TE Vfgh Erkenntnis 2010/12/15 U769/10

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Veröffentlicht am 15.12.2010
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art83 Abs2
AsylG 2005 §66
AsylGHG §23
AVG §66
Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.05 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft Art15

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richterdurch die Zurückweisung eines Antrags auf Beigebung einesFlüchtlingsberaters; Verpflichtung des Asylgerichtshofs zurEntscheidung über den Antrag auf Rechtsbeistand durchverfahrensrechtlichen Bescheid in der Sache selbst; sofortigeBekämpfbarkeit dieses Bescheides im Rechtsschutzinteresse desAsylwerbers

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die bekämpfte Entscheidung des Asylgerichtshofes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger,

reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 14. September 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 21. Dezember 2009 gemäß §3 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 29/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) ab, erkannte dem Beschwerdeführer gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat nicht zu und wies ihn gemäß §10 Abs1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach China aus.

3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 18. Februar 2010 gemäß §§3, 8 und 10 AsylG 2005 abgewiesen. In der Begründung dieser Entscheidung führte der Asylgerichtshof unter anderem aus, dass der am 29. Dezember 2009 gestellte Antrag auf Beigabe eines Flüchtlingsberaters zurückzuweisen gewesen sei, weil in §66 AsylG 2005 keine Rechtsgrundlage hiefür erkannt werden könne.

4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung aller Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

5. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Betreffend den am 29. Dezember 2009 gestellten Antrag auf Beigabe eines Flüchtlingsberaters hielt der Asylgerichtshof nachstehende Ausführungen fest (unterstrichene Hervorhebungen durch den Verfassungsgerichtshof):

"II.5. Zur Zurückweisung des Antrags auf Beistellung eines Flüchtlingsberaters:

Der gegenständliche Antrag lautet auf Beigebung eines Flüchtlingsberaters und wird begründend insoweit präzisiert, als dass der Verfassungsgerichthof in seiner Entscheidung U561/09-10 vom 25.6.2009 festgehalten habe, dass Asylwerber Anspruch auf die Unterstützung durch Flüchtlingsberater haben, insbesondere auch für die Vertretung im Verfahren vor dem Asylgerichtshof. Deshalb werde für den Fall einer negativen Entscheidung beantragt, dass der Asylgerichthof einen Flüchtlingsberater beauftrage, der der beschwerdeführenden Partei bei der Erlangung einer Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Verfassungsgerichtshofsbeschwerde helfen solle. Es werde daher die Beigebung eines Flüchtlingsberaters im Asylgerichthofsverfahren beantragt. Wie wohl die Begründung in sich nicht konsistent ist - vorerst wird die Beigebung eines Flüchtlingsberaters für den Fall einer negativen Entscheidung beantragt, einen Absatz später für das Asylgerichtshofsverfahren - vertritt der Asylgerichtshof die Ansicht, dass der Antrag als Antrag auf Beigebung eines Flüchtlingsberaters für das Asylgerichtshofsverfahren zu werten ist, da dies der Intention der beschwerdeführenden Partei jedenfalls entspricht.

Die beschwerdeführende Partei will also offensichtlich die hoheitliche 'Beigebung' eines Flüchtlingsberaters durch den Asylgerichtshof für das gegenständliche Beschwerdeverfahren erreichen. Hoheitliches Handeln durch den Asylgerichtshof kommt aber nur bei Vorliegen einer Rechtsgrundlage in Betracht. Eine solche ist allerdings dem Gesetz nicht zu entnehmen, da §66 Abs2 AsylG ausdrücklich von einem Verlangen des jeweiligen Asylwerbers an den Flüchtlingsberater ausgeht, jedoch eine behördliche oder gerichtliche Bestellung jedenfalls nicht zu erkennen ist. Ebenso wenig ist dem Asylgerichthofgesetz eine solche Verpflichtung oder Berechtigung des Asylgerichtshofes zu gegenständlichem hoheitlichen Handeln zu entnehmen. Auch aus den einschlägigen Verfassungsnormen - insbesondere aus Art6 EMRK - ist eine solche Pflicht nicht ableitbar, da Asylverfahren nicht von Art6 EMRK erfasst sind (VfSlg 13831/1994). Nach Ansicht des Asylgerichthofes sind allerdings die Flüchtlingsberater im Hinblick auf die allenfalls auch in Betracht kommenden Verpflichtungen nach Art13 EMRK hinreichend, da sie den jeweiligen Asylwerber auf dessen Verlangen hin unterstützen müssen und nicht - wie etwa noch im Asylgesetz 1997 - unterstützen können. Diese Ansicht scheint auch der Verfassungsgerichtshof im vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten, oben zitierten Erkenntnis, zu teilen, wenn er davon spricht, dass es einem Asylwerber in Zusammenschau der Bestimmungen der §§64 ff AsylG möglich ist, seine Interessen im Verfahren vor dem Asylgerichtshof entsprechend geltend zu machen (a.A. etwa: Stern in FABL 3/2009, S. 61 ff); daher ist keine auf nationalen Recht fußende Rechtsgrundlage zur Beigebung eines Rechtsberaters durch den Asylgerichtshof ersichtlich.

Auch aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist Gegenteiliges nicht abzuleiten. Wie der Verfassungsgerichtshof im vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten, oben zitierten Erkenntnis, ausgeführt hat, besteht vor dem Asylgerichtshof kein Anwaltszwang, allerdings hätte es der Gesetzgeber durch das Institut des Flüchtlingsberaters und deren Aufgaben Asylwerbern ermöglicht, ihre Interessen und Rechte auch im Verfahren vor dem Asylgerichthof entsprechend geltend zu machen. Dem Erkenntnis ist allerdings nicht zu entnehmen, dass dem Asylgerichtshof die Zuständigkeit (oder die Pflicht) zur Beistellung eines Rechtsberaters zukommt. Auch dem Erkenntnis vom 3. September 2009 (U556/09-13) ist nicht zu entnehmen, dass es ein Recht auf Gewährung einer Flüchtlingsberatung gibt, sondern lediglich, dass über einen solchen Antrag begründet abzusprechen ist und der Verweis auf die fehlende Anwaltspflicht nicht hinreichend ist.

Allenfalls könnte eine mangelnde Umsetzung des Art15 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (in Folge: Verfahrensrichtlinie) in Betracht kommen, die vorsieht, dass die Mitgliedstaaten im Falle einer ablehnenden Entscheidung einer Asylbehörde sicher stellen, dass auf Antrag kostenlose Rechtsberatung und/oder -vertretung vorbehaltlich der Bestimmungen des Absatzes 3 gewährt wird. Unbeschadet der Frage, ob gegenständliche europarechtliche Norm hinreichend umgesetzt wurde (siehe hiezu etwa Stern oaO.), sind die Normen nicht hinreichend bestimmt, um diese allenfalls unmittelbar anzuwenden, weil etwa weder die Voraussetzungen für den Ausschluss noch die Frage der Modalitäten für die Stellung und Bearbeitung von Ersuchen auf Rechtsberatung und/oder -vertretung hinreichend geklärt sind. Auch ist die zuständige Behörde (bzw. das zuständige Gericht) nicht aus der Richtlinie abzuleiten. Daher ist unbeschadet der Frage der hinreichenden Umsetzung des Art15 Verfahrensrichtlinie nicht von einer unmittelbaren Anwendbarkeit der gegenständlichen Norm auszugehen. Da eine andere europarechtliche Rechtsgrundlage zur Beigebung eines Rechtsberaters durch den Asylgerichtshof auch nicht ersichtlich ist, ergibt sich auch hier keine Zuständigkeit des Asylgerichtshofes.

Allerdings ist aus den oben zitierten Normen auch nicht die Zuständigkeit eines anderen Gerichtes oder einer anderen Behörde - nach §66 AsylG trifft die Bundesministerin für Inneres nur die Verpflichtung zur Bestellung einer hinreichenden Anzahl von Flüchtlingsberatern - zu erkennen, sodass auch ein Vorgehen nach §6 AVG nicht in Betracht kam. Da weder eine Zuständigkeit des Asylgerichtshofes auf Beigebung eines Rechtsberaters ersichtlich ist noch - mangels Zuständigkeit einer anderen Behörde oder eines anderen Gerichts - ein Vorgehen nach §6 AVG in Betracht kam, war über den Antrag abzusprechen und dieser mangels Zuständigkeit zurückzuweisen."

Entgegen diesen Ausführungen fehlt im Spruch des Erkenntnisses jedoch eine Zurückweisung des Antrages auf Beigabe eines Flüchtlingsberaters, es wird lediglich inhaltlich negativ gemäß §§3, 8, 10 AsylG 2005 über den Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen.

2. Vom Vorliegen eines Bescheides muss nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes dann ausgegangen werden, wenn die Erledigung von einer Verwaltungsbehörde gegenüber individuell bestimmten Personen erlassen wird und eine konkrete Verwaltungsangelegenheit in einer der Rechtskraft fähigen Weise normativ regelt, wenn sie also für den Einzelfall bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Inhalt hat, unabhängig davon, ob sie nun unter Einhaltung der von den Verwaltungsvorschriften für die Bescheiderlassung aufgestellten Voraussetzungen erlassen worden ist oder nicht (zB VfSlg. 1524/1946, 1528/1946, 4986/1965, 6187/1970, 8744/1980, 9244/1981, 9444/1982, 11.077/1984, 11.415/1987, 12.321/1990, 12.753/1991, 14.152/1995; VfGH 1.3.2010, B570/09 ua.; allgemein zum verfassungsrechtlichen Bescheidbegriff VfSlg. 11.590/1987). Aus der Erledigung muss deutlich der objektiv erkennbare Wille einer Verwaltungsbehörde hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (zB VfSlg. 10.119/1984, 18.218/2007). Auch wenn eine Erledigung keine Gliederung in Spruch und Begründung aufweist, jedoch als "Bescheid" bezeichnet ist, von einem zur Besorgung öffentlicher Aufgaben fähigen Verwaltungsorgan erlassen wurde und verbindlich über einen Antrag in expliziter Weise negativ abspricht, ist von einem Bescheid im Sinne des Art144 Abs1 B-VG auszugehen (VfSlg. 12.476/1990 mit weiteren Nennungen). Für Erledigungen des Asylgerichtshofes gilt im Anwendungsbereich des Art144a B-VG sinngemäß nichts anderes.

3. Angesichts der zitierten Ausführungen des Asylgerichtshofes im bekämpften Erkenntnis kann am Willen über einen normativen Abspruch in Gestalt der Zurückweisung des gestellten Antrages auf Beigebung eines Flüchtlingsberaters kein Zweifel bestehen. Indem er Punkt II.5. seiner Entscheidung mit der Überschrift "Zur Zurückweisung des Antrags auf Beistellung eines Flüchtlingsberaters" einleitet und diesen mit den Worten "war über den Antrag abzusprechen und dieser mangels Zuständigkeit zurückzuweisen" abschließt, geht der belangte Gerichtshof offenbar selbst davon aus, im Spruch seiner Entscheidung den Antrag zurückgewiesen zu haben. Dieses offensichtliche Versehen bzw. Vergessen des Spruches ändert nichts daran, dass der Asylgerichtshof den am 29. Dezember 2009 gestellten Antrag des Beschwerdeführers auf Beigabe eines Flüchtlingsberaters ausdrücklich zurückgewiesen und dies im Wesentlichen mit der mangelnden Rechtsgrundlage in §66 AsylG 2005 begründet hat.

4. Bezüglich dieser zurückweisenden Entscheidung entspricht die vorliegende Beschwerde sowohl im entscheidungswesentlichen Sachverhalt als auch in der maßgeblichen Rechtsfrage der zu U3078,3079/09 protokollierten Beschwerde, weshalb sich der Verfassungsgerichtshof darauf beschränken kann, auf die Entscheidungsgründe seines in dieser Beschwerdesache ergangenen Erkenntnisses hinzuweisen (vgl. VfGH 2.10.2010, U3078,3079/09).

Da die Behörde von vornherein eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert hat, ist es unerheblich, ob der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Asylgerichtshof rechtsfreundlich vertreten war.

Das angefochtene Erkenntnis war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Asylgerichtshof, Bescheid verfahrensrechtlicher,Rechtsschutz, EU-Recht Richtlinie, Auslegunggemeinschaftsrechtskonforme, Bescheid Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2010:U769.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2011
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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