TE OGH 2010/12/22 9ObA109/10k

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Veröffentlicht am 22.12.2010
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch die Freimüller Obereder Pilz & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch die Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 36.044,32 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert 21.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits-  und Sozialrechtssachen vom 26. August 2010, GZ 10 Ra 48/10t-13, mit dem das Urteil des Arbeits-  und Sozialgerichts Wien vom 28. Jänner 2010, GZ 10 Cga 172/09z-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.019,78 EUR (darin 336,63 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 2. 5. 1970 bis 30. 6. 2008 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde zufolge Inanspruchnahme der Alterspension durch den Kläger aufgelöst; seit 1. 7. 2008 bezieht er eine ASVG-Alterspension. Beim Dienstvertrag des Klägers handelte es sich um einen Sondervertrag. Darin wurde die Anwendung einzelner Bestimmungen des Kollektivvertrags für Angestellte der Versicherungsunternehmen-Innendienst (KVI), unter anderem hinsichtlich der Berechnung der Abfertigung (§ 34 Abs 2 Satz 1 und 2, § 34 Abs 5 und § 36a), vereinbart. Diese Bestimmungen lauten:

„ § 34

(2) Die Abfertigung beträgt für definitive Angestellte das gesetzliche Ausmaß zuzüglich einer Erhöhung um 50 %. Hat der Angestellte im Zeitpunkt der Auflösung des Dienstverhältnisses, im Zweifel also bei Ablauf der Kündigungsfrist, 25 Dienstjahre zurückgelegt und das 50. Lebensjahr überschritten, das 55. Lebensjahr aber noch nicht erreicht, so erhöht sich die gesetzliche Abfertigung um 100 %, wenn er aber das 55. Lebensjahr überschritten und das 65. Lebensjahr noch nicht erreicht hat, um 150 %.

(5) Die Abfertigung wird aufgrund der Bezüge (§ 13) des Angestellten im letzten Monat des Dienstvertrags berechnet.

§ 36a

In allen Fällen, in denen dieser Kollektivvertrag die Zahlung einer gesetzlichen Abfertigung zuzüglich einer Erhöhung vorsieht, ist letztere Erhöhung auf Basis der Bezüge gemäß § 13 zu berechnen.“

Mit Wirksamkeit vom 1. 1. 1982 wurde dem Kläger der Anspruch auf Zuerkennung einer Zusatzpension eingeräumt. Die Pensionsvereinbarung enthält in § 3 folgende Bestimmung:

„§ 3

Der Anspruch auf Zusatzpension ruht für die Zeit, für welche [der Dienstgeber] noch Aktivbezüge oder Abfertigungen bezahlt.“

Der Kläger begehrte die Leistung der Zusatzpension vom 1. 7. 2009 bis 31. 1. 2010; für den Zeitraum vom 1. 2. 2010 bis 31. 12. 2010 stellte er ein Feststellungsbegehren. Nach der Pensionsvereinbarung ruhe der Anspruch auf Zusatzpension nur für die Dauer der gesetzlichen Abfertigung, somit für 12 Monate bzw bis 30. 6. 2009. Durch die Erhöhung der Abfertigung sei nicht das Zeitäquivalent, sondern der Betrag der gesetzlichen Abfertigung aufgewertet worden. Auch nach der Betriebsvereinbarung „Pensionskassenmodul 1“ ruhten die Versorgungsleistungen lediglich für den Zeitraum der gesetzlichen Abfertigung. In der Zusatzvereinbarung vom 17. 9. 2002 sei ausdrücklich festgehalten worden, dass die bisherige Pensionszusage bestehen bleibe.

Die Beklagte entgegnete, dass dem Kläger nach dem KVI zusätzlich zur gesetzlichen Abfertigung im Ausmaß von 12 Monatsentgelten eine erhöhte Abfertigung von weiteren 18 Monatsentgelten gebühre. Aus diesem Grund habe er für den Zeitraum von 30 Monaten keinen Anspruch auf Leistung der Zusatzpension.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Nach § 23 Abs 1 AngG erhalte der Angestellte zwei bis zwölf Monatsentgelte als gesetzliche Abfertigung. Die Abfertigung werde nicht nur ausgehend von einem Monatsentgelt berechnet, sondern auch für die jeweilige Zahl von Monaten gewährt. Dieses Verständnis sei ebenso der Bestimmung des § 34 Abs 2 des KVI zugrunde zu legen. Dementsprechend werde nicht die Bemessungsgrundlage aufgewertet, sondern die Anzahl der Monatsentgelte erhöht. Ausgehend vom gesetzlichen Abfertigungsanspruch im Ausmaß von 12 Monatsentgelten ergebe die Aufwertung um 150 % somit 30 Monatsentgelte. Nach § 3 der Pensionsvereinbarung ruhe die Zusatzpension während dieses Zeitraums.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Schon die Verwendung des Plurals „Abfertigungen“ in § 3 der Pensionsvereinbarung deute darauf hin, dass sämtliche der Berechnung der Abfertigung zugrunde liegenden Monate zu berücksichtigen seien. Auch in § 34 Abs 2 des KVI werde die Höhe der Abfertigung in Monatsentgelten ausgedrückt, weshalb eine Erhöhung ebenfalls nur die Anzahl der Monatsentgelte betreffen könne. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Auslegung einer kollektivvertraglichen Bestimmung im Vordergrund stehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil in der Weise abzuändern, dass der Klage zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung begehrt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Auslegung des zugrunde liegenden Kollektivvertrags für einen größeren Personenkreis Bedeutung zukommt und sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Bedeutung der „Erhöhung“ der gesetzlichen Abfertigung in § 34 Abs 2 des KVI noch nicht beschäftigt hat (vgl RIS-Justiz RS0109942). Die zu beurteilende Regelung ist auch keineswegs so eindeutig, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung in Betracht käme (vgl RIS-Justiz RS0121516). Die Revision ist aber nicht berechtigt.

1. Die vom Kläger geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Das Erstgericht hat den wesentlichen Inhalt der Zusatzvereinbarung vom 11./17. 9. 2002 (Beilage ./5) in seine Feststellungen aufgenommen. Die Fragen nach der Höhe des vom Kläger bezogenen Entgelts, weiters nach der Bemessungsgrundlage für die Abfertigung und für die Firmenpension sowie nach der Berechnungsmodalität stellen sich nicht.

2.1 Zur Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags hat der Oberste Gerichtshof bereits festgehalten, dass diese objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen hat (RIS-Justiz RS0010088). Dabei ist in erster Linie der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Im Zweifel ist zu unterstellen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).

2.2 Unstrittig ist, dass die Betriebsvereinbarung „Pensionskassenmodul 1“ (aus dem Jahr 2008) nicht anwendbar ist, der Kläger einen Sondervertrag hatte und nur die Anwendung einzelner Bestimmungen des KVI vereinbart war, sowie dass dem Kläger in Anwendung des § 34 Abs 2 des KVI eine höhere als die gesetzliche Abfertigung (12 Monatsentgelte + Erhöhung um 150 %) gewährt wurde. Unstrittig ist weiters, dass der Anspruch des Klägers auf Zusatzpension nach § 3 der Pensionsvereinbarung während des Abfertigungszeitraums ruht.

Fraglich ist in diesem Zusammenhang, welche Bedeutung der „Erhöhung“ der Abfertigung nach § 34 Abs 2 des KVI für die Bestimmung des Abfertigungszeitraums nach § 3 der Pensionsvereinbarung zukommt.

2.3 Nach dem Wortlaut des § 34 Abs 2 des KVI beträgt die Abfertigung das gesetzliche Ausmaß zuzüglich einer Erhöhung. Die Erhöhung bezieht sich logisch auf das gesetzliche Ausmaß. Die Abfertigung steht somit in einem um einen bestimmten Faktor erhöhten Ausmaß der gesetzlichen Abfertigung zu. Die Bedeutung des Begriffs „Ausmaß“ ist aus der Wendung „gesetzliches Ausmaß“ der Abfertigung abzuleiten.

In Ansehung der gesetzlichen Abfertigung spricht der Kläger selbst vom „Zeitraum der gesetzlichen Abfertigung“, der in seinem Fall 12 Monate betrage. Er anerkennt damit, dass der gesetzlichen Abfertigung eine zeitliche Komponente zugrunde liegt und das gesetzliche Ausmaß der Abfertigung den Zeitraum beschreibt, für den die gesetzliche Abfertigung gewährt wird. Der gesetzliche Abfertigungszeitraum beträgt in seinem Fall 12 Monate.

Diese Ansicht entspricht der Rechtslage. Nach dem hier anzuwendenden § 23 Abs 1 AngG beträgt die Abfertigung in Abhängigkeit von der Dauer des Arbeitsverhältnisses ein bestimmtes Vielfaches des dem Angestellten für den letzten Monat des Arbeitsverhältnisses gebührenden Entgelts (RIS-Justiz RS0028943; 9 ObA 65/05g). Der Zweck der Abfertigung besteht darin, dem Arbeitnehmer für den durch die Abfertigung abgedeckten Zeitraum den zuletzt bezogenen Durchschnittsverdienst zu sichern und damit eine gewisse Kontinuität des zuletzt bezogenen Verdiensts für diesen fiktiven Zeitraum zu gewährleisten. Dementsprechend hat die Abfertigung insbesondere die Funktion der Versorgung und der Überbrückungshilfe (RIS-Justiz RS0028911; 9 ObA 65/05g).

Der Begriff „Ausmaß“ in § 34 Abs 2 des KVI bezieht sich somit auf den Zeitraum, für den die Abfertigung geleistet wird. Er wird durch die zeitliche Komponente bestimmt. Diese zeitliche Komponente (bestimmte Anzahl von Monatsentgelten) führt in Kombination mit der Bemessungsgrundlage zur Höhe der Abfertigungsleistung. Diese Konsequenz gelangt auch in § 34 Abs 5 des KVI zum Ausdruck. Danach wird die Abfertigung aufgrund der Bezüge nach § 13 des KVI im letzten Monat des Dienstvertrags berechnet. Die Abfertigung wird somit zunächst durch das gebührende zeitliche Ausmaß festgelegt und sodann nach Maßgabe der Bemessungsgrundlage der Höhe nach individuell berechnet.

2.4 Nach dem erzielten Auslegungsergebnis betrifft die „Erhöhung“ in § 34 Abs 2 des KVI das zeitliche Ausmaß der gesetzlichen Abfertigung. Erst nach Ermittlung dieser Zeitkomponente hat die Berechnung der Höhe der Abfertigung unter Heranziehung der konkreten Bemessungsgrundlage zu erfolgen. Diese Konsequenz findet wieder in § 36a des KVI ihre Bestätigung. Danach ist die „Erhöhung“ auf Basis der Bezüge gemäß § 13 des KVI zu berechnen. Es findet somit zunächst die Ermittlung der „Erhöhung“ und erst in der Folge die Berechnung der Höhe der Abfertigung, nicht aber eine Erhöhung des in einem ersten Schritt errechneten Abfertigungsbetrags bzw „eine betragliche Aufwertung nur der Berechnungsgrundlage unter Zugrundelegung lediglich des Zeitraums für die gesetzliche Abfertigung“ statt. Der Kläger kann sich auch „interpretativ“ nicht auf die (im Übrigen nicht anwendbare) Pensionskassenregelung (aus dem Jahr 2008) berufen, weil diese, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, eine nicht vergleichbare Ruhensbestimmung enthält.

3.1 Konkret bedeutet die fragliche Erhöhung des gesetzlichen Ausmaßes der Abfertigung um 50 %, 100 % oder 150 % in § 34 Abs 2 des KVI somit, dass sich bei einem gesetzlichen Ausmaß der Abfertigung von 12 Monaten der abgedeckte Abfertigungszeitraum auf 18 Monate, 24 Monate oder 30 Monate erhöht. Der Abfertigungszeitraum endet demnach nach so vielen Monaten, wie Monatsentgelte im kollektivvertraglichen Ausmaß der Abfertigung gezahlt werden. Die Verbandsempfehlung über die Pensionszulage im Versicherungsgewerbe entspricht damit der Kollektivvertragslage.

3.2 Die einzelvertragliche Ruhensbestimmung in § 3 der Pensionsvereinbarung des Klägers knüpft an die Zeit an, für die noch (Aktivbezüge oder) Abfertigungen gezahlt werden. Der Anspruch auf Zusatzpension ruht demnach in jenem zeitlichen Ausmaß (Anzahl an Monaten), das der Festlegung der Abfertigung zugrunde liegt, also während des Abfertigungszeitraums. Da das Zeitäquivalent der Abfertigung des Klägers 30 Monate und nicht nur 12 Monate beträgt, ruht sein Anspruch auf Zusatzpension 30 Monate ab Auflösung des Dienstverhältnisses und somit bis einschließlich 31. 12. 2010.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesem Ergebnis im Einklang. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.

Schlagworte

11 Arbeitsrechtssachen,

Textnummer

E96037

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2010:009OBA00109.10K.1222.000

Im RIS seit

24.01.2011

Zuletzt aktualisiert am

14.03.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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