TE Vfgh Erkenntnis 2009/1/29 U765/08

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Veröffentlicht am 29.01.2009
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AsylG 1997 §7, §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinanderdurch Abweisung eines Asylantrags infolge Unterlassung derErmittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. I Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.380,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsbürgerin von Moldawien, wohnhaft im abtrünnigen Teil Transnistrien, reiste am 7. November 2004 illegal nach Österreich ein und stellte am darauf folgenden Tag einen Asylantrag. Diesen begründete sie damit, dass ihr Mann im Krieg von 1992 auf der Seite Moldawiens gekämpft habe. Die Familie habe sich nach dem Krieg in Varnita niedergelassen. Ihr Mann sei geflohen, da eine Einziehung ins transnistrische Militär unmittelbar bevorgestanden sei. Die Beschwerdeführerin fürchte nun, statt ihrem Mann eingezogen zu werden und würde die Familie auch laufend durch Männer, die dem transnistrischen Militär zuzuordnen seien, bedroht werden. Sie sei nun vorerst alleine nach Österreich gekommen, wolle aber ihre Töchter, die bei ihrer Mutter geblieben seien, auch nach Österreich holen.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom 19. Jänner 2006 gemäß §7 Asylgesetz 1997 ab, erklärte gemäß §8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Moldawien für zulässig und wies die nunmehrige Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Moldawien aus.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom 30. Jänner 2006 hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß §§7 Asylgesetz 1997 als unbegründet abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Moldawien gemäß §8 leg.cit. für zulässig erklärt und die Beschwerdeführerin nach §8 Abs2 leg.cit. nach Moldawien ausgewiesen. Der AsylGH führte am 16. September 2008 eine Verhandlung durch, wobei die Lage im Herkunftsland in dieser nicht thematisiert wurde. Im Erkenntnis führt der AsylGH u.a. aus, dass die Beschwerdeführerin in Bezug auf die angebliche Bedrohung wegen einer Einberufung zum transnistrischen Heer sowie durch Männer aus Transnistrien unglaubwürdig sei und der AsylGH dieses Vorbringen seiner Entscheidung nicht zugrunde legen könne. Diese Vorgehensweise wird auch durchaus begründet. Die Beschwerdeführerin habe zudem keine schwerwiegende Krankheit oder sonstige Gefährdung im Nahebereich des Art3 EMRK behauptet. Ein Verweis auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vor dem BAA, die Feststellungen sowie maßgebliche Erwägungen sind im Erkenntnis nicht enthalten, ebenso keine eigenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsland der Beschwerdeführerin. Vielmehr begnügt sich der AsylGH mit formelhaften Ausführungen zur Rechtslage.

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 17. November 2008. Die Beschwerdeführerin macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Die Beschwerdeführerin behauptet darin, dass der Asylgerichtshof bei der Erlassung des Erkenntnisses Willkür geübt habe und bei einem derartigen, gravierenden Verstoß das Gebot der gleichmäßigen Rechtsanwendung verletzt worden sei. Der Beschwerdeführerin sei weiters zu Unrecht kein Parteiengehör gewährt worden, da ihr kein Dolmetsch für die russische Sprache, obwohl beantragt, zur Seite gestellt worden sei. Sie würde zwar Moldawisch sprechen, aber nicht in dem Maße um in der Lage zu sein, einem Verfahren zu folgen.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht am 16. November 2008 eine Gegenschrift erstattet und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt. In der Gegenschrift führt der AsylGH aus, dass die Beschwerdeführerin angegeben habe, der moldawischen Volksgruppe anzugehören und dass Rumänisch ihre Muttersprache, Russisch aber ihre Zweitsprache sei. Zudem habe sie in der Befragung vom 12. November 2004 angegeben, dass sie Moldawisch sprechen würde, mit einer Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetsch für die rumänische Sprache aber einverstanden zu sein. Erst in der Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof sei ein Dolmetsch für die russische Sprache gefordert worden. Der AsylGH beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Das Erkenntnis des Aslygerichtshofes enthält keine, wie auch immer gearteten Feststellungen zur Lage in Moldawien. Zwischen der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides und der Entscheidung des AsylGH liegen beinahe drei Jahre und es ist dem Erkenntnis nicht zu entnehmen, dass in dieser Zeit der Unabhängige Bundesasylsenat oder nun der AsylGH irgendwelche Ermittlungstätigkeiten zur Lage im Herkunftsland durchgeführt hat (vgl. VfSlg. 18.052/2007). Trotz der durchgeführten Verhandlung ist dem AsylGH somit vorzuwerfen, dass er keinerlei Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt, nämlich insbesondere betreffend die Lage im Herkunftsland, vorgenommen hat. Er hat dies weder in der mündlichen Verhandlung thematisiert, noch der Beschwerdeführerin schriftlich die Möglichkeit gegeben, sich zu der derzeit aktuellen Lage in Moldawien, insbesondere in Bezug auf Transnistrien, oder zu ihrer derzeitigen Situation zu äußern, noch hat er darüber hinaus Ermittlungstätigkeiten gesetzt und in seine Entscheidung auch keine aktuellen Länderberichte in Form von aktuellen Feststellungen zu Moldawien einfließen lassen.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde nicht mehr einzugehen.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2009:U765.2008

Zuletzt aktualisiert am

23.02.2009
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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