TE Vfgh Erkenntnis 1998/6/24 B3736/95

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Veröffentlicht am 24.06.1998
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Index

20 Privatrecht allgemein
20/13 Sonstiges

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs2
EisenbahnenteignungsG §4 Abs2
BStG 1971 §18 Abs2

Leitsatz

Quasi-Anlaßfallwirkung der Aufhebung eines Teils der Kostenersatzregelung im Enteignungsverfahren; keine Beschwerdelegitimation des dinglich Berechtigten im Enteignungsverfahren; teilweise Ablehnung der Beschwerden

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch den Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides insoweit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden, als damit die Kosten der rechtsfreundlichen Vertretung der Liegenschaftseigentümer gemäß §7 Abs3 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954, BGBl. 71, idF des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. 297/1995, mit 101.771,08 S bestimmt werden.

Der angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit 19.800 S bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.

II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Sie wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten wurde eine im gemeinsamen Eigentum der Beschwerdeführer stehende Grundfläche zum Zwecke der Errichtung der S 6 Semmering Schnellstraße im Bereich der Gemeinden Schottwien, Semmering und Spital am Semmering enteignet und den Enteigneten unter anderem eine Pauschalkostenvergütung zur Abgeltung von Aufwendungen für die rechtsfreundliche Vertretung oder sachverständige Beratung im Verwaltungsverfahren gemäß §7 Abs3 Eisenbahnenteignungsgesetz 1954, BGBl. 71, idF des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. 297/1995 (im folgenden: §7 Abs3 EisenbEntG), zuerkannt.

Die Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Unverletzlichkeit des Eigentums, ein faires Verfahren sowie die Verletzung in sonstigen Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung gerügt wird, beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Zuerkennung der Pauschalkostenvergütung gemäß §7 Abs3 EisenbEntG richtet, im Ergebnis begründet. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß anderer Beschwerdeverfahren mit Erkenntnis vom 17. Juni 1998, G372/97 ua., §7 Abs3 des Eisenbahnenteignungsgesetzes 1954, BGBl. 71, idF des ArtXVIII Z1 des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. 297/1995, als verfassungswidrig aufgehoben.

Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren

(VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 17. Juni 1998 statt. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 5. Dezember 1995 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Insofern sich die Beschwerde in allen übrigen Punkten gegen den angefochtenen Bescheid richtet, wird ihre Behandlung unter folgenden Überlegungen einstimmig abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer Angelegenheit, die nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgeblichen Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Nach den Beschwerdebehauptungen wären die gerügten Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht erforderlich. Die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage ist von der Entscheidung in diesen Punkten nicht zu erwarten.

Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berührt, läßt ihr Vorbringen, das nicht dartun kann, daß eine Enteignung auf Vorrat vorliegt und die Zulässigkeit der Enteignung von der Vorschreibung von Lärmschutzmaßnahmen abhängt, vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu einschlägigen Fragen

(VfSlg. 13191/1992, 13481/1993 und 10581/1985 sowie 11760/1988 und 14387/1995) und unter Bedachtnahme auf die vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Verwaltungsakten, insbesondere auch jener der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 14. September 1989 betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufes der S 6 Semmering Schnellstraße im Bereich der Gemeinden Schottwien, Semmering und Spital am Semmering, BGBl. 475/1989, angesichts der Unmöglichkeit, die Wirtschaftlichkeit der Trassenführung an einer künftig möglicherweise entstehenden Eisenbahnverbindung zu messen, die behaupteten Rechtsverletzungen aber auch die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie - unter dem Blickwinkel der vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtsverletzungen - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Da die Angelegenheit auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen ist, behandelt der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde nicht und tritt sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof ab.

III. Dies kann gemäß §19 Abs4

Z3 und §19 Abs3 Z1 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 3.300 S enthalten.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Straßenverwaltung, Enteignung, Parteistellung Straßenverwaltung, Parteistellung Eisenbahnrecht, VfGH / Anlaßfall, Bescheid Trennbarkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B3736.1995

Dokumentnummer

JFT_10019376_95B03736_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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