalt erst mit Schreiben vom 17. Juni 1997 von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes verständigt worden wäre und dass der Parteienvertreter die Erhebung einer Berufung von einem ausdrücklichen Auftrag und der Überweisung eines Honorars abhängig gemacht hätte. Der Wiedereinsetzungswerber hätte auf Grund einer Gehunfähigkeit und eines damit verbundenen Krankenstandes erst am 23. Juni 1997 über seinen Sohn das Einvernehmen mit seinem Anwalt herstellen können. In der Gehunfähigkeit und in dem Mangel an einem Telefon sehe der Wiedereinsetzungswerber ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis.

Dazu sei festzuhalten, dass eine plötzliche Erkrankung oder Arbeitsunfähigkeit nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund im Sinn des § 71 Abs. 1 AVG darstelle, wenn dadurch die Dispositionsfähigkeit ausgeschlossen sei. Ohne die Frage des Ausschlusses der Dispositionsfähigkeit näher zu erörtern müsse festgestellt werden, dass der anwaltliche Vertreter - in Kenntnis des Verfahrensstandes sowie der Zustellung des Bescheides - wohl vorsorglich hätte Berufung erheben müssen, um so die Interessen seines Mandanten zu wahren. Der Wiedereinsetzungswerber habe seinem Anwalt nicht ausdrücklich die Erhebung der Berufung verboten. Dass der Anwalt ein weiteres Einschreiten von einer Honorarzahlung oder einem ausdrücklichen Auftrag abhängig mache, könne keinesfalls ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen. Aus diesem Grund sei es unerheblich, wann der Informationsfluss zwischen Rechtsanwalt und Wiedereinsetzungswerber stattgefunden habe. Ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das den anwaltlichen Vertreter an der fristgerechten Erhebung der Berufung gehindert hätte, sei weder behauptet noch ersichtlich.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Vor allem aus § 10 Abs. 2 AVG ergibt sich, dass die Folgen eines Versehens des Rechtsanwaltes den Antragsteller treffen, weil der Vertretene grundsätzlich für die Handlungen und Unterlassungen seines Vertreters einzustehen hat, mithin auch eine vom Vertreter verschuldete Fristversäumnis dem Vertretenen selbst zum Verschulden angerechnet werden muss (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage (1998), E 31 zu § 10 AVG sowie E 175 und 176 zu § 71 AVG mwN).

2. Soweit der Beschwerdeführer die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin erblickt, dass einzig die Erkrankung des Beschwerdeführers als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis die rechtzeitige Berufungserhebung verhinderte, ist dem entgegenzuhalten, dass - unter Zugrundelegung der Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag - in der behaupteten Erkrankung des Mandanten kein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG lag. In der Regel kann Krankheit nicht von vornherein als Wiedereinsetzungsgrund gewertet werden, vielmehr begründet - nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - nur eine die Dispositionsfähigkeit ausschließende Erkrankung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Wiedereinsetzungsgrund ist dann gegeben, wenn die Erkrankung einen Zustand der Dispositionsunfähigkeit zur Folge hat und so plötzlich und so schwer auftritt, dass der Erkrankte nicht mehr in der Lage ist, die nach der Sachlage gebotenen Maßnahmen zu treffen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0659, und vom 5. März 1998, Zl. 97/18/0557).

Weder durch die bloße Behauptung, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Fristablaufes gehunfähig gewesen wäre, noch durch die vorgelegte Krankenstandsbestätigung, die lediglich eine "Arbeitsunfähigkeit" für die Zeit vom 19. bis 24. Juni 1997 attestierte, wird ein Hindernis für die Kontaktaufnahme zwischen dem Erhalt des Schreibens vom 17. Juni 1997 und dem Ablauf der Berufungsfrist dargelegt, indizieren doch gerade die illustrativen Behauptungen über eine Kontaktaufnahme durch den Sohn des Beschwerdeführers Möglichkeiten zur Abwendung der drohenden Fristversäumung. Eine die Dispositionsfähigkeit völlig ausschießende Erkrankung des Beschwerdeführers wurde somit nicht behauptet.

Jedoch lagen auch in der Sphäre des Anwaltes vorhersehbare und abwendbare Ereignisse vor: Schon im Licht des § 11 Abs. 1 RAO, wonach der Anwalt schuldig ist, das ihm vertraute Geschäft, solange der Auftrag besteht, zu besorgen, und über die Nichtvollziehung verantwortlich ist, überstieg das - vom Anwalt nicht näher begründete - Zuwarten in der Information seines Mandanten über das erlassene Aufenthaltsverbot aus rechtsanwaltlicher Sicht den minderen Grad des Versehens; es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass das Zuwarten mit der diesbezüglichen Information des Mandanten bis zum elften Tag der Berufungsfrist vorhersehbar geeignet war, eine Fristsäumnis herbeizuführen. Eine Unabwendbarkeit der verzögerten Weiterleitung von Information behauptete der Beschwerdeführer nicht.

Gleichermaßen widersprach die Vorgangsweise des Anwaltes, die Erhebung der Berufung von einem Honorar-Vorschuss abhängig zu machen, der schon zitierten Bestimmung des § 11 Abs. 1 RAO, insbesondere aber auch § 11 Abs. 2 leg. cit., wonach der Rechtsanwalt gehalten ist, seine Partei noch durch 14 Tage, von der Zustellung der Kündigung an gerechnet, insoweit zu vertreten als nötig, um diese vor Rechtsnachteilen zu schützen. Kraft Größenschlusses trifft den Rechtsanwalt umso mehr die Vertretungspflicht während eines aufrechten Mandates, ohne dass ihm eine zivil- oder standesrechtliche Befugnis zur Innehaltung mit seinen Leistungen zustünde. Schon hiedurch ist das Argument des Beschwerdeführers, dass die Erhebung einer Berufung nur über ausdrücklichen Auftrag und nach Bezahlung eines Honorar-Vorschusses gängiger anwaltlicher Praxis entspreche und durch anwaltliches Standesrecht gedeckt sei, entkräftet. Auch diese Verkennung rechtsanwaltlicher Standespflichten stellt eine sowohl vorhersehbare als auch abwendbare Ursache für die Versäumung der Berufungsfrist dar.

Eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides liegt daher nicht vor.

3. Der Beschwerdeführer sieht eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, dass er im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als Bescheinigungsmittel die Einvernahme seines rechtsfreundlichen Vertreters sowie seiner Person beantragt habe. Die belangte Behörde habe die beantragten Bescheinigungsmittel ohne jegliche Begründung einfach ignoriert; hätte die belangte Behörde diese Bescheinigungsmittel aufgenommen, hätte sich die Richtigkeit des Vorbringens und damit die Verwirklichung des Tatbestandes des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ergeben.

Im Fall eines behaupteten unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG hat die Partei das Ereignis "glaubhaft" zu machen. Glaubhaft machen bedeutet, das Ereignis als wahrscheinlich darzutun, wodurch zum Ausdruck gelangen soll, dass es Sache des Antragstellers ist, das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes nicht nur zu behaupten, sondern die Behörde auch davon zu überzeugen, dass seine Behauptungen wahrscheinlich den Tatsachen entsprechen (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage (1998), Anmerkung 8 zu § 71 AVG, Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 7. Auflage (1999), RZ 623).

Erfüllt der Wiedereinsetzungswerber nicht einmal das Erfordernis, Umstände im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG zu behaupten, so kommt die Durchführung eines Verfahrens, in dem dem Antragsteller Gelegenheit geboten wird, die Behörde von der Wahrscheinlichkeit solcher Umstände zu überzeugen, nicht in Betracht. Wie bereits ausgeführt, entbehrte das Vorbringen des Wiedereinsetzungswerbers tauglicher Behauptungen im Sinn des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG, weshalb in der Unterlassung der Einvernahme des Beschwerdeführers und seines Rechtsfreundes keine Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinn des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG liegt.

4. Da sich nach dem Gesagten die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 30. Jänner 2001

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998180225.X00

Im RIS seit

11.07.2001

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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