TE OGH 2011/2/17 11Os162/10y

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Veröffentlicht am 17.02.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Dr. Bachner-Foregger und Mag. Michel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bergmann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Roland R***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 12 Hv 191/02f des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Angeklagten auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 1. Juni 2010, GZ 45 Ns 25/10v-7, sowie über dessen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO werden zurückgewiesen.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen Roland R***** wegen § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 12 Hv 191/02f des Landesgerichts Klagenfurt, wurde mit Beschluss des Vizepräsidenten dieses Landesgerichts vom 1. Juni 2010 (GZ 45 Ns 25/10v-7) der Antrag des Angeklagten auf Ablehnung des Vorsitzenden des Schöffensenats Mag. G***** P***** „wegen Ausschließung“ abgewiesen. In der Hauptverhandlung am 2. Juni 2010 wurde dem neuerlichen, gleich lautenden Antrag des von einem Wahlverteidiger (Rechtsanwalt Mag. Markus W*****) vertretenen Angeklagten stattgegeben und in der Folge mit Beschluss vom 7. Juni 2010 die Verfahrensführung einem anderen Richter des Landesgerichts Klagenfurt übertragen (GZ 45 Ns 25/10v-9).

Mit dem gegenständlichen - nicht von einem Verteidiger unterschriebenen - Antrag begehrt der Angeklagte unter Wiederholung seines bisherigen Vorbringens die Erneuerung des (Ablehnungs-)Verfahrens in Bezug auf den Beschluss vom 1. Juni 2010 wegen „Grundrechtswidrigkeit“ und unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers.

Rechtliche Beurteilung

Jener Beschluss, auf den sich der Erneuerungsantrag bezieht, ist ausschließlich in Zusammenhang mit dem Verfahren AZ 12 Hv 191/02f des Landesgerichts Klagenfurt ergangen. In diesem Verfahren wird Roland R***** von einem Wahlverteidiger vertreten (GZ 12 Hv 191/02f-271 [Protokoll der Hauptverhandlung am 30. November 2010] und GZ 45 Ns 25/10v-8 je des genannten Landesgerichts). Die Beigebung eines Verteidigers für einzelne Verfahrenshandlungen während eines aufrechten Vollmachtsverhältnisses zu einem Wahlverteidiger ist im Gesetz nicht vorgesehen; eine aufrechte Bevollmächtigung schließt vielmehr eine solche aus (vgl auch § 62 Abs 4 StPO; Achammer, WK-StPO § 61 Rz 46), weswegen der diesbezügliche Antrag zurückzuweisen war.

Weil eine § 285a Z 3 letzter Satz StPO oder § 3 Abs 2 zweiter Satz GRBG vergleichbare Bestimmung im Erneuerungsverfahren nicht normiert und der Mangel somit einer Verbesserung nicht zugänglich ist, war demnach - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - auch der Antrag nach § 363a Abs 1 StPO mangels Unterschrift eines Verteidigers gemäß § 363b Abs 2 Z 1 StPO zurückzuweisen.

Der Erneuerungsantrag erweist sich aber auch im Übrigen in mehrfacher Hinsicht als unzulässig.

Zu einem solchen ist grundsätzlich festzuhalten, dass es sich bei einem nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt. Demgemäß gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß auch für derartige Anträge.

Eine vor oder in der Hauptverhandlung ergangene negative Entscheidung nach § 45 StPO entfaltet keine Bindungswirkung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 131), sodass einerseits der Antrag in der Hauptverhandlung erneut gestellt und gegebenenfalls die Beteiligung eines ausgeschlossenen Richters an der Entscheidung als Nichtigkeitsgrund geltend gemacht werden kann. Der Ausschluss eines Beschwerderechts gegen einen solchen Beschluss (§ 45 Abs 3 StPO) begründet demnach keine - sowohl für eine Individualbeschwerde als auch einen Erneuerungsantrag erforderliche - Erschöpfung des Rechtswegs (Art 35 Abs 1 MRK; Grabenwarter, EMRK4 § 13 Rz 19 ff).

Wie der EGMR in ständiger Rechtssprechung betont, haben die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, Grundrechtsverletzungen eigenständig zu beseitigen oder Abhilfe zu schaffen (Art 34 MRK), sodass eine gegebene Opfereigenschaft entfallen kann (Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 363a Rz 31). Der Antragsteller, dessen Begehren auf Ablehnung durch die in der Hauptverhandlung erfolgte Beschlussfassung nachgekommen wurde, behauptet auch nicht, gegenwärtig in einem eigenen, ihm durch die Konvention oder einem ihrer Zusatzprotokolle garantierten Recht verletzt zu sein.

Schlagworte

Strafrecht

Textnummer

E96697

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0110OS00162.10Y.0217.000

Im RIS seit

08.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

08.04.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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