TE AsylGH Erkenntnis 2009/03/11 D6 308023-3/2008

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Veröffentlicht am 11.03.2009
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Spruch

D6 308023-3/2008/6E

 

Im Namen der Republik

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzerin über die Beschwerde des B.I., StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.11.2007, FZ. 06 12.144-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.1.2009 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und B.I. gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass B.I. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, flog - gemeinsam mit seiner Ehefrau (der Beschwerdeführerin zu D6 308025-3/2008) und seinen Kindern (den Beschwerdeführern zu D6 308027-3/2008 und D6 308026-3/2008) - 2006 mit einem Linienflugzeug von Warschau nach Wien-Schwechat und stellte dort anlässlich einer Kontrolle im Transitbereich am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 12.11.2006, am 16.11.2006 und am 7.11.2007 wurde der Beschwerdeführer vor der Polizeiinspektion Schwechat-Flughafen und der Erstaufnahmestelle-Flughafen bzw. vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

 

1. Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer in seiner Erstbefragung an, im Zuge einer Säuberungsaktion "von Russen" verfolgt worden zu sein. Unbekannte maskierte Männer in Uniform, vermutlich Angehörige einer Sondereinheit, seien im Sommer 2005 in sein Haus eingedrungen und hätten seinen Onkel und auch ihn mitgenommen. Seiner Tochter I. seien im Zuge des Vorfalles beide Beine gebrochen worden. Der Beschwerdeführer sei wieder freigelassen worden, indem er aus dem fahrenden Fahrzeug geworfen worden sei. In der Folge habe er Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Daraufhin habe er Drohbriefe erhalten, und sein Haus sei in Brand gesetzt worden.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.11.2006, FZ. 06 12.144 EAST-Flh, wurde der Antrag auf internationalen Schutz - ohne in die Sache einzutreten - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG 2005), als unzulässig zurückgewiesen und für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen für zuständig erklärt. In der dagegen erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer auf die schwere Knochenkrankheit seiner Tochter I. sowie auf die dringend erforderlichen medizinischen Behandlungen.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 15.12.2006, Zl. 308.023-C1/E1-XII/26/06, wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid im Hinblick auf das Fehlen gutachterlich untermauerter Feststellungen zur Krankheit der Tochter und deren Behandelbarkeit in Polen behoben.

 

2. Im Rahmen der (nach Zulassung des Asylverfahrens) durchgeführten Einvernahme am 7.11.2007 führte der Beschwerdeführer ergänzend zu seinen Fluchtgründen aus, dass sein Cousin väterlicherseits, C.B., bei einer tschetschenischen Widerstandseinheit gekämpft habe. Im Jänner 2005 sei er krank - nach den Symptomen habe es sich um Tuberkulose gehandelt - aus den Bergregionen zum Beschwerdeführer nach Hause gebracht worden. Er habe seinen Cousin bei sich zu Hause aufgenommen, ihn gepflegt und versteckt. Bis in das Jahr 2000 habe der Beschwerdeführer die Widerstandskämpfer mit Lebensmittel, Patronen und Schmerzmittel unterstützt, indem er ihnen - nach Herstellung eines Kontaktes per Funkgerät - diese Waren in einem Waldstück übergeben habe. Dass er dem Widerstand damals geholfen habe, werde automatisch als Mittäterschaft angesehen.

 

Mitte Juli 2005 sei es schließlich zu einer gezielten Säuberungsaktion gekommen: Es seien Tschetschenen und Russen in das Haus eingedrungen. Sowohl sein Cousin C.B. als auch er, der Beschwerdeführer, seien mitgenommen worden. Er sei mit seinem Cousin in ein Auto geworfen worden. Das Fahrzeug sei in Richtung K. gefahren. Während der Fahrt seien beide geschlagen worden; sein Cousin habe um die Freilassung des Beschwerdeführers gebeten und den Männern erklärt, ihnen alle wichtigen Informationen geben zu können, wenn sie den Beschwerdeführer, der mit der "ganzen Sache" nichts zu tun habe, freilassen würden. Daraufhin sei der Beschwerdeführer mit der Bemerkung, dass er diesen Tag als seinen zweiten Geburtstag betrachten solle, aus dem Auto geworfen worden. Sein Cousin sei jedoch in der Folge verschwunden geblieben. Nach dem Vorfall sei der Beschwerdeführer mit seiner Familie nicht mehr in das eigene Haus zurückgekehrt.

 

Im Zuge der Säuberungsaktion sei seine Ehefrau heftig zur Seite gestoßen worden; bei ihrem Sturz sei auch seine Tochter zu Boden gefallen und habe sich dadurch beide Beine gebrochen. Der Vater des Beschwerdeführers habe nach der Säuberungsaktion eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Kurz darauf habe der Beschwerdeführer schriftlich verfasste Morddrohungen in seinem Briefkasten gefunden. Er wisse nicht, wer konkret diese Drohungen ausgesprochen habe. Gegen Ende Juli 2005 sei sein Haus niedergebrannt worden, wohl auch als Beweis dafür, dass die Drohungen ernst zu nehmen seien. Ende Juli 2005 habe er seine Familie nachN., Inguschetien, gebracht. Er selbst habe erst im August 2005 Tschetschenien verlassen. Am 1.11.2005 sei er mit seiner Familie nach Europa gereist.

 

3. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 17.11.2007, FZ. 06 12.144-BAT, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten nicht zu. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 leg. cit. wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.11.2008 erteilt.

 

In seiner Begründung traf das Bundesasylamt umfangreiche Länderfeststellungen zur Situation in Tschetschenien und stellte die Nationalität und Identität des Beschwerdeführers fest. Das Vorbringen des Beschwerdeführers erachtete das Bundesasylamt als nicht glaubwürdig: Während der Beschwerdeführer in der Erstbefragung angegeben habe, dass sein Onkel mit ihm zusammen festgenommen worden sei, habe er in den späteren Einvernahmen von seinem Cousin väterlicherseits gesprochen. Seine Ehefrau habe in ihrer Einvernahme am 16.11.2006 ebenfalls behauptet, dass der Onkel des Beschwerdeführers von ihnen zuhause beherbergt und schließlich festgenommen worden sei. Im Widerspruch zu den Angaben des Beschwerdeführers, wonach er seine Familie Ende Juli 2005 nach Inguschetien gebracht habe, habe seine Ehefrau ausgeführt, dass die Festnahme im August 2005 erfolgt und sie bis 1.11.2005 in Grosny aufhältig gewesen sei. Überdies sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer dem tschetschenischen Widerstand geholfen habe, zumal die in diesem Zusammenhang geschilderten Modalitäten der Vereinbarung der Übergabezeitpunkte unplausibel und nicht nachvollziehbar erscheinen würden, weshalb diesem Vorbringen des Beschwerdeführers ebenfalls kein Glaube geschenkt werden könne. Da dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen, sei der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen gewesen.

 

Aufgrund der Glasknochenerkrankung (Osteogenesis imperfecta) der Tochter des Beschwerdeführers und der damit verbundenen Behandlungsbedürftigkeit würden jedoch stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat der realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt sei; dem Beschwerdeführer sei daher der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

 

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht (als Berufung) eingebrachte Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, in welcher die behaupteten Fluchtgründe wiederholt und der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes entgegen getreten wird. Überdies wird vorgebracht, dass die aufgezeigten Widersprüche durch entsprechende Nachfragen in den Einvernahmen aufgeklärt hätten werden können. Insbesondere habe der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung im Bemühen, seine Fluchtgeschichte so detailliert wie möglich zu schildern, in der Kürze der Einvernahme so viele Details erwähnt, dass er nicht alle Vorfälle richtig und chronologisch geschildert habe. Darüber hinaus seien seine gesamten Ausführungen nur in einigen wenigen Sätzen vom Dolmetscher zusammengefasst worden. Die Angaben seiner Ehefrau könnten nicht der Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen schaden; es sei darauf bedacht zu nehmen, dass seine Ehefrau nur auf die Betreuung und auf die Genesung der schweren Erkrankung der gemeinsamen Tochter I. konzentriert gewesen sei; aufgrund der turbulenten Lebensumstände erscheine wohl durchaus verständlich und plausibel, wenn bei der Erzählung der Fluchtgeschichte Verwechslungen geschehen seien.

 

5. Am 15.1.2009 führte der Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, seine Ehefrau sowie die Beschwerdevertreterin teilnahmen; das Bundesasylamt war nicht erschienen. Der Verhandlung wurde ein Dolmetscher für die tschetschenische Sprache beigezogen. Die Verhandlung war geboten, da die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Beschwerde substantiiert bekämpft wurde und dem erkennenden Senat ergänzungsbedürftig erschien.

 

Beweis wurde erhoben, indem der Beschwerdeführer und seine Ehefrau einvernommen und folgende, auch in der Verhandlung erörterte Unterlagen eingesehen wurden:

 

Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, Stand Oktober 2008;

 

Country Report on Human Right Practices des US Department of State vom März 2008;

 

Schwerpunkt: Tschetschenien von Ruth Altenhofer vom April 2008;

 

Summary of the ACCORD-UNHCR vom April 2008;

 

Zusammenfassung zur Lage in Tschetschenien und zur innerstaatlichen Fluchtalternative.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zu Grunde gelegt:

 

1.1 Zur Situation in der Russischen Föderation im Allgemeinen und in Tschetschenien im Besonderen:

 

1.1.1 Allgemeines:

 

Die Tschetschenische Republik ist eines der 89 Subjekte der Russischen Föderation. Die Tschetschenen sind bei weitem die größte der zahlreichen kleinen Ethnien im Nordkaukasus. Tschetschenien selbst ist (kriegsbedingt) eine monoethnische und monoreligiöse Einheit (93% der Bevölkerung sind Tschetschenen, fast alle sunnitische Moslems).

 

In Tschetschenien hatte es nach dem Ende der Sowjetunion zwei Kriege gegeben. 1994 erteilte der damalige russische Präsident Boris Jelzin den Befehl zur militärischen Intervention. Fünf Jahre später begann der zweite Tschetschenienkrieg. Russische Bodentruppen besetzten Grenze und Territorium der Republik Tschetschenien. Die Hauptstadt Grosny wurde unter Beschuss genommen und bis Januar 2000 fast völlig zerstört. Beide Kriege haben bisher 160.000 Todesopfer gefordert. Zwar liefern sich tschetschenische Rebellen immer wieder kleinere Gefechte mit tschetschenischen und russischen Regierungstruppen, doch seit der Ermordung des früheren Präsidenten Tschetscheniens, Aslan Maschadow, durch den russischen Geheimdienst FSB im März 2005 hat der bewaffnete Widerstand an Bedeutung verloren.

 

Laut Präsident Putin ist mit der tschetschenischen Parlamentswahl am 27.11.2005 die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung in Tschetschenien abgeschlossen worden. Dabei errang die kremlnahe Partei "Einiges Russland" die Mehrheit der Sitze. Beobachter stellten zahlreiche Unregelmäßigkeiten fest. Hauptkritik an der Wahl war u.a. die anhaltende Gewaltausübung und der Druck der Miliz (sog. "Kadyrowzy") gegen Wahlleiter und Wahlvolk. Nach dem Rücktritt seines Vorgängers Alu Alchanow im Februar 2007 hat der bisherige Ministerpräsident Ramzan Kadyrow am 5.4.2007 das Amt des tschetschenischen Präsidenten angetreten.

 

Der von Russland unterstützte Präsident Ramzan Kadyrow verfolgt offiziell das Ziel, Ruhe, Frieden und Stabilität in Tschetschenien zu garantieren und den Einwohnern seines Landes Zugang zu Wohnungen, Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung und Kultur zu bieten.

 

Neben der endgültigen Niederschlagung der Separatisten und der Wiederherstellung bewohnbarer Städte ist eine wichtige Komponente dieses Ziels die Wiederbelebung der tschetschenischen Traditionen und des tschetschenischen Nationalbewusstseins. Kadyrow fördert das Bekenntnis zum Islam, warnt allerdings vor extremistischen Strömungen, wie dem Wahabismus. Er hat Kleidervorschriften eingeführt, die den Tschetscheninnen Kopftuch und mindestens knielange Röcke beim Betreten von staatlichen Institutionen verordnen. Medienkampagnen warnen vor Alkohol, Drogen und Tabak. Ein Kulturrat beurteilt neue Werke im Bereich Musik, Literatur, Theater u. ä. vor ihrer Publikation. Medien, die den Erziehungsauftrag nicht nach Kadyrows Vorstellungen erfüllen, werden kurzerhand geschlossen. Sufi Bruderschaften und tariqas verfügen über großen Einfluss in Tschetschenien.

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

Bescheid des UBAS vom 20.2.2008, 302.858-C1/6E-VIII/22/06

 

US State Department, Country Reports on Human Rights Practices 2007, vom 11.3.2008

 

1.1.2 Allgemeine Sicherheitssituation

 

Auch wenn von offizieller russischer Seite betont wird, dass es in Tschetschenien zu einem "politischen Prozess" gekommen ist, finden laut neuestem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 in Tschetschenien weiterhin die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Diese Einschätzung wird von einer großen Anzahl von Klagen von Tschetschenen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gestützt (20.350 anhängige Klagen gegen Russland insgesamt zum Zeitpunkt Februar 2008, bisher 24 Verurteilungen der Russischen Föderation wegen Tschetschenien).

 

Den Machthabern in Russland ist es gelungen, den Konflikt zu "tschetschenisieren", das heißt, es kommt nicht mehr primär zu offenen Kämpfen zwischen russischen Truppen und Rebellen, sondern zu Auseinandersetzungen zwischen der Miliz von Ramzan Kadyrow und anderen "pro-russischen" Kräften/Milizen - die sich zu einem erheblichen Teil aus früheren Rebellen zusammensetzen - einerseits sowie den verbliebenen, eher in der Defensive befindlichen Rebellen andererseits. Die bewaffneten Auseinandersetzungen konzentrieren sich auf entlegene Bergregionen. Die Ramzan Kadyrow unterstellten Bataillone "Ost" (Jamadajew) und "West" (Kakiew), umbenannt in "Süd" und "Nord", sind zwar formell den Bundesstrukturen untergeordnet, sie terrorisieren die Bevölkerung jedoch nicht weniger als die auswärtigen Einheiten. Den pro-russischen Kräften ist es, auch durch Erpressung/Entführung von Familienangehörigen etc gelungen, die Sicherheitslage im Allgemeinen (jedenfalls in einigen Teilen Tschetscheniens, insbesondere Grosny) zu stabilisieren; auch ein wirtschaftlicher Aufschwung ist eingetreten (finanziert durch zT missbräuchlich verwendete russische Hilfe/Erpressungsgelder), der in der Regel aber nur einigen, insbesondere den pro-russischen Kräften, zugute kommt.

 

Der verkündete Frieden müsste eigentlich eine deutliche Verbesserung der Sicherheitslage mit sich bringen. Ob das tatsächlich der Fall ist, lässt sich aber nicht eindeutig bestätigen.

 

Asylländerbericht Russland, 4.9.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 22.11.2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Country Reports on Human Rights Practices 2007, vom 11.3.2008

 

1.1.3 Verfolgungsgefahr

 

1.1.3.1 Zivilbevölkerung

 

Durch vielerlei Umstände kann es etwa möglich sein, ins Fadenkreuz der pro-russischen Kräfte zu kommen (etwa auch durch private Streitigkeiten). Der russische Geheimdienst verfügt selbst weiterhin über zahlreiche Informationsquellen. Durch Bestechung kann es in seltenen Fällen aber sogar möglich sein, dass durch den Geheimdienst gesuchte Personen das Land verlassen können.

 

Nichtregierungsorganisationen, internationale Organisationen und die Presse berichten, dass sich auch nach Beginn des von offizieller Seite festgestellten "politischen Prozesses" erhebliche Menschenrechtsverletzungen durch russische und pro-russische tschetschenische Sicherheitskräfte gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung fortgesetzt haben. Dies sei häufig darauf zurückzuführen, dass reales Ziel der in Tschetschenien eingesetzten Zeitsoldaten, Milizionäre und Geheimdienstangehörigen Geldbeschaffung und Karriere sei. Zwar hat sich die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien mittlerweile stabilisiert. Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffe durch russische Soldaten und Angehörige der tschetschenischen Sicherheitskräfte, aber auch Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen haben nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Organisationen deutlich abgenommen. Doch weisen Nichtregierungsorganisationen zugleich darauf hin, dass es nach wie vor zu willkürlichen Überfällen bewaffneter, nicht zuzuordnender Kämpfer, Festnahmen und Bombenanschlägen kommt.

 

Noch immer kommt es im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen auch zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung. Am 24.3.2007 kam es nach Berichten des US Departement of State dazu, dass drei Frauen durch einen lokalen Militärkommandanten im Bezirk Shatoy beschossen wurden. Erst Ende Jänner 2008 geriet ein Dorf unter Beschuss, als die russische Artillerie auf der Jagd nach Rebellen deren Zufluchtsort angriffen. Berichten zufolge sollen die Soldaten betrunken gewesen sein, und Präsident Kadyrow hat diesen Vorfall als kriminellen Verstoß gegen die Militärdisziplin verurteilt, aber dennoch kann derartiges offensichtlich immer noch vorkommen.

 

Generell behauptet Kadyrow, dass bei der "Neutralisierung" der Rebellen keine Zivilisten behelligt werden. Im Gegenteil, gerade der Schutz der Zivilbevölkerung dient ihm als wichtiges Argument für eine verstärkte Konzentration der Sicherheitskräfte auf die Verfolgung von Mitgliedern illegaler bewaffneter Gruppierungen und ihrer Unterstützer. Es sind aber gerade die von Ramzan Kadyrow persönlich kommandierten "Kadyrowzy", denen besonders viele Folter- und Misshandlungsvorwürfe, auch von Zivilisten, gelten. Im April 2007 übergab Kadyrow die Kontrolle dem föderalen Innenministerium und löste das Antiterrorzentrum auf. Menschenrechtsgruppierungen kritisieren jedoch, dass die Truppen nach wie vor Kadyrow treu seien. Weiters werden die Bataillone "Wostok" und "Sapad" sowie die Untersuchungshaftanstalt des ORB-2, eine Abteilung des russischen Innenministeriums für Operationen bzw. Ermittlungen in den südlichen Regionen der Föderation, für Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus verantwortlich gemacht.

 

Seit Anfang 2007 hat sich laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Memorial die Menschenrechtslage in Tschetschenien gebessert, insbesondere haben die Fälle des "Verschwindenlassens" erheblich abgenommen. Wurden 2006 noch 187 Entführungen von Memorial registriert, ist die Zahl im ersten Halbjahr 2008 auf 15 Fälle zurückgegangen (davon wurden 12 Entführte wieder frei gelassen, einer befindet sich im Gefängnis). Diese Tatsache wird auch in offiziellen Statistiken bestätigt, was nicht weiter verwundert. Memorial erklärt diese Tatsache damit, dass Präsident Kadyrow seinen Sicherheitskräften, den "Kadyrowzy", die Anweisung gegeben habe, mit den Entführungen aufzuhören. Dies bestätigt die Annahme von Human Rights Watch, nach der seit 2004/2005 diese Gruppe die Hauptverantwortung für Verschleppungen trägt. Die Regierung sieht dies als einen Erfolg ihrer 2004 gestarteten Initiativen zur Verbesserung der Sicherheitslage und Maßnahmen, die das Vorgehen der Truppen nachvollziehbarer machen sollten. Das US State Department berichtet jedoch, dass Menschenrechtsorganisationen davon ausgehen, dass die Angehörigen von verschwundenen Personen aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen keine Anzeige erstatten. So gebe es zahlreiche Vorfälle, bei denen maskierte, bewaffnete Männer in Wohnungen eingebrochen seien und Zivilisten verschleppt hätten.

 

Der tschetschenische Parlamentspräsident Abdurchachmanow bestätigte am 1.7.2007, dass die Zahl der verschwundenen Personen ursprünglich bei etwa 5.500 gelegen habe, doch habe nach erfolgten Überprüfungen das Schicksal von über 1.000 Personen geklärt werden können. Nach Angaben des tschetschenischen Ombudsmanns Nuchaschijew galten am 11.7.2007 noch 2.700 Personen als offiziell vermisst. Man gehe davon aus, dass viele der vermissten Personen tot und in anonymen Gräbern bestattet worden seien. Um die Identität der Toten klären zu können, soll Präsident Kadyrow nach Angaben des tschetschenischen Ombudsmanns Nuchaschijew im Juli 2007 den Kauf eines Speziallabors angeordnet haben.

 

Zu Folge von Berichten von Memorial kam es 2007 wiederum zu Sicherheitskontrollen, bekannt als "zachistka". Im April und Mai 2007 führten sowohl föderale als auch lokale Truppen derartige Kontrollen in Malgobek und in den benachbarten Republiken durch.

 

Folter bleibt ein drängendes Problem. Sie erfolgt willkürlich und unvorhergesehen, ein Muster ist nicht erkennbar. Der Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg kritisierte nach einem Besuch in Tschetschenien Ende Februar/Anfang März 2007 Folter im ORB-2 (Operatives Fahndungsbüro 2, Teil des Föderalen Innenministeriums). Auch Präsident Kadyrow gab Mitte März 2007 öffentlich Folter im ORB-2 zu. Memorial werden weiterhin aktuelle Fälle von Folter sowohl im ORB-2 als auch durch eine spezielle Einheit des tschetschenischen Innenministeriums gemeldet. Wenn auch die Zahl der Verschleppungen und extralegalen Tötungen im letzten Jahr deutlich abgenommen hat, hat sich an deren Stelle eine neue Rechtsverletzung verbreitet - die künstliche Konstruktion von Straftatbeständen, zu denen dann mittels Folter Geständnisse erzwungen werden. Unter Folter unterschriebene Geständnisse werden nach Erkenntnissen von Memorial regelmäßig in Gerichtsverfahren als Grundlage von Verurteilungen genutzt.

 

Schwere Verbrechen und Vergehen werden auch von Seiten verschiedener Rebellengruppen begangen. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung (Beslan) werden bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Auch werden den Rebellen Exekutionen und Geiselnahmen von Zivilisten in den von ihnen beherrschten Gebieten und Ortschaften vorgeworfen. Außerdem verüben die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiten.

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend, sodass nach Ansicht von Nichtregierungsorganisationen ein "Klima der Straflosigkeit" entstanden sei. Bisher gibt es nur sehr wenige Fälle von Verurteilungen. Im April 2006 verurteilte ein Gericht in Rostow den Vertragssoldaten Kriwoschenok zu 18 Jahren Haft wegen der Erschießung dreier tschetschenischer Zivilisten im November 2005. Im Juni 2007 verurteilte dasselbe Gericht vier Offiziere in der "Sache Ulman" zu 9, 11, 12 und 14 Jahren Haft wegen Erschießung von sechs tschetschenischen Zivilisten im Dezember 2002. Drei der Verurteilten sind allerdings untergetaucht. Personen, die den Staat wegen Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen wollten, wurden weiterhin belästigt. Kläger vor dem EGMR verschwanden spurlos bzw. wurden getötet, was den EGMR zu einer kritischen Äußerung in seiner Entscheidung im Fall Alikhadzhiyeva gg. Russland vom 5.7.2007 veranlasste.

 

Asylländerbericht Russland, 4.9.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 22.11.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau Leila Dzeitova (Direktorin von VESTA)

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Russia, Country Reports on Human Rights Practices 2007 vom 11.3.2008

 

1.1.3.2 Rebellen und deren Familienangehörige

 

Innerhalb der Rebellen ist es zu einer Spaltung in zwei Gruppen gekommen. Während einige Gruppierungen nach wie vor am Ziel der Ausrufung der tschetschenischen Republik Itschkerien festhalten, kämpft die Mehrheit für die Errichtung des im Herbst 2007 durch Dokka Umarow ausgerufenen Emirats und eines islamischen Staates.

 

Nach wie vor sind die Rebellen bzw. Personen, die für Rebellen oder deren Sympathisanten gehalten werden, einem sehr hohen Risiko ausgesetzt, in bewaffnete Auseinandersetzungen zu geraten, festgenommen, verschleppt, verhört, gefoltert und ermordet zu werden.

 

Trotz der Tötung der Separatistenführer Aslan Maschadow im März 2005 und Abdelchalim Saidullajew im Juni 2006 sowie des "Top-Terroristen" Schamil Bassajew im Juli 2006 gibt es laut Schätzungen der lokalen tschetschenischen Sicherheitskräfte weiterhin einige hunderte Rebellen in den Bergregionen Tschetscheniens, die vor allem Anschläge auf Sicherheitskräfte verüben. Der russische Armeegeneral Krivonos nannte am 11.5.2007 eine Zahl von noch 300 aktiven Kämpfern. Eine dauerhafte Befriedung der Lage in Tschetschenien ist somit noch nicht eingetreten. Die Aktivitäten der tschetschenischen und föderalen Sicherheitskräfte gegen die Rebellen, insbesondere in den tschetschenischen Grenzgebieten zu den nordkaukasischen Nachbarrepubliken, wurden auch 2007 fortgesetzt. Seit 1999 forderte der Konflikt erhebliche Opfer: 10.000-20.000 getötete Zivilisten (Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation "Memorial"), 5.000 bis 7.000 getötete und ca. 18.000 verletzte Angehörige der Sicherheitskräfte (Zahlen des Verteidigungsministeriums, die teilweise widersprüchlich sind).

 

Die Rebellen und ihre Unterstützer werden im Zuge von Spezialoperationen "neutralisiert", die von den unter direktem Befehl von Ramzan Kadyrow stehenden Sicherheitskräften sowohl in den Bergregionen, als auch in städtischen Gebieten durchgeführt werden. In der Zeit um den Jahreswechsel 2007/2008 wurden bei solchen Operationen mindestens 16 Rebellen und Sicherheitskräfte getötet, mindestens 49 Personen in Grosny verhaftet, zwei sind verschwunden. Es kam zu sechs bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Sicherheitskräften, sowie zu Anschlägen auf letztere.

 

Im gesamten Jahr 2007 wurden laut tschetschenischem Innenministerium über 70 Rebellen getötet und 325 verhaftet, 139 Bandenmitglieder haben sich freiwillig ergeben, und die Zahl der Anschläge hat sich um 72% reduziert. Das Innenministerium hat 82 seiner Mitarbeiter verloren.

 

Nach Beobachtungen des Berichterstatters der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ist die Geiselnahme von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen, um sie zur Aufgabe zu zwingen, eine neue besorgniserregende Entwicklung. Ein prominentes Beispiel ist der Fall des Feldkommandeurs und ehemaligen tschetschenischen Verteidigungsministers Magomed Chambijew, welcher sich am 3.3.2004 in die Hände der Sicherheitskräfte Ramzan Kadyrows begab, nachdem etwa 20 seiner Angehörigen zuvor festgesetzt worden waren. Im Dezember 2004 wurden acht Verwandte des früheren Präsidenten Aslan Maschadow, darunter eine Schwester und zwei Brüder, entführt, vermutlich von Angehörigen der Sicherheitstruppe von Ramzan Kadyrow. Sieben von ihnen wurden am 31.5.2005 wieder freigelassen; ein Neffe befindet sich noch wegen angeblicher Zugehörigkeit zu einer illegalen bewaffneten Gruppe in Haft. Ramzan Kadyrow, damals erster stellvertretender Ministerpräsident Tschetscheniens, hat sich öffentlich für gesetzliche Regelungen ausgesprochen, die die Strafverfolgung von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen ermöglichen.

 

Nach Informationen von Frau Dzeitova, Direktorin von VESTA (NGO), werden Familienangehörige von früheren Kämpfern (des ersten Tschetschenienkrieges) nicht mehr verfolgt. Es gibt jedoch private Fälle von Blutrache, von der alle männlichen Verwandten betroffen sein können. Frauen, Kinder und ältere Menschen seien davon jedoch ausgenommen. Mit Ausnahme eines vorsätzlichen oder besonders brutalen Mordes ist auch der Freikauf von der Blutrache möglich.

 

Am 22.9.2006 beschloss die Duma eine neue Amnestieverordnung. Sie erfasst Vergehen, die zwischen dem 13.12.1999 und dem 23.9.2006 im Nordkaukasus (Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Tschetschenien, Nordossetien, Karatschajewo-Tscherkessien, Gebiet Stawropol) begangen wurden. De facto wurde die Amnestie jedoch durch Präsident Kadyrow bis zum 15.6.2007 verlängert. Die Amnestie gilt sowohl für Rebellen ("Mitglieder illegaler bewaffneter Formationen", sofern sie bis zum 15.1.2007 die Waffen niederlegen) als auch für Soldaten, erfasst aber keine schweren Verbrechen (u.a. nicht Mord, Vergewaltigung, Entführung, Geiselnahme, schwere Misshandlung, schwerer Raub; für Soldaten: Verkauf von Waffen an Rebellen). Nach Mitteilung des Nationalen Antiterror-Komitees haben sich bis zum Stichtag insgesamt 546 Rebellen gestellt. Etwa 200 Rebellen waren angeblich an Sabotage und Terroraktionen beteiligt, nahezu alle sollen einer illegalen bewaffneten Gruppe angehört haben. Es handelt sich jedoch um keine Amnestie im westeuropäischen Verständnis. Die Leute ergeben sich alle aus mehr oder minder großem Zwang, aber nicht, weil es Bemühungen um Versöhnung und Reintegration gibt.

 

"Memorial" kritisierte jedoch, dass wegen der zahlreichen Ausschlussgründe nur diejenigen in den Genuss der Amnestiebestimmungen kommen werden, die "in den Bergen Herbarien angelegt oder Grütze gekocht haben", nicht jedoch Personen, die effektiv an den Kämpfen teilgenommen haben. Zudem drohe selbst Amnestierten eine spätere strafrechtliche Verfolgung, wenn neue Elemente auftauchen. Unabhängige Medien befürchten auch im Hinblick auf Chambijew und andere ehemalige Funktionsträger, dass erneut nur "große Fische" begnadigt und in die staatlichen Strukturen integriert würden, "Kleine" aber leer ausgingen. Ramzan Kadyrow nutzte die Amnestie, um sich als Garant persönlicher Sicherheit und Zentrum einer tschetschenischen Sammlungsbewegung zu profilieren. Folgerichtig wurde er nach Abschluss der Kampagne auch zum Präsidenten der Teilrepublik ernannt. Er trägt somit persönlich Verantwortung nicht nur für den Wiederaufbau der Infrastruktur und die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auch für die weitaus schwierigere gesellschaftliche Erneuerung.

 

Asylländerbericht Russland, 4.9.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 22.11.2008

 

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Russische Föderation, Menschenrechtslage und Politik, Tschetschenienkonflikt, Juli 2008

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau Leila Dzeitova (Direktorin von VESTA)

 

Bescheid des UBAS vom 17.4.2008, 377-1/5E-VIII/22/07

 

US State Department, Country Reports on Human Rights Practices 2007, vom 11.3.2008

 

1.1.4 Versorgungslage

 

Die humanitäre Situation in Tschetschenien hat sich in den letzen Jahren verbessert, in den Nachbarrepubliken jedoch eher verschlechtert. Die EU Kommission unterstützt den Wideraufbau im April 2008 mit 11 Millionen Euro.

 

Dennoch gibt es insbesondere in der Strom- und Wasserversorgung große Defizite - die Stromversorgung fällt oft aus, Wasser ist zumeist nur an einem Zentralhahn für das gesamte Gebäude verfügbar. Zumindest ebenso problematisch, wenn nicht sogar ein größeres Problem stellt die Müll- und Abwasserentsorgung (und allgemein die Umweltverschmutzung z.B. durch die primitive Gewinnung von Erdölprodukten) dar. Die Situation außerhalb des Großraumes von Grosny gestaltet sich noch schwieriger.

 

Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 22.11.2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

1.1.5 Medizinische Versorgungssituation

 

Der Kollaps der medizinischen Versorgung begann sich bereits zu Anfang der 1990er abzuzeichnen. Die beiden Tschetschenienkriege führten schließlich 1996-1999 zu einem völligen Kollaps des Systems.

 

Der generelle Gesundheitszustand in Tschetschenien ist sehr schlecht. Der hohe Bedarf an ärztlicher Behandlung entsteht zum einen durch tausende Menschen, die nach ihrer Flucht wieder zurückgekehrt sind und unter Kriegsverletzungen leiden. Zum anderen kommt es durch Schießereien, bei Unfällen mit Militärfahrzeugen oder Explosionen von Minen immer noch zu neuen Verletzungen. Auch chronische Lungen-, Nieren- und Herz-Kreislaufleiden sind weit verbreitet, ebenso Tuberkulose, um deren Behandlung sich ebenfalls Ärzte ohne Grenzen bemüht. Radioaktive Verstrahlung und deren Folgen sind ein ernstzunehmendes Problem in Tschetschenien (im Norden und in der Nähe von Vedeno werden illegale Ablagerungsstätten für radioaktives Material vermutet). Gleichzeitig fehlt es an medizinischer Grundversorgung, vor allem im Bereich Gynäkologie und Geburtshilfe, was zu einer hohen Komplikationsrate und Geburt von behinderten Kindern führt.

 

Der höchste Level an Gesundheitsversorgung besteht in Grosny. Dort gibt es 11 Krankenhäuser, 21 Polykliniken und 6 Klinken. Es gibt jedoch nur wenig Spezialisten in der Stadt. Pro 10.000 Einwohner gibt es laut Angaben der Regierung Kadyrow nur 24,2 Ärzte für Primärmedizin. Neben dem Wiederaufbau von Gebäuden und Straßen laufen auch Programme zur Sanierung der Gesundheitsversorgung. Auch hier muss noch einiges an Zeit und Geld investiert werden, um die Basisversorgung sicherzustellen. Die Krankenhäuser kämpfen vor allem mit mangelnder Ausstattung hinsichtlich medizinischer Geräte und Medikamenten, aber auch von Versorgungsleistungen, wie Stromversorgung oder Abwasserbeseitigung. Der Standard der verfügbaren Versorgung hängt jedoch sehr stark von den finanziellen Möglichkeiten des Betroffenen ab. An einer Grundversorgung von finanziell schwachen Rückkehrenden mangelt es daher ebenso.

 

Ein 2006 ins Leben gerufenes Programm mit dem Titel "Sdorowje" (Gesundheit) trägt mit Renovierungen von Krankenhäusern, Neueröffnungen von medizinischen Einrichtungen, Beschaffung von Ausstattung und Material und Ausbildung von Personal zur Verbesserung der allgemeinen medizinischen Versorgung bei. Laut Angaben der Regierung von Kadyrow wurden 2007 im Rahmen dieses Projekts 163,221 Millionen Rubel investiert.

 

Die internationale Gemeinschaft unterstützt Programme, die die Wiederherstellung der Gesundheitsversorgung vorantreiben sollen (dazu näher Inter-Agency Transitional Workplan for the North Caucasus). Die EU, WHO Europa und UNICEF haben 2007 12,7 Millionen Euro in Projekte auf dem Gesundheits- und Ausbildungssektor investiert. Das IKRK stellte seine finanzielle Unterstützung 2008 ein, da diese weitestgehend von der föderalen und lokalen Regierung übernommen wurde. Schulungsmaßnahmen und Hilfsleistungen an das Orthopädiezentrum in Grosny werden jedoch nach wie vor fortgesetzt. Zahlreiche andere NGOs sind in Tschetschenien aktiv. Auch wenn sich die Lage bessert, bleibt der Gesundheitsstandard in Tschetschenien noch immer hinter dem der Russischen Föderation zurück.

 

Aufgrund der mangelnden Ausstattung ist es üblich, im Falle der Notwendigkeit einer Operation auf Krankenhäuser in der Russischen Föderation (Sochi, Rostov oder Moskau) auszuweichen - in Tschetschenien selbst fehlt es noch an Infrastruktur, Ausrüstung und Spezialisten. So wurden in den ersten Monaten von 2006 1.263 Tschetschenen in Rostov wegen Krebs behandelt. Es besteht eine hohe Nachfrage, die Medikamente, welche nicht selten abgelaufen sind, teuer macht.

 

Im Herbst 2007 wurde in Grosny angesichts der steigenden AIDS-Rate ein Zentrum für Prävention und Kontrolle von AIDS eröffnet. Die Verbreitung von HIV erfolgt vor allem über den Gebrauch von infizierten Spritzen, denn mehr als die Hälfte der HIV-Infizierten sind drogensüchtig. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, läuft auch ein Programm zur Bekämpfung von Alkohol- und Drogensucht, in dessen Rahmen Ende 2007 mit Unterstützung der WHO eine Entzugsklinik in Grosny eröffnet wurde, an der 2000 Menschen als drogenabhängig registriert sind. Angesichts der gesellschaftlichen Tabuisierung des Gebrauchs von Drogen könnte allerdings die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher sein.

 

Fast alle intern Vertriebenen leiden laut Ärzte ohne Grenzen außerdem unter Angstzuständen, Depressionen und/oder Schlaflosigkeit und benötigen dringend psychologische Betreuung, die in Tschetschenien derzeit nicht vorhanden sei. 2007 errichtete jedoch das Danish Refugee Council vier psychosoziale Rehabilitationszentren in Grosny. Nach Informationen von Fiona Corrigan, Schweizer Bundesamt für Migration, sollte es an jeder Schule einen psychologischen Dienst für Kinder geben. Dieser wird jedoch nach ihrem Wissensstand nur an einer Schule in Grosny angeboten.

 

Accord, Auskunft vom 13.5.2008 zur medizinischen Versorgung und Grundversorgung in Tschetschenien

 

Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007

 

Asylländerbericht Russland, 4.9.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 22.11.2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part I, Februar 2008

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau Leila Dzeitova (Direktorin von VESTA)

 

1.1.6 Rückkehrer

 

Im Dezember 2007 wandte sich Präsident Kadyrow mit einer Ansprache an die im Ausland lebenden Tschetschenen und rief sie zur Achtung ihrer eigenen Gesetze und Kultur, aber auch zu Toleranz gegenüber anderen Nationalitäten auf. Zur Ergänzung wurden an Dutzende tschetschenische Gemeinschaften inner- und außerhalb der Russischen Föderation DVDs, Videos, Fotos und ähnliche Materialien verschickt, die über die positiven Entwicklungen der letzten Jahre informieren sollten. Um seine Landsleute zu einer Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen, verspricht der Präsident, alles in seiner Macht stehende zu tun, um ihnen akzeptable Lebensbedingungen zu bieten. Er hebt besonders die fortgeschrittenen Renovierungen der Städte und Dörfer, den Bau von Moscheen, die Einrichtung von Krankenhäusern und die Wiederbelebung des Bildungssektors hervor.

 

Tatsächlich ist eine Rückkehr nach Tschetschenien aber mit Problemen verbunden. Neben Personen, die beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt haben, ziehen nach Informationen von UNHCR vor allem Rückkehrende aus dem Ausland bei ihrer Wiedereinreise an der Grenze automatisch die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes FSB auf sich. Sie werden oft verdächtigt, während ihrer Abwesenheit die Rebellen unterstützt oder im Ausland ein Vermögen angehäuft zu haben, wodurch sie zu Opfern von Erpressung werden. Es gibt keine gesicherten Berichte, ob Rückkehrer verfolgt werden. Frau Dzeitova, Direktorin von VESTA, spricht jedoch davon, dass (freiwillig) Zurückkehrende nicht verfolgt werden und froh seien, dass sie zurückgekommen seien.

 

Durch die Tschetschenisierung des Konflikts, d. h. die Übertragung der Macht auf Kadyrow und sein Regime, geht die Gewalt weniger von föderativen, sondern überwiegend von den tschetschenischen Behörden aus. Diese stehen mit dem russischen Verteidigungs- und Innenministerium, inklusive FSB, in Verbindung und haben Zugang zu deren Daten, kennen aber auch die relativ kleine Bevölkerung Tschetscheniens sehr gut. Somit ist es deutlich schwieriger geworden, den Machthabenden zu entrinnen.

 

Accord, Auskunft vom 13.5.2008 zur medizinischen Versorgung und Grundversorgung in Tschetschenien

 

Asylländerbericht Russland, 4.9.2007

 

Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau Leila Dzeitova (Direktorin von VESTA)

 

1.1.7 Innerstaatliche Fluchtalternative

 

Außerhalb der tschetschenischen Republik ist die Registrierung von Tschetschenen (noch) immer ein großes Problem.

 

Die Lebensbedingungen für die Flüchtlinge in den Übergangsunterkünften in der russischen Teilrepublik Inguschetien sind unter allen Aspekten schwierig. Inguschetien und das russische Katastrophenschutzministerium können nur ein Mindestmaß an humanitärer Hilfe leisten und sind mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert. Hinzu kommt die sich in Inguschetien im Vergleich zu den letzten Jahren rapide verschlechternde Sicherheitslage. Zwar richten sich die meisten Angriffe auf Sicherheitskräfte, doch berichtet UNHCR von Übergriffen auf Arbeitsmigranten in Inguschetien. Die Situation in Dagestan ist ebenso schlimm, sodass in diesen beiden Nachbarrepubliken nach Einschätzung des UNHCR nicht vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden kann.

 

Die Lage der Tschetschenen in der übrigen Russischen Föderation hat sich nicht verbessert. Die Russische Regierung benützt nach wie vor ihre eigene Definition der "Zwangsmigranten", anstelle des UNO-Begriffs IDP. Ersterer muss von einer Region der Föderation in eine andere migriert sein, womit alle innerhalb von Tschetschenien Vertriebenen ausgeschlossen sind. Außerdem gehören Opfer von Menschenrechtsverletzungen, von Übergriffen durch Sicherheitskräfte, etc. nicht zu den "Zwangsmigranten". Russland hat bisher 13.000 ethnische Russen, Armenier und Juden aus Tschetschenien als "Zwangsmigranten" anerkannt. Ethnischen Tschetschenen wird dieser Status jedoch systematisch verweigert. Nur "Zwangsmigranten" können jedoch legal arbeiten oder Grundstücke erwerben und nur sie haben Zugang zum Gesundheits- und Bildungswesen, sowie zu Altersrenten.

 

Art. 27 der russischen Verfassung garantiert jedem Bürger das Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht seinen Wohnort zu wählen. Dieses Recht kann jedoch durch einfache Gesetze gemäß Art 55 der Verfassung beschränkt werden. Das aus Sowjetzeiten stammende sogenannte "Propiska"-System, demzufolge an jedem neuen Wohnort ein Registrierungsgesuch eingereicht werden musste, ist offiziell abgeschafft worden. An die Stelle des Propiska-Systems ist die Benachrichtigung der Behörden über die Wohnsitznahme getreten (Gesetz Nr. 5242-1), wobei zwischen vorübergehendem (bis zu 90 Tagen) und permanentem Wohnsitz unterschieden wird. Zur Registrierung muss ein Inlandsreisepass und ein Kauf- bzw Mietvertrag vorgelegt werden, wobei Tschetschenen bei der Wohnungssuche auf Grund der vorherrschenden Ressentiments benachteiligt sind. Faktisch wird jedoch das Propiska-System - entgegen den Entscheidungen des russischen Verfassungsgerichtshofes - weiterhin angewendet bzw die Registrierung eines vorübergehenden Wohnsitzes verweigert. Grundsätzlich betrifft dies zwar alle Einwohner, Tschetschenen sind jedoch überproportional stark diskriminiert, indem ihnen oft die Niederlassung verweigert wird. Die Anmeldung ist jedoch Voraussetzung für Zugang zum Arbeitsmarkt, Schulbildung, Gesundheitsversorgung und anderen sozialen Rechten. Menschen, die sich illegal aufhalten, haben auch ein größeres Risiko, bei Ausweiskontrollen belästigt zu werden.

 

In den Regionen Moskau, Krasnador und Kabardino-Balkaria bestehen überdies (verfassungswidrige) Gesetze, die die Freiheit der Wohnsitzwahl beschränken. Nach einem Bericht des russischen Generalbevollmächtigten für Menschenrechte, Oleg Mironov, vom 15.9.2000, war die Ankunft aus einer anderen Region bzw einem anderen Staat ohne vorangehende Bindung an die Region, in der sich der Betroffene nunmehr niederlassen will, einer der häufigsten Gründe, die Registrierung zu versagen.

 

Die Ausstellung von Registrierungsdokumenten ist oftmals (auch für Nicht-Tschetschenen) nur gegen Bestechung möglich. Allgemein wurde die Informationslage über diese Frage (Lebensbedingungen von Tschetschenen in anderen Teilen der Russische Föderation) als nicht ausreichend angesehen.

 

Der Umstand, dass zahlreiche Tschetschenen bei der Flucht aus der Heimat vor 1997 ihre Rentenberechtigungsscheine nicht mitgenommen haben, berauben praktisch alle Rentner und Invaliden aus Tschetschenien der Möglichkeit, ihre Rente ausbezahlt zu bekommen.

 

Informationen über Suche nach Arbeitskräften und erleichterte Aufnahme von Neuankömmlingen stehen solche über Ablehnung "kaukasischer" Personen (die auch politisch instrumentalisiert wird) entgegen.

 

Die Bevölkerung begegnet Tschetschenen größtenteils mit Misstrauen. Hier wirken sich latenter Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Teilen der russischen Bevölkerung und insbesondere die negative Wahrnehmung der Tschetschenen aus. Berichte über Kontakte der tschetschenischen Rebellen zu den Taliban und Osama Bin Laden, die Geiselnahme 2002 in Moskau und die Anschläge 2004 haben dies noch verstärkt.

 

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, dass die Möglichkeit einer Ansiedlung in anderen Teilen der Russischen Föderation bei Fehlen staatlicher Verfolgung im Einzelfall zu prüfen ist. Dabei spielen angesichts von möglichen Schwierigkeiten bei der Registrierung ein Netzwerk von Verwandten und Bekannten sowie die Möglichkeit der Kontaktierung von NGOs eine Rolle. Nicht registrierte Tschetschenen können allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Russlands überleben, wobei wiederum Faktoren, wie Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse relevant sein können. Für arbeitsfähige Menschen hat sich die Möglichkeit der Teilnahme am Arbeitsmarkt in anderen Teilen Russlands jedoch erhöht.

 

Accord Auskunft vom 13.09.2005 zur Situation von Tschetschenen außerhalb des Nordkaukasus

 

Accord und UNHCR, Summary of the Accord-UNHCR country of origin information seminar, 18.10.2007

 

Asylmagazin, Schwerpunkt: Tschetschenien - Tschetschenien Anfang 2008 - Eine Auswertung aktueller Informationen, März 2008

 

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, einschließlich Tschetschenien, vom 22.11.2008

 

Bundesasylamt, Chechen Republic: Information about the country and situation of Chechens in the Russian Federation Part II, Februar 2008

 

Bundesasylamt, Mitschrift des Besuches von Frau Leila Dzeitova (Direktorin von VESTA)

 

US State Department, Country Reports on Human Rights Practices 2007 vom 11.3.2008

 

1.2 Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

 

Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger der tschetschenischen Volksgruppe. Er ist mit der Beschwerdeführerin zu D6 308025-3/2008 verheiratet und Vater dreier Kinder (darunter sind die Beschwerdeführer zu D6 308027-3/2008 und D6 308026-3/2008). Der Beschwerdeführer wurde nicht zum Russischen Heer einberufen und hat auch nicht direkt an den Kriegshandlungen teilgenommen. Unter seinen Verwandten und Schulkameraden zählten dagegen einige zu den tschetschenischen Rebellen, wie zum Beispiel auch sein Cousin C.B., der als Soldat in der Armee Maschadows, des früheren tschetschenischen Präsidenten, diente. Der Beschwerdeführer hat während des ersten und auch (anfänglich) während des zweiten Tschetschenienkrieges die tschetschenischen Rebellen mit Lebensmitteln, Medikamenten und mit Geld unterstützt. In dieser Zeit lebte er im 10 km von Grosny entfernten X.. Nach der Heirat seiner Ehefrau im Jahr 2000 vermied er schließlich den Kontakt mit den Rebellen und hatte in der Folge bis zum Jahr 2005 insoweit auch keine Probleme mit den russischen (oder lokalen tschetschenischen) Sicherheitskräften.

 

Im Jänner 2005 brachten nicht näher bekannte Personen C.B., den Cousin des Beschwerdeführers, zu ihm nach Hause. Der Beschwerdeführer vermutete anhand der Symptome bei seinem Cousin eine TBC-Erkrankung, versorgte ihn mit Medikamenten und Verpflegung und hielt ihn bei sich zu Hause versteckt. Mitte Juli 2005 drangen im Zuge einer Säuberungsaktion russische und tschetschenische Sicherheitskräfte in das Haus des Beschwerdeführers ein und nahmen diesen sowie seinen Cousin fest. Beide wurden in ein Auto gezerrt, welches in Richtung A. fuhr. Unterwegs wurden sie mit den Füßen getreten und nach ihren Kontakten zum tschetschenischen Widerstand befragt. Während der Fahrt bat der Cousin des Beschwerdeführers mehrmals um dessen Freilassung und bot an, wichtige Informationen preiszugeben, wenn der Beschwerdeführer, der unschuldig sei und Familie habe, freigelassen werde. Schließlich hielten die Soldaten das Fahrzeug an und stießen den Beschwerdeführer aus dem Wagen auf die Straße. Der Beschwerdeführer hatte zwei Gesichter jener Tschetschenen, die mit den russischen Sicherheitskräften an der Säuberungsaktion beteiligt waren, zu Gesicht bekommen, niemanden jedoch erkannt. Lediglich aufgrund des Dialektes konnte er feststellen, dass sie seinem eigenen Taip nicht angehörten. Zwei bis drei Tage danach erstattete der Vater des Beschwerdeführers wegen der Festnahme seines Sohnes sowie der Verletzung seines Enkelkindes Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.

 

Kurz darauf wurden mehrfach handschriftlich verfasste Drohschreiben im Hof gefunden, in denen dem Beschwerdeführer mit seiner Tötung gedroht wurde. Ende Juli 2005 wurde - als weitere Drohung - das Haus des Beschwerdeführers in Brand gesetzt. Urheber dieser Einschüchterungsversuche waren jene Tschetschenen, die als Sicherheitskräfte an der Verhaftung des Beschwerdeführers und jener seines Cousins beteiligt gewesen waren. Ende Juli 2005 brachte der Beschwerdeführer seine Familie nach N., Inguschetien. Er selbst folgte erst im August 2005. In N. blieb der Beschwerdeführer mit seiner Familie noch bis November 2005, um dann Russland zu verlassen.

 

In Polen stellten der Beschwerdeführer sowie seine Familienangehörigen jeweils einen Asylantrag, der abgewiesen wurde. Ein befristetes Aufenthaltsrecht ("pobyt") wurde jedoch zuerkannt. Am 11.11.2006 flogen der Beschwerdeführer und seine Familie von Warschau nach Wien, wo sie im Transitbereich des Flughafens Anträge auf internationalen Schutz stellten.

 

2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.1 Die Länderfeststellungen beruhen auf den jeweils angegebenen Quellen. Der entscheidungsrelevante Inhalt der Berichte entspricht im Wesentlichen den in der Verhandlung erörterten (zusammengefassten) vorläufigen Schlussfolgerungen des erkennenden Senates. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den erkennenden Senat kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben in den Länderberichten zu zweifeln.

 

2.2 Bei den Feststellungen zur Identität und Nationalität des Beschwerdeführers folgte der erkennende Senat dessen eigenen Angaben. Was seine Nationalität anbelangt, wurde diese bereits von der belangten Behörde festgestellt. Es sind im Verfahren keine Zweifel hervorgekommen, die die Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in Frage stellen könnten.

 

Die Feststellungen zu den Fluchtgründen stützten sich ebenfalls auf die Aussagen des Beschwerdeführers in der Verhandlung, in welcher er persönlich glaubwürdig erschien und seine Erlebnisse nachvollziehbar, plausibel und logisch darlegen konnte. Im Rahmen seiner Befragung in der Verhandlung gelang es dem Beschwerdeführer in überzeugender Weise, die von der belangten Behörde in ihrer Beweiswürdigung angeführten Ungereimtheiten bzw. Widersprüche entweder gänzlich auszuräumen oder zumindest die Gründe für eine allfällige Divergenz in seinen Aussagen und jenen seiner Ehefrau glaubwürdig zu erläutern: Dies gilt sowohl für das Vorbringen, wonach die Ehefrau den Ausreisezeitpunkt aus Tschetschenien bzw. aus Inguschetien in ihrer Aussage verwechselt (Seite 8 des Verhandlungsprotokolls), als auch die nähere Darlegung, wie es zu den unterschiedlichen Aussagen über die Person des in der ersten Hälfte des Jahres 2005 beherbergten Cousins gekommen war und weshalb der Beschwerdeführer und seine Ehefrau nicht umgehend die unrichtige Darstellung korrigierten (Seite 9 des Verhandlungsprotokolls); dass es sich dabei um ein Missverständnis bei der Übersetzung im Rahmen der Erstbefragung handelt, gesteht der erkennende Senat dem Beschwerdeführer sowohl aufgrund der Überlegung zu, dass es "verfahrenstaktisch" völlig unnötig gewesen wäre, die Identität des Cousins "auszuwechseln", als auch wegen des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers sowie des Umstandes, dass die Schilderungen in ihrer Gesamtheit vor dem erkennenden Senat in sich stimmig und schlüssig erschienen. Zudem wird die Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Aussagen des Beschwerdeführers ferner durch den Umstand verstärkt, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers in dieser Hinsicht übereinstimmende Angaben im Rahmen der getrennt durchgeführten Befragung machte (Seite 10 der Verhandlungsniederschrift).

 

Auch die Motive seines Vaters für die Erstattung der Anzeige, einem zentralen Aspekt der Fluchtgeschichte, hat der Beschwerdeführer überzeugend und plausibel dargelegt (Seite 7 der Verhandlungsniederschrift). Gleiches ist für die Erläuterung der Beweggründe, was die Ausstellung neuer Reisepässe kurz vor der Festnahme anbelangt (Seite 9 der Verhandlungsniederschrift).

 

Der Beschwerdeführer hat - ebenso wie seine Ehefrau- sich erkennbar und sichtlich bemüht, an der Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes wahrheitsgemäß mitzuwirken. Dies zeigte sich insbesondere in der Schilderung des Beschwerdeführers von einer (folgenlos gebliebenen) Säuberungsaktion im Jahr 2001, deren Bedeutung er überhaupt nicht hervorhob und die er auch nicht zugunsten einer "Steigerung" des Fluchtvorbringens benützte (Seite 4 des Verhandlungsprotokolls). Der Beschwerdeführer konstruierte somit keine weiteren Verfolgungshandlungen, um s

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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