TE Vfgh Beschluss 2011/3/10 U203/11

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Veröffentlicht am 10.03.2011
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33, §35 Abs2, §82 Abs1
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit

Leitsatz

Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrags mangels Versäumung einerFrist; rechtzeitige Einbringung der richtigerweise an denVerfassungsgerichtshof adressierten Beschwerde; Tage des Postenlaufesdaher (trotz falscher Anschrift) in die Beschwerdefrist nichteinzurechnen; Abweisung des Verfahrenshilfeantrags als aussichtslos;Ablehnung der Beschwerdebehandlung

Spruch

I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

III. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144a B-VG ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144a Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.

Das Asylverfahren ist jedoch nicht von Art6 EMRK erfasst (vgl. VfSlg. 13.831/1994).

Der Verfassungsgerichtshof geht in Übereinstimmung mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte [s. etwa EGMR 7.7.1989, Fall Soering, EuGRZ 1989, 314 (319); 30.10.1991, Fall Vilvarajah ua., ÖJZ 1992, 309 (309); 6.3.2001, Fall Hilal, ÖJZ 2002, 436 (436 f.)] davon aus, dass die Entscheidung eines Vertragsstaates, einen Fremden auszuweisen - oder in welcher Form immer außer Landes zu schaffen -, unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK erheblich werden und demnach die Verantwortlichkeit des Staates nach der EMRK begründen kann, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden sind, dass der Fremde konkret Gefahr liefe, in dem Land, in das er ausgewiesen werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. VfSlg. 13.837/1994, 14.119/1995, 14.998/1997).

Der Asylgerichtshof hat weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch sind ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes darstellen (vgl. VfSlg. 13.897/1994, 15.026/1997, 15.372/1998, 16.384/2001, 17.586/2005; zu den krankheitsbedingten Gründen vgl. auch VfSlg. 18.407/2008 und VfGH 12.6.2010, U613/10). Ob ihm sonstige Fehler bei der Rechtsanwendung unterlaufen sind, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 17.340/2004 ausgeführt hat, darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Auszuweisenden verletzt würde. Bei der Beurteilung nach Art8 EMRK ist eine Interessenabwägung vorzunehmen (vgl. die in VfSlg. 18.223/2007 und 18.224/2007 wiedergegebene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte).

Der Asylgerichtshof hat sich mit der Frage der Gefährdung der beschwerdeführenden Partei in ihren Rechten auseinandergesetzt. Ihm kann aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht entgegengetreten werden, wenn er auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art8 EMRK überwiegt (vgl. VfGH 12.6.2010, U614/10).

Soweit die Beschwerde des Weiteren unter Bezugnahme auf Art5 EMRK verfassungsrechtlich relevante Fragen aufwirft, lässt auch dieses Vorbringen die behauptete Rechtsverletzung als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die im Übrigen gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

2. Da somit die von der beschwerdeführenden Partei beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof offenbar aussichtslos erscheint, musste ihr unter einem mit der Beschwerde gestellter - nicht auf das Vorliegen sämtlicher Formalerfordernisse hin geprüfter - Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO (einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren) abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).

Aus den oa. Gründen (Pkt. 1.) wird zugleich gemäß Art144a Abs2 B-VG von einer Behandlung der Beschwerde abgesehen.

3. Die Beschwerde wendet sich gegen eine Entscheidung des Asylgerichtshofes, die nach den Beschwerdeangaben am 17. Dezember 2010 durch Hinterlegung zugestellt wurde. Die sechswöchige Frist zur Erhebung einer Beschwerde ist demgemäß am 28. Jänner 2011 abgelaufen.

Die an den „Verfassungsgerichtshof“, Anschrift „Laxenburger Straße 36, 1100 Wien“, adressierte Beschwerde wurde am 27. Jänner 2011 zur Post gegeben und langte am 1. Februar 2011 beim Verfassungsgerichtshof ein. Aufgrund der falsch angegebenen Adresse stellte die beschwerdeführende Partei „aus prozessualer Sicherheit“ mit Schriftsatz vom 9. Februar 2011 einen näher begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Dem §35 Abs2 letzter Halbsatz VfGG zufolge werden die Tage des Postenlaufes in die Beschwerdefrist nicht eingerechnet. Dies gilt aber nur, wenn die Post richtig, das heißt an die zuständige Stelle, adressiert worden ist. Die Tage des Postenlaufes von der beschwerdeführenden Partei an eine unzuständige Stelle sind in die Beschwerdefrist hingegen einzurechnen (vgl. VfGH 15.12.2010, B1690/10; 28.01.2010, B1318/09; VfSlg. 10.782/1986 mwN). Im vorliegenden Fall hat der seitens der beschwerdeführenden Partei einschreitende Rechtsanwalt die Beschwerde jedoch nicht an eine unzuständige Stelle, sondern richtigerweise an den Verfassungsgerichtshof adressiert, lediglich dessen Anschrift wurde nicht korrekt bezeichnet. Daher sind die Tage des Postenlaufes auch in die Beschwerdefrist nicht einzurechnen. Da die Beschwerde sohin innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist rechtzeitig bei der Post aufgegeben wurde und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß '33 VfGG iVm §146 Abs1 ZPO nur im Falle der Versäumung einer Frist für die Vornahme einer Prozesshandlung möglich ist, war der entsprechende Antrag der beschwerdeführenden Partei als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfGH 03.09.2009, U610/08; VfSlg. 11.244/1987).

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG bzw. §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

5. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung, VfGH / Fristen, Beschwerdefrist, VfGH /Verfahrenshilfe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:U203.2011

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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