TE Vfgh Beschluss 2009/2/24 G110/08 ua

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Veröffentlicht am 24.02.2009
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AVG §7, §53
VfGG §62 Abs1
VStG §51e

Leitsatz

Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung von Bestimmungenbetreffend den Unabhängigen Verwaltungssenat, des AVG und VStGmangels Darlegung der Bedenken im einzelnen bzw Präzisierung desAufhebungsumfanges und wegen zumutbaren Umwegs infolge Anhängigkeiteines Verwaltungsstrafverfahrens

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit dem durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt

eingebrachten Schriftsatz vom 17. Juli 2008 stellten die Antragsteller folgende Anträge:

"Der Verfassungsgerichtshof möge aus Anlass dieses konkreten Falles

1. gem. Art140 Abs1 B-VG in einem amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahren die §§7, 53, 57 AVG [gemeint §57 VfGG] sowie §51e VStG prüfen,

2. die Gesamtheit der Bestimmungen betreffend des Unabhängigen Verwaltungssenates einem Gesetzesprüfungsverfahren unterwerfen,

3. und das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), das Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG) auf Konformität zum Art6 EMRK prüfen,

4. dem Antragsteller Kostenersatz für alle anfallenden Kosten gemäß §27 letzter Satz VfGG zuzüglich USt zusprechen."

2. Zur Antragslegitimation wird vorgebracht, dass die Antragsteller aufgrund eines beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens wegen Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (Z UVS-07/A/26/6552/2007) direkt von den Bestimmungen über das Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat betroffen seien. Diesen Bestimmungen zufolge sei es für eine Partei nicht möglich, schon während eines Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat einen Ablehnungsantrag zu stellen, sofern Zweifel an der Unbefangenheit des zuständigen Mitgliedes des unabhängigen Verwaltungssenats bestehen.

3. Die Antragsteller behaupten, durch die §§7 und 53 AVG, 57 VfGG und 51e VStG in ihren "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren, Rechtsstaatlichkeitsprinzip, Beachtung des Gleichheitssatzes, Recht auf einen nummerierten, journalisierten Akt sowie Recht auf amtswegige Übermittlung und Ermittlung" verletzt zu werden und legen ihre Bedenken im Einzelnen dar.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit der Anträge erwogen:

1.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

1.2. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2.1. ("Individual"-)Anträge nach Art140 B-VG, die nicht begehren, das - nach Auffassung des Antragstellers verfassungswidrige - Gesetz seinem "ganzen Inhalte" nach oder in "bestimmte[n] Stellen" aufzuheben (§62 Abs1 Satz 1 VfGG), oder die keine Darlegung der gegen die Verfassungsmäßigkeit der aufzuhebenden Norm sprechenden Bedenken "im einzelnen" enthalten (§62 Abs1 Satz 2 VfGG), sind nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht verbesserungsfähig und als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 11.150/1986, 11.970/1989).

2.2. Es ist daher Prozessvoraussetzung eines Gesetzesprüfungsverfahrens nach Art140 Abs1 B-VG, dass im Antrag sowohl die bekämpften Stellen des Gesetzes genau und eindeutig bezeichnet (s. VfSlg. 9850/1983, 9880/1983) als auch die Gründe der behaupteten Verfassungswidrigkeit - in überprüfbarer Art - präzise ausgebreitet werden (vgl. VfSlg. 11.150/1986).

2.3. Die Antragsteller beantragen, "die Gesamtheit der Bestimmungen betreffend des Unabhängigen Verwaltungssenates" einem Gesetzesprüfungsverfahren zu unterwerfen, ohne dabei die gegen die Verfassungsmäßigkeit der aufzuhebenden Normen sprechenden Bedenken iSv §62 Abs1 Satz 2 VfGG "im einzelnen" darzulegen. Ebenso wenig enthält der Antrag, das AVG und das VStG auf ihre Konformität zu Art6 EMRK hin zu prüfen, ein formentsprechendes Aufhebungsbegehren, da es an der von §62 Abs1 Satz 1 VfGG geforderten, jeden Zweifel über den Umfang des Aufhebungsantrages ausschließenden Grenzziehung fehlt. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass der Verfassungsgerichtshof nicht befugt ist, Gesetzesvorschriften auf Grund bloßer Vermutungen darüber, welche Normen der Antragsteller ins Auge gefasst haben könnte, in Prüfung zu ziehen (s. VfSlg. 11.150/1986).

2.4. Die Anträge sind aus den dargelegten Gründen als unzulässig zurückzuweisen.

3.1. Im Hinblick auf die von den Antragstellern ausdrücklich genannten und daher vom Aufhebungsbegehren jedenfalls erfassten §§7 und 53 AVG, 57 VfGG und 51e VStG steht den Antragstellern ein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des behaupteten verfassungswidrigen Eingriffs zur Verfügung. Ein solcher zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offen stehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normprüfungsantrags einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10.251/1984).

3.2. Zwar ist es unzumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um solcherart Gelegenheit zu bekommen, ein amtswegiges Normprüfungsverfahren zu initiieren (vgl. zB VfSlg. 8396/1978, 8464/1978). Ist ein Strafverfahren aber ohnehin bereits anhängig, so ist es dem Beschuldigten durchaus zumutbar, den administrativen Instanzenzug auszuschöpfen und sodann beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin seine Bedenken gegen die generelle Norm vorzubringen (vgl. VfSlg. 11.481/1987, 11.726/1988, 12.019/1989).

3.3. Ein derartiges Verwaltungsstrafverfahren war gegen die Antragsteller im Zeitpunkt der Einbringung ihres Individualantrags beim Verfassungsgerichtshof anhängig (s. Punkt I.2.).

Da sohin ein anderer zumutbarer Weg gegeben war, die gegen die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sprechenden Bedenken geltend zu machen, ist der Antrag mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigte sich eine Prüfung der Frage, ob die vom Antrag erfassten Bestimmungen des AVG, VfGG und VStG überhaupt die Antragsteller zu Normadressaten haben, in ihre Rechtssphäre iSd Art140 Abs1 letzter Satz B-VG unmittelbar eingreifen und sie dadurch zur Stellung eines Individualantrags (in diesem Umfang) legitimieren.

4. Dieser Beschluss konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 litc und gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Bedenken, VfGH / Formerfordernisse,Verwaltungsverfahren, Verwaltungsstrafrecht, UnabhängigerVerwaltungssenat

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:G110.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2010
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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