TE Vwgh Erkenntnis 2011/4/12 2009/18/0384

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Veröffentlicht am 12.04.2011
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs6;
FrPolG 2005 §61;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §62;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des RK alias OA, vertreten durch Mag. Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Juli 2009, Zl. E1/451.430/2008, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines algerischen Staatsangehörigen, auf Aufhebung des gegen ihn bestehenden unbefristeten Aufenthaltsverbotes gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, das hier gegenständliche Aufenthaltsverbot sei mit Bescheid vom 25. November 1999 erlassen worden. Dafür maßgeblich sei gewesen, dass der Beschwerdeführer viermal rechtskräftig verurteilt worden sei. Im Weiteren stellte die belangte Behörde die Verurteilungen sowie die den Verurteilungen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen dar.

Den Aufhebungsantrag habe der Beschwerdeführer damit begründet, dass er mittlerweile mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und in keiner Weise mehr straffällig geworden sei. Die damaligen strafbaren Handlungen habe er nur aus Not begangen, nunmehr sei er allerdings in der Familie seiner Frau und in seinem Freundeskreis bestens integriert. Darüber hinaus spreche er sehr gut Deutsch. Weiters seien ihm Aufenthaltstitel erteilt worden.

Es sei jedoch - so die belangte Behörde in ihrer Begründung weiter - aktenkundig, dass das früher gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot unter einem anderen Namen ergangen sei. Seine österreichische Ehefrau habe er allerdings unter seiner nunmehrigen Identität geheiratet, worauf ihm "jeweils zwei Aufenthaltstitel durch die BPD Schwechat" in Unkenntnis seiner wahren Identität erteilt worden seien. Erst am 25. Jänner 2006 habe der Beschwerdeführer im Rahmen einer Vernehmung gegenüber der Bundespolizeidirektion Schwechat eingestanden, mit jener Person ident zu sein, gegen die zuvor unter anderem Namen ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Auch sei in weiterer Folge die "Personenidentität nachgewiesen" worden. Es sei zwar aktenkundig, dass dem Beschwerdeführer auch später von der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung zwei Aufenthaltstitel, zuletzt mit Gültigkeit bis 30. August 2008, erteilt worden seien, es sei jedoch aus den Verwaltungsakten nicht erkennbar, dass die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung "in Kenntnis über die festgestellte Personenidentität" gewesen sei. Am 28. Juni 2008 sei der Beschwerdeführer schließlich in sein Heimatland abgeschoben worden.

In ihren rechtlichen Ausführungen ging die belangte Behörde unter Bezugnahme auf § 65 Abs. 1 FPG davon aus, die Annahme, die in § 60 Abs. 1 FPG normierte Gefährdungsprognose sei als weggefallen zu betrachten, sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer in den Anträgen auf Erteilung von Aufenthaltstiteln bewusst seine früher geführte Identität verschwiegen und so die Behörde darüber getäuscht hätte, dass gegen ihn unter einem anderen Namen ein Aufenthaltsverbot bestehe. Erst dadurch sei es ihm möglich gewesen, einer Erwerbstätigkeit in Österreich nachzugehen. Durch das jahrelange Führen einer Aliasidentität sei unter Berücksichtigung der früher begangenen Straftaten die von ihm ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit als erheblich, gegenwärtig und tatsächlich anzusehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Sohin erweise sich die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes auch nach dem Maßstab des § 86 Abs. 1 FPG als gerechtfertigt. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seit der letzten Verurteilung nicht mehr straffällig geworden sei, sei sohin nicht ausreichend, um eine zu seinen Gunsten sprechende Verhaltensprognose zu begründen. Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erweise sich auch aus dem Blickwinkel des § 66 FPG als zulässig, weil der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Eheschließung um das gegen ihn bestehende Aufenthaltsverbot gewusst habe und sohin nicht mit einem dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet habe rechnen können.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot (oder ein Rückkehrverbot) auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes (oder eines Rückkehrverbotes) nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes (oder des Rückkehrverbotes) eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Weiters kann bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes (oder eines Rückkehrverbotes) die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot (oder das Rückkehrverbot) erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 2010, Zl. 2007/18/0611, mwN).

Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG kommt es im Übrigen darauf an, ob eine Gefährlichkeitsprognose auf Grund des - wegen der Heirat des Fremden mit einer österreichischen Staatsbürgerin maßgeblichen - § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes (oder des Rückkehrverbotes) erforderlich ist, weil auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss nach § 86 Abs. 1 FPG eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Ferner ist für die Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG maßgeblich, ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes (oder des Rückkehrverbotes) im Grunde des § 66 FPG und des § 61 leg. cit. zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde bei der Entscheidung über einen Aufhebungsantrag das ihr eingeräumte Ermessen zu üben (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 17. Dezember 2010).

Die belangte Behörde geht in ihren Überlegungen entscheidungswesentlich davon aus, dass zwar das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei nach seiner letzten Verurteilung nicht mehr straffällig geworden, er sei mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und es seien ihm seit dem Jahr 2005 Aufenthaltstitel erteilt worden, zutrifft. Jedoch sei im Hinblick darauf, dass es den Behörden nicht bekannt gewesen sei, dass gegen ihn unter einem anderen Namen ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, immer noch von einer maßgeblichen Gefährdung auszugehen. Die diesbezügliche sachverhaltsbezogene Grundlage begründet die belangte Behörde damit, dass es der Aktenlage zufolge keinen Hinweis dafür gegeben habe, dass der den Aufenthaltstitel erteilenden Behörde der Umstand des aufrechten Aufenthaltsverbotes bekannt gewesen sei.

Dieser Ansicht, gegen die sich die Beschwerde wendet, kann nicht beigepflichtet werden. In den vorgelegten Verwaltungsakten findet sich ein Schreiben der Bundespolizeidirektion Schwechat vom 1. Februar 2006, mit dem dem "Amt der Niederösterreichischen Landesregierung" mitgeteilt wurde, ein Datenabgleich der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers habe ergeben, dass es sich bei ihm um jene Person handle, gegen die unter einem anderen Namen ein Aufenthaltsverbot erlassen worden sei. Weiters wurde darin auf das diesbezügliche Eingeständnis des Beschwerdeführers hingewiesen. Dem Inhalt dieses Schreiben zufolge wurde aber auch wegen "geänderter Rechtslage" (gemeint: das am 1. Jänner 2006 erfolgte In-Kraft-Treten des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, nach dem seit dieser Zeit eine Zuständigkeit der Bundespolizeidirektionen zur Entscheidung in Angelegenheiten der Niederlassung nicht mehr besteht) "der Antrag zuständigkeitshalber übermittelt" (um welchen Antrag es sich dabei konkret gehandelt hat, kann dem Schreiben der Bundespolizeidirektion Schwechat nicht entnommen werden). Dabei ist es im Blick auf die Verordnung des Landeshauptmannes über die Vollziehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, LGBl. 4020/1-0, mit der die Bezirksverwaltungsbehörden (von wenigen, offenkundig hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen) ermächtigt wurden, Entscheidungen im Namen des Landeshauptmannes im Zusammenhang - insbesondere - mit Aufenthaltstiteln zu treffen, naheliegend, dass von der Weiterleitung des Antrages an die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde auszugehen war.

Sohin kann - anders als die belangte Behörde in ihrem Bescheid ausführt - nicht davon ausgegangen werden, es gebe keinen Hinweis dafür, dass der Niederlassungsbehörde das Bestehen des Aufenthaltsverbotes nicht bekannt gewesen wäre, wurde doch diesem Schreiben vom 1. Februar 2006 zufolge im Zuge einer Antragsabtretung ausdrücklich darauf hingewiesen. Sollte aber die Niederlassungsbehörde in Kenntnis der hier relevanten Umstände einen Aufenthaltstitel erteilt haben, kann nicht davon ausgegangen werden, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr könnte damit begründet werden, dass ihm die Aufenthaltstitel in Unkenntnis des Aufenthaltsverbotes erteilt worden wären. Die belangte Behörde hat sich darüber hinaus aber auch überhaupt nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass die Bundespolizeidirektion Schwechat, nachdem sie bereits Anfang 2006 nachweislich Kenntnis davon erlangt hatte, dass gegen den Beschwerdeführer unter einem anderen Namen früher ein Aufenthaltsverbot erlassen worden war, keinen Anlass gesehen hat, fremdenpolizeiliche Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer zu setzen, obgleich allein ihr dies als örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde oblegen wäre.

Vor dem Hintergrund, dass weder die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde Bedarf gesehen hat, den Aufenthalt des Beschwerdeführers einer Beendigung zuzuführen, noch die belangte Behörde in schlüssiger Weise darzulegen vermochte, bei der Erteilung sämtlicher Aufenthaltstitel hätten die Behörden keine Kenntnis vom Aufenthaltsverbot gehabt, erweist sich der gegenständliche Begründungsmangel auch für den Ausgang des Verfahrens von Relevanz, zumal dieser bei der fallbezogen vorzunehmenden Beurteilung - insbesondere betreffend die Frage der Gegenwärtigkeit einer (immer noch) vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr - eine zentrale Rolle einnimmt.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. April 2011

Schlagworte

Ermessen besondere RechtsgebieteBegründung BegründungsmangelErmessen VwRallg8Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2011:2009180384.X00

Im RIS seit

05.05.2011

Zuletzt aktualisiert am

23.08.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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