TE Vfgh Beschluss 1998/6/24 B2041/97

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Veröffentlicht am 24.06.1998
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §33

Leitsatz

Stattgabe eines Wiedereinsetzungsantrags; Aufhebung des die Beschwerde zurückweisenden Beschlusses; Ablehnung der Behandlung der Beschwerde; Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof

Spruch

I. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1997, B2041/97-5, wird aufgehoben.

II. Die Behandlung der Beschwerde wird abgelehnt.

Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die Antragstellerin erhob beim Verfassungsgerichtshof eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 9. Juni 1997, Zl. Fr 1302/97.

Mit Schreiben vom 18. August 1997 - zugestellt am 25. August 1997 - forderte der Verfassungsgerichtshof die nunmehrige Antragstellerin gemäß §18 VerfGG unter Hinweis auf die Säumnisfolgen auf, innerhalb von zwei Wochen den angefochtenen Bescheid, der unvollständig vorgelegt wurde (die Seite 10 fehlte), vollständig in Urschrift, Gleichschrift, Abschrift oder Kopie beizubringen.

Da innerhalb dieser Frist der angefochtene Bescheid wiederum nur unvollständig vorgelegt wurde, wurde die Beschwerde mit Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1997 gemäß §19 Abs3 Z2 litc VerfGG wegen nicht behobenen Mangels formeller Erfordernisse ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen und der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgewiesen. Dieser Beschluß wurde dem Rechtsvertreter der Antragstellerin am 16. Jänner 1998 zugestellt.

2. Mit der am 30. Jänner 1998 zur Post gegebenen Eingabe begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Mängelbehebung. Sie begründet ihren Antrag im wesentlichen wie folgt:

"... Am 25.08.1997 traf in der Kanzlei des Einschreiters die Note

des Verfassungsgerichtshofes vom 18.08.1997 ein, in welcher

mitgeteilt wurde, es weise die Beschwerde vom 04.08.1997 den

folgenden Formmangel auf: 'Der angefochtene Bescheid ... wurde

lediglich unvollständig vorgelegt.'

Am 25.08.1997 befand sich der Einschreiter auf einem 14 Tage dauernden Urlaub, von dem er erst am 28.08.1997 zurückkehrte.

In dieser Urlaubszeit in der Kanzlei anwesend war der Sekretär des Einschreiters ... (es folgt der Name). In der Kanzlei einlangende Poststücke hatte er wie folgt zu behandeln:

Offensichtlich leicht zu erledigende Sachen sollte er sofort

selbst erledigen. Alle anderen Poststücke sollten - wenn hierfür

genug Zeit war - zur Erledigung für die Rückkehr ... (des

Einschreiters) am 28.08.1997 aufbewahrt werden, bei Gefahr im

Verzug jedoch der Rechtsanwältin ... (es folgt der Name)

präsentiert werden, welche sich im vorhinein hierzu bereiterklärt hatte.

Auf jeden Fall sollten alle Poststücke und Erledigungen ... (dem

Einschreiter) nach dessen Rückkehr präsentiert werden.

Die Note des Verfassungsgerichtshofes vom 18.08.1997 ON 2 langte in der Kanzlei des Einschreiters ein in der Form, daß von der Kanzlei des Verfassungsgerichtshofes in die linke obere Ecke derselben ein weißer Zettel geheftet war mit der handschriftlichen Inschrift: 'Bitte noch 2 x 30,-

Bundesstempelmarken auf Bescheid kleben. richtig - pro Bogen 30,-'

In dem Zusammenhalt mit dem Text der Note '... der angefochtene

Bescheid ... wurde lediglich unvollständig vorgelegt.' erschien

dies dem Sekretär als ganz klarer Fall: Die Unvollständigkeit bestand darin, daß die Stempelmarken fehlten. Daß dies die in der Note hervorgehobenen Säumnisfolgen nach §19 Abs3 Verfassungsgerichtshofgesetz nicht bewirken kann, war dem Sekretär selbstverständlich unbekannt.

Herr ... (es folgt der Name) wartete das Eintreffen ... (des Einschreiters) nicht ab und erledigte das Poststück noch am gleichen Tag. Er klebte weitere 2 x S 30,-- Bundesstempelmarken auf den mit der Note mitgesandten Bescheid und sandte ihn zurück an den Verfassungsgerichtshof. Die Note selbst legte er in den Akt und dies unvorhergesehen und weisungswidrig ohne sie dem Einschreiter nach dessen Rückkehr vom Urlaub vorzulegen.

Herr ... (es folgt der Name) ist im Umgang mit Akten und Postsendungen erfahren und stets verläßlich. Er hat eine Büropraxis von sechs Jahren, davon drei Jahre als Sekretär. Es ist ihm noch nie ein solches Mißgeschick passiert.

Beweis: beiliegende eidesstattliche Erklärung

... und ... als Zeugen ..."

3. Gemäß §33 VerfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VerfGG im §33 die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 dieses Gesetzes die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO idF der Zivilverfahrens-Novelle 1983, BGBl. 135/1983, sinngemäß anzuwenden.

Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg. 10489/1985, 10880/1986).

Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG ergibt sich, daß das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muß gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden.

4. Der Einschreiterin wurde erst durch die am 16. Jänner 1998 erfolgte Zustellung des Beschlusses vom 30. September 1997, B2041/97-5 (s.o. I.2.) bekannt, daß dem Auftrag zur Mängelbehebung im Hinblick auf die fehlende Seite 10 des angefochtenen Bescheides durch den Sekretär des einschreitenden Rechtsvertreters nicht nachgekommen wurde. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde am 30. Jänner 1998 zur Post gegeben, also innerhalb der 14-tägigen Wiedereinsetzungsfrist eingebracht.

Er ist auch begründet:

Der Rechtsvertreter der Einschreiterin hat während seiner Abwesenheit seinem Sekretär klare Anweisungen im Hinblick auf einlangende Poststücke gegeben. Der nach dem Antragsvorbringen verläßliche und erfahrene Sekretär ist jedoch dem Auftrag zur Mängelbehebung hinsichtlich der fehlenden Seite 10 des angefochtenen Bescheides nicht nachgekommen, weil er die Unvollständigkeit des Bescheides aufgrund der an das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes angehefteten Aufforderung der Kanzlei des Verfassungsgerichtshofes, noch Bundesstempelmarken nachzureichen, im Fehlen dieser Bundesstempelmarken erblickt hat.

Diese Unterlassung führte zu einer Zurückweisung der Beschwerde wegen nichtbehobenen Mangels formeller Erfordernisse; dies kommt jedenfalls bei unabänderlichen Beschlüssen (wie jenen des Verfassungsgerichtshofes) der Verhinderung an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung gleich.

Das Verschulden an der Unterlassung ist nur als leichte Fahrlässigkeit anzusehen; der Fehler ist daher als ein die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht hindernder, minderer Grad des Versehens iS des §146 Abs1 ZPO einzustufen.

5. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher - gemäß §33 VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung - zu bewilligen.

6. Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1997, B2041/97-5, war gemäß §150 Abs1 letzter Satz ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG aufzuheben (vgl. VfSlg. 13649/1993).

II. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit u.a. ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung der gemäß Art3, Art6 und Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen. Die Sache ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 VerfGG).

Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

VfGH / Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B2041.1997

Dokumentnummer

JFT_10019376_97B02041_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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