TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/4 98/09/0047

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Veröffentlicht am 04.04.2001
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;
62 Arbeitsmarktverwaltung;

Norm

ARB1/80 Art7;
AuslBG §13a;
AuslBG §21;
AuslBG §34 Abs19 idF 1997/I/078;
AuslBG §4c idF 1997/I/078;
AVG §38;
EURallg;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des T in S, vertreten durch Dr. Hansjörg Schweinester, Dr. Paul Delazer und Dr. Rudolf Kathrein, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Adolf-Pichler-Platz 12, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 26. Jänner 1998, Zl. LGSTi/V/13133/1751671-1-702/1998, betreffend Zurückweisung der Berufung in einem Verfahren auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftungsgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich Spruchpunkt 1) und Spruchpunkt 2) im Umfang der Zurückweisung des Berufungsantrages auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Arbeitgeber D, Inhaber eines Gastgewerbebetriebes in N, stellte am 12. November 1997 beim Arbeitsmarktservice Innsbruck (regionale Geschäftsstelle) den Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, für die berufliche Tätigkeit als Küchenhilfe.

Mit einem ebenfalls am 12. November 1997 beim Arbeitsmarktservice Innsbruck eingelangten Schriftsatz brachte der Beschwerdeführer vor, er sei am 7. November 1994 zu seinem mehr als fünf Jahre am österreichischen Arbeitsmarkt integrierten Vater gezogen, die Bezirkshauptmannschaft Schwaz habe ihm auch eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Er lebe und wohne seit drei Jahren durchgehend bei seinem Vater und habe in Österreich einen ordnungsgemäßen Wohnsitz. Der Arbeitgeber D sei bereit gewesen, eine Beschäftigungsbewilligung für ihn zu beantragen. Nach Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich (gemeint: des ARB Nr. 1/80) habe er einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung. Der Beschwerdeführer stellte schließlich den Antrag auf Zuerkennung seiner Parteistellung und auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung.

Mit einem gegenüber dem Arbeitgeber erlassenen Bescheid vom 12. Dezember 1997 hat das Arbeitsmarktservice Innsbruck den Antrag des D auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer gemäß § 4 Abs. 6 AuslBG im Zusammenhalt mit der Verordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales über die Landeshöchstzahl 1997 für das Bundesland Tirol abgelehnt.

Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 20 Abs. 6 AuslBG eine Ausfertigung dieses erstinstanzlichen Bescheides zugestellt.

Dagegen erhoben sowohl der Beschwerdeführer als auch D mit einem gemeinsamen Schriftsatz Berufung. Sie machten darin übereinstimmend geltend, der Beschwerdeführer sei im Rahmen einer Familienzusammenführung mit seinem Vater seit mehr als drei Jahren durchgehend und erlaubt in Österreich. Auf Grund dieser Umstände bestehe nach Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung. Sollte über die Berufung nach dem 1. Jänner 1998 entschieden werden, dann sei dem Beschwerdeführer gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG ein Befreiungsschein auszustellen. Die Berufungswerber beantragten schließlich übereinstimmend, den erstinstanzlichen Bescheid in eine Bewilligung abzuändern, eventualiter werde die Ausstellung eines Befreiungsscheines begehrt.

Mit Bescheid vom 26. Jänner 1998 hat die belangte Behörde den Berufungsantrag des D auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer gemäß § 4 Abs. 1, § 4 Abs. 6 und § 4c Abs. 1 AuslBG abgewiesen und den weiteren Berufungsantrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG gemäß § 66 Abs. 4 AVG wegen Unzuständigkeit der Berufungsbehörde als unzulässig zurückgewiesen.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 26. Jänner 1998 hat die belangte Behörde über die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 12. Dezember 1997 wie folgt entschieden:

"1.) Die Berufung des T wird gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, und § 21 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung, BGBl. I Nr. 78/1997, wegen Fehlens der Parteistellung des T als unzulässig zurückgewiesen.

2.) Die Berufungsanträge des T auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß § 34c Abs. 1 des AuslBG und auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 des AuslBG werden gemäß § 66 Abs. 4 des AVG wegen Unzuständigkeit der Berufungsbehörde als unzulässig zurückgewiesen."

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde nach Darlegung ihres bisherigen Verfahrensverlaufes und der maßgebenden Rechtslage im Wesentlichen aus, für die ausschließlich auf § 4 Abs. 6 AuslBG gestützte Entscheidung der Behörde erster Instanz seien persönliche Umstände im Sinne des Beschwerdeführers im Sinne des § 21 AuslBG nicht maßgebend gewesen, dem Beschwerdeführer komme deshalb keine Parteistellung zu. Seine Berufung sei daher wegen seiner fehlenden Parteistellung als unzulässig zurückzuweisen. Gegenstand des Verfahrens vor der Behörde erster Instanz sei nicht ein assoziationsrechtlicher Anspruch nach Art. 7 des ARB Nr. 1/80 gewesen, sondern ein Anspruch des Arbeitgebers nach dem AuslBG. Die Behörde erster Instanz habe im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die Bestimmung des § 4c AuslBG noch nicht berücksichtigen können, weil diese Bestimmung damals noch nicht dem Rechtsbestand angehörte. Nur in einem Verfahren auf Feststellung nach Art. 7 des ARB Nr. 1/80 hätte der Beschwerdeführer Parteistellung gehabt. Mit den in der Berufung gestellten Anträgen auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG bzw. auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4c Abs. 1 leg. cit. werde der durch die Antragstellung des Arbeitgebers festgelegte Verfahrensgegenstand überschritten. Über diese Anträge habe nicht die Berufungsbehörde, sondern die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu entscheiden.

Gegen diesen Bescheid - erkennbar jedoch nur im Umfang betreffend die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung - richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen in dem Recht auf meritorische Behandlung seiner Berufung betreffend die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung verletzt (auf das hilfsweise gestellte Berufungsbegehren, einen Befreiungsschein auszustellen, kommt der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde nicht mehr zurück). Er beantragt, den angefochtenen Bescheid - erkennbar im Umfang seiner Anfechtung - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 21 AuslBG hat der Ausländer in allen Verfahren, in denen seine persönlichen Umstände maßgeblich für die Entscheidung sind sowie in jenen Fällen, in denen keine Person im Sinne des § 2 Abs. 3 vorhanden ist, Parteistellung. In allen anderen Verfahren hat der Ausländer die Stellung eines Beteiligten.

Die Berufungsbehörde hat zufolge § 66 Abs. 4 AVG - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall und sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist - immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Gemäß § 34 Abs. 19 AuslBG ist mit 1. Jänner 1998 die Bestimmung des § 4c leg. cit. (in der Fassung BGBl. I Nr. 78/1997) in Kraft getreten.

Gemäß § 4c Abs. 1 AuslBG ist für türkische Staatsangehörige eine Beschäftigungsbewilligung von Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Art. 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei-ARB-Nr. 1/1980 erfüllen.

Durch die Bestimmung des § 4c AuslBG wurde nach der Absicht des Gesetzgebers unter anderem auch klargestellt, dass die nach den Sonderbestimmungen für türkische Staatsangehörige auszustellenden Berechtigungen weiterhin wie Berechtigungen nach dem AuslBG auf Höchstzahlen anzurechnen sind, und dass die aus Höchstzahlen sich ergebenden Beschränkungen im Einzelfall nicht anwendbar sind (vgl. hiezu auch die Gesetzesmaterialien 689 Beil. XX. GP, Seite 14).

Um über den Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung nach dem AuslBG rechtmäßig und unter Beachtung der Verpflichtungen nach dem ARB Nr. 1/80 entscheiden zu können, hatten die Behörden nach der im Beschwerdefall gegebenen Sachlage sich auch damit auseinanderzusetzen, ob dem Beschwerdeführer - einem türkischen Staatsangehörigen, der behauptete, die Voraussetzungen des Art. 7 ARB Nr. 1/80 zu erfüllen - unmittelbar anwendbare Rechte im Sinne des ARB Nr. 1/80 tatsächlich zustehen oder nicht, hängt von der Beantwortung dieser Vorfrage doch entscheidend ab, ob bei der Arbeitsmarktprüfung die aus Höchstzahlen sich ergebenden Beschränkungen (hier der Landeshöchstzahl für Tirol) angewendet werden dürfen oder nicht.

Die belangte Behörde hat unberücksichtigt gelassen, dass auch die Behörde erster Instanz schon vor dem Inkrafttreten des § 4c AuslBG diese Vorfrage hätte prüfen müssen, wurden die Bestimmungen des ARB Nr. 1/80 doch mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 wirksam. Im übrigen hatte die belangte Behörde als Berufungsbehörde das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Berufungsbescheides geltende Recht anzuwenden. Da der angefochtene Bescheid am 29. Jänner 1998 erlassen wurde, war der mit 1. Jänner 1998 in Kraft getretene § 4c AuslBG von der belangten Behörde anzuwenden. Dass die Behörde erster Instanz ihre Entscheidung auf den Versagungsgrund des § 4 Abs. 6 AuslBG stützte, bedeutet nicht, dass die belangte Behörde deshalb im Rahmen ihrer Abänderungsbefugnis nicht berechtigt und verpflichtet wäre, die Heranziehung dieses Versagungsgrundes bzw. die Anwendbarkeit der aus der angewendeten Landeshöchstzahl sich ergebenden Beschränkungen zu prüfen, hat sich die Berufungsbehörde nach § 66 Abs. 4 AVG doch mit der vorliegenden Verwaltungssache grundsätzlich in gleicher Weise wie die Behörde erster Instanz zu befassen und den erstinstanzlichen Bescheid nach eigenen Sachverhaltsfeststellungen und eigener rechtlicher Beurteilung nach jeder Richtung hin abzuändern. Die Befugnis der Berufungsbehörde umfasst insbesondere auch die Auswechslung der rechtlichen Erwägungen, aus denen über einen Antrag auf Erteilung einer Genehmigung (hier: Beschäftigungsbewilligung nach dem AuslBG) in einem bestimmten Sinn abgesprochen wird (vgl. hiezu auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze, Band I, zweite Auflage 1998, Seite 1287 E 237 und 239 wiedergegebene hg. Judikatur). Wenn in diese Prüfung die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers (im Sinne des § 21 AuslBG) über seine in unmittelbar im Sinne des ARB Nr. 1/80 zustehenden Rechte einbezogen werden mussten, dann bedeutet dies - entgegen der Ansicht der belangten Behörde - keine Überschreitung der Grenzen der Berufungsentscheidung, weil unverändert "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG der - mit dem erstinstanzlichen Bescheid abgelehnte - Antrag des Arbeitgebers auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für den Beschwerdeführer blieb. Ein bescheidmäßiger Abspruch (etwa in Form eines Feststellungsbescheides) über dem Beschwerdeführer nach dem ARB Nr. 1/80 zustehende Rechte wurde weder begehrt, noch war ein solcher erforderlich.

Die belangte Behörde hat somit zu Unrecht eine Auseinandersetzung darüber, ob dem Beschwerdeführer Rechte nach dem ARB Nr. 1/80 zustehen, unterlassen. Solcherart steht aber nicht fest bzw. blieb unbeantwortet, ob dem Beschwerdeführer wegen seiner unmittelbar zustehenden Rechte nach dem ARB Nr. 1/80 im Verfahren des Arbeitgebers Parteistellung zukommt oder nicht. Sollten dem Beschwerdeführer die genannten Rechte tatsächlich zustehen, wird über seine Berufung auch meritorisch zu entscheiden sein.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargelegten Gründen im Umfang seiner Anfechtung infolge Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. April 2001

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998090047.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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