TE Vfgh Erkenntnis 2011/3/4 B1330/10

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Veröffentlicht am 04.03.2011
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Index

27 Rechtspflege
27/03 Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren

Norm

StGG Art5
GGG 1984 §14, §18 Abs2 Z2
JN §58 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch denkunmögliche Vorschreibung einerPauschalgebühr für den Abschluss eines Vergleichs betreffendMietzinse; denkunmögliche Annahme einer Verpflichtung zur Leistungdes Mietzinses auf unbestimmte Dauer

Spruch

I. Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

II. Der Bescheid wird aufgehoben.

III. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt

1. Die beschwerdeführende Partei brachte mit Schriftsatz vom 25. März 2010 beim Bezirksgericht (BG) Imst wegen qualifizierten Mietzinsrückstandes eine Räumungsklage ein. Dafür entrichtete sie eine Pauschalgebühr von € 92,-- gemäß TP1 GGG auf Basis der Bemessungsgrundlage von € 733,--. In der Tagsatzung vom 17. Mai 2010 schloss die beschwerdeführende Partei als Klägerin mit dem Beklagten einen Vergleich; darin verpflichtete sich der Beklagte zunächst, den Mietgegenstand zu räumen und der beschwerdeführenden Partei geräumt zu übergeben (Pkt. 1). Pkt. 2 des Vergleiches lautet:

"2. Die klagende Partei macht vom Räumungstitel keinen Gebrauch, wenn der Rückstand von € 980,95 in 14 monatlichen Raten, 13 Raten a € 73,94 und die 14. Rate mit € 19,73 zur laufenden Miete, also jeweils zum 10. eines jeden Monats im Vorhinein abgedeckt wird. Bei Verzug mit nur einer Rate, respiro fünf Tage, tritt Terminsverlust ein und kann die klagende Partei vom Räumungstitel Gebrauch machen."

Die Punkte 3 und 4 enthalten Regelungen über die Kosten und den Beginn der Ratenzahlung.

2. Mit Zahlungsauftrag des Kostenbeamten beim BG Imst vom 6. Juli 2010 wurde der beschwerdeführenden Partei auf Basis der in Pkt. 2 enthaltenen Verpflichtung zur Begleichung des Rückstandes iHv € 980,95 sowie unter Annahme einer in Pkt. 2 des Vergleichs weiters enthaltenen Verpflichtung zu einer Leistung auf unbestimmte Dauer (ausgehend vom 10-fachen Jahresbetrag der laufenden Miete) eine weitere Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG von € 549,-- zuzüglich einer Einhebungsgebühr von € 8,-- zur Zahlung vorgeschrieben.

3. Mit Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. August 2010 wurde dem gegen diesen Zahlungsauftrag erhobenen Berichtigungsantrag der beschwerdeführenden Partei keine Folge gegeben.

3.1. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Vergleich keinen Räumungszeitpunkt enthalte, weshalb ein Gebrauch des Vergleiches als Räumungstitel schon mangels Fälligkeit auszuschließen sei. Daraus ergebe sich auch, dass keine Lösungsbefugnis vorliege, sondern der Beklagte sich im Pkt. 2 (wenn auch neuerlich) zur Zahlung laufender Mietzinse auf unbeschränkte Zeit verpflichte.

4. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (vgl. §7 Abs7 GEG 1962) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und des Zivilrechtsstreites vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. Rechtslage

1. §§14 und 18 des Gerichtsgebührengesetzes (GGG), BGBl. 501/1984, lauten:

"I. Bewertung des Streitgegenstandes

a) Im Zivilprozeß

Allgemeine Grundsätze

§14. Bemessungsgrundlage ist, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt wird, der Wert des Streitgegenstandes nach den Bestimmungen der §§54 bis 60 JN.

...

Wertänderungen

§18. (1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.

(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:

1. Wird der Streitwert gemäß §7 RATG geändert, so bildet - unbeschadet des §16 - der geänderte Streitwert die Bemessungsgrundlage. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.

2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.

3. Betrifft das Rechtsmittelverfahren oder das Verfahren über eine Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage nur einen Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes, so ist in diesem Verfahren für die Berechnung nur der Wert dieses Teiles maßgebend. Bei wechselseitig erhobenen Rechtsmitteln sind die Pauschalgebühren nach Maßgabe der Anträge eines jeden der beiden Streitteile gesondert zu berechnen und vom jeweiligen Rechtsmittelwerber zu entrichten. Ist der von der Anfechtung betroffene Teil nicht nur ein Geldanspruch, so hat ihn der Rechtsmittelwerber in der Rechtsmittelschrift zu bewerten; unterläßt er dies, ist der Bemessung der Pauschalgebühr für das Rechtsmittelverfahren der ganze Wert des ursprünglichen Streitgegenstandes zugrunde zu legen.

4. Wenn ausschließlich der Ausspruch über die Zinsen angefochten wird, ist als Endzeitpunkt für die Zinsenberechnung der Zeitpunkt maßgebend, zu dem dem Rechtsmittelwerber die angefochtene Entscheidung zugestellt worden ist.

(3) Eine Änderung des Streitwertes für die Pauschalgebühren tritt nicht ein, wenn das Klagebegehren zurückgezogen oder eingeschränkt wird oder wenn ein Teil- oder Zwischenurteil gefällt wird."

2. §58 Abs1 Jurisdiktionsnorm (JN), RGBl. 111/1895 idF BGBl. 135/1983, lautet:

"Als Wert des Rechtes auf den Bezug von Zinsen, Renten, Früchten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen ist bei immerwährender Dauer das Zwanzigfache, bei unbestimmter oder auf Lebenszeit beschränkter Dauer das Zehnfache, sofern es sich um Ansprüche auf Unterhalts- oder Versorgungsbeträge und auf Zahlung von Renten wegen Körperbeschädigung oder Tötung eines Menschen handelt, das Dreifache der Jahresleistung, bei bestimmter Dauer aber der Gesamtbetrag der künftigen Bezüge, jedoch in keinem Fall mehr als das Zwanzigfache der Jahresleistung anzunehmen."

III. Erwägungen

1. Zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist lediglich strittig, ob der Vergleich trotz fehlenden Räumungszeitpunktes eine Lösungsbefugnis enthält, sowie ob Pkt. 2 des Vergleiches die Verpflichtung des Beklagten zu wiederkehrenden Leistungen, nämlich des laufenden Mietzinses (auf unbestimmte Zeit), enthält, sodass iS des §14 GGG iVm §58 Abs1 JN der zehnfache Jahresbetrag an Mietzins der Neuberechnung der Pauschalgebühr zugrunde zu legen war.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 11.470/1987, 15.884/2000, 16.112/2001, 16.290/2001) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

3. Der Verfassungsgerichtshof hatte in mehreren Erkenntnissen (VfSlg. 16.701/2002, aus jüngerer Zeit VfGH 8.6.2010, B5/10) die Gebührenpflicht von Vergleichen zu beurteilen, in denen es den jeweils beklagten Parteien offen stand, durch die Bezahlung der aushaftenden (den Gegenstand der Klage bildenden) ziffernmäßig bestimmten Monatsmieten die Räumung abzuwenden, sofern auch die laufenden Monatsmieten bezahlt würden. Der Verfassungsgerichtshof ging in diesen Fällen davon aus, dass der Beschwerdeführer durch seinen Verzicht darauf, vom zuvor geschaffenen Exekutionstitel Gebrauch zu machen, allenfalls über jenen Anspruch disponierte, der den Gegenstand des Exekutionstitels bildete, offenkundig aber über keinen anderen Anspruch. Der Anspruch, den jener Exekutionstitel betraf, war aber der Anspruch auf Zahlung der aushaftenden Mieten und auf Räumung. Diese Ansprüche hatte die jeweilige beschwerdeführende Partei bereits mit ihrer Klage geltend gemacht und dafür die Pauschalgebühr entrichtet. Über den Anspruch auf Zahlung des laufenden Mietzinses, also jenes Mietzinses, der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht fällig und daher auch nicht Gegenstand des Verfahrens sein konnte, wird aber in jenen Fällen dann nicht in einer die Gebührenpflicht auslösenden Weise disponiert, wenn der Verzicht auf die Räumung unter die (nahe liegende) Bedingung gestellt wird, dass der Schuldner seine offene Verbindlichkeit, die den Gegenstand des Titels bildet, nicht dadurch bloß auf die künftigen Mieten verlagert, indem er nur den Rückstand begleicht, die laufende Miete aber unberichtigt lässt. Insofern wird über künftige Mieten nicht disponiert, diese werden lediglich - im Sinne des genannten Zwecks: unvermeidlicherweise - im Vergleich "nebenher" erwähnt, ohne dadurch selbst zum Gegenstand der im Vergleich getroffenen Dispositionen zu werden.

3.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums wegen einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung wird im hier vorliegenden Zusammenhang also dann verletzt, wenn die Einhaltung einer schon bestehenden vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung laufender Mietzinse, welche bloß als eine Bedingung für den Verzicht auf die Räumung durch die klagende Partei in einen Räumungsvergleich aufgenommen wurde, einer (gebührenpflichtigen) Disposition über eine Zahlungsverpflichtung gleichgesetzt wird (vgl. zuletzt die Erkenntnisse vom 22. Februar 2010, B1384/09 und vom 8. Juni 2010, B5/10).

4. Diesen Fällen ist auch der vorliegende gleichzuhalten:

4.1. Die klagende Partei erklärt in Pkt. 2 des Vergleichs, vom Räumungstitel (es sei dahingestellt, ob Pkt. 1 - wie die belangte Behörde bezweifelt - insoweit überhaupt vollstreckbar ist) jedenfalls dann keinen Gebrauch zu machen, wenn die beklagte Partei ihrer Verpflichtung zur Zahlung des rückständigen Mietzinses, über den gleichzeitig eine Ratenvereinbarung geschlossen wurde, pünktlich nachkommt. In dem oben wiedergegebenen Pkt. 2 des Räumungsvergleiches ist lediglich die Bezahlung des Mietrückstandes von € 980,95 in 14 ziffernmäßig bestimmten Raten "zur laufenden Miete, also jeweils am

10. eines jeden Monats" vereinbart. Daraus lässt sich entgegen der Ansicht der belangten Behörde eine (neu begründete) Verpflichtung des Beklagten, den Mietzins auf unbestimmte Zeit zu leisten, schon deshalb nicht ableiten, weil der gesamte Vergleich nur insgesamt 14 Zahlungen abdeckt und überdies die vollständige Entrichtung des laufenden Mietzinses nicht einmal ausdrücklich als Bedingung für die Abstandnahme vom Räumungstitel formuliert ist (welcher Umstand nach der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes freilich ebensowenig die Gebührenvorschreibung zu tragen vermöchte); es wird vielmehr lediglich die Fälligkeit der Ratenzahlungen mit "zur laufenden Miete, also jeweils am 10. eines Monats" umschrieben. Auch im vorliegenden Fall erfolgte die Erwähnung des laufenden Mietzinses sohin lediglich beiläufig im Sinne der Vorjudikatur, ohne dass damit über den Anspruch auf Zahlung des Mietzinses selbst, noch auf unbestimmte Zeit disponiert wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im Vergleich kein Räumungszeitpunkt genannt ist. Vielmehr wird der bisherige Mietvertrag bei pünktlicher Zahlung iSd Pktes. 2 in Ermangelung eines Räumungsgrundes unverändert fortgesetzt.

5. Die belangte Behörde hat §18 Abs2 Z2 GGG und §14 GGG iVm §58 Abs1 JN somit in denkunmöglicher Weise angewandt und daher den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

6. Der Bescheid war daher aufzuheben.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Die zugesprochenen Kosten enthalten Umsatzsteuer von € 400,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) von € 220,--.

8. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2011:B1330.2010

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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