TE OGH 2011/1/11 40R143/10s

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Veröffentlicht am 11.01.2011
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Das Landesgericht für ZRS Wien als Berufungsgericht erkennt durch die Richter des Landesgerichtes HR Dr. Garai als Vorsitzenden sowie Mag. Dr. Hörmann und Dr. Richter-Cermak in der Rechtssache der Klägerin N***** AG, ***** St. Pölten, *****, vertreten durch Mag. Guido Zorn, Rechtsanwalt in Wien, wider den Beklagten Stefan H*****, Selbständig, ***** Wien, *****, vertreten durch Sladek & Meyenburg, Rechtsanwälte in Wien, wegen zuletzt € 18,16 und Räumung, infolge Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 6.5.2010, 7 C 859/09x-9, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten dessen mit € 812,11 (darin € 135,35 USt) bestimmte Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht den Beklagten zur Zahlung von Verzugszinsen und der Prozesskosten. Es wies hingegen ein Zinsenmehrbegehren sowie das Räumungsbegehren ab. Dazu traf es die auf Seite 7 bis 12 der Urteilsausfertigung wiedergegebenen Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht erwog das Erstgericht, dass der Beklagte Verzugszinsen ab jeweils Zweiten des rückständigen Mietzinsmonats bis zum Zahlungstag schulde. Das Zinsenmehrbegehren, soweit nämlich seitens der Klägerin Verzugszinsen jeweils bis 22.1.2010 begehrt worden seien, sei abzuweisen. Im hier vorliegenden Fall sei auch das Klagebegehren auf Räumung im Zeitpunkt der Klagseinbringung am 23.12.2009 sowie das Zahlungsbegehren berechtigt gewesen. Der Beklagte sei hinsichtlich des Mietzinses für November 2009 für beide Objekte mit Zahlungserinnerung vom 16.9.2009 gemahnt und ihm eine Nachfrist von 10 Tagen eingeräumt worden. Eine Zahlung sei tatsächlich nicht erfolgt. Mit Mahnung vom 7.12.2009 sei neuerlich die Miete für November 2009 und auch die bereits fällige Miete für Dezember 2009 eingemahnt, eine Nachfrist bis 18.12.2009 eingeräumt und gleichzeitig die Auflösung des Mietverhältnisses gemäß § 1118 ABGB für den Fall der Nichtzahlung erklärt worden. Der Beklagte habe jedoch noch vor Klagszustellung am 12.1.2010 die eingeklagten Mieten bezahlt. Auch die Miete für Jänner 2010 habe er zwar verspätet, aber jedoch noch innerhalb desselben Monats am 22.1.2010 bezahlt. Im Zeitpunkt der Tagsatzung vom 17.2.2010 sowie zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung habe kein Mietzinsrückstand bestanden. Infolge der Zahlung des Mietzinsrückstandes sei zu prüfen, ob ein grobes Verschulden iSd § 33 Abs 2 und 3 MRG an der verspäteten Zahlung des Mietzinses dem Beklagten anzulasten sei. Ein solches grobes Verschulden setze schon begrifflich ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, das den Vorwurf berechtigt erscheinen lasse, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtfertigkeit (Nachlässigkeit) oder Streitsucht verletzt. Nach ständiger Rechtsprechung liege nicht in jedem wiederholten oder längerdauernden Zahlungsverzug des Mieters unbedingt ein grobes Verschulden. Es komme immer auf die Umstände des Einzelfalles an. Im gegenständlichen Fall sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte bereits seit 30 Jahren Mieter des Objektes top 6 und seit 22 Jahren Mieter des Objektes 10 sei. In diesem langen Zeitraum habe es lediglich einmal ein Mietzins- und Räumungsverfahren gegen den Beklagten gegeben, welches mit einem Vergleich zwischen den Mietvertragsparteien geendet habe, da der Beklagte den Mietzinsrückstand sofort nachbezahlt habe und mit einer geringfügigen Erhöhung der Miete einverstanden gewesen sei. Ab 1.1.2006 habe er den monatlichen Mietzins zwar nicht am Ersten, aber doch durchschnittlich um den Zehnten des jeweiligen Monats bezahlt. Erst ab März 2008 sei es zu längeren Rückständen gekommen. Ursache sei, dass der Beklagte ein Einmannunternehmen führe und er aufgrund der außerordentlichen beruflichen Belastung überfordert gewesen sei. Ein grobes Verschulden sei aufgrund dieser persönlichen Umstände zu verneinen, zumal der Beklagte nach Klagszustellung sofort reagiert und um derartige in der Vergangenheit aufgetretenen Unregelmäßigkeiten zu vermeiden einen Einziehungsauftrag zugunsten der Klägerin erteilt habe. Aufgrund der langen Dauer des Bestandverhältnisses und der Tatsache, dass die in der jüngsten Vergangenheit aufgetretenen Rückstände immer wieder in den Folgemonaten beglichen und die klagsgegenständlichen Mieten noch vor Klagszustellung bezahlt worden seien und nunmehr ein Einziehungsauftrag vorliege, sei der Klägerin die Aufrechterhaltung des Bestandverhältnisses zumutbar.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Abweisung des Räumungsbegehren richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit einem Abänderungsantrag in Richtung Stattgebung des Räumungsbegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Die Berufung ist nicht berechtigt. Sie will mit einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab eines Kaufmanns argumentieren und überdies genauere Feststellungen hinsichtlich der in der Vergangenheit im Jahr 2006 aufgelaufenen Mietzinsrückstände trotz Vorschreibung der Mietzinse zum jeweiligen Ersten. Im Übrigen meint sie, dass das Erstgericht die Rechtsprechung, dass häufige Rückstände trotz Mahnung nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalles eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließt, außer Acht lasse. Im gegenständlichen Fall seien die regelmäßig auftretenden Rückstände seit Beginn des Jahres 2006 jedenfalls ein ausreichendes Indiz für eine in diesem Fall naheliegende grobe Fahrlässigkeit des Beklagten.

Die Berufung übersieht mit dem Erstgericht, dass einerseits nie ein Aufhebungsgrund im Sinne des § 1118 2. F ABGB vorlag und andererseits die Räumungsklage nie darauf gestützt war, dass bereits vor Klagseinbringung das Mietverhältnis aufgelöst war. Dass die Klägerin in der Verhandlung vom 15.4.2010 in der Erklärung zu dem Mahnschreiben Beil. /S "insbesondere auch darauf verwies, dass mit diesem ausdrücklich das Mietverhältnis für aufgelöst erklärt worden sei, sollte bis spätestens 18.12.2009 die Zahlung der offenen Beträge nicht einlangen" ist eine eher bedenkliche Auslegung jener Urkunde, keinesfalls aber eine Klageänderung. Bedenklich, weil das Ersuchen um Überweisung bis 18.12.2009, "da wir ansonsten das Mietverhältnis für aufgelöst erklären" eher die Deutung zulässt, im Falle der Nichtzahlung erst das Mietverhältnis aufgelöst zu erklären. Keine Klageänderung, weil das Räumungsbegehren nie darauf gestützt war, vor Klagseinbringung das Mietverhältnis bereits aufgelöst zu haben. Auch nicht nach jener Urkundenerklärung. In der Klage erklärt die Klägerin gestützt auf § 1118 ABGB jedenfalls (erst) die sofortige Aufhebung der beiden Mietverträge. Das Bestehen eines qualifizierten Mietzinsrückstandes vorausgesetzt würde mit Zugang dieser Auflösungserklärung am 12.1.2010 (Klagszustellung) das Mietverhältnis aufgelöst sein. Die Klägerin ging also selbst nicht davon aus, dass das Mietverhältnis bereits beendet war.

Die Auflösungserklärung in der Klage konnte bei Zugang nicht mehr wirken, da der eingemahnte Rückstand für November und Dezember 209 bereits im Monat vor Klagezustellung beglichen war.

Selbst wenn sich die Klägerin nicht auf die Aufhebung des Vertrages infolge der in der Klage abgegebenen Auflösungserklärung, sondern darauf gestützt hätte, dass das Mietverhältnis schon entsprechend der (nach Lesweise der Klägerin) in der Mahnung Beil./2 bereits bedingt abgegebenen Auflösungserklärung seit 19.12.2009 beendet gewesen wäre, brächte ihr das keinen Erfolg.

Entgegen der Meinung des Erstgerichtes lag eine wirksame außergerichtliche Auflösungserklärung nicht vor. Im vorliegenden Fall wurde der Beklagte für die Mietzinse November und Dezember 2009 mit am 7.12.2009 abgesendeter Mahnung gemahnt, wobei hinsichtlich des Mietzinses Dezember 2009 ein qualifizierter Mietzinsrückstand infolge des noch nicht abgelaufenen Monats Dezember nie vorlag. In dieser Mahnung wurde der Beklagte aufgefordert den gesamten offenen Betrag (beide Monate !) einlangend auf das Konto der Klägerin bis spätestens 18.12.2009 zu überweisen, da "wir ansonsten das Mietverhältnis gemäß § 1118 ABGB für aufgelöst erklären." Bei dieser Erklärung handelt es sich selbst nach der Lesart der Klägerin um eine Auflösungserklärung unter einer aufschiebenden Bedingung. Es konnte diese bedingte Erklärung keine wirksame außergerichtliche Auflösungserklärung darstellen. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung handelt es sich bei der Abgabe etwa von Kündigungserklärungen um bedingungsfeindliche rechtsgeschäftliche Erklärung, wenn berechtigte Interesse des Partners die sofortige Klarstellung fordern. Insbesondere wurde für eine Aufkündigung oder eine gerichtliche Aufkündigung eines Mietvertrages keine Bedingung zugelassen (Koziol-Welser13 I 197; SZ 73/6; Bydlinski in KBB³ § 897 Rz 2; Art 9631). Hier ist überdies darauf hinzuweisen, dass nach der Formulierung der bedingten Auflösungserklärung die Wirksamkeit dieser Erklärung auch von der Bezahlung eines gar nicht qualifizierten Mietzinsrückstandes abhängig gemacht wurde bzw es für den Beklagten unklar erscheinen musste, ob bloß die Bezahlung des bereits qualifizierten Mietzinsrückstandes November 2009 oder auch die Bezahlung des weiteren Mietzinsrückstandes erforderlich sei, um die bedingte Erklärung nicht wirksam werden zu lassen. Aus den dargelegten Gründen war daher die Zulässigkeit dieser bedingten Gestaltungserklärung zu verneinen. Auch während des laufenden Verfahrens war eine wirksame Auflösungserklärung nicht gegeben, da - wie ausgeführt - die jeweiligen Mietzinsrückstände bereits vor Klagszustellung bzw im Monat ihrer Fälligkeit bezahlt wurden.

Das Berufungsgericht kommt daher zur Ansicht, dass die Abgabe der Gestaltungserklärung nach § 1118 2.F ABGB die eingetretene Qualifikation des § 1118 2. F ABGB voraussetzt. Die verfrühte Abgabe der Gestaltungserklärung, so zu sagen in Reserve, ist nicht wirksam.

All dem ungeachtet ist aber auch die erstgerichtliche Verneinung groben Verschuldens des Beklagten am eingetretenen Zinsrückstand unbedenklich.

Richtig ist zwar, dass gemäß der Rechtsprechung häufige Rückstände trotz Mahnung nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalles eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließen können (ecolex 1998/308, immolex 2005/20). Das Erstgericht hat jedoch ausreichende Argumente angeführt, inwieweit im hier vorliegenden Fall eine derartig grobe Fahrlässigkeit noch nicht gegeben ist. Hier ist insbesondere auf die Einmannunternehmereigenschaft des Beklagten und langjährigen Mieters hinzuweisen und darauf, dass er mit Ausnahme des anlässlich des Ablebens seiner Eltern eingetretenen Rückstandes im Jahr 2003 sämtliche Mietzinsrückstände bereits vor einer klagsweisen Eintreibung bzw Einklagung bezahlte, größtenteils sogar im Monat des Entstehens dieser Mietzinsrückstände. Auch für die hier klagsgegenständlichen Mietzinse November und Dezember 2009 gilt ähnliches. Da der Beklagte diese Rückstände bereits vor Zustellung der Klage an ihn zahlte, kann von Rechthaberei bzw groben Leichtsinn keine Rede sein. Die Überschreitung der mit der Mahnung vom 7.12.2009 gesetzten Nachfrist zum 18.12.2009 um 12 Tage kann in Anbetracht der Weihnachtsfeiertage und des bevorstehenden Jahreswechsels als lediglich minimale Überschreitung einer gesetzten Nachfrist angesehen werden. Das Erstgericht ist auch insbesondere aufgrund der extrem langen Bestanddauer des Beklagten und der nunmehr durch Einräumung eines Einziehungsauftrages besseren Gesichertheit der pünktlichen Mietzinszahlung zu Recht davon ausgegangen, dass ein Verlust der Vertrauenswürdigkeit des Beklagten hinsichtlich einer pünktlichen Zahlung des Mietzinses durch die vorgefallenen Rückstände nicht gegeben war. Das Berufungsgericht ist daher ebenso wie das Erstgericht der Meinung, dass ein grobes Verschulden des Beklagten an den hier gegenständlichen Mietzinsrückständen (gerade noch nicht) zu verneinen ist.

Der unberechtigten Berufung war daher der Erfolg zu versagen. Da der Beklagte keine Kostenrüge erhob hatte es auch bei der Kostenentscheidung im angefochtenen Urteil zu bleiben.

Die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Da lediglich die Umstände des Einzelfalles maßgeblich waren, ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision nicht zulässig.

Textnummer

EWZ0000163

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LG00003:2011:04000R00143.10S.0111.000

Im RIS seit

25.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

25.05.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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