TE UVS Wien 2010/11/16 MIX/42/9202/2010

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Veröffentlicht am 16.11.2010
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Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat durch sein Mitglied Mag. DDr. Tessar über die Berufung der Frau Gerda R. gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien - Büro für Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten, vom 24.8.2010, Zl.:

B6/266983/4/2010, mit welchem der eingebrachten Vorstellung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien - Büro für Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten, vom 5.8.2010, Zl.: B6/266983/3/2010, mit welchem gemäß § 8 Abs 5 Wiener Tierhaltegesetz iVm § 57 AVG die Abnahme und sichere Verwahrung des Tieres auf Kosten und Gefahr der Frau Gerda R. verfügt wurde, keine Folge gegeben und der angeführte Bescheid gemäß § 8 Abs 5 Wiener Tierhaltegesetz bestätigt wurde, wie folgt entschieden:

Die Berufung wird gemäß § 66 Abs 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Waffen- und Veranstaltungswesen, vom 5.8.2010, GZ: B6/266983/2010, wurde, da von dem von Frau Gerda R. gehaltenen Hund eine Gefahr für Menschen ausgeht, gemäß § 8 Abs 5 Wiener Tierhaltegesetz iVm § 57 AVG die Abnahme des Tieres und dessen sichere Verwahrung auf Kosten und Gefahr der Berufungswerberin verfügt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Berufungswerberin das Rechtsmittel der Vorstellung, welche am 20.8.2010 bei der Erstbehörde einlangte.

Daraufhin erließ die Erstbehörde den in Berufung gezogenen Bescheid, welcher nachfolgenden Spruch enthält:

?Mit Bescheid der BPD Wien, Büro für Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten, (Zahl B6/266983/3/2010) vom 5.8.2010, wurde gemäß § 8 Abs 5 Wr. Tierhaltegesetz in Verbindung mit § 57 AVG die Abnahme und sichere Verwahrung des Tieres auf Ihre Kosten und Gefahr verfügt.

Spruch

Der dagegen rechtzeitig eingebrachten Vorstellung wird keine Folge gegeben und der oben angeführte Bescheid vom 5.8.2010 gemäß § 8 Abs 5 Wr. Tierhaltegesetz bestätigt.?

Dagegen erhob die Berufungswerberin das Rechtsmittel der Berufung, welche am 9.9.2010 bei der Erstbehörde einlangte.

Aus dem Aktenvermerk des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 16.11.2010 geht hervor, dass seitens des Büros für Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten nach dem am 20.8.2010 erfolgten Einlangen der Vorstellung gegen den Bescheid vom 5.8.2010 keinerlei Ermittlungsschritte erfolgt sind und insofern auch niemals ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat erwogen:

Gemäß § 57 Abs 1 AVG ist, wenn es sich um die Vorschreibung von Geldleistungen nach einem gesetzlich, statutarisch oder tarifmäßig feststehenden Maßstab oder bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen. Gemäß Abs 2 leg.cit. kann gegen einen nach Abs 1 erlassenen Bescheid bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.

Gemäß Abs 3 leg.cit. hat die Behörde binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides schriftlich zu bestätigen. Gegenständlich wurde gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Waffen- und Veranstaltungswesen, vom 5.8.2010, GZ: B6/266983/2010, das Rechtsmittel der Vorstellung erhoben, welche am 20.8.2010 bei der Erstbehörde einlangte. Gemäß § 57 Abs 3 AVG hätte nunmehr die Behörde binnen zwei Wochen nach Einlagen der Vorstellung, demnach bis zum 3.9.2010, das Ermittlungsverfahren einzuleiten gehabt. Aus dem Aktenvermerk des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 16.11.2010 geht hervor, dass seitens des Büros für Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten nach dem am 20.8.2010 erfolgten Einlangen der Vorstellung gegen den Bescheid vom 5.8.2010 kein weiteres Ermittlungsverfahren durchgeführt worden ist. Aufgrund dieser Ausführungen und der Ermittlungen des erkennenden Senats (Einlangen der Vorstellung am 20.8.2010 und Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens binnen vierzehn Tagen) steht fest, dass der erstinstanzliche Maßnahmenbescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Waffen- und Veranstaltungswesen, vom 5.8.2010,

GZ: B6/266983/2010, gemäß § 57 Abs 3 AVG von Gesetzes wegen am 3.9.2010 außer Kraft getreten ist.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien - Büro für

Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten, vom 24.8.2010, Zl.: B6/266983/3/2010, wurde der Vorstellung keine Folge gegeben und der Bescheid der Bundespolizeidirektion

Wien, Büro für Waffen- und Veranstaltungswesen, vom 5.8.2010, GZ: B6/266983/2010, gemäß § 8 Abs 5 Wiener Tierhaltegesetz bestätigt.

Es stellt sich die Frage, welches Schicksal dieser Bescheid infolge der gesetzlichen Anordnung, wonach im Falle der Einbringung einer Vorstellung gegen einen Maßnahmenbescheid im Falle der Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens binnen vierzehn Tagen dieser Maßnahmenbescheid ex lege außer Kraft tritt, ab dem 4.9.2010 hatte. Offenkundig sollte durch diesen Bescheid bloß eine Überprüfung des Maßnahmenbescheids erfolgen und festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für die Erlassung des Maßnahmenbescheids zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides vorgelegen waren. Wenn man daher diesem Bescheid irgendeine Wirkung beimessen will, so nur diese, dass dieser Bescheid (analog der Wirkung eines im Rechtsmittelverfahren ergehenden meritorischen Bescheids) anstelle des Maßnahmenbescheids getreten ist. Folglich muss wohl diesem Bescheid, jedenfalls im Falle, als dieser noch vor Ablauf der Frist, innerhalb der ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss, erlassen worden ist, dasselbe Schicksal als dem durch diesen Bescheid verdrängten Maßnahmenbescheid zukommen. Ob die Rechtsordnung eine solche Rechtsfolge der Verdrängung eines Maßnahmenbescheids durch einen in weiterer Folge aufgrund einer Vorstellung erlassenen Überprüfungsbescheids als zulässig erklärt, kann im gegenständlichen Verfahren dahingestellt bleiben, da dieser Bescheid ohnedies vor Ablauf der Frist, innerhalb der ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss, erlassen worden ist. Sohin ist zwingend davon auszugehen, dass jedenfalls seit dem 4.9.2010 beide Bescheide (der oa Maßnahmenbescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Büro für Waffen- und Veranstaltungswesen, vom 5.8.2010, GZ: B6/266983/2010, und der gegenständlich bekämpfte Überprüfungsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien - Büro für Waffen- und Veranstaltungsangelegenheiten, vom 24.8.2010, Zl.: B6/266983/3/2010) ex lege außer Kraft getreten sind.

Da die Berufung gegen den gegenständlichen Überprüfungsbescheid erst nach dem Außerkrafttreten dieses Überprüfungsbescheids eingebracht worden ist, wendete sich daher die Berufung zum Einbringungszeitpunkt gegen einen nicht mehr im Rechtsbestand befindlichen Bescheid.

Aufgrund der Tatsache, dass der angefochtene Bescheid vom 24.8.2010 bereits zum Zeitpunkt der Einbringung der Berufung außer Kraft getreten ist, ist somit die gegen diesen erhobene Berufung als unzulässig einzustufen, weshalb diese spruchgemäß zurückzuweisen war.

Für das allfällige weitere Verfahren sei mitgeteilt, dass durch den erkennenden Senat ein Amtssachverständigengutachten eingeholt worden ist. Dieses lautet wie folgt:

?Das Veterinäramt der Stadt Wien nimmt zur Anfrage zum genannten Betreff wie folgt Stellung:

Die Fragestellung lautet, ob der Frau R. abgenommene Hund weiterhin eine Gefahr für Menschen oder Artgenossen darstellt bzw. ob zum derzeitigen Zeitpunkt dessen Haltung eine Gefährdung oder Belästigung von Menschen höchstwahrscheinlich zur Folge haben wird. Folgende Vorfälle im Zusammenhang mit dem betreffenden Hund sind aus dem vorliegenden erstinstanzlichen Akt ersichtlich:

Am 30.03.2008 griff der Hund um 20.45 Uhr einen Hund an, welcher von seinen Besitzern, einem Ehepaar, an der Leine spazieren geführt wurde. Laut Beschreibung des Herganges war für die Halter des angegriffenen Hundes keinerlei Ursache des Angriffes ersichtlich. Angeblich konnte der Angriff nur durch die Verwendung eines Pfeffersprays durch die angegriffenen Tierhalter beendet werden. Es entstand durch die Attacke nur eine geringfügige Verletzung des angegriffenen Hundes. Frau R. selbst hat selbst nicht wahrgenommen, dass ein Pfefferspray verwendet wurde. Nach ihrer Angabe zog sie selbst ihren Hund vom anderen weg. Sie beschrieb den Angriff lediglich als Hochspringen ihres Hundes am anderen. Laut ihrer Aussage bemerkte sie später eine Bisswunde am Vorderbein ihres Hundes.

Am 25.07.2010 um 20.30 Uhr verletzte der Hund einen Bekannten von Frau R., Herrn S., beim Versuch, dem Hund einen Maulkorb anzulegen, am Hinterkopf. Nach der späteren Darstellung von Frau R. erfolgte der Biss jedoch, als sich Herr S. auf den Boden gesetzt hatte und wieder aufstehen wollte. Der Hund sei an dem betreffenden Tag besonders unruhig gewesen, da in der Nacht zuvor ihr Sohn Sascha vor der Wohnung randaliert hatte und sich mit Gewalt Zutritt zur Wohnung verschaffen wollte. Nachdem Sascha den Hund in der Vergangenheit misshandelt hatte, fürchtete das Tier sich vor ihm.

Nachdem zu diesem zweiten Vorfall die Polizei gerufen wurde, wurde der Hund im Sinne des Wiener Tierhaltegesetzes der Besitzerin abgenommen. Der Hund ?N.? wurde am 22.10.2010 durch das Veterinäramt der Stadt Wien, Mag. Maria G., begutachtet, wobei folgendes festgestellt wurde:

Es handelt sich bei dem betreffenden Hund angeblich um einen Dogo Argentino ? Berner Sennenhund ? Mischling. Das Tier ist groß gewachsen (etwa 65 cm Schulterhöhe geschätzt), schlank und hochbeinig gebaut (etwa 35 ? 40 kg schwer, geschätzt, kurzhaarig, Grundfarbe schwarz mit weiß und etwas braun, Alter 5 Jahre. Die Nummer der elektronischen Kennzeichnung (Chip), die erst im Tierschutzhaus

durchgeführt wurde, lautet 04.... Der Rüde wurde im September im Tierschutzhaus

kastriert.

Das Tier wurde auf einem Spaziergang am K. (Grüngelände nahe dem Tierschutzhaus) mit einer Hundetrainerin des Tierschutzvereines, Frau Sabine Ko., angetroffen und von dieser vorgestellt.

Ein Gespräch mit einer zuständigen Tierpflegerin zuvor ergab, dass der Hund im Umgang mit den Pflegern im Wesentlichen problemlos ist. Auch in der tierärztlichen Ordination hatte sich der Hund als umgänglich erwiesen. Als Ausnahme wurde der Umstand geschildert, dass es nicht möglich sein soll, den Hund im Beisein von ihm fremden Personen aus dem Zwinger zu nehmen, da er in dieser Situation Aggressionen zeige. Auch wurde von einem Vorfall berichtet, bei welchem eine weniger sachkundige und dem Hund weitgehend fremde Person (männlicher Hundepate des Tierschutzvereines) immer wieder versucht haben soll, den Hund aus seinem Zwinger zu nehmen, ohne dessen ablehnenden Signale zu berücksichtigen. Diese Provokation soll bei dem Hund ebenfalls aggressives Verhalten ausgelöst haben. Im Übrigen wird der Hund als wachsam beschrieben.

Bei der Begutachtung durch das Veterinäramt zeigte der Hund ein ruhiges und aufmerksames Verhalten. Vom Normalbefund abweichende klinischen Befunde konnten nicht festgestellt werden. Der Vorbericht könnte allerdings auf eine Beeinträchtigung der Hüftgelenke des Hundes hinweisen, da dieser angeblich bestimmte Bewegungen ? wie zum Beispiel Einsteigen in ein Auto ? ungern ausführt.

Dies wurde allerdings tierärztlich noch nicht abgeklärt. Verhaltensrelevante neurologische Symptome konnten ebenfalls nicht festgestellt werden.

Der Hund befolgt die gängigen Befehle wie ?Sitz?, ?Platz?, ?Komm? und reagiert aufmerksam auf die Signale der Hundetrainerin. Diese berichtet, dass ?N.? sich im öffentlichen Bereich problemlos verhält, z. B. zeigt er kein Jagdverhalten angesichts von Katzen, toleriert ohne weiteres nahe vorbeifahrende große laute LKWs und generell Straßenverkehr, zeigt bei heftigem Wind und sich dadurch bewegenden Gegenständen keine Nervosität und fährt problemlos im Auto. Gegenüber Hunden verhält sich N. sehr freundlich und interessiert und möchte in der Regel mit ihnen spielen. Einiges davon konnte auch während der Begutachtung beobachtet werden. Menschen gegenüber ist der Hund im Freien freundlich, entspannt und neutral. Auf sehr leichte Provokationen (direkte Annäherung von vorne, Anstarren) reagiert er ausweichend.

Laut Bericht der Tiertrainerin Ko. war dem Tier zu Beginn der Haltung im Tierschutzhaus Körperkontakt unangenehm, derzeit toleriert es jedoch bereits Manipulationen am ganzen Körper. Dies wird auch gezielt trainiert. Auch von der Amtstierärztin ließ sich der Hund ohne weiteres an Kopf und Körper berühren.

Das Anlegen des Maulkorbes erfolgt problemlos, dieser wird auch ohne besondere Reaktionen vom Hund während der Spaziergänge getragen. Im Hinblick auf die Fragestellung wird zum beschriebenen Sachverhalt Folgendes festgestellt:

Bei dem betreffenden Hund handelt es sich angeblich um einen Mischling aus Dogo Argentino und Berner Sennenhund.

Dogo Argentinos wurden als unerschrockene Jagdhunde für Wildschweine und Raubkatzen gezüchtet und mussten auch Wach- und Schutzfunktionen erfüllen. Berner Sennenhunde wurden ursprünglich für die Bewachung von Haus und Hof gezüchtet und halfen beim Viehtreiben. Erst später wurden sie zu den beliebten Familienhunden. Beiden Rassen ist daher eine hohe Wachsamkeit zu eigen, jedoch werden beide im Wesentlichen als sehr wesensfest und nicht zu übertriebenen Reaktionen neigend beschrieben. Beide Rassen benötigen konsequente, aber verständnisvolle Erziehung.

Vorgeschichte des Hundes:

Leider ist über die individuelle Vorgeschichte des Hundes wenig bekannt. Aus dem Akt geht lediglich hervor, dass das Tier vom Sohn der Familie früher misshandelt worden war. Über Prägung, Erziehung und Ausbildung kann daher keine Stellungnahme abgegeben werden. Es geht aus dem Akt nicht eindeutig hervor, ob eine dem Bissvorfall am 25.07.2010 ähnliche Situation bereits zuvor einmal stattgefunden hatte. Frau R. gibt jedoch an, dass bereits im Februar 2010 Probleme ähnlicher Art aufgetreten waren. Damals wollte sie den Hund bereits abgeben und habe sich dabei Hilfe durch Institutionen erhofft. Frau R. war durch das Verhalten des Hundes am 25.07.2010 so beunruhigt, dass sie einen Bekannten, Herrn S., zu Hilfe holte. Es wird nicht angegeben, ob der Hund Herrn S. bereits kannte.

Die Hundehalterin berichtet, dass der Hund ?N.? - durch die nächtlichen Ereignisse verursacht ? den ganzen Tag weiterhin sehr unruhig war. Dies ist vermutlich durch eine starke Stressreaktion des Hundes zu erklären. Stress ist eine Reaktion des Körpers, die die optimale Bereitstellung der Ressourcen des Körpers für Flucht oder Kampf gewährleisten soll. Diese Reaktion wird durch die Ausschüttung von Hormonen, im Wesentlichen durch Adrenalin, herbeigeführt. Wird das Ziel erreicht, wird dieses im Körper wieder abgebaut und der Organismus kehrt in den Normalzustand zurück. Dieser Abbau dauert allerdings viele Stunden bis mehrere Tage. Bleibt der Stressor allerdings erhalten, wird ? zusätzlich zum noch immer vorhandenen - wieder Adrenalin ausgeschüttet, was die Alarmbereitschaft des Körpers immer weiter, eventuell sogar bis zu dessen Erschöpfung und Schädigung aufrechterhält. Eine vollkommene Rückkehr zum Ruhezustand des Organismus dauert in einem solchen Fall sehr lange, in extremen Fällen können irreversible Schäden eintreten. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, warum N. wahrscheinlich über die nächtliche Angst hinaus noch weiterhin unruhig war. Um die Heftigkeit seiner Reaktion erklären zu können, muss allerdings die Frage gestellt werden, ob sein Stresslevel bereits zuvor erhöht war und der Einbruchsversuch des Sohnes Sascha nur das Fass zum Überlaufen brachte.

Um diese Frage beantworten zu können, müsste mehr über die Tierhaltung bekannt sein. Wie zuvor angeführt, wird das Verhalten des Hundes im Tierheim im Wesentlichen als problemlos und ruhig beschrieben. Wenn man weiß, wie viel Stress in den Tieren die Haltung im Tierheim verursacht und wie stark viele Hunde darauf reagieren, ist diese Beschreibung von N. bemerkenswert.

Allerdings wird von den Pflegern auch berichtet, dass N. aggressiv auf die Annäherung von Fremden an seinen Zwinger sowie auf provokatives Verhalten, wenn er sich im Zwinger befindet, reagiert. Frau R. berichtet, dass Herr S. gebissen wurde, als er ? am Boden sitzend ? sich aufrichten wollte. Das bedeutet kurz gefasst, dass zusätzlich zu einem bestimmten Stresspegel des Hundes, auch bestimmte Auslöser für seine aggressiven Überreaktionen erforderlich sind. Diese auslösenden Reize bei Hunden ? entstanden durch Verknüpfungen bei früheren Erlebnissen - sind meist bestenfalls aufmerksamen Tierhaltern oder in späterer Folge hartnäckig investigativen Hundetrainern bekannt. Im vorliegenden Fall ist über den Hund leider sehr wenig bekannt.

In diesem Zusammenhang muss auch die Erfordernis bestimmter Qualitäten eines Hundehalters hervorgehoben werden. Sachkunde über Verhalten, Erziehung und Physiologie von Hunden kann nicht hoch genug geschätzt werden. Realistisch ist aber die Sichtweise, dass nicht von jedem Hundehalter Fachwissen zum Beispiel über die Stressreaktion von Hunden oder über Aggressionsverhalten erwartet werden kann. Dennoch gelingt es sehr vielen HundehalterInnen, diesen Mangel an Wissen durch Einfühlungsvermögen, Beobachtungsgabe und Menschenverstand soweit auszugleichen, dass die Risiken der Hundehaltung für Mensch und Hund weitgehend gering gehalten werden. Im vorliegenden Fall ist zu wenig bekannt, um über die Tierhaltung ein Urteil abgeben zu können, aus den Aussagen von Frau R. kann jedoch geschlossen werden, dass sie selbst auf Grund der Hundehaltung Unsicherheit für sich selbst und ihre Kinder empfand. Aus dieser Unsicherheit resultierende Lösungsversuche der Tierhalterin außer dem offenbar nicht konsequent genug verfolgten Versuch, das Tier abzugeben, sind nicht bekannt.

Abschließend darf noch kurz auf den Vorfall mit dem Hund der Familie Rö. eingegangen werden:

Nach den Beobachtungen während der Begutachtung am K. ist die Folgerung möglich, dass N. mit dem anderen Hund spielen wollte. Möglich ist aber auch, dass N. ? wie auch andere Hunde - bei Dunkelheit anders reagiert als tagsüber und es sich tatsächlich um einen aggressiven Akt handelte. Nachträglich ist ein Urteil darüber ? zumal nur jeweils subjektive Zeugenaussagen darüber vorliegen ? nicht möglich. Erhärtet erscheint jedoch die Angabe des Zeugen Rö., dass der Hund N. zum Zeitpunkt des Vorfalles keinen Maukorb, sondern lediglich eine Maulschlaufe trug, welche keinen Maulkorb im Sinne des Wiener Tierhaltegesetzes darstellt, sowie dass der Hund nicht angeleint war.

Ein zuverlässiges Verhindern eines Bissvorfalles ist durch eine derartige Ausstattung nicht möglich und widerspricht überdies den Bestimmungen des Tierhaltegesetzes.

Zusammengefasst wird folgendes festgestellt:

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Hund weiterhin eine Gefahr für Menschen oder Artgenossen darstellt. Ob zum derzeitigen Zeitpunkt dessen Haltung eine Gefährdung oder Belästigung von Menschen höchstwahrscheinlich zur Folge haben wird, kann lediglich in Zusammenhang mit der Person des Tierhalters gesehen werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre dies der Fall bei einer Haltung durch eine nicht sachkundige und /oder nicht verantwortungsbewusste Person. Hingegen stellt der Hund nach h.a. Ansicht verglichen mit anderen Hunden keine besondere Gefahr dar, wird er umsichtig, unter Bedachtnahme auf das Verhalten von Hunden im Allgemeinen und auf seine individuellen Eigenheiten im Besonderen und unter Einhaltung aller gesetzlicher Vorgaben gehalten.?

Es ist daher bei Zugrundelegung dieses Gutachtens davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für eine Hundeabnahme nicht vorliegen (und auch nicht vorgelegen sind). Folglich ist die gegenständliche Hundeabnahme zu Unrecht erfolgt.

Zuletzt aktualisiert am
22.12.2010
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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