RS Vfgh 2009/3/11 G14/08 ua, V101/07 ua

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Veröffentlicht am 11.03.2009
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z11
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StGG Art5
ABGB §1486
ASVG §609 Abs19 idF Sozialrechts-ÄnderungsG 2004
ASVG §616 Abs1 Z4 idF BGBl I 142/2004
ASVG §634 Abs8a idF BGBl I 101/2007
ASVG §351g Abs4 idF 2. Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2003
Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG Abschnitt XI, XII
VfGG §62 Abs1

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit einer bereits außer Kraft getretenenBestimmung des ASVG über den Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag imBereich von Arzneimitteln; keine Kompetenzwidrigkeit; keineVerletzung des Sachlichkeitsgebotes und des Eigentumsschutzes dervertriebsberechtigten Unternehmen durch die Verpflichtung zurGewährung von Rabatt; keine Verletzung des Vertrauensschutzes durchdie rückwirkende Inkraftsetzung; kein Verstoß gegen dasLegalitätsprinzip sowie gegen die Finanzierungsgrundsätze derSelbstverwaltung; Verfassungswidrigkeit der Regelung über dieAbgeltung der Bearbeitungskosten für den Erstattungskodex; Verstoßgegen das Determinierungsgebot mangels Festlegung der Modalitäten derAufteilung des Betrages auf die vertriebsberechtigten Unternehmen;Wegfall der gesetzlichen Grundlage dazu ergangenerAusführungsbestimmungen in der Verfahrensordnung zur Herausgabe desErstattungskodex; keine Gesetzwidrigkeit der Verordnungsbestimmungenzum Finanzierungs-Sicherungs-Beitrag; teilweise Zurückweisung derGerichtsanträge mangels Präjudizialität

Rechtssatz

Zulässigkeit der Anträge von Gerichten auf Aufhebung des §609 Abs19 ASVG idF Sozialrechts-ÄnderungsG 2004 (SRÄG 2004, BGBl I 105), des §634 Abs8a ASVG idF BGBl I 101/2007, des §351g Abs4 ASVG idF

2. Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2003 (2. SVÄG 2003, BGBl I 145) sowie des XI. und XII. Abschnitts der Verfahrensordnung zur Herausgabe des Erstattungskodex nach §351g ASVG (VO-EKO).

§351g Abs4 ASVG idF BGBl I 145/2003 ist zwar mit 30.06.06 außer Kraft getreten (66. ASVG-Novelle, BGBl I 131/2006), aber zufolge des §628 Abs4 ASVG auf Anträge, die vor dem 01.01.07 beim Hauptverband eingelangt sind, in der am 30.06.06 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden und daher in den gerichtlichen Anlassverfahren präjudiziell.

Zurückweisung der Anträge auf Aufhebung des §609 Abs19 ASVG idF der 61. Novelle (2. SVÄG 2003, BGBl I 145) mangels Präjudizialität.

§609 Abs19 ASVG wurde mit dem SRÄG 2004, BGBl I 105, in veränderter Form neu erlassen. Die Neufassung wurde rückwirkend mit 31.12.03 in Kraft gesetzt. Insoweit bleibt für eine Anwendbarkeit des mit 31.12.03 in Kraft gesetzten §609 Abs19 ASVG idF der 61. ASVG-Novelle kein Raum.

Außer-Kraft-Treten auch der Rückwirkungsanordnung in §615 Abs1 Z4 ASVG idF SRÄG 2004 mit der 62. ASVG-Novelle, BGBl I 142/2004, infolge Änderung der Paragraphenbezeichnung in "616". Zum Zeitpunkt der Prüfungsanträge ergab sich die Rückwirkungsanordnung daher aus §616 Abs1 Z4 ASVG idF BGBl I 142/2004.

Zurückweisung weiters der Anträge auf Aufhebung des §616 Abs1 Z4 ASVG, soweit sie über die Wortfolge "und 19" hinausgehen, als zu weit gefasst.

Der Antrag auf Aufhebung des "§609 Abs19 ASVG, zuletzt geändert durch BGBl I 45/2007", entspricht insoweit nicht den Formvorschriften des §62 Abs1 VfGG, als diese Bestimmung durch die im Antrag genannte Novelle unberührt blieb und der Antrag auch im Übrigen nicht zweifelsfrei erkennen lässt, gegen welche Fassung des §609 Abs19 ASVG er sich richtet.

Abweisung der Anträge auf Aufhebung des §609 Abs19 ASVG idF SRÄG 2004, BGBl I 105 (betr den Finanzierungssicherungsbeitrag und die Verpflichtung zur Gewährung eines Rabatts).

Keine Kompetenzwidrigkeit.

Die angefochtenen Normen haben bloß den Inhalt, ein Element der Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenversicherungsträgern und den vertriebsberechtigten Unternehmen zu gestalten, nämlich den - vertraglich vereinbarten - Preis jener Arzneimittel, die im Rahmen der Sachleistungserbringung auf Rechnung der Krankenversicherungsträger bezogen werden können. Vergleichbare Regelungen preisrechtlichen Charakters finden sich verschiedentlich auch in anderen Zusammenhängen des Systems der sozialen Krankenversicherung und können insoweit als intrasystematische Fortentwicklung des Kompetenztatbestandes "Sozialversicherungswesen" qualifiziert werden. Die angefochtene Bestimmung ist daher dem Kompetenztatbestand "Sozialversicherungswesen" zuzuordnen.

Keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Sachlichkeitsgebotes sowie des Eigentumsschutzes der vertriebsberechtigten Unternehmen.

Maßnahmen, die den Krankenversicherungsträgern eine ausgeglichene Gebarung ermöglichen sollen, liegen im öffentlichen Interesse.

Dem Gesetzgeber ist nicht entgegenzutreten, wenn er den Umstand, dass die den Krankenversicherungsträgern in den vergangenen Jahren entstandenen Ausgaben für Heilmittel rascher gestiegen sind als die Beitragseinnahmen, zum Anlass genommen hat, die Preise für Arzneimittel im Verhältnis zwischen den Krankenversicherungsträgern und den vertriebsberechtigten Unternehmen auch umsatzabhängig zu regulieren.

Kein "Sonderopfer" der vertriebsberechtigten Unternehmen.

Keine Unsachlichkeit dadurch, dass auch preisgeregelte Arzneimittel von der Regelung betroffen sind, sowie aufgrund pauschalierender Betrachtungsweise auch Arzneimittel, die nicht im Erstattungskodex angeführt sind.

Keine Verletzung des Vertrauensschutzes durch die rückwirkende Inkraftsetzung. Neufassung nur in zwei technischen Details anders als Erstfassung.

Daher auch keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des die Rückwirkung anordnenden §616 Abs1 Z4 ASVG idF BGBl I 142/2004.

Kein Verstoß gegen das Legalitätsprinzip.

Die Regelung enthält die wesentlichen Parameter der Leistungsverpflichtung der einzelnen vertriebsberechtigten Unternehmen.

Kein Verstoß gegen die Finanzierungsgrundsätze der Selbstverwaltung.

Der - im Namen der Krankenversicherungsträger geltend zu machende - Anspruch des Hauptverbandes auf Leistung des Beitrags iSd §609 Abs19 ASVG ist privatrechtlicher Natur und schon insoweit keine Übertragung von Hoheitsgewalt. Eine vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene Verordnung (hier: VO-EKO) kann auch das Verfahren in nicht-hoheitlichen Fragen regeln.

Kein Verstoß der in §634 Abs8a ASVG idF BGBl I 101/2007 rückwirkend normierten Fortlaufshemmung der Verjährung von Ansprüchen nach §351g Abs4 ASVG idF 2. SVÄG 2003 und §609 Abs19 ASVG gegen den Vertrauensschutz.

Selbst wenn man eine selbständige Verjährbarkeit des Anspruches auf eine Akontierungszahlung unter Anwendung der kurzen Frist des §1486 ABGB annähme, so könnte nur eine Verjährung des "Anspruchs auf eine Teilzahlung vor Fälligkeit" eintreten; die Verjährung dieses Anspruchs vermöchte aber nicht die endgültige Schuld zu mindern, da auch Teile dieser Schuld denkmöglich nicht vor Eintritt von deren Fälligkeit verjähren können.

Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §351g Abs4 ASVG idF

2. SVÄG 2003, BGBl I 145 (betr den Beitrag zur Abgeltung der Bearbeitungskosten für den Erstattungskodex) wegen Verstoßes gegen das Legalitätsprinzip.

Die Bestimmung enthält zwar einen jährlichen Gesamtbetrag, aber im Weiteren keine näheren Regelungen darüber, wie dieser Betrag auf die vertriebsberechtigten Unternehmen, deren Arzneispezialitäten im Erstattungskodex angeführt sind, aufzuteilen ist. Die Festlegung der Modalitäten dieser Aufteilung wird vielmehr vollständig der verordnungsmäßigen Regelung durch den Hauptverband überlassen (§49 VO-EKO).

Kriterien für die Aufteilung keine bloße "Abrechnungsregel", die nach dem letzten Satz des §351g Abs4 ASVG durch "Verordnung nach Abs1 festzulegen" ist.

Auch dem §351 Abs1 ASVG lässt sich keine entsprechende Determinierung der Modalitäten der Aufteilung des zu leistenden Betrages entnehmen.

Da der Gesetzgeber die wesentlichen Grundentscheidungen im Rahmen des Pauschalierungskonzepts nicht selbst getroffen hat, sondern diese vollständig der Regelung durch die Verordnung überlassen hat, hat er §351g Abs4 ASVG - aufgrund des untrennbaren Zusammenhangs seiner einzelnen Teile in seinem gesamten Umfang - mit Verfassungswidrigkeit belastet.

Durch den Ausspruch, dass §351g Abs4 ASVG idF BGBl I 145/2003 verfassungswidrig war, mangelt es den Bestimmungen des XI. Abschnittes (§47 - §51) der VO-EKO an einer gesetzlichen Grundlage.

Feststellung der Gesetzwidrigkeit des §47 VO-EKO:

Änderung der Bestimmung mit der 1. Änderung der VO-EKO insoweit, als ihr zeitlicher Anwendungsbereich mit dem Ende des Jahres 2006 begrenzt wurde. Da zwischen dem novellierten Teil des §47 VO-EKO und seinem im Wortlaut unveränderten Teil ein untrennbarer Zusammenhang gegeben ist, ist diese Bestimmung durch die 1. Änderung der VO-EKO mit Wirkung vom 01.03.07 zur Gänze neu erlassen worden und in ihrer - allein angefochtenen - Stammfassung außer Kraft getreten.

Aufhebung von §48 bis §51 VO-EKO:

Diese Bestimmungen finden auch in der neuen, im vorliegenden Zusammenhang nicht präjudiziellen Fassung des §351g Abs4 ASVG idF BGBl I 131/2006, der nur auf Anträge anzuwenden ist, die nach dem 31.12.06 beim Hauptverband eingelangt sind, keine Deckung (Systemwechsel durch die Neuregelung: Wiederumstieg von pauschalierten zu "antragsbezogenen" Kostenersätzen).

Bestimmungen jedoch weiter maßgeblich zufolge der Übergangsbestimmung des §628 Abs4 ASVG idF BGBl I 131/2006 aufgrund der weiteren zeitraumbezogenen Anwendbarkeit des §351g Abs4 ASVG idF BGBl I 145/2003.

Keine Gesetzwidrigkeit des XII. Abschnitts (§52 - §55) der VO-EKO.

Die angefochtenen Verordnungsbestimmungen sind unter Einhaltung der in §351g Abs1 Sätze 1 (Genehmigung durch die zuständige Bundesministerin) und 2 (Anhörung der Wirtschaftskammer Österreich) ASVG enthaltenen Vorschriften erlassen worden.

Gesetzliche Deckung der Anordnung, dass der von den vertriebsberechtigten Unternehmen zu gewährende "Rabatt" um 20 % USt zu erhöhen sei, sowie des in §54 VO-EKO festgelegten Verteilungsschlüssels.

Kein Mangel der gesetzlichen Determinierung hinsichtlich Zahlungsfristen und Zinsen aufgrund des privatrechtlichen Charakters der Zahlungsverpflichtung und der Anwendbarkeit der einschlägigen Bestimmungen des Zivilrechts.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Sozialversicherung, Arzneimittel, Kompetenz Bund - LänderSozialversicherung, Vertrauensschutz, Rückwirkung,Determinierungsgebot, Legalitätsprinzip, Rechtsstaatsprinzip,Selbstverwaltung, Zivilrecht, Verjährung, Verordnungserlassung, VfGH/ Feststellung Wirkung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH /Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Geltungsbereich (zeitlicher)eines Gesetzes, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung,Anwendbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:G14.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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