TE OGH 2009/3/2 15Os23/09k

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Veröffentlicht am 02.03.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. März 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klugar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Arman K***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB, AZ 11 E Hv 49/08s des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 20. Jänner 2009, AZ 19 Bs 17/09b, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Arman K***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der armenische Staatsangehörige Arman K***** ist nach dem Inhalt des angefochtenen Beschlusses des Oberlandesgerichts Wien dringend verdächtig die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB begangen zu haben, weil er am 16. November 2008 in Wien Lukasz B***** und Alexander W***** mit dem Tod, einer Verstümmelung und einer auffallenden Verunstaltung gefährlich bedroht habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ein Springmesser vor ihrem Gesicht und Oberkörper ruckartig hin und herbewegte. Über den Angeklagten wurde am 18. November 2008 die Untersuchungshaft verhängt. Am 15. Dezember 2008 brachte er einen Enthaftungsantrag ein, dem nach am 29. Dezember 2008 durchgeführter Haftverhandlung nicht Folge gegeben wurde, weshalb die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO fortgesetzt wurde. Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Wien der dagegen gerichteten Beschwerde des Angeklagten nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem genannten Haftgrund unbefristet fort.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete Grundrechtsbeschwerde schlägt fehl. Ihr zuwider wurde durch die Durchführung der Haftverhandlung erst 14 Tage nach Einbringung des Enthaftungsantrags nicht gegen Art 6 Abs 1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit verstoßen.

Die in - den Art 5 Abs 4 MRK innerstaatlich präzisierenden und ergänzenden - Art 6 PersFrSchG verfassungsrechtlich verankerte Frist von einer Woche gilt nur für die erstmalige Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde. Für die weitere Anhaltung von unbestimmter Dauer verlangt Art 6 Abs 2 PersFrSchG hingegen nur deren Überprüfung in angemessenen Abständen (vgl § 175 StPO). Gemäß § 176 Abs 1 Z 2 StPO ist eine Haftverhandlung ohne Verzug anzuberaumen, wenn der Beschuldigte seine Enthaftung beantragt und sich der Staatsanwalt dagegen ausspricht. Dieser auch im Strafprozessreformgesetz BGBl I 2007/109 vom Gesetzgeber - im Gegensatz zu §§ 172 Abs 1, Abs 3, 174 Abs 1 StPO - ohne Bestimmung einer Maximalfrist übernommene unbestimmte Gesetzesbegriff „ohne Verzug" ist nicht mit der einwöchigen Frist des Art 6 Abs 1 PersFrSchG gleichzusetzen. Er ist vielmehr verantwortungsvoll jeweils an den besonderen Umständen des Einzelfalls zu messen und zu beurteilen (vgl SSt 63/60). Der Grundrechtsbeschwerde zuwider gilt dies unbeschadet dessen, ob der Beschuldigte bei der ersten gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzugs durch das Gericht bereits durch einen Verteidiger vertreten war oder nicht. Eine Einschränkung der Rechte des Beschuldigten auf Beiziehung eines Verteidigers im Sinn der §§ 58, 59 Abs 1 und 164 Abs 1 und 2 StPO fand gegenständlich nicht statt. Vielmehr wurde der Beschuldigte sowohl vor der Polizei (S 47) wie auch vor dem Ermittlungsrichter (ON 4 S 3) über seine Rechte auf Verständigung und Beiziehung eines Verteidigers belehrt, hat vor seiner polizeilichen Vernehmung ausdrücklich auf die Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger verzichtet (S 47) und vor Gericht die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 61 Abs 2 StPO beantragt (ON 4 S 5), ohne den er keine Aussage abzulegen bereit sei (ON 4 S 3). Ungeachtet dessen war der Richter nicht verhalten, mit seiner Vernehmung gemäß § 174 Abs 1 erster Satz StPO bis zur Beigebung eines Verteidigers und dessen Stelligmachung zuzuwarten, musste er doch zwingend binnen 48 Stunden nach der Einlieferung des Beschuldigten über den Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft entscheiden (§ 174 Abs 1 letzter Satz StPO) und war grundsätzlich auch berechtigt, diese ohne Vorliegen einer gerichtlichen Aussage des Beschuldigten nur auf Basis der vorliegenden Verfahrensergebnisse zu verhängen. Hierin lag aber - der Grundrechtsbeschwerde zuwider - eine gesetzlich vorgesehene und auch aus Sicht des Art 6 MRK unbedenkliche erste richterliche Prüfung der Haftfrage begründet.

Durch die Durchführung der Haftverhandlung erst 14 Tage nach Einbringung des Enthaftungsantrags wurde aber im konkreten Fall auch nicht gegen § 176 Abs 1 Z 2 StPO oder das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (§ 9 Abs 2 StPO) verstoßen. Denn der Enthaftungsantrag vom 15. Dezember 2008 wurde zunächst am 16. Dezember 2008 der Staatsanwaltschaft zur gesetzlich erforderlichen Stellungnahme übermittelt und langte von dort am 18. Dezember 2008 zurück. Am 19. Dezember 2008 wurde die Haftverhandlung für Montag, den 29. Dezember 2008 ausgeschrieben, die Ladung hiefür wurde dem Verteidiger am 23. Dezember 2008 zugestellt. Der Tag der Haftverhandlung war der erste Werktag nach den Weihnachtsfeiertagen. Die Haftverhandlung fand somit ohne Verzug im Sinn des § 176 Abs 1 Z 2 StPO statt; ihre Anberaumung für einen Termin erst 14 Tage nach Einbringung des Haftantrags verstieß auch nicht gegen das Beschleunigungsgebot.

Soweit die Grundrechtsbeschwerde unter Verweis auf die spätere Verurteilung des Angeklagten nur in Richtung § 107 Abs 1 StGB behauptet, „dieses Ergebnis" sei „demnach schon bei der Haftverhandlung vorauszusehen" gewesen, bekämpft sie nicht die Sachverhaltsannahmen des Oberlandesgerichts zum dringenden Tatverdacht in der gesetzlich gebotenen Weise (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO; RIS-Justiz RS0110146).

Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Anmerkung

E9021515Os23.09k

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0150OS00023.09K.0302.000

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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