TE OGH 2011/6/21 4Ob37/11m

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Veröffentlicht am 21.06.2011
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Korn Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei „*****“***** GmbH, *****, vertreten durch Zöchbauer Frauenberger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 70.000 EUR, Revisionsinteresse 67.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. September 2008, GZ 5 R 88/08k-22, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 17. März 2008, GZ 19 Cg 43/07f-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

1. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

2. Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr - unter Einschluss des in Rechtskraft erwachsenen Teils - zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, 1. im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beim Vertrieb von periodischen Druckschriften, insbesondere der Tageszeitung 'Ö*****', die Ankündigung/oder Durchführung von Gewinnspielen, insbesondere des 100.000 EUR-Poker-Gewinnspiels, zu unterlassen, wenn dabei Preise nicht unbedeutenden Wertes gewonnen werden können und zur Teilnahme und/oder Erhöhung der Gewinnchancen der Kauf einer von der Beklagten verlegten Zeitung notwendig oder förderlich ist oder erscheint; 2. der Klägerin wird die Ermächtigung erteilt, Punkt 1 und 2 des Urteils in der periodischen Druckschrift 'Ö*****' in einer Sonntagsausgabe auf der Titelseite, hilfsweise auf der letzten Seite einer Sonntagsausgabe, in Größe einer halben Seite in einem Kasten mit der Überschrift 'Im Namen der Republik!' in zumindest 3 cm großen Buchstaben, der Rest in normaler Laufschrift und fett und gesperrt gedruckten Prozessparteien binnen sechs Monaten ab Rechtskraft des Urteils auf Kosten der Beklagten veröffentlichen zu lassen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.489,42 EUR (darin 581,57 EUR USt und 4 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 9.124,06 EUR (darin 839,01 EUR USt und 4.090 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Verlegerin der Tageszeitungen „K*****“ und „K*****“. Die Beklagte ist die Medieninhaberin der Tageszeitung „Ö*****“.

Die Tageszeitung der Beklagten war am Sonntag, dem 25. Februar 2007, gratis erhältlich. Darin sowie auf dem Umschlagblatt der Zeitung und auf Werbefoldern auf den Sonntagszeitungstaschen wurde das „heute startende 100.000 EUR-Poker“ Gewinnspiel angekündigt und in der Zeitung näher erläutert. Jeder Ausgabe der Zeitung war eine andere Gewinnkarte beigelegt. Als Gewinn waren Preise in der Höhe von 20 bis 1.000 EUR ausgelobt; außerdem wurden unter denjenigen, die während der Spielwoche vier Joker ankreuzen konnten und die Karte an die Beklagte sendeten, jede Woche 10.000 EUR verlost. Um die anderen Gewinne zu erhalten, musste man im Laufe der Woche anhand der jeden Tag bekanntgegebenen Gewinnzahlen Markierungen auf der Gewinnkarte anbringen und noch am selben Tag bei einer Gewinnhotline anrufen. Es wurde deutlich darauf hingewiesen, dass die Gewinnzahlen der Folgetage nicht nur in der Zeitung veröffentlicht werden, sondern dass sie auch gratis unter einer bestimmten Telefonnummer und im Internet abgefragt werden können.

Am 4. März 2007 wurde diese Ankündigung des Spiels wie schon in der Ausgabe vom 25. Februar 2007 auf der Titelseite und auf den Zeitungsständern wiederholt. Am Sonntag, dem 11. März 2007, war die Tageszeitung der Beklagten nicht gratis, sie konnte um 0,50 EUR gekauft werden. Auf dem Titelblatt und auf der Umschlagseite dieser Ausgabe sowie auf den Verkaufstaschen war die Fortsetzung des Gewinnspiels nicht angekündigt. Dieser Hinweis fand sich erst im Inneren der Zeitung, wo auch eine neue Gewinnkarte angebracht war.

Die Klägerin begehrte, der Beklagten im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beim Vertrieb von periodischen Druckschriften die Ankündigung/oder Durchführung von Gewinnspielen, insbesondere des 100.000 EUR-Poker Gewinnspiels, zu verbieten, wenn dabei Preise nicht unbedeutenden Werts gewonnen werden können und zur Teilnahme und/oder Erhöhung der Gewinnchancen der Kauf einer von der Beklagten verlegten Zeitung notwendig oder förderlich ist oder erscheint. Darüber hinaus stellte sie ein Veröffentlichungsbegehren (samt eingeschränktem Hilfsbegehren). Zumindest seit 11. März 2007 verstoße das von der Beklagten veranstaltete Gewinnspiel gegen § 9a bzw gegen § 1 UWG, weil das fortlaufende Gewinnspiel den sicheren Eindruck erweckt habe, dass die Serie fortgesetzt werde. Die Möglichkeit, die Gewinnzahlen im Internet zu erfragen, sei nicht gleichwertig. Die Beklagte habe auf der letzten Umschlagseite ihrer Zeitung vom 9. März 2007 den Start einer neuen Runde des Gewinnspiels am kommenden Sonntag, dem 11. März 2007, angekündigt. Sie habe damit nicht nur die sichere Erwartung, sondern sogar die Gewissheit der Fortsetzung des Gewinnspiels vermittelt.

Die Beklagte wendete ein, das von ihr veranstaltete Gewinnspiel sei keine Zugabe im Sinn des UWG. Das Vorbringen der Klägerin in Ansehung der Ausgabe vom 9. März 2007 sei überdies verjährt.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren und teilweise auch dem Veröffentlichungsbegehren (im Sinne des Eventualbegehrens) statt.

Das Berufungsgericht bestätigte die erstgerichtliche Klagestattgebung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil das Berufungsgericht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gefolgt sei und die rechtliche Beurteilung von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig gewesen sei. Gemäß § 9a Abs 1 Z 1 UWG könne unter anderem derjenige, der Verbrauchern neben periodischen Druckwerken unentgeltliche Zugaben anbiete, ankündige oder gewähre, auf Unterlassung und Schadenersatz in Anspruch genommen werden. Auch die Einräumung einer Teilnahmemöglichkeit an einem Gewinnspiel falle unter § 9a Abs 1 Z 1 UWG, wenn eine nicht unerhebliche Nachfrageverlagerung vorliege, sodass ein Werbe- und Lockmittel angenommen werden könne. In der dritten Veranstaltungswoche habe der Interessent die Sonntagszeitung kaufen müssen, um die Gewinnkarte zu erhalten. Der Interessent habe erst nach dem Kauf der Zeitung aus dieser erfahren, dass das Gewinnspiel fortgesetzt werde. Das auch in der dritten Woche veranstaltete Gewinnspiel sei geeignet gewesen, zu einer nicht bloß unerheblichen Nachfrageverlagerung zu führen. Da das spätere ergänzende Vorbringen, das lediglich eine Hilfstatsache enthalten habe, zu keiner Klageänderung geführt habe, sei Verjährung nicht eingetreten.

Die Revision der Beklagten machte geltend, das Zugabenverbot des § 9a UWG sei mit den Art 5 ff der „Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken“ (RL 2005/29/EG) unvereinbar; darüber hinaus sei Verjährung eingetreten.

Mit Beschluss vom 24. März 2009, AZ 4 Ob 210/08y, unterbrach der Oberste Gerichtshof das Verfahren über die Revision bis zum Einlangen der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) über das im Verfahren 4 Ob 154/08p beschlossene Ersuchen um Vorabentscheidung (Rs C-540/08) und stellte die Fortsetzung des Verfahrens den Parteien anheim.

Nunmehr beantragte die Beklagte die Fortsetzung des Revisionsverfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Entscheidung im vorliegenden Verfahren hängt davon ab, ob das Zugabenverbot des § 9a UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) vereinbar ist. Trifft das zu, so wäre das Gewinnspiel als unzulässige Zugabe anzusehen. Die Ablehnung der Verjährungseinrede der Beklagten steht im Gegensatz zu dem von ihr auch in dritter Instanz noch vertretenen Standpunkt nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung. Die Klägerin änderte das Klagebegehren nicht, weshalb die Unterbrechungswirkung der Klage aufrecht blieb. Anspruchsbegründender Sachverhalt ist die Ankündigung des Gewinnspiels, die einen (unzulässigen) Kaufanreiz bewirkt, das Vorbringen einer weiteren Einzelmaßnahme (Ausgabe vom 9. März 2007), die den beanstandeten Eindruck auslösen soll, veränderte den Klagegrund nicht (4 Ob 210/08y).

Der EuGH hat mit Urteil vom 9. November 2010, Rs C-540/08 - Mediaprint, die Fragen im Vorlageverfahren wie folgt beantwortet:

1. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die ein allgemeines Zugabenverbot vorsieht und nicht nur auf den Schutz der Verbraucher abzielt, sondern auch andere Ziele verfolgt.

2. Die mit dem Kauf einer Zeitung verbundene Möglichkeit der Teilnahme an einem Gewinnspiel ist nicht allein deshalb eine unlautere Geschäftspraktik im Sinn von Art 5 Abs 2 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, weil diese Teilnahmemöglichkeit zumindest für einen Teil der angesprochenen Verbraucher das ausschlaggebende Motiv für den Kauf dieser Zeitung bildet.

Der Senat hat mit Entscheidung vom 15. Februar 2011, 4 Ob 208/10g, daraus den Schluss gezogen, dass ein richtlinienkonformer Zustand durch teleologische Reduktion von § 9a Abs 1 Z 1 UWG herzustellen ist. Das Ankündigen, Anbieten oder Gewähren von Zugaben gegenüber Verbrauchern ist aufgrund der richtlinienkonformen Auslegung von § 9a Abs 1 Z 1 UWG nur dann unzulässig, wenn es im Einzelfall irreführend, aggressiv oder sonst unlauter ist. Die Koppelung des Warenbezugs mit einem Gewinnspiel verstößt als solche nicht gegen das Lauterkeitsrecht.

Die Klägerin stützte ihr Unterlassungsbegehren darauf, dass durch die Ankündigung des Preisausschreibens ein Anreiz geschaffen werde, die von der Beklagten verlegte Tageszeitung zu erwerben. Klagevorbringen dahin, dass die beanstandete Gewinnspielankündigung im Einzelfall irreführend, aggressiv oder sonst unlauter sei, etwa weil ein potentieller Zeitungskäufer mit der Ankündigung einem unlauteren Druck ausgesetzt oder unter Ausschluss jeglicher sachlicher Erwägung zu einer Kaufentscheidung verlockt werde, behauptete die Klägerin nicht. Dementsprechend erstattete sie in ihrer Revisionsbeantwortung auch ausschließlich Vorbringen zu § 9a UWG.

Da die beanstandete Gewinnspielankündigung somit lauterkeitsrechtlich unbedenklich ist, war das Klagebegehren gänzlich abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO (Bemessungsgrundlage im Rechtsmittelverfahren 67.000 EUR).

Schlagworte

100.000 EUR-Poker,Gewerblicher Rechtsschutz

Textnummer

E97836

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:0040OB00037.11M.0621.000

Im RIS seit

29.07.2011

Zuletzt aktualisiert am

31.01.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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