TE Vwgh Erkenntnis 2001/2/21 95/08/0207

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Veröffentlicht am 21.02.2001
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1151;
ABGB §863;
AlVG 1977 §1 Abs1 lita;
ASVG §4 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des G in Wien, vertreten durch Dr. Karl Benkhofer, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Beingasse 27/II, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 15. Mai 1995, Zl. M 120.609/3-7/95, betreffend Versicherungspflicht nach ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. A-Handels GmbH; 2. Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien; 3. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien;

4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse wird abgewiesen.

Begründung

Zur Vermeidung von Wiederholungen hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 21. Dezember 1993, Zl. 90/08/0224, verwiesen.

Im Verfahren war zwischen dem Beschwerdeführer und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse sowie der belangten Behörde strittig, ob die vom Beschwerdeführer mit der mitbeteiligten Gesellschaft abgeschlossene schriftliche Vereinbarung über den Verkauf von Kochgeschirr der mitbeteiligten Gesellschaft in der Vertriebsform sogenannter Kundenparties in einem bestimmten Vertriebsgebiet, die zweifelsfrei eine Vereinbarung über ein Angestelltendienstverhältnis darstellt, tatsächlich so durchgeführt worden ist, oder ob es konkludent zu einer Vertragsänderung in Richtung eines freien Dienstvertrages gekommen sei. Dazu hatte der Beschwerdeführer behauptet, nur als Provisionsvertreter entlohnt worden zu sein, die wöchentliche Arbeitszeit nicht eingehalten zu haben, zu den vertraglich vorgeschriebenen Wochen- und Monatsmeetings nach Gutdünken nicht erschienen zu sein und auch die vorgeschriebenen Berichte nicht geliefert zu haben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem eingangs genannten Erkenntnis den über Antrag des Beschwerdeführers ergangenen, seine Versicherungspflicht - im Wesentlichen gestützt auf die schriftliche Vereinbarung - jedoch bejahenden Bescheid der belangten Behörde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich im Beschwerdefall das Problem des Auseinanderfallens von Vertragsinhalt und praktischer Durchführung des Vertrages, den der Beschwerdeführer mit der erstmitbeteiligten Partei abgeschlossen habe. Damit sei zu klären, ob eine konkludente Vertragsänderung vorliege. Der Abschluss eines Vertrages setze übereinstimmende Willenserklärungen voraus, die auf die Begründung eines Rechtsverhältnisses gerichtet seien. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten sich über alle von ihnen als erheblich betrachteten Punkte des Vertragsverhältnisses einig seien. Die Erklärung könne nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig durch ein Verhalten erfolgen, welches bei Überlegung aller Umstände keinen Grund daran zu zweifeln übrig lasse (§ 863 ABGB), dass der andere Teil sich in bestimmter Weise verpflichten wolle. Erbringe etwa jemand, der als freier Mitarbeiter bei einem Dienstgeber aufgenommen worden sei, jahrelang für diesen Arbeitsleistungen in organisatorischer Gebundenheit und nehme der Dienstgeber ebenso lange diese Arbeitsleistungen entgegen, dann sei dadurch auf schlüssige Weise ein Arbeitsvertrag begründet worden (vgl. OGH 19. Mai 1981, Arb. 9972; ferner OGH 16. März 1982, RdA 1985, S. 395). Ein längeres vertragswidriges Verhalten berechtige allerdings noch nicht, davon auszugehen, dass es zu einer Vertragsveränderung gekommen sei, da es dem Dienstgeber jederzeit freistehe, auf die Einhaltung der Vertragsbestimmungen zu dringen. Bloßes Stillschweigen sei weder Zustimmung noch Ablehnung, sondern Unterlassung jeder Erklärung. Die Annahme einer "stillschweigenden" Erklärung setze ein Verhalten voraus, das für den jeweiligen Partner ohne jeden Zweifel auf den entsprechenden Willen schließen lasse.

Auf den Beschwerdefall übertragen bedeute dies, dass eine konkludente Vertragsänderung etwa dann denkbar wäre, wenn dem den Beschwerdeführer kontrollierenden Gebietsrepräsentanten Dienstgeberfunktion (d.h. hier: auch die Berechtigung zur Vertragsgestaltung) zugekommen wäre und dieser das der Repräsentantenvereinbarung krass widersprechende Verhalten des Beschwerdeführers stillschweigend geduldet hätte. Aus diesem Verhalten könnte dann unter Umständen auf einen entsprechenden Verpflichtungswillen des Dienstgebers geschlossen werden. Wem im Beschwerdefall allerdings Dienstgeberfunktion im vorzitierten Sinne zugekommen sei und ob diese Person über das vertragswidrige Verhalten des Beschwerdeführers informiert gewesen sei bzw. ob der Beschwerdeführer dessen Verhalten bei Überlegung aller Umstände vernünftigerweise und mit allem Grunde als Kundgabe eines bestimmten rechtsgeschäftlichen Willens habe deuten dürfen, sei von der belangten Behörde nicht geklärt worden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 15. Mai 1995 hat die belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien (neuerlich) Folge gegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Beschäftigung bei der erstmitbeteiligten Gesellschaft in der Zeit vom 2. Jänner 1985 bis 4. März 1986 gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG kranken-, pensions- und unfallversichert und gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG arbeitslosenversichert gewesen sei.

Nach der Begründung sei unbestritten, dass sich der Beschwerdeführer gegenüber der erstmitbeteiligten Gesellschaft mit einer "Repräsentantenvereinbarung" als Dienstnehmer zu einer - weisungsgebundenen - Vertretertätigkeit verpflichtet habe. Tatsächlich habe er aber bei seiner Tätigkeit in der Zeit vom 2. Jänner 1985 bis 4. März 1986 die darin festgehaltenen Verpflichtungen weitgehend missachtet bzw. ihm auferlegte Bindungen nicht eingehalten. Aus der im fortgesetzten Verfahren eingeholten Stellungnahme der erstmitbeteiligten Gesellschaft vom 6. April 1995 gehe jedoch hervor, dass die im fraglichen Zeitraum den Dienstgeber des Beschwerdeführers repräsentierenden Herren Lothar K. (Verkaufsdirektor) und Ing. Josef E. (Geschäftsführer) über das vertragswidrige Verhalten des Beschwerdeführers informiert gewesen seien, dieses aber mit Zustimmung des "Junior-Managers" der Firma toleriert hätten, weil der Beschwerdeführer zwar keine Meetings besucht, aber doch immer wieder Verkaufsabschlüsse getätigt habe. Aus diesem Verhalten des Dienstgebers könne daher geschlossen werden, dass er das vom Beschwerdeführer an den Tag gelegte Verhalten geduldet habe und mit einer dadurch bewirkten Modifizierung der ursprünglichen Repräsentantenvereinbarung einverstanden gewesen sei. Da eine Bindung an eine Weisungsbefugnis des Dienstgebers - auch wenn tatsächlich keine Weisungen erteilt oder erteilte Weisungen nicht befolgt würden - eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausschließe, sei der Beschwerdeführer somit als Dienstnehmer anzusehen und während des in Rede stehenden Zeitraumes der Pflichtversicherung nach dem ASVG und AlVG unterlegen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Sie beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Von den mitbeteiligten Parteien hat lediglich die Wiener Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde ist im Ergebnis beizupflichten:

Unbestritten ist, dass zwischen dem Beschwerdeführer und der mitbeteiligten Gesellschaft ein Dienstvertrag abgeschlossen wurde, auf Grund dessen der Beschwerdeführer von der mitbeteiligten Gesellschaft auch zur Vollversicherung angemeldet wurde. Unbestritten ist auch, dass dieser Vertrag im Nachhinein nicht ausdrücklich geändert worden ist. Strittig war nach dem Ergebnis des ersten Rechtsganges nur mehr die Frage, ob eine allfällige Vertragsänderung konkludent zustandegekommen ist, wobei - wie der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis bereits ausgeführt hat - an den Erklärungswert des Verhaltens des Dienstgebers ein strenger Maßstab anzulegen ist: Auch ein längere Zeit vom Dienstgeber hingenommenes vertragswidriges Verhalten berechtige noch nicht zu der Annahme, dass eine Vertragsänderung in der vom Dienstnehmer allenfalls gewünschten Richtung vorgenommen worden sei. Bloßes Schweigen sei weder Zustimmung noch Ablehnung, sondern Unterlassung einer Erklärung.

Die belangte Behörde hat festgestellt, dass das vom Beschwerdeführer behauptete und durch das Beweisverfahren festgestellte vertragswidrige Verhalten dem Verkaufsdirektor und dem Geschäftsführer bekannt gewesen sei und diese es mit Zustimmung des "Junior-Managers" der mitbeteiligten Gesellschaft toleriert hätte, weil der Beschwerdeführer "immer wieder Verkaufsabschlüsse getätigt habe". Die daraus gezogene rechtliche Schlussfolgerung der belangten Behörde, es könne aus diesem Verhalten des Dienstgebers geschlossen werden, dass dieser mit einer "dadurch bewirkten Modifizierung der ursprünglichen Repräsentantenvereinbarung einverstanden gewesen" sei, vermag der Verwaltungsgerichtshof allerdings nicht zu teilen; selbst wenn man davon ausgeht, dass zumindest einer jener Repräsentanten der mitbeteiligten Gesellschaft, die vom vertragswidrigen Verhalten des Beschwerdeführers Kenntnis hatten, auch zu einer Änderung des mit dem Beschwerdeführer bestehenden Vertrages berechtigt gewesen wäre (worüber die belangte Behörde freilich Feststellungen nicht getroffen hat), so hat die belangte Behörde keinerlei über eine (in bestimmter Weise motivierte) stillschweigende Duldung des Dienstgebers hinausgehende Verhaltensweisen festgestellt, denen ein Erklärungswert in Richtung einer Vertragsänderung zuzumessen wäre. Es kann dabei auf sich beruhen, ob das Verhalten des Beschwerdeführers überhaupt den Schluss zuließ, dass dieser an einer Vertragsänderung in bestimmter Richtung interessiert gewesen sei. Die bloße Duldung vertragswidrigen Verhaltens (wegen der vom Beschwerdeführer getätigten Verkaufsabschlüsse) ist jedenfalls nicht geeignet, die konkludente Änderung eines schriftlichen Vertrages zu bewirken (vgl. z.B. OGH vom 13. Jänner 1993, 1 Ob 40/92, JBl. 1993, 721 f). Allein der Umstand, dass die mitbeteiligte Gesellschaft den Beschwerdeführer während des gesamten Zeitraumes vom 2. Jänner 1985 bis 4. März 1986 - ohne dass festgestellt oder behauptet worden wäre, dass der Beschwerdeführer dagegen remonstriert hätte - weiterhin versichert gehalten und damit auch Dienstgeberbeiträge zur Sozialversicherung entrichtet hat, steht der Annahme einer konkludenten Vertragsänderung entgegen.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der nicht durch einen Rechtsanwalt vertretenen mitbeteiligten Gebietskrankenkasse steht kein Ersatz des

Schriftsatzaufwandes zu (vgl. etwa das Erkenntnis vom 19. Jänner 1999, Zl. 96/08/0269). Ihr Kostenbegehren war daher abzuweisen.

Wien, am 21. Februar 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1995080207.X00

Im RIS seit

18.10.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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