TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/4 98/09/0143

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Veröffentlicht am 04.04.2001
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §37;
KOVG 1957 §13 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der MK in M, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Wien Niederösterreich Burgenland vom 2. Oktober 1997, Zl. OB. 224-253530-008, betreffend Zusatzrente zur Witwengrundrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die im Jahr 1915 geborene Beschwerdeführerin bezieht seit dem Jahr 1950 eine Witwengrundrente nach ihrem mit 11. Mai 1944 für tot erklärten Ehegatten AK.

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Eingabe vom 15. Juli 1996 die Gewährung einer Zusatzrente ab 1. September 1996, weil ihr ab diesem Zeitpunkt keine Leibrente mehr ausbezahlt werde.

Diesen Antrag hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Wien Niederösterreich Burgenland mit Bescheid vom 21. Oktober 1996 gemäß §§ 13 und 35 Abs. 3 Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957) abgewiesen.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Sie machte darin geltend, die Anrechnung von fiktiven Zinsen als Einkommen sei nicht nachvollziehbar, habe sie die monatlichen Leibrentenbeträge von S 5.000,-- doch für den tagtäglichen Lebensgebrauch verwendet. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, die erhaltenen Leibrentenbeträge anzulegen.

Über Aufforderung der belangten Behörde legte die Beschwerdeführerin den Kaufvertrag vom 6. Dezember 1991 über den Verkauf ihres Waldgrundstückes in Kirchschlag im Ausmaß von 3 ha 11 a 12 m2 vor.

Mit Eingabe ihres bevollmächtigten Vertreters vom 14. März 1997 brachte die Beschwerdeführerin vor, sie verfüge seit Frühjahr 1996 über kein Vermögen aus dem 1991 für das genannte Waldgrundstück erzielten Verkaufserlös. Dieser Verkaufserlös sei im Laufe der Zeit für die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse aufgewendet worden, weil sie in dieser Zeit über geringes Einkommen verfügt habe; auf die beigebrachten Rechnungen über den Ankauf von Heizmaterial und die Bezahlung von Sanierungsarbeiten werde verwiesen. Weitere Belege könnten nicht beigebracht werden, weil sie keine Veranlassung gehabt habe, über Lebenshaltungsaufwendungen Rechnungen aufzubewahren, habe sie zu dieser Zeit doch keine einkommensabhängige Leistung bezogen; sie sei demnach nicht verpflichtet gewesen, Rechnungen aufzubewahren.

Mit Eingabe ihres bevollmächtigten Vertreters vom 23. Juni 1997 wiederholte die Beschwerdeführerin ihr bisheriges Vorbringen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 2. Oktober 1997 hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin Folge gegeben, den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben und der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 13, 35 Abs. 3 und 51 Abs. 1 KOVG 1957 ab 1. September 1996 zur Witwengrundrente eine Zusatzrente von monatlich S 1.096,-- und ab 1. Jänner 1997 von monatlich S 1046,-- zuerkannt.

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde nach Darlegung des bisherigen Verfahrensverlaufes und der maßgebenden Rechtslage Folgendes aus:

"Bezüglich der durch 20 Jahre hindurch bezogenen Leibrentenbeträge von monatlich S 5.000,-- gelangte die Schiedskommission zu der Auffassung, dass die Berufungswerberin diese Beträge zur Bestreitung des Lebensunterhaltes verwendet hat, so dass hieraus nach Beendigung des Vertrages mit 31. August 1996 kein Zinsenertrag anzurechnen ist. Als Einkommen sind der Pensionsbetrag (inklusive Sparkassenanteil) und der Zinsenertrag aus dem Kauferlös 1991 von S 400.000,-- zugrundezulegen. Unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 3,9 % ergibt sich ein jährlicher Zinsenertrag von S 15.600,--, das sind monatlich S 1.300,-- ab 1. September 1996. Weiters ist das Einkommen aus dem verbliebenen land- und forstwirtschaftlichen Besitz anzurechnen.

Die im Berufungsverfahren vorgelegten Ausgabenrechnungen finden insoferne keine Berücksichtigung, als sie Ausgaben (Heizung, Heizöl), die den allgemeinen Lebenshaltungskosten zuzurechnen sind, betreffen. Zu berücksichtigen waren der Kriegsopfer- und Behindertenverband (KOBV)- und der Kirchenbeitrag."

Zu dem im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde Folgendes aus:

"Hiezu wird entgegnet, dass der Verbrauch der Leibrente von monatlich S 5.000,-- (gesamt 1,2 Mio S) zur Befriedigung der Lebensbedürfnisse berücksichtigt wurde. Diese monatlichen Leibrentenbeträge liegen im Zusammenhalt mit der Pension von der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten inklusive des Sparkassenanteiles über der jeweiligen Einkommensgrenze für die Gewährung der Zusatzrente. Die Anrechnung eines fiktiven Zinsenertrages aus dem Kauferlös vom Jahre 1991 ist daher gerechtfertigt."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich nach ihrem gesamten Beschwerdevorbringen durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht verletzt, dass ihr die Zusatzrente zur Witwengrundrente ohne die Anrechnung fiktiver Zinsen als Einkommen gewährt wird. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legt die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 35 Abs. 1 KOVG 1957 wird die Witwen(Witwer)rente als Grundrente und als Zusatzrente geleistet. Nach dem Abs. 3 dieser Gesetzesstelle ist die Zusatzrente - abgesehen von der im Abs. 4 enthaltenen Regelung - auf Antrag und in dem Ausmaß zu zahlen, als das monatliche Einkommen (§ 13) der Witwe (des Witwers) ohne Berücksichtigung der Grundrente den jeweiligen Betrag des Richtsatzes für Pensionsberechtigte auf Witwen(Witwer)pension gemäß § 293 Abs. 1 erster Satz lit. b des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes nicht erreicht; diese Grenze erhöht sich für jedes waisenrentenberechtigte Kind, für das die Witwe (der Witwer) zu sorgen hat, um den jeweiligen in § 293 Abs. 1 zweiter Satz des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes vorgesehenen Betrag.

Unter Einkommen ist gemäß dem ersten Satz des § 13 Abs. 1 KOVG 1957 - abgesehen von den Sonderbestimmungen der Abs. 4 bis 8 (die hier nicht in Betracht kommen) - die Wertsumme zu verstehen, die einer Person aus dauernden Ertragsquellen in Geld- oder Güterform zufließt und die sie verbrauchen kann, ohne dass ihr Vermögen geschmälert wird.

Im Sinne dieser Gesetzesbestimmung gilt auch als Einkommen, was der Bezugsberechtigte aus vorhandenem Vermögen ohne Substanzverlust zumutbarerweise hätte erzielen können (fiktive Zinsen). Der in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur wiederholt vertretene Grundgedanke, dass ein Verlust der Ansprüche nach dem KOVG 1957 eintritt, wenn sich der Anspruchswerber (Leistungsbezieher) ohne zureichende Gründe der Möglichkeit begibt, aus seinem Besitz ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, kommt somit auch im Falle der Veräußerung von Vermögenswerten in Frage. In solchen Fällen gelten daher auch als gemäß § 13 Abs. 1 KOVG 1957 anrechenbares Einkommen fiktive Erträge aus dem effektiv nicht mehr vorhandenen (veräußerten) Kapital. Entscheidend ist dabei, ob für die Veräußerung und ihre Art zwingende Gründe vorhanden waren. Daher darf ein Anspruchsverlust nicht angenommen werden, ohne die Gründe für das Rechtsgeschäft und dessen Ausgestaltung zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 97/09/0195).

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der Versorgungsberechtigte, der sich ohne zureichenden Grund der Möglichkeit begibt, aus seinem Besitz ein ausreichendes Einkommen zu erzielen, keinen bzw. keinen vollen Anspruch auf Zusatzrente hat. Bei der Beurteilung, welche Erträgnisse bei der ordentlichen Bewirtschaftung aus einem Besitz zu erzielen sind, ist grundsätzlich vom freien Gestaltungsrecht des Rentenbeziehers auszugehen. Der Grundsatz der ordentlichen Bewirtschaftung besagt im Wesentlichen, dass der Rentenbezieher nicht in einer ihm vorwerfbaren Weise sein ertragsbringendes Vermögen ungenützt lassen darf. Hiebei sind die ortsüblichen Verhältnisse sowie die persönlichen Umstände des Rentenbeziehers zu berücksichtigen. Der Maßstab für die Einhaltung des Grundsatzes der ordentlichen Bewirtschaftung ist hiebei nicht nur eine abstrakte Verwertungsmöglichkeit, sondern auch die - nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilende - Zumutbarkeit im konkreten Fall (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2000, Zl. 97/09/0132, und die darin angegebene Judikatur).

Die belangte Behörde hat ihrer Entscheidung zugrundegelegt, dass die Beschwerdeführerin die (im Verlauf einer zwanzigjährigen Vertragsdauer) bezogenen Leibrentenbeträge zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes verwendete. Des Weiteren hat die belangte Behörde angenommen, dass der Beschwerdeführerin aus dem 1991 erhaltenen Verkaufserlös von S 400.000,-- für ihr Waldgrundstück als Einkommen Zinsen anzurechnen seien. Dass die Beschwerdeführerin aus diesem Verkaufserlös tatsächlich jemals Zinsen erhalten hat, ist nicht erwiesen und wird auch durch die weitere Bescheidbegründung selbst in Frage gestellt, hat die belangte Behörde doch letztlich ausgeführt, die Anrechnung "eines fiktiven Zinsenertrages aus dem Kauferlös vom Jahr 1991 ist daher gerechtfertigt".

Eine nachvollziehbare Begründung dafür, aus welchem Grund die Beschwerdeführerin verpflichtet gewesen sein sollte, den für ihr Waldgrundstück 1991 erhaltenen Verkaufserlös mit einer Verzinsung von 3,9 % (dies zudem ohne Entrichtung von Steuern aus diesen Zinsen!) zu veranlagen, ist dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmbar. Die belangte Behörde hat nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin 1991 - als der Verkauf ihres Waldgrundstückes erfolgte - lediglich eine einkommensunabhängige Witwengrundrente bezog und derart keinen Beschränkungen - wie diese für die Zuerkennung einer Zusatzrente bestehen - unterlag. Sie durfte demnach - wie über ihr gesamtes Einkommen und Vermögen -

frei verfügen und den erzielten Verkaufserlös auch über das Ausmaß lebensnotwendiger Bedürfnisse hinaus verwenden. Da die Beschwerdeführerin im Zeitraum 1991 bis 1996 keine Zusatzrente bezogen hat, können daraus, dass ihr monatliches Einkommen während dieses Zeitraumes allenfalls die im § 35 Abs. 3 KOVG 1957 bestimmte Grenze überschritten hat, keine negativen Folgen abgeleitet bzw. keine fiktiven Zinsen in die Berechnungsgrundlage für die Bestimmung ihrer ab 1. September 1996 zuerkannten Zusatzrente einbezogen werden.

Schon aus diesem Grund hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastete.

Aber auch auf der Grundlage ihrer vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - die Beschwerdeführerin sei im Zeitraum 1991 bis 1996 zu einer dem Grundsatz ordentlicher Bewirtschaftung entsprechenden Veranlagung des Verkaufserlöses verpflichtet gewesen - belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem Feststellungsmangel, weil sie sich nicht hinreichend damit auseinadergesetzt hat, welche Gründe für die Veräußerung des Waldgrundstückes maßgebend waren und welche finanziellen Belastungen die Beschwerdeführerin im Zeitraum 1991 bis 1996 tatsächlich zu tragen hatte. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin ihr Waldgrundstück ebenso unverändert in ihrem Besitz hätte belassen können und in diesem Fall nur ein vergleichsweise sehr geringer Betrag gemäß § 13 Abs. 4 KOVG 1957 als Einkommen anrechenbar verblieben wäre. Die nach den persönlichen Umständen der Beschwerdeführerin zu beurteilende konkrete Zumutbarkeit einer Veranlagung des Verkaufserlöses wurde von der belangten Behörde nicht hinreichend geprüft. Auf der Grundlage der im angefochtenen Bescheid getroffenen Sachverhaltsfeststellungen konnte demnach nicht beurteilt werden, ob der in den Jahren 1991 bis 1996 vorgenommene Verbrauch des Verkaufserlöses dem Grundsatz ordentlicher Bewirtschaftung widersprach oder nicht.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand enthalten ist.

Wien, am 4. April 2001

Schlagworte

Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Einkommensermittlung und Absetzbarkeit Allgemein Ordentliche Bewirtschaftung Erzielung eines ausreichenden Einkommens

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998090143.X00

Im RIS seit

13.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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