TE Vfgh Erkenntnis 2011/5/3 U2170/10 ua

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Veröffentlicht am 03.05.2011
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §64, §66
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinanderdurch Abweisung von Beschwerden an den Asylgerichtshof; Willkürmangels Auseinandersetzung mit dem Ansuchen auf rechtlichen Beistand(auch) durch Beistellung eines Flüchtlingsberaters

Spruch

I. Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidungen werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit jeweils € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Die Beschwerdeführerinnen sind armenische Staatsangehörige, wobei es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin und Mutter der volljährigen Drittbeschwerdeführerin handelt. Gemeinsam reisten sie unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 5. Jänner 2009 beim Bundesasylamt näher begründete Anträge auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies die Anträge mit Bescheiden vom 17. Dezember 2009 gemäß §3 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 29/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) ab, erkannte den Beschwerdeführerinnen gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat nicht zu und wies sie gemäß §10 Abs1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien aus.

2. Gegen diese Entscheidungen erhoben die Beschwerdeführerinnen handschriftlich verfasste, im selben Schriftbild und in nur schwer verständlichem Deutsch gehaltene Beschwerden, in welchen vorgebracht wird, dass die Beschwerdeführerinnen an psychischen Beeinträchtigungen leiden würden und in Armenien mit dem Tode bedroht seien. Unter anderem findet sich in der Beschwerde der Drittbeschwerdeführerin nachstehender Satz:

„[…] ich bitte ihnen, helfen sie uns, mit diese negativ, zum schreiben. […] wir habe keine anwalt, wir bitte ein anwalt fon Bundesasylamt für die negativ zum schreiben.“

In den Beschwerden der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin finden sich jeweils ähnlich lautende Textpassagen, in denen es wörtlich heißt:

„[…] ich bitte ihnen mich zum helfen, die negativ zum schreiben.“

bzw.

„Ich bitte ihnen uns zum helfen mit negativ zum schreiben.“

Sämtliche Beschwerden sind dabei an das Bundesasylamt, „für Anwältin“, gerichtet.

3. Mit den angefochtenen Entscheidungen des Asylgerichtshofes vom 16. August 2010 wurden die Beschwerden gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 und 10 Abs1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. In dem die Drittbeschwerdeführerin betreffenden Erkenntnis hielt der Asylgerichtshof zudem fest, das ihr Antrag auf Verfahrenshilfe mangels gesetzlicher Grundlage als unzulässig zurückzuweisen sei; bereits der Verfassungsgerichtshof habe in einer näher bezeichneten und zitierten Entscheidung das Recht auf Verfahrenshilfe im Asylverfahren verneint. In den Entscheidungen der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin befinden sich keine entsprechenden Ausführungen.

4. In den gegen diese Entscheidungen gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerden wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art3, 6 und 8 EMRK sowie auf Gleichbehandlung aller Fremden untereinander geltend geltend gemacht und jeweils die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen beantragt.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor, erstattete keine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerden.

II. Erwägungen

1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - zulässigen - Beschwerden erwogen:

2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem belangten Asylgerichtshof bei allen drei Beschwerdeführerinnen unterlaufen:

3.1. Aus den an den Asylgerichtshof gerichteten, handschriftlich verfassten Beschwerden der Beschwerdeführerinnen lässt sich trotz der nur schwer verständlichen Angaben das Ansuchen auf rechtlichen Beistand - in welcher Form auch immer - im Beschwerdeverfahren entnehmen. Der Asylgerichtshof erachtete dabei die Ausführungen in der Beschwerde der Drittbeschwerdeführerin als Ansuchen auf Gewährung von Verfahrenshilfe, was er unter Verweis auf die mangelnde Rechtsgrundlage in der Begründung seiner Entscheidung zurückwies. Wie unter Pkt. I.2. zitiert, lassen die - offenkundig von derselben Person - ebenfalls handschriftlich verfassten Beschwerden der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin unter gleichem Wortlaut dasselbe Ersuchen wie bei der Drittbeschwerdeführerin erkennen.

3.2. Der Asylgerichtshof setzt sich im Falle der Erst- und Zweitbeschwerdeführerin jedoch in keiner Weise mit diesem Ersuchen auseinander. In der Entscheidung betreffend die Drittbeschwerdeführerin wird unter Verweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 25. Juni 2009, U561/09, zwar zutreffend festgehalten, dass es im Verfahren vor dem Asylgerichtshof keiner Vertretung durch einen Rechtsanwalt bedürfe, zumal der Gesetzgeber den besonderen Bedürfnissen von Asylwerbern vor allem hinsichtlich des sprachlichen und rechtlichen Verständnisses der im Verfahren vor dem Asylgerichtshof zu berücksichtigenden (rechtlichen) Fragestellungen durch die in den §§64 f. AsylG 2005 normierte Rechtsberatung - eingeschränkt auf das Zulassungsverfahren (nunmehr: Rechtsberatung im Zulassungsverfahren) - und die in §66 leg.cit. vorgesehene Einrichtung eines Flüchtlingsberaters (nunmehr: Rechtsberater) Rechnung getragen habe.

Warum der Asylgerichtshof die Angaben in der Beschwerde der Drittbeschwerdeführerin sodann lediglich unter dem Aspekt eines Verfahrenshilfeantrages behandelt, wird allerdings nicht dargetan. Gerade im vorliegenden Fall erscheint es angesichts der offensichtlichen Sprach- und Rechtsunkundigkeit der Beschwerdeführerinnen jedoch als verfehlt, die Beschwerdeangaben nicht ebenso als Anträge auf Beistellung eines Flüchtlingsberaters (nunmehr: Rechtsberater) zu werten. Das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit den Beschwerden in dieser Hinsicht belastet die bekämpften Entscheidungen jedenfalls mit in die Verfassungssphäre reichender Willkür (vgl. VfSlg. 18.847/2009).

Die Erkenntnisse des Asylgerichtshofes waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist jeweils Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Asylgerichtshof, Verfahrenshilfe, Rechtsschutz,Bescheidbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:U2170.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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