TE Vwgh Erkenntnis 2011/5/17 2008/01/0400

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Veröffentlicht am 17.05.2011
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Hofbauer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerde der M A O in T, geboren 1964, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. April 2008, Zl. 318.006-1/2E-XV/54/08, betreffend §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Demokratischen Republik Kongo, beantragte am 29. Oktober 2006 internationalen Schutz.

Zu ihren Fluchtgründen gab sie im Wesentlichen an, ihr Ehemann sei Kameramann und habe (u.a.) die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Präsidentengarde und der Garde des Vizepräsidenten vom 20. bis 22. August 2006 gefilmt. Am 4. September 2006 seien in der Nacht Militärs zu ihr nach Hause gekommen und hätten nach dem Ehemann gesucht. Die Beschwerdeführerin sei geschlagen, verschleppt und vergewaltigt worden. Nach fünf Tagen Anhaltung sei ihr die Flucht gelungen.

Das Bundesasylamt ersuchte daraufhin die Österreichische Botschaft in Nairobi um Ermittlungen zum Vorbringen der Beschwerdeführerin. Diese beauftragte eine Vertrauensperson des Honorarkonsulates in Kinshasa mit Erhebungen. Im Erhebungsbericht kam diese zum Ergebnis, dass an der von der Beschwerdeführerin angegebenen Adresse in Kinshasa (offenbar nach Auskunft dort angetroffener Personen) nicht die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie, sondern eine andere Familie wohne bzw. gewohnt habe und die Beschwerdeführerin bzw. deren Familie dort unbekannt sei. Richtig sei, dass es zwischen 20. und 22. August 2006 zu Zusammenstößen zwischen den Milizen des Präsidenten und des Vizepräsidenten gekommen sei. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin gebe es in der Demokratischen Republik Kongo keine unabhängigen bzw. selbständigen Kameraleute; der Ehemann der Beschwerdeführerin sei (gemeint wohl:) der Berufsvereinigung der Kameraleute bzw. (nicht näher bezeichneten) Nichtregierungsorganisationen nicht bekannt. Soweit die Beschwerdeführerin vermute, dass ihr Ehemann für näher bezeichnete Fernsehanstalten tätig gewesen sei, sei auszuführen, dass der Ehemann nach Auskunft des Direktors eines der Sender nie bei diesem "angestellt" gewesen sei und "kein Angestellter" des anderen Fernsehsenders jemals durch die Machthabenden gestört worden sei. Die Beschwerdeführerin habe "nur Fantasiegeschichten und Lügen auf allen Ebenen erzählt", die Ereignisse im August 2006 seien allgemein bekannt.

Auf Vorhalt dieses Erhebungsergebnisses verwies die Beschwerdeführerin darauf, dass sie wahrheitsgemäße Angaben gemacht habe; die Leute im Kongo hätten auf Grund der dortigen Ereignisse Angst und vielleicht deshalb nicht die Wahrheit gesagt.

Mit Bescheid vom 12. Februar 2008 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab, erkannte den Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Demokratische Republik Kongo gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 nicht zu und wies die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 in die Demokratische Republik Kongo aus. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin wurde als unglaubwürdig bewertet. Beweiswürdigend stützte sich das Bundesasylamt im Wesentlichen auf das von der Österreichischen Botschaft in Nairobi übermittelte Erhebungsergebnis sowie näher dargestellte Plausibilitätsüberlegungen. Die bestreitenden Angaben der Beschwerdeführerin seien als Schutzbehauptungen zu werten.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung wandte sich die Beschwerdeführerin substantiiert gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung und brachte insbesondere vor, die im Erhebungsbericht namentlich (als Eigentümerin des Hauses an der von ihr angegebenen Adresse in Kinshasa) genannte Familie habe ihr die Wohnung vermietet, deren Auskunft erkläre sie sich damit, dass diese auf Grund der Kenntnis des Schicksals der Beschwerdeführerin Angst gehabt habe. Dies sei in Anbetracht der Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo nicht weiter verwunderlich. Auf Grund der Angaben im Erhebungsbericht sei aber auch zu bezweifeln, dass die ermittelnde Person jemals an dieser Adresse gewesen sei, zumal diese - entgegen den Ausführungen im Bericht - weder nur zu Fuß zu erreichen sei noch unmittelbar dahinter "das Buschland" beginne. Aus näher dargestellten - auf die Diktion im Erhebungsbericht abstellenden - Gründen sei im Übrigen von der Voreingenommenheit und Befangenheit des Ermittelnden auszugehen. Die Beschwerdeführerin trat in der Berufung auch den übrigen beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesasylamtes entgegen und beantragte die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ab. Sie schloss sich der Beurteilung des Bundesasylamtes an und hielt fest, die Beschwerdeführerin habe durch die "in der Berufung angeführten Umstände und Begründungen" dieser Einschätzung "nicht ausreichend substantiiert entgegentreten" können. Darüber hinaus führte die belangte Behörde mehrere neue Argumente für die von ihr angenommene Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin an, wie (nach Ansicht der Behörde vorliegende und näher dargelegte) Widersprüche und Implausibilitäten im Fluchtvorbringen. Weiters setzte sich die belangte Behörde beweiswürdigend mit dem - dem Erhebungsbericht entgegentretenden - Berufungsvorbringen auseinander und führte dazu unter anderem aus, die Behauptung der Beschwerdeführerin, auf Grund der Situation in der Demokratischen Republik Kongo würde aus Angst vor Repression oftmals nicht wahrheitsgemäß auf behördliche Anfragen geantwortet, sei "sicherlich nicht völlig abwegig", fallbezogen aber (aus näher dargestellten Gründen) nicht anzunehmen. Vor allem die Diskrepanz zwischen den Angaben zur Lage des Hauses an der angegebenen Adresse in Kinshasa im Erhebungsbericht der Botschaft und (gemeint:) denjenigen in der Berufung habe die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Beschwerdeführerin "verstärkt". Einer Berufungsverhandlung habe es gemäß Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht bedurft.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde macht als Verfahrensmangel eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde geltend und ist damit im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß dem (im gegenständlichen Verwaltungsverfahren noch anzuwendenden) Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird, die Beweiswürdigung der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. etwa das - bereits zum AsylG 2005 ergangene - hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2008, Zlen. 2008/19/0216, 0217, mwH).

Die belangte Behörde führte aus, die eben genannten Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung seien erfüllt. Dieser Beurteilung kann schon angesichts des substantiierten Berufungsvorbringens zur erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht gefolgt werden. An der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ändert aber auch die von der belangten Behörde vorgenommene Ergänzung der Beweiswürdigung nichts, zumal auch dies die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erforderlich gemacht hätte (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Jänner 2009, Zl. 2007/01/0352, mwH).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen (für die Beschwerdeführerin günstigen) Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 17. Mai 2011

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2011:2008010400.X00

Im RIS seit

14.06.2011

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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