TE AsylGH Erkenntnis 2011/05/27 D14 403999-1/2009

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Veröffentlicht am 27.05.2011
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Spruch

D14 403999-1/2009/13E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Windhager als Vorsitzenden und durch die Richterin Mag. Riepl als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.01.2009, Zl. 08 00.500-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.06.2010 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gem. §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) idgF als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Die nunmehrige Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und der Volksgruppe der Inguschen zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 13.01.2008 am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Die Einreise der Beschwerdeführerin in das Bundesgebiet erfolgte gemeinsam mit ihrem Ehemann XXXX (Beschwerdeführer zu D14 403998-1/2009).

 

Am XXXX wurde im Bundesgebiet der Sohn der Beschwerdeführerin XXXX (Beschwerdeführer zu D14 404000-1/2009) geboren.

 

In ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.01.2008 gab die Beschwerdeführerin an, dass sich im Herkunftsstaat ihre Eltern, ein Bruder und fünf Schwestern aufhalten würden.

 

Die Beschwerdeführerin sei am 30.12.2007 gemeinsam mit ihrem Ehemann mit dem Zug legal mit ihrem Inlandsreisepass aus ihrem Herkunftsstaat in die Ukraine ausgereist. Der Inlandspass sowie das Gepäck seien kontrolliert worden, jedoch sei nicht so genau geschaut worden. Dort hätten sie sich bis 10.01.2008 aufgehalten. In der Folge seien sie schlepperunterstützt - versteckt auf der Ladefläche eines LKWs - in das Bundesgebiet eingereist.

 

Zum Grund für das Verlassen ihres Herkunftsstaates befragt, erklärte die Beschwerdeführerin, dass ihr in Russland nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, als Lehrerin zu arbeiten. Sie sei ständig belästigt worden. Ihr Ehemann sei von maskierten Männern mitgenommen worden. Aus Angst hätten sie den Herkunftsstaat verlassen.

 

Die Beschwerdeführerin brachte ihren Inlandspass, ihre Heiratsurkunde sowie ihre Versicherungskarte in Vorlage.

 

Laut gutachtlicher Stellungnahme im Zulassungsverfahren nach Untersuchung am 24.01.2008 liegt bei der Beschwerdeführerin keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vor. Im Zuge der Untersuchung schilderte die Beschwerdeführerin, dass sie zwar mit ihrem Ehemann mitgekommen sei, jedoch auch eigene Fluchtgründe habe. Sie sei Lehrerin und hätten im Herbst 2007 Soldaten versucht, sie zu entführen. Eltern von Schülern hätten ihr jedoch geholfen und habe sie flüchten können. Die Beschwerdeführerin habe im Jahr 2004 bei einem Autounfall eine Gehirnerschütterung erlitten und habe seither immer wieder Kopfschmerzen. Im Oktober 2007 habe sie irrtümlich zu viele Schmerzmittel genommen und sei in der Folge kurz im Krankenhaus gewesen. Zurzeit nehme sie nicht regelmäßig Medikamente. Seit dem Autounfall leide sie öfters an kurzen Episoden mit Aufregung und Luftnot bzw. Benommenheit.

 

Am 26.01.2008 erklärte die Beschwerdeführerin im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor der Erstaufnahmestelle Ost, sich körperlich und geistig in der Lage zu fühlen, die Einvernahme durchzuführen. Die Beschwerdeführerin bestätigte eingangs, dass ihre bisher im Asylverfahren getätigten Angaben der Wahrheit entsprechen würden, wobei sie berichtigte, dass sie der Volksgruppe der Inguschen angehöre.

 

Der Beschwerdeführerin seien im Zuge ihrer Reise von der Russischen Föderation bis nach Österreich keine Fingerabdrücke abgenommen worden. Sie sei legal mit dem Inlandsreisepass aus der Russischen Föderation ausgereist.

 

Die Beschwerdeführerin verfüge über einen Auslandsreisepass, der am XXXX in XXXX ausgestellt worden sei und sich im Herkunftsstaat befinde.

 

Die Beschwerdeführerin habe nie Probleme mit heimatlichen Behörden (Polizei, Militär oder sonstige Behörden) gehabt und werde von diesen auch nicht offiziell in Ihrer Heimat gesucht und bestehe auch kein Haftbefehl gegen Sie.

 

Als Grund für das Verlassen ihres Herkunftsstaates führte die Beschwerdeführerin ihren Ehemann an. Es sei praktisch unmöglich gewesen, dort zu leben, da im Land Unordnung und eine instabile Regierung herrsche. Sie sei mit ihrem Ehemann ausgereist, da dieser ein paar Mal von Regierungsleuten mitgenommen worden sei.

 

Die Beschwerdeführerin selbst habe dahingehend Probleme gehabt, dass im Herbst 2007 die Schule, in der sie gearbeitet habe, von russischen Soldaten bewacht worden sei. Diese hätten viele Mädchen weggebracht und vergewaltigt und hätten gedroht, ein zweites Beslan zu machen. Einmal hätten sich zwei Soldaten beim Verlassen der Schule auf sie gestürzt, um sie in ein Militärauto zu schleppen. Irgendein Ingusche mit einem PKW habe sie verteidigt und hätte dieser mit den Soldaten zu raufen begonnen, woraufhin die Beschwerdeführerin geflüchtet sei. Die Beschwerdeführerin habe diesen Vorfall bei der Polizei nicht zur Anzeige gebracht.

 

Am 28.12.2007 seien russische Soldaten nachhause gekommen und hätten den Ehemann der Beschwerdeführerin mitgenommen. Auch die Eltern ihres Ehemannes seien anwesend gewesen. Die Beschwerdeführerin habe sich widersetzt, damit ihr Ehemann nicht mitgenommen werde und seien sie in der Folge mit Pistolen bedroht worden. Der Ehemann sei mitgenommen worden. Es habe sich um vier maskierte Personen gehandelt, wobei auf der Straße noch etliche weitere gestanden seien.

 

Der Ehemann der Beschwerdeführerin sei mit dem Tod bedroht worden, weshalb sie befürchte, bei einer Rückkehr wegen ihres Ehemannes mitgenommen zu werden.

 

Schließlich ergänzte die Beschwerdeführerin, dass ihr Ehemann am 28.12.2007 abgeholt und am 29.12.2007 von seinem Vater freigekauft worden sei. Auch habe dieser Fahrkarten gekauft und hätten sie gar nicht gewusst, dass sie aus der Heimat flüchten würden. Die Eltern ihres Ehemannes hätten jedoch bereits in Gesprächen zuvor gesagt, dass sie die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann aus dem Herkunftsstaat wegschicken würden.

 

Nach Zulassung des Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin durch das Bundesasylamt, Außenstellte Eisenstadt, am 05.03.2008 niederschriftlich einvernommen. Zu ihren persönlichen Verhältnissen vor ihrer Ausreise befragt, erklärte die Beschwerdeführerin, ab 19.07.2007 mit ihrem Ehemann, dessen Eltern und Geschwister gemeinsam gewohnt zu haben. Bis dahin habe sie bei ihren Eltern im selben Ort gelebt.

 

Ihren Auslandspass habe sie zuhause gelassen, da sie kein Visum erhalten habe. Vom Hörensagen habe sie erfahren, dass sie diesen deshalb nicht brauchen würden. Die Beschwerdeführerin leide an einer Gastritis und sei dahingehend bereits im Herkunftsstaat in Behandlung gestanden. Auch im Bundesgebiet werde sie dahingehend behandelt.

 

In Österreich lebe die Beschwerdeführerin von der Grundversorgung. Sie habe keine Kurse besucht und sei auch nicht bei Vereinen oder Organisationen. Es könne auch niemand eine Verpflichtungserklärung für sie abgeben. Im Bundesgebiet halte sich lediglich ihr Ehemann als Asylwerber auf.

 

Die Beschwerdeführerin verfüge lediglich in Inguschetien über nahe Verwandte; in der übrigen Russischen Föderation würden nur weitschichtige Verwandte leben.

 

Zum Grund für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat befragt, erklärte die Beschwerdeführerin ihren Heimatland verlassen zu haben, da ihr Ehemann nachts festgenommen worden sei. Im Schlaf seien sie von vier maskierten Personen überfallen worden. Die Beschwerdeführerin habe versucht die Festnahme zu verhindern, doch seien die Personen bewaffnet gewesen und hätten ihren Ehemann mitgenommen. Der Schwiegervater habe am 29.12.2007 den Ehemann der Beschwerdeführerin gefunden und diesen freigekauft. Am folgenden Tag seien sie aufgrund der Probleme ihres Ehemannes ausgereist.

 

Anfang Herbst hätten im Übrigen Soldaten versucht, sie festzunehmen. Diese Soldaten hätten die Schule, in der die Beschwerdeführerin gearbeitet habe, bewacht. Es habe viele Fälle von Entführungen und Vergewaltigungen von Mädchen und Frauen durch die Soldaten gegeben. Beim Verlassen des Schulhofes sei versucht worden, die Beschwerdeführerin in einen Militärwagen zu stecken. Sie habe sich gewehrt. Ihr sei schließlich vom Vater eines Schülers geholfen worden und sie habe fliehen können.

 

Die Überwachung der Schule habe mit der Ermordung einer Familie begonnen, wobei die Frau dieser Familie in einer anderen Schule im Ort gearbeitet habe. Seit der Ermordung der Familie seien alle Schulen bewacht worden. Beim Begräbnis sei es zu einer Detonation gekommen und seien Personen verletzt und die Beschwerdeführerin durch die Druckwelle weggeschleudert worden. Seit diesem Zeitpunkt sehe die Beschwerdeführerin schlecht.

 

Die Beschwerdeführerin schilderte schließlich, dass beim Überfall auf Inguschetien im Jahr 2004 ihr Cousin vor ihren Augen getötet worden sei.

 

Weitere Gründe für ihre Ausreise habe die Beschwerdeführerin nicht.

 

Die Beschwerdeführerin sei nie in Haft gewesen, nie festgenommen worden, kein Mitglied einer Partei gewesen und sie sei auch nicht auf Grund ihrer politischen Gesinnung verfolgt worden.

 

Auch aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit oder aus religiösen Gründen sei sie nicht verfolgt worden. Sie habe auch keine Probleme mit Behörden oder der Polizei gehabt.

 

Ihr Ehemann sei zuletzt am 28.12.2007 festgenommen worden. Ihr sei erzählt worden, dass er zuvor zwei Mal und zwar im Jahr 2004 und im Jahr 2007 nach dem Tod der Lehrerin festgenommen worden sei. Die genauen Daten könne die Beschwerdeführerin nicht angeben. Sie wisse, dass er am 22.06.2004 in Inguschetien überfallen worden und danach festgenommen worden sei. Die Lehrerin sei im Juni 2007 ermordet worden und sei diese eine Nachbarin gewesen. Wie diese Lehrerin geheißen habe, wisse die Beschwerdeführerin nicht.

 

Beim Begräbnis sei sie lediglich gewesen, da sie der Direktor hiezu aufgefordert habe. Mit der Lehrerin seien zwei ihrer drei Kinder ermordet worden.

 

Wie der Schwiegervater ihren Ehemann nach der Festnahme gefunden habe, könne sie nicht angeben. Dieser habe als Kaufmann jedoch einen großen Bekanntenkreis und sei es ihm wahrscheinlich deshalb gelungen den Aufenthaltsort ihres Ehemannes in Erfahrung zu bringen.

 

Den Grund für die Festnahme ihres Ehemannes am 28.12.2007 wisse sie nicht.

 

Zum Zeitpunkt ihrer versuchten Entführung durch die zwei Soldaten befragt, gab sie an, dass diese im Herbst 2007, Ende September erfolgt sei. Sie wisse dies, da sie am 03.10.2007 für drei bis vier Stunden ins Spital gekommen sei, da sie eine Medikamentenvergiftung gehabt habe. Nach dem Vorfall mit den zwei Soldaten habe sie Kopfschmerzen bekommen und verschiedene Medikamente zur Beseitigung der Kopfschmerzen genommen, wobei sie zuviel genommen haben dürfte. Abgesehen von der versuchten Entführung habe es keine weiteren Übergriffe auf die Beschwerdeführerin gegeben.

 

Nach ihrer versuchten Entführung sei sie aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes nur zeitweise in die Schule gegangen, sie habe aber nicht gekündigt. Ihre gesundheitlichen Probleme seien psychischer Natur - Angst - gewesen. Die Soldaten hätten gedroht, ein zweites Beslan zu machen. Nach Vorhalt, dass für den Überfall auf die Schule in Beslan nicht russische Soldaten bzw. das russische Militär verantwortlich gewesen seien, meinte die Beschwerdeführerin, dass sie aus dem Internet wisse, dass bei dem Anschlag in Beslan auch Inguschen dabei gewesen seien. Dies sei der Grund gewesen, dass die russischen Soldaten Rache nehmen wollten.

 

Die Beschwerdeführerin erklärte auf Nachfrage, dass sie ohne ihren Ehemann nicht ausgereist wäre.

 

Ab Dezember 2007 sei die Beschwerdeführerin überhaupt nicht mehr zur Schule gegangen, sie habe schließlich erfahren, dass sie von der Direktorin im Jänner 2008 gekündigt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe ein Kündigungsschreiben ohne Datum am 29.12.2007 in der Schule abgegeben. Von der Kündigung habe sie von ihrer Mutter erfahren, die die Arbeitskarte der Beschwerdeführerin von der Schule abgeholt habe.

 

Auf konkrete an sie gestellte Fragen, gab die Beschwerdeführerin an, dass sie die an der versuchten Entführung beteiligten Soldaten nicht mehr gesehen habe, da die Soldaten jeden Tag gewechselt hätten. Von wem Inguschetien im Jahr 2004 überfallen worden sei, wisse sie nicht. Wie der Mann heiße, der ihr bei der versuchten Entführung zu Hilfe gekommen sei, wisse sie nicht. Dass er Vater eines Schülers gewesen sei, wisse sie, da sie ihn öfters gesehen habe, wie er sein Kind von der Schule abgeholt habe.

 

Im Fall einer Rückkehr befürchte die Beschwerdeführerin, dass sie festgenommen werden könnte, um den Aufenthaltsort ihres Ehemannes in Erfahrung zu bringen.

 

Auf Nachfrage erklärte die Beschwerdeführerin, dass manche der von den Soldaten entführten Mädchen und Frauen zurückgekommen und im Spital behandelt worden seien. Ein Mädchen sei im Jahr 2007 - den Monat wisse sie nicht - am Bahnhof tot aufgefunden worden.

 

Gegen die Entführungen der Mädchen bzw. für das Verschwinden Soldaten habe es sogar Demonstrationen gegeben. Diese hätten im Sommer 2007 in XXXX stattgefunden. Sie seien unerlaubt gewesen und von Regierungsorganen aufgelöst worden.

 

Wieso sie nicht in einen anderen Landesteil der Russischen Föderation gezogen sei, wisse die Beschwerdeführerin nicht. Ihr Ehemann habe entschieden, nach Österreich zu reisen, vermutlich, da sie die deutsche Sprache beherrsche. Sie habe Deutsch und Englisch an einer Universität in Inguschetien studiert. Ihr Ehemann beherrsche die deutsche Sprache nicht. Zudem würden sich Verwandte ihres Ehemannes in Österreich aufhalten. In Russland hätten Inguschen kein ruhiges Leben und würden willkürlich für irgendwelche Vorfälle verantwortlich gemacht.

 

Der Beschwerdeführerin wurden allgemeine Länderinformationen ihr Heimatland betreffend ausgefolgt und ihr eine einwöchige Frist zur Stellungnahme hiezu eingeräumt.

 

Auf Nachfrage erklärte die Beschwerdeführerin, dass sie alle Gründe für die Asylantragsstellung vorgebracht habe und dem nichts mehr hinzuzufügen habe.

 

Der Beschwerdeführer brachte diverse Bestätigungen aus dem Herkunftsstaat sowie einen medizinischen Befund (XXXX) in Vorlage. Darin werden eine posttraumatische Belastungsstörung und epigastrische Beschwerden diagnostiziert.

 

Mit Faxeingabe vom 25.03.2008 übermittelte die Beschwerdeführerin ein Konvolut an medizinischen Unterlagen: Mitteilung der XXXX vom 08.03.2008 sowie den Befund der XXXX vom 01.03.2008.

 

Mit Schreiben vom 23.05.2008 wurde XXXX, Klinische und Gesundheitspsychologin, Psychotherapeutin, Universitätslektorin, mit der Erstellung eines psychologischen Sachverständigengutachtens betreffend die Beschwerdeführerin beauftragt.

 

Laut psychologischem Gutachten vom 05.11.2008 sei bei der Beschwerdeführerin auf klinisch-psychologischer Ebene keine Symptomatik objektivierbar, die gemäß den diagnostischen Kriterien der WHO einer PTBS, einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, einer depressiven Störung oder einer anderen psychischen Störung entspreche, welche hinsichtlich Erscheinungsbild und Ausprägungsgrad einer organischen oder endogenen Psychose zuzuordnen wäre. Die Beschwerdeführerin sei einvernahmefähig. Aus klinisch-psychologischer Sicht liege kein Hindernis vor, welches eine Rückführung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation unzulässig machen würde.

 

Im Rahmen der Untersuchung am 02.09.2008 gab die Beschwerdeführerin unter anderem an, dass ihr Ehemann in der Nacht vom 21. auf 22.07.2004 das erste Mal entführt worden sei. Das zweite Mal sei er kurz vor der Hochzeit im Sommer 2007 festgenommen worden. Die Beschwerdeführerin habe Philologie studiert. Ab dem Jahr 2004 habe sie parallel zum Studium an einer Schule Deutsch unterrichtet.

 

Die Beschwerdeführerin schilderte von den familiären Verhältnissen unter denen sie aufgewachsen sei. Ihren Ehemann habe sie während des Studiums kennengelernt. Die Schwiegereltern seien gegen die Ehe gewesen und hätten die Beschwerdeführerin immer deutlich spüren lassen, dass sie mit der Wahl ihres Sohnes sehr unzufrieden gewesen seien, da sie sich eine Schwiegertochter aus wohlhabendem Haus erwartet hätten. Der Schwiegervater besitze Firmen, Geschäfte und habe erwartet, dass man immer bei ihm arbeite. Dieser habe mit Baumaterialien gehandelt und habe dieser den Söhnen Häuser gebaut und ihnen Kleidung und Essen gegeben. Umgekehrt hätten diese unentgeltlich arbeiten und sich dem Schwiegervater unterordnen müssen.

 

Am 16.12.2008 führte das Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, eine ergänzende niederschriftliche Einvernahme mit der Beschwerdeführerin durch. Die Beschwerdeführerin erklärte eingangs, dass es ihr gut gehe und sie in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Die Beschwerdeführerin erklärte eingangs, ihre bisherigen Angaben im Asylverfahren aufrecht zu halten und diesen nichts hinzuzufügen zu haben.

 

Die Beschwerdeführer nehme Beruhigungsmittel. Bereits im Herkunftsland habe sie wirkungsgleiche Medikamente genommen.

 

Zu den im Bundesgebiet aufhältigen Angehörigen ihres Ehemannes bestehe keine finanzielle Abhängigkeit. Die Beschwerdeführerin lebe mit ihrer Familie von der Grundversorgung.

 

Die Beschwerdeführerin habe - ebenso wie ihr Ehemann - keine Kurse in Österreich besucht und seien sie beide weder bei Vereinen noch bei anderen Organisationen.

 

Zur letzten Festnahme am 28.12.2007 befragt, erklärte die Beschwerdeführerin, dass sehr viele Männer ins Haus gekommen seien. In das Schlafzimmer seien jedoch nur vier Männer eingedrungen. Ihr Ehemann sei bereits am nächsten Tag vom Schwiegervater freigekauft worden.

 

Zur Ermordung der Lehrerin und ihrer Familie gab die Beschwerdeführerin an, dass dies im Juni gewesen sei. Die Lehrerin habe in der Nachbarschaft des Hauses ihres Ehemannes gelebt. Die Beschwerdeführerin sei erst im Juni 2007 nach der Hochzeit in dieses Haus gezogen.

 

Die versuchte Entführung durch die zwei Soldaten habe Ende September 2007 stattgefunden. Am 03.10.2007 habe die Beschwerdeführerin die erwähnte Medikamentenvergiftung gehabt.

 

Die Beschwerdeführerin habe außerhalb Inguschetiens nur weitschichtige Verwandte. In einem anderen Teil der Russischen Föderation könne sie als Moslem wegen den Skinheads nicht leben. Ihr Schwager, der sich in Astrachan aufhalte, sei zurzeit in Inguschetien auf Besuch, da seine Tochter zur Welt gekommen sei. Anschließend fahre er wieder nach Astrachan, da er dort glaublich eine Wirtschaftsausbildung mache.

 

Der Beschwerdeführerin wurde das psychologische Gutachten vom 05.11.2008 vorgehalten und erklärte die Beschwerdeführerin hiezu, dass sie zu diesem Gutachten nichts zu sagen bzw. nichts daran zu beanstanden habe und mit dem Gutachten einverstanden sei.

 

Abschließend legte die Beschwerdeführerin medizinische Unterlagen vor: drei Befunde der XXXX vom 28.11.2008, 02.12.2008 und 06.12.2008 wonach sie an einer mittelgradigen depressiven Episode (F 32.1) in Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft leide. Zudem wurden bei der Beschwerdeführerin eine mittelgradige depressive Episode (F 32.2), eine PTSD (F 43.1), eine Borderline Persönlichkeitsstörung (F 60.3) sowie eine Erschöpfungsdepression (F48.0) diagnostiziert. Laut Befund vom 06.12.2008 habe sich die Beschwerdeführerin vom 02.12. bis 06.12.2008 in stationärer Behandlung befunden. Die Beschwerdeführerin erklärte zu diesen Befunden, dass daraus hervorgehe, dass sie vor kurzem abgetrieben habe. Sie habe kein zweites Kind haben wollen, da sie mit dem einen schon genug zu tun gehabt habe.

 

I.2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.01.2009 hat das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und ihr den Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten im Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III). Die belangte Behörde begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Gesamtvorbringen der Beschwerdeführerin unglaubwürdig sei. Soweit die Beschwerdeführerin ihre Flucht auf die Gründe ihres Ehemannes stützte verwies das Bundesasylamt darauf, dass dieser nicht glaubhaft darlegen habe können, im Herkunftsstaat verfolgt worden zu sein. Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergebe sich keine konkret gegen sie gerichtete staatliche bzw. quasi-staatliche Verfolgung aus asylrelevanten Gründen.

 

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend die versuchte Entführung durch russische Soldaten bzw. die Teilnahme am Begräbnis einer unbekannten Lehrerin bewertete die belangte Behörde aufgrund von Ungereimtheiten und Widersprüchen als unglaubwürdig.

 

Auch der Umstand ihrer legalen Ausreise sei Indiz für ihre Unglaubwürdigkeit. Die Beschwerdeführerin habe im Übrigen erklärt, dass sie ohne ihren Ehemann den Herkunftsstaat nicht verlassen hätte.

 

Allein aufgrund der allgemeinen Lage in Inguschetien sei Asyl nicht begründbar. Dahingehend traf die belangte Behörde entsprechende Länderfeststellungen. Auch unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin seien keine Umstände hervorgekommen, die die Gewährung subsidiären Schutzes gerechtfertigt hätten. Die getroffene Ausweisung sei im Lichte des Art. 8 EMRK notwendig und geboten gewesen.

 

I.3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in der dieser in allen Spruchteilen wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts bekämpft wurde.

 

Die Beschwerdeführerin sei schwer traumatisiert und bei der Festnahme am 28.12.2007 mit einer Pistole bedroht worden. Zu der Ende September 2007 versuchten Entführung der Beschwerdeführerin wurde in der Beschwerde erklärt, dass es sich beim Vater der Schülerin, die der Ehefrau geholfen habe, um einen Inguschen gehandelt habe und darin keine Widersprüchlichkeit zu erblicken sei.

 

Die ermordete Nachbarin sei eine Lehrerin gewesen, mit der weder die Beschwerdeführerin noch ihr Ehemann Kontakt gehabt hätten. Bei deren Begräbnis habe es eine Explosion gegeben. Von jeder Schule hätten zehn Lehrer und der Direktor zum Begräbnis gehen müssen. Nach der Explosion beim Begräbnis sei die Beschwerdeführerin nur mehr sporadisch zur Schule gegangen und habe sie ab Dezember 2007 nicht mehr als Lehrerin gearbeitet.

 

Die belangte Behörde habe den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin nicht ausreichend berücksichtigt und insbesondere einen medizinischen Befund der XXXX nicht hinreichend berücksichtigt. Dieser Befund wurde der Beschwerde beigefügt.

 

Schließlich schilderte der Ehemann der Beschwerdeführerin, dass der Schwiegervater während des ersten Tschetschenienkrieges in seinem Haus Verwundete aufgenommen und gepflegt habe und Widerstandskämpfer mit Medikamente und Bekleidung versorgt habe.

 

Aufgrund der Bürgerkriegssituation bzw. der ständig schweren Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsstaat hätte der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann zumindest subsidiärer Schutz erteilt werden müssen.

 

Mit Faxeingabe an den Asylgerichtshof vom 07.10.2009 wurden medizinische Unterlagen betreffend die Beschwerdeführerin vorgelegt (XXXX vom 02.03.2009, Neurologisch-Psychiatrische Bestätigung einer Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie vom 30.06.2009, XXXX vom 02.07.2009, Arztbrief sowie Aufenthaltsbestätigung der Landesnervenklinik XXXX vom 22.07.2009). Im Arztbrief vom 22.07.2009 wird unter anderem ausgeführt, dass sich laut Beschwerdeführerin ihr Ehemann einer Rebellenorganisation angeschlossen habe und deswegen mehrmals inhaftiert gewesen sei. Dieser habe zunehmend um sein Leben bangen müssen, weshalb sie beide geflüchtet seien. Im Herkunftsstaat hätten sich beide in gehobener Position (Manager und Lehrerin) befunden. Die Beschwerdeführerin verspüre einerseits große Sehnsucht nach ihrer Heimat und habe andererseits Angst, dass sie oder ihr Ehemann dort inhaftiert werden würden.

 

Weiters wurden Internetberichte über eine Gewaltwelle in Inguschetien sowie ein Zeitungsausschnitt vorgelegt, auf dem eine Suchanzeige mit Foto des Ehemannes der Beschwerdeführerin abgebildet ist.

 

Einem Fristsetzungsantrag vom 11.01.2010 wurde mit Beschluss des Präsidenten des Asylgerichtshofes vom 10.02.2010, Zl. D14 403.999-1/2009/7Z Folge gegeben und dem zuständigen Senat bis 30.06.2011 eine Entscheidungsfrist gesetzt.

 

I.4. Am 15.06.2010 fand vor dem Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei der die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann ergänzend einvernommen und im Rahmen dieser Verhandlung zur Aktualität ihrer Fluchtgründe befragt wurden.

 

Vor dem Asylgerichtshof schilderten die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann unter anderem, dass die Probleme im Herkunftsstaat im Zusammenhang mit der nichtmilitärischen Unterstützungstätigkeit der Widerstandsbewegung durch den Ehemann der Beschwerdeführerin gestanden seien. Der Ehemann behauptete nunmehr, dass seine letzte Festnahme vor seiner Ausreise aus diesem Grund erfolgt sei. Zum Beweis für dieses Vorbringen verwies ihr Ehemann auf den bereits mit Faxeingabe vom 07.10.2009 übermittelten Zeitungsbericht, wonach nach dem Ehemann der Beschwerdeführerin gefahndet werde. Dieser Zeitungsbericht wurde im Rahmen der Beschwerdeverhandlung durch den anwesenden Dolmetscher übersetzt und dem Ehemann der Beschwerdeführerin aufgetragen, diesen im Original vorzulegen.

 

Mit E-Mail vom 18.06.2010 wurde von der Caritas die E-Mail übermittelt, in der die Familie des Ehemannes der Beschwerdeführerin eine Ladung und den Zeitungsausschnitt samt Suchmeldung übermittelt hat. Eine Ladung befinde sich noch im Original in Inguschetien und wurde die Übermittlung per Post nach Österreich in Aussicht gestellt. Die Zeitung mit der Suchmeldung habe die Familie nicht mehr und könne diese deshalb nicht im Original übermittelt werden. Dahingehend wurde ersucht, über die österreichische Botschaft direkt mit der Zeitung in Kontakt zu treten.

 

Mit Eingabe vom 09.07.2010 wurde eine Ladung für den XXXX übermittelt.

 

Im Hinblick auf die vorgelegten Dokumente wurde durch den Asylgerichtshof am 13.01.2011 eine Anfrage an ACCORD gestellt, inwieweit die Echtheit der vorgelegten Suchanzeige einer inguschetischen Zeitung bestätigt werden könne.

 

Das Ergebnis der Recherche von ACCORD vom 20.01.2011 wurde der Beschwerdeführerin am 14.04.2011 zum Parteiengehör übermittelt. In der Recherche wurde von ACCORD unter Angabe der Quellen festgestellt, dass die Zeitung "XXXX" erst Anfang Juni 2008 wieder erschienen sei, dies nach 15 jähriger Pause, nämlich am XXXX.

 

In der von ihrem Ehemann vorgelegten Kopie der Ausgabe der genannten Zeitung vom 07.02.2008 befinde sich auf Seite drei ein Artikel mit dem Titel "Höhepunkt der beruflichen Meisterschaft", in dem über das zweite gesamtrussische Forum berichtet wird, welches jedoch erst am 17.11. bis 21.11.2008 stattgefunden habe.

 

Der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann wurden im Rahmen des Parteiengehörs mitgeteilt, dass der Asylgerichtshof vor diesem Hintergrund - vorbehaltlich einer Stellungnahme - davon ausgehe, dass die übermittelte Zeitungsausgabe vom 07.02.2008 offensichtlich nicht echt sei, und ein gefälschtes Beweismittel darstelle.

 

Der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann wurden zeitgleich allgemeine Länderberichte zur Russischen Föderation zur Stellungnahme übermittelt. Explizit wurde auf die Berichte betreffend Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen in der Russischen Föderation hingewiesen. Daraus ergibt sich eine grundsätzliche Behandelbarkeit psychischer Erkrankungen selbst im vor Jahren weitgehend zerstörten Tschetschenien. Dort gebe es wieder eine grundsätzlich funktionierende Gesundheitsversorgung, wie auch eine Versorgung mit Medikamenten.

 

In der mit Faxeingabe vom 02.05.2011 übermittelten Stellungnahme wurde mitgeteilt, dass die vom Ehemann übermittelte Kopie der Ausgabe der Zeitung nicht vom 07.02.2008 sondern vom 07.02.2009 datiere.

 

I.5. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesasylamtes, Zl. 08 00.500-BAE, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde, die Beschwerde, die vorgelegten Unterlagen und das eingeholte Gutachten, die Einvernahmen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof samt den vorgelegten Unterlagen (OZ 10Z), Einsicht in die vorgelegten Eingaben sowie die eingeholten Recherchen, Einsicht in die Verwaltungsakten des Ehemannes und des minderjährigen Sohnes der Beschwerdeführerin, Zlen. 08 00.499-BAE und 08 05.741-BAE sowie durch Einsichtnahme in die Länderfeststellungen bestehend aus folgenden Quellen:

 

Allgemeine Länderfeststellungen des Asylgerichtshofs, Stand September 2010;

 

Auswärtiges Amt Berlin vom 07.03.2011, Bericht über die Asyl- und Abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation;

 

Verbindungsbeamter der Österreichischen Botschaft in Moskau vom 08.04.2011, Psychische Erkrankungen - Behandlungsmöglichkeiten in Inguschetien und Dagestan;

 

Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 10.08.2010 zur medizinischen Versorgung in der Russischen Föderation sowie

 

Vesta vom 08.08.2008 über die Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen - auch von PTBS.

 

I.6. Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin wurde Folgendes festgestellt:

 

I.6.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, aus Inguschetien, der inguschetischen Volksgruppe zugehörig und führt den im Spruch angeführten Namen.

 

Die Beschwerdeführerin war in ihrem Herkunftsstaat in der Vergangenheit keiner Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten ausgesetzt und drohen ihr solche auch in Zukunft nicht. Die von ihr vorgebrachten Gründe für die Ausreise aus Inguschetien bzw. der Russischen Föderation - ebenso wie jene ihres Ehemannes - werden mangels Glaubwürdigkeit des Vorbringens nicht festgestellt.

 

Der Beschwerdeführerin droht zum Entscheidungszeitpunkt in der Russischen Föderation bzw. in Inguschetien weder eine unmenschliche Behandlung, Todesstrafe oder unverhältnismäßige Strafe bzw. eine sonstige individuelle Gefahr.

 

Der gesundheitliche Zustand der Beschwerdeführerin steht einer Rückführung in den Herkunftsstaat nicht entgegen. Eine anderweitige Gefährdung der Beschwerdeführerin im Gefolge der Rückkehr, die einer Verletzung der durch die EMRK geschützten Rechte gleichkäme, war ebenso nicht feststellbar.

 

Die Beschwerdeführerin verfügt in Österreich über kein schützenswertes Privat- oder Familienleben. Ihr Ehemann und ihr minderjähriger Sohn (D14 403998-1/2009, und D14 404000-1/2009) halten sich mit dieser gemeinsam in Österreich auf, diese sind jedoch wie die Beschwerdeführerin selbst von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen.

 

Zu den in Österreich aufhältigen Verwandten ihres Ehemannes - XXXX und XXXX (EDV-Zlen. 02 32.982 und 07 09.361) sowie XXXX (EDV-Zl. 07 08.409) - mangelt es an einer hinrechend ausgeprägten Nahebeziehung, um einer Ausweisung der Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet entgegen zu stehen. Die Beschwerdeführerin hält sich nach illegaler Einreise ins Bundesgebiet seit Jänner 2008 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem am XXXX in Österreich nachgeborenen Sohn durchgehend in Österreich auf. Die Beschwerdeführerin geht keiner Beschäftigung nach und lebt nach wie vor von der Grundversorgung. Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann haben durch gefälschte Beweismittel versucht, eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat zu konstruieren.

 

I.6.2. Zum Herkunftsland der Beschwerdeführerin wird Folgendes festgestellt:

 

Hinsichtlich der aktuellen Situation in der Russischen Föderation wird auf die im Akt einliegenden der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs zur Stellungnahme übermittelten Länderfeststellungen verwiesen.

 

Russische Föderation

 

Die Russische Föderation (Russland, russisch: Rossiiskaja Federazija, Rossija) erstreckt sich über eine Fläche von über 17 Millionen km² und hat fast 142 Millionen Einwohner. In der Hauptstadt Moskau leben etwa 10,5 Millionen Menschen.

 

Russlands Bevölkerung setzt sich aus 160 ethnischen Gruppen zusammen (Stand 2003): 79,8% Russen, 3,8% Tataren, 2,0% Ukrainer, 1,1% Tschuwaschen, 1,1% Baschkiren, 0,8% Armenier, 0,4% Russlanddeutsche.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen und Sicherheit - Russische Föderation, Stand März 2010,

http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/01-Laender/RussischeFoederation.html, Zugriff 09.08.2010)

 

Administrativ ist die Russische Föderation in 46 Gebiete (oblastey), 21 Republiken (respublik), 4 autonome Kreise (avtonomnykh okrugov), 9 Regionen (krayev), 2 Städte föderalen Ranges (Moskau und St. Petersburg, goroda) und ein autonomes Gebiet (avtonomnaya oblast) geteilt.

 

CIA World Factbook: Russia, Stand 27.07.2010, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html

 

Im Jänner 2010 wurde von Präsident Medwedew ein achter Föderationskreis, der Nordkaukasische Föderationskreis bestehend aus den zuvor dem Südlichen Föderationskreis zugehörigen Republiken Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien, Nordossetien Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien und der Region Stawropol, eingerichtet. Zum Bevollmächtigten des Präsidenten dort wurde Alexander Chloponin ernannt.

 

Ria Novosti: Medwedew und Putin wollen mit Statthalter Blutvergießen im Nordkaukasus beenden - Russlands Presse, 20.01.2010, http://de.rian.ru/russia/20100120/124764386.html / Reliefweb:

Kremlin Picks Outsider As New Caucasus Overlord, 19.01.2010, http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/ADGO-7ZUSG3?OpenDocument&rc=4&emid=ACOS-635PN7

 

Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik.

 

Am 7. Mai 2008 übernahm Dmitri Anatoljewitsch Medwedew das Amt des Präsidenten von seinem Vorgänger Wladimir Putin, nachdem er aus den Wahlen am 2. März 2008 mit über 70 Prozent der Stimmen als deutlicher Sieger hervorgegangen war. Medwedew schlug am Tag seines Amtsantritts seinen Vorgänger Putin als Ministerpräsidenten vor, das Parlament bestätigte diesen am 8. Mai 2008 mit großer Mehrheit. Präsident Medwedew stellt seine Präsidentschaft unter das Ziel einer umfassenden Modernisierung des Landes. Wichtigste Elemente sind dabei die Bekämpfung der Korruption, die Förderung des Rechtsstaates, die Stärkung der Mittelklasse und die Verbesserung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit Russlands jenseits des Rohstoffsektors.

 

Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad und Bezeichnungen (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte) besteht. Die Föderationssubjekte verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive. Die Gouverneure (bzw. in einigen Föderationssubjekten Präsidenten) der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staats-Präsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus.

 

Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 166 Mitgliedern. Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat.

 

Durch Präsidialdekret (Juli 2000) - und damit nicht im Verfassungsrang - wurden die zunächst sieben, seit Februar 2010 acht Föderalbezirke geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der ebenfalls durch Präsidialdekret (September 2000) geschaffene Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen und Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand März 2010, http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/ RussischeFoederation/Innenpolitik.html, Zugriff 09.08.2010)

 

Russland ist keine Wahldemokratie. Die Parlamentswahlen im Dezember 2007 wurden von der Verwaltung dirigiert, was den pro-Kremlin Parteien eine große Mehrheit im Unterhaus, das in der Praxis aber machtlos ist, brachte. Die Präsidentschaftswahlen 2008 zeigten die staatliche Dominanz über die Medien, es gab keine Diskussionen, dem Amtsinhaber Putin gelang es, das Amt an seinen von ihm gewählten Nachfolger, Dmitri Medwedew, weiterzureichen.

 

Gemäß der Verfassung von 1993 ist das Amt des Präsidenten sehr stark, dieser entlässt und ernennt, vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments, den Premierminister. Im derzeitigen politischen System ist Premierminister Putin durch seine persönliche Macht und die Machtbasis in den Sicherheitskräften die dominante Figur in der Exekutive.

 

Die Föderalversammlung besteht aus der Staatsduma (450 Sitze) und dem Oberhaus, dem Föderationsrat (166 Sitze). Seit 2007 werden die Sitze in der Duma durch Parteilisten gewählt. Parteien müssen mindestens 7% der Wählerstimmen gewinnen, um in der Duma vertreten zu sein. Wahlbündnisse können nicht geschlossen werden. Um als Partei registriert zu werden, muss eine Partei mindestens 50.000 Mitglieder haben und in der Hälfte der 83 Föderationssubjekte vertreten sein. Diese neuen Bestimmungen machen es - zusammen mit den streng kontrollierten Medien, dem Missbrauch administrativer Ressourcen, darunter auch der Gerichte - für Oppositionsparteien schwer, eine Vertretung zu gewinnen. Die Hälfte der Mitglieder des Oberhauses wird von den Gouverneuren ernannt, die andere Hälfte durch die Regionalparlamente, üblicherweise ist der föderale Einfluss groß. Nachdem die Gouverneure früher gewählt wurden, werden sie seit 2004 vom Präsidenten ernannt.

 

Nach Verfassungsänderungen 2008 beträgt die Amtszeit des Präsidenten ab nun sechs Jahre (vormals vier), die Einschränkung von maximal zwei Amtsperioden in Folge bleibt bestehen. Die Amtszeit der Duma wurde von vier auf fünf Jahre verlängert.

 

(Freedom House: Freedom in the World 2010 - Russia, Mai 2010)

 

Mit 315 von 450 Sitzen verfügt die rechtszentristische, präsidentennahe Fraktion "Einiges Russland" über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Bei der Wahl am 2. Dezember 2007 wurde erstmals das in den letzten Jahren veränderte Wahlrecht angewandt. Danach werden alle Abgeordneten ausnahmslos über Parteilisten nach Verhältniswahlrecht gewählt. Darüber hinaus wurde die Sperrklausel von fünf auf sieben Prozent angehoben. Neben "Einiges Russland" haben die Kommunisten mit 57 Sitzen und die "Liberaldemokraten" des Rechtspopulisten Schirinowski mit 40 Sitzen den erneuten Einzug in die Duma geschafft. Die linksorientierte pro-präsidentielle Partei "Gerechtes Russland" konnte 38 Mandate erringen.

 

(Auswärtiges Amt: Länder, Reisen und Sicherheit - Russische Föderation - Innenpolitik, Stand März 2010, http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/ RussischeFoederation/Innenpolitik.html, Zugriff 09.08.2010)

 

Allgemeine Sicherheitslage

 

Am 26.11.2009 entgleisten nach einem Bombenanschlag auf der Strecke von St. Petersburg nach Moskau mehrere Waggons des Zuges "Newski-Ekspress". Mindestens 26 Menschen sterben, darunter mehrere hochgestellte russische Beamte. Über hundert Passagiere werden zum Teil schwer verletzt. Wer hierfür verantwortlich ist, ist noch nicht geklärt. Das wenige Stunden später erfolge Bekennerschreiben der rechtsextremen Gruppe Combat 18 (Ingermanlandija) wurde von den Behörden als nicht glaubwürdig eingestuft. Wenige Tage später wurde ein Bekennerschreiben auf Kavkaz.com veröffentlicht, demzufolge der tschetschenische Rebellenführer Doku Umarow den Befehl für den Anschlag gegeben haben soll. Solche Sabotageakte würden fortgesetzt, solange das Töten muslimischer Zivilisten im Kaukasus nicht aufhöre.

 

DerSpiegel.de: Russland fürchtet Rückkehr des Terrors, 28.11.2010, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,664066,00.html, /

DiePresse.at: Zugunglück in Russland: Der Terror kehrt zurück, 29.11.2009,

http://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/524932/index.do?direct=525072&_vl_backlink=/home/politik/aussenpolitik/525072/index.do&selChannel=, / KavkazCenter.com: Caucasian Mujahideen reported successful sabotage operation against the 'Nevsky Express, 02.12.2009, http://www.kavkazcenter.com/eng/content/2009/12/02/11221.shtml

 

Am 29. März 2010 sprengten sich in der Moskauer U-Bahn zwei vermutlich aus Dagestan stammende Selbstmordattentäterinnen in die Luft. Die Anschläge kosteten letztlich 40 Menschen das Leben, mehr als 100 wurden verletzt. Der selbsternannte Emir des Kaukasischen Emirats, Dokku Umarow, bekannte sich zu den Anschlägen.

 

BBC News: Moscow Metro hit by deadly suicide bombings, 29.03.2010, http://news.bbc.co.uk/2/hi/europe/8592190.stm, / The Moscow Times: 2 Bombs Explode in Moscow Metro, 29.03.2010, http://www.themoscowtimes.com/news/article/2-bombs-explode-in-moscow-metro/402714.html

 

Am 31. März 2010 kam es in Kizlyar/Republik Dagestan ebenfalls zu einem Selbstmordanschlag. Die beiden Explosionen erfolgten im Abstand von 20 Minuten. Eine Autobombe wurde zunächst gezündet, als ein Polizeiwagen vorbeifuhr. Als dann die Ermittler vor Ort eintrafen, sprengte sich ein zweiter Selbstmordattentäter in die Luft. Der als Stadtbewohner identifizierte zweite Attentäter trug Polizeiuniform. Nach Angaben gab es insgesamt zwölf Todesopfer, 29 Menschen wurden verletzt.

 

Ria Novosti: Terrorattacke in Dagestan: "Wie bei Atomexplosion", 31.03.2010, http://de.rian.ru/safety/20100331/125705598.html

 

Am 21. Juli 2010 kamen bei einem Anschlag auf ein Wasserkraftwerk in Baksansk/Republik Kabardino-Balkarien 2 Sicherheitswachen ums Leben. Rebellen, vermeintlich unter der Leitung des Emirs des Jarmuk-Dschamaats Wagabow, griffen zunächst eine Polizeiwache an. Nachdem die Polizei dadurch abgelenkt war, stürmten rund sechs Rebellen das Wasserkraftwerk und zündeten fünf Bomben. Das Werk geriet in Brand und musste zum Teil vom Netz genommen werden. Der Betreiber RusHydro teilte am Donnerstag mit, der Wiederaufbau werde zwei bis zweieinhalb Jahre in Anspruch nehmen.

 

Ria Novosti: Nach Anschlag auf Kraftwerk: Medwedew setzt Silowiki Daumenschrauben an, 22.07.2010, http://de.rian.ru/russia/20100722/127214739.html, / Stratfor:

Russia: Coordinated Attacks in the Caucasus, 21.07.2010

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind zuständig für den Gesetzesvollzug. Der Sicherheitsdienst ist mit Fragen der Sicherheit, Spionage und des Antiterrorismus betraut, hat aber auch weitere Funktionen wie Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Der Sicherheitsdienst arbeitete unter nur eingeschränkter Aufsicht der Generalstaatsanwaltschaft und der Gerichte.

 

Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Korruption ist trotz diesbezüglicher Verbotsgesetze weit verbreitet, es kam zu wenigen Vorgehen gegen illegale Polizeiaktivitäten.

 

Laut der Untersuchungsabteilung der Generalstaatsanwaltschaft war die Anzahl an Fällen, die gegen Exekutivbeamte wegen Machtmissbrauchs eröffnet wurden, in den ersten neun Monaten 2009 höher als im Vergleichszeitraum 2008.

 

(U.S. Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2009 - Russia, 11.03.2010)

 

Die von den russischen Medien bereits als "radikalste Umstellungen der letzten Jahre" getauften Reformen in den russischen Innenbehörden kosten u. a. die stellvertretenden Innenminister Nikolai Owtschinnikow und Arkadi Jedelew den Posten. Letztgenannter war verantwortlich für die schwierige Kaukasus-Region. Seine Bemühungen zur Verbesserung der Lage dort waren wenig erfolgreich, weshalb seine Entlassung seit Längerem erwartet wurde. Insgesamt wurden 16 regionale Leiter der Innenbehörden gefeuert, außer einem sind sie allesamt Generäle der Miliz. Unter ihnen sind die Innenminister der Teilrepubliken Tywa, Karatschajewo-Tscherkessien und Burjatien.

 

Russland-News: Reform im Innenministerium: Medwedew lässt Köpfe rollen, 18.02.2010,

http://www.russland-news.de/reform_im_innenministerium_medwedew_laesst_koepfe _rollen_26345.html

 

Präsident Medwedew will das Personal im Innenministerium von aktuell

19.900 Mitarbeitern auf etwa 10.000 halbieren. In der obersten Führungsriege der Miliz soll es zu personellen Veränderungen kommen. Milizgeneräle sollen künftig aus einer Liste rekrutiert werden, die als "Präsidententausend" bezeichnet wird. Innenminister Raschid Nurgalijew soll innerhalb eines Monats einen Plan zur Bekämpfung der Korruption in seinem Ministerium vorlegen. Medwedew will ein Gesetz auf den Weg bringen, das Rechtsverletzungen von Milizangehörigen als kriminelle Straftaten behandelt. Es soll künftig auch leichter werden, einen Milizionär aus dem Dienst zu entlassen. Teil der Reform ist weiterhin eine engere Spezialisierung der Polizei. Medwedew hat eine Weisung unterschrieben, mit der die Miliz von einigen Aufgaben befreit wird.

 

Russland-Aktuell: Medwedew bringt umfangreiche Milizreform auf den Weg, 18.02.2010,

http://www.aktuell.ru/russland/politik/medwedew_bringt_umfangreiche_milizreform_auf_den_weg_3912.html

 

In einem Interview im Juni 2010 sagte Innenminister Nurgalijew, dass in den letzten beiden Monaten die Struktur und Mitarbeiterzahl des Zentralen Verwaltungsrates des Innenministeriums im Föderationskreis Nordkaukasus festgelegt worden war sowie eine Optimierung des Zentralen Verwaltungsrates im Föderationskreis Süd einem Ende nahe ist. Zudem seien Interregionale Zentren und Operative Büros des Innenministeriums eingerichtet worden. In Zukunft müssen - um der Korruption vorzubeugen - Angestellte in Führungspositionen und später auch alle Bediensteten der Miliz Einkommensteuererklärungen abgeben.

 

MOI Russia: Topic "Thread of reform of the Ministry of Interior" discussed during radio broadcast "Conversation with the Minister" at radio station "Militia wave", 02.06.2010, http://eng.mvdrf.ru/news/16338/

 

Einem im Juli verabschiedeten Gesetz zufolge werden die Befugnisse des Sicherheitsdienstes FSB ausgeweitet: Der FSB bekommt das Recht, einen Bürger zu verwarnen, dessen Handlungen eine Straftat nach sich ziehen könnten. Zudem kann der FSB Vorbeugungsmaßnahmen gegenüber natürlichen und juristischen Personen treffen. FSB-Mitarbeiter können von den Bürgern und juristischen Personen fordern, ihre Tätigkeit einzustellen, weil sie Rechtsverstöße verursachen könnte. Dabei handelt es sich um verbindliche Forderungen. Im Fall einer Nichteinhaltung der Vorschriften werden die Bürger eine Strafe in Höhe von 500 bis 1000 Rubel (1 Euro = ca. 39 Rubel) zahlen oder für bis zu 15 Tagen festgenommen werden. Für Amtspersonen ist eine Strafe von 1000 bis 3000 Rubel vorgesehen, für juristische Personen von 10.000 bis 50.000 Rubel.

 

Ria Novosti: Umstritten: Medwedew gibt FSB mehr Macht, 02.08.2010, http://de.rian.ru/analysis/20100802/127343814.html

 

Rückkehrfragen

 

Grundversorgung

 

Seit dem Jahr 2000 haben sich die Realeinkünfte der Bevölkerung mehr als verdoppelt, ebenso stark ging die Armut zurück. Während im Jahr 2000 in Russland über 30 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben mussten, beläuft sich diese Kennziffer heute auf etwa 14 Prozent. Es gibt staatliche Unterstützung (z.B. Sozialhilfe für bedürftige Personen), die jedoch nicht zur Deckung des Grundbedarfs ausreicht. Im Mai 2008 hat das Wirtschaftsministerium eine Entwicklungsprognose für die kommenden drei Jahre verkündet. Danach sollen die durchschnittlichen Löhne und Gehälter (derzeit bei monatlich 17.034 Rubel, ca. 400 Euro) in diesem Zeitraum um mindestens zehn Prozent jährlich steigen. Der Anteil der Bevölkerung mit einem unter dem Existenzminimum liegenden Einkommen soll bis zum Jahr 2011 auf zehn Prozent verringert werden. Es ist zweifelhaft, dass diese optimistischen Ziele angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise, die Russland besonders schwer getroffen hat, noch realistisch sind. Im Jahr 2008 gab es eine deutliche Erhöhung der Arbeitslosenzahlen. Laut offizieller Statistik des Arbeitsministeriums waren Ende 2008 1.332.000 Arbeitslose bei den Arbeitsämtern registriert, Ende Juni 2009 waren es bereits 2.142.000 Arbeitslose. Im Jahreshaushalt 2009 ging man von 1,6 Millionen Arbeitslosen aus. Da sich jedoch nur ein Teil der Arbeitslosen bei den Arbeitsämtern registrieren lassen, liegt nach glaubhaften Schätzungen verschiedener Organisationen die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen bei etwa acht Millionen.

 

Im Jahresbericht des Menschenrechtsbeauftragten Lukin wird auf die "beängstigende" Situation der Rentner hingewiesen. Danach lebt die überwiegende Mehrheit der 38 Millionen Rentner Russlands in sehr armen Verhältnissen. Die im Jahr 2007 erfolgte Erhöhung der Mindestrenten ist inzwischen durch die Preisinflation bei den Lebensmitteln wieder ausgeglichen. Zwar sind die Renten heute real 1,7 Mal so hoch wie vor acht Jahren, doch in absoluten Zahlen immer noch sehr niedrig: Die Arbeitsrente beträgt ca. 4200 Rubel (rund 100 Euro), die Sozialrente 2700 Rubel (rund 60 Euro).

 

(Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, 04.04.2010)

 

Die Zahl der sozial schwachen Einwohner Russlands, deren Einkommen unter dem Existenzminimum liegen, ist im ersten Quartal 2010 auf 20,6 Millionen gestiegen, das sind 14,7 Prozent von der gesamten russischen Bevölkerung, teilt die russische Statistikbehörde am Freitag mit. Die Bevölkerung Russlands macht nach Angaben per 1. Mai insgesamt 141,9 Millionen aus.

 

Die von der russischen Regierung festgelegten durchschnittlichen Lebenshaltungskosten pro Kopf der Bevölkerung haben von Januar bis März 5.518 Rubel (umgerechnet 141,5 Euro) pro Monat betragen. Für die erwerbsfähigen Bürger lagen die Lebenshaltungskosten etwas höher, bei umgerechnet 152,7 Euro, für die Rentner bei 112,7 Euro, für die Kinder bei 136,2 Euro. Im vierten Quartal 2009 betrug die Zahl der sozial Schwachen in Russland 13,1 Prozent der Gesamtbevölkerung oder 18,5 Millionen Einwohner. Ihre Lebenshaltungskosten waren damals um 7,3 Prozent geringer.

 

Ria Novosti: Immer mehr Russen leben unter der Armutsgrenze, 23.07.2010, http://de.rian.ru/society/20100723/127230379.html

 

Gesundheitswesen

 

Die medizinische Versorgung in Russland ist auf einfachem Niveau, aber grundsätzlich ausreichend. Zumindest in den Großstädten wie Moskau und St. Petersburg sind auch das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen vorhanden. Nach Einschätzung westlicher Nichtregierungsorganisationen ist das Hauptproblem weniger die fehlende technische oder finanzielle Ausstattung, sondern ein gravierender Ärztemangel.

 

Russische Bürger haben ein Recht auf eine kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis erfolgen zumindest aufwändigere Behandlungen erst nach privater Bezahlung. Dabei zeigt sich im Alltag häufig, dass von mittellosen und wenig verdienenden Personen nichts bzw. wenig an Zusatzzahlungen verlangt wird, bei normal bis gut verdienenden Personen hingegen mehr. Private Praxen nehmen in den Mittel- und Großstädten deutlich zu. Nach Angaben des Zentrums für soziale Politik der Russischen Wissenschaftsakademie bekommt rund die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung keine medizinische Versorgung, da diese Menschen keine Zeit für Warteschlangen in den formell kostenlosen medizinischen Einrichtungen haben. Nur sieben bis acht Prozent sind durch ihre Arbeitgeber krankenversichert.

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gut, aber nicht kostenfrei. Neben russischen Produkten sind gegen entsprechende Bezahlung auch viele importierte Medikamente erhältlich. Allerdings sind Medikamentenfälschungen relativ häufig. Die Finanzierung teurer Medikamente ist für Teile der Bevölkerung oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden.

 

Die Zahl der AIDS-Kranken in Russland ist in den letzten Jahren weiter gestiegen, wenngleich weniger stark als noch Anfang des Jahrtausends. Von den Neuinfektionen sind vor allem Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren betroffen. Im Jahr 2007 sind 22,5 Millionen und 2006 knapp 20 Millionen Einwohner auf HIV untersucht worden. Jährlich stellt der Staat bis zu zehn Milliarden Rubel (232 Millionen Euro) für die Behandlung von HIV-Infizierten und AIDS-Kranken zur Verfügung. Es gibt etwa 15 zugelassene AIDS-Präparate (weltweit sind ca. 30 Präparate gebräuchlich). Die Behandlungskosten belaufen sich für eine Person auf durchschnittlich ca. 3.000 Euro pro Jahr. Mehrere Studien von UN-AIDS und russischen Behörden im Laufe des Jahres 2008 ergaben, dass die Vorbehalte der Bevölkerung gegen HIV Positive oder AIDS-Kranken immer noch sehr groß sind. Das Bewusstsein für HIV/AIDS nimmt jedoch erheblich zu, insbesondere dank Aufklärungskampagnen mit russischen Prominenten.

 

Die Anzahl der Tuberkulose-Kranken betrug nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Jahr 2007 118.367 (83,2 je 100.

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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