TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/19 99/20/0176

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Veröffentlicht am 19.04.2001
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
B-VG Art129;
B-VG Art129c;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 7. Juli 1956 geborenen MZ in Salzburg, vertreten durch Mag. Rainer Hessenberger, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Alter Markt 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Februar 1999, Zl. 203.690/0-XI/34/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Ruandas, reiste am 8. Juli 1995 in das Bundesgebiet ein und stellte am 11. Juli 1995 einen Antrag auf Gewährung von Asyl.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er vor dem Bundesasylamt an, er habe einen Vertrag mit der regulären ruandesischen Armee gehabt und zuletzt als Korporal gedient. Der Krieg in Ruanda sei am 6. April 1994 ausgebrochen und einige Wochen später seitens der Rebellen (Tutsis) ein Angriff auf die Hauptstadt Kigali unternommen worden. Ein paar Tage nach Beginn des Angriffes sei es zu Massakern gekommen und es sei klar gewesen, dass die Tutsi-Rebellen die regulären Soldaten töten würden. Die militärischen Einheiten hätten sich geordnet zurückziehen und dann weiterkämpfen wollen. Die Militäreinheit des Beschwerdeführers sei nach Zaire gegangen und habe dann weiter nach Togo gewollt, wo sie aber abgewiesen worden sei. Sie sei dann zurück nach Zaire gegangen und dort habe der Beschwerdeführer erfahren, dass seine Frau und seine beiden Kinder im Krieg getötet worden seien. Auch sein Vater sei von den Tutsi-Rebellen umgebracht worden. So habe er den Entschluss gefasst, zu flüchten und weg zu gehen. Wenn er zurück gegangen wäre, wäre er auch von den Tutsis ermordet worden. Außerdem habe sich die Armee in Zaire neu zu formieren begonnen und er habe nicht mehr mitkämpfen wollen. Die Militäreinheit habe sich in Goma gesammelt und dort für den Kampf trainiert; dort habe er die Armee verlassen und als Deserteur auch nicht mehr in Zaire bleiben können. Er selbst sei Hutu und es sei sicher, dass er im Falle seiner Rückkehr getötet werden würde. Er sei einerseits Deserteur und noch dazu Hutu. Er würde als Deserteur von der Hutu-Armee verfolgt werden und andererseits als Angehöriger der Hutu-Armee von den Tutsis. Zu einem Gerichtsverfahren wegen des Vorwurfes, dass er als Angehöriger der Hutu-Armee für Massaker verantwortlich sei, würde es gar nicht kommen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 6. September 1995 den Antrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab. Die Behörde erster Instanz stellte ihren rechtlichen Erwägungen einen "Exkurs" über die gegenwärtige Situation Ruandas voran. U.a. stellte sie darin fest, der mit unvorstellbaren Gewalttaten ausbrechende Bürgerkrieg sei nicht nur auf eine Konfrontation zwischen regulären Angehörigen der Armee auf der einen und FPR-Rebellen (bewaffnete Exil-Opposition und -Tutsis) auf der anderen Seite beschränkt gewesen; vielmehr habe alles darauf hin gedeutet, dass im Chaos um sich greifender Mordorgien und Plünderungen ein Kräftemessen zwischen den verschiedenen Gattungen der ruandischen Sicherheitskräfte in Gang gekommen sei. Die ruandische Armee sei alles andere als eine geeinte Kraft und außer ihr und der Präsidialgarde seien auch die Gendarmerie und die paramilitärische Polizei in die Gewaltakte verwickelt gewesen. In weiterer Folge sei das ganze Land in einem von Einzelinteressen durchmischten blutigen Stammeskrieg mit 100.000 Toten und Flüchtlingen versunken. Die FPR habe in den folgenden Monaten permanent Geländegewinne erzielen können und schließlich den größten Teil des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Im Juli 1994 sei von den Tutsi-Rebellen der Krieg für beendet erklärt worden.

Setze man die Situation in Relation zu den Angaben des Beschwerdeführers, so sei zunächst festzustellen, dass die - wenn auch glaubhaft dargestellte - damalige Bürgerkriegssituation im Heimatstaat des Beschwerdeführers nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch nach der Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention in anderen Staaten für sich allein nicht die Flüchtlingseigenschaft indiziere. Das Asylrecht habe keinesfalls die Aufgabe vor den allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die aus Krieg, Bürgerkrieg, Revolution oder sonstigen Unruhen entsprängen. Die Ermordung der engsten Familienangehörigen des Beschwerdeführers könne gleichfalls nicht für diesen sprechen, komme es doch bei der Beurteilung eines Asylvorbringens immer auf solche Sachverhalte an, die direkt der Person des Asylwerbers zuzuordnen seien. Der Beschwerdeführer sei auch als Soldat des ehemaligen Regimes bzw. als Hutu seitens staatlicher Organe nicht verfolgt; dafür spreche die Tatsache, dass in den neuen Personaldokumenten Ruandas die bisher enthaltene Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen ersatzlos gestrichen worden sei. Die alten militärisch-politischen Strukturen seien zerfallen und somit ohne jegliche Rückwirkung auf das einzelne Individuum, weshalb der Behauptung des Beschwerdeführers, er würde als Deserteur von der Hutu-Armee verfolgt werden, in keiner Weise den tatsächlichen Verhältnissen entspreche. Darüber hinaus liege im Fall des Beschwerdeführers auch der Ausschließungsgrund gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 AsylG 1991 vor, weil dieser über die Bundesrepublik Deutschland unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Es wäre dem Beschwerdeführer somit möglich gewesen, bei den dortigen Behörden um Asyl anzusuchen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er ebenfalls die Ereignisse in Ruanda darstellte und geltend machte, er sei auf Grund seiner Volkszugehörigkeit zu den Hutus, seiner Zugehörigkeit zur ehemaligen staatlichen, von Hutus dominierten Armee und seiner politischen Ansichten, die er durch seine Desertion von der Armee zum Ausdruck gebracht habe, in Ruanda nicht vor Verfolgung sicher, zumal die staatlichen Behörden Ruandas ihm keinerlei Schutz vor Sympathisanten der alten Regierung und Hutu-Milizen sowie vor Selbstjustiz ausübenden Tutsis gewähren würden. Seiner Ansicht nach sei das Ermittlungsverfahren der Behörde erster Instanz mangelhaft, weil sich die Darstellung der gegenwärtigen Situation in Ruanda im erstinstanzlichen Bescheid auf die Schilderung einzelner punktueller Ereignisse bis zum Jahr 1994 beschränke, die keineswegs geeignet erschienen, einen geschichtlichen Hintergrund für die Situation im Jahre 1994 darzustellen. Wenn die Behörde feststelle, dass es bis zu den gewaltsamen Auseinandersetzungen des Vorjahres (1994) zu einer gewissen Beruhigung gekommen sei und dass es sich bis zum Jahr 1994 lediglich um einen begrenzten Konflikt gehandelt habe - ungeachtet der Tatsache, dass seit 1991 in Ruanda ein Bürgerkrieg herrsche -, sei deutlich, dass sich die Behörde unzureichend in Kenntnis gesetzt habe. Dies gelte auch für die Behauptung, der Bürgerkrieg sei vor allem ein Kräftemessen zwischen den verschiedenen Gattungen der ruandischen Sicherheitskräfte. Vielmehr machten alle Situationsberichte über Ruanda deutlich, dass der Bürgerkrieg seine Ursache und seinen Inhalt in den Auseinandersetzungen zwischen den Hutus und Tutsis finde. Es handle sich in Ruanda keinesfalls um einen von Einzelinteressen durchmischten Stammeskrieg. Eine korrekte und umfassende Darstellung, wie sie der Behörde erster Instanz nicht gelungen sei, sei aber von besonderer Bedeutung für den Ausgang seines Verfahrens, weshalb das Ermittlungsverfahren mangelhaft gewesen sei. Der Argumentation des Bundesasylamtes, wonach eine Bürgerkriegssituation alleine nicht die Flüchtlingseigenschaft indiziere, hielt der Beschwerdeführer entgegen, er habe vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs als Verfolgungsgründe seine Volkszugehörigkeit zu den Hutus, seine Zugehörigkeit zur ehemaligen staatlichen, von Hutus dominierten Armee und seine politischen Ansichten geltend gemacht, wobei ihm seitens der staatlichen Behörden Ruandas keinerlei Schutz vor der ihm drohenden Verfolgung durch Sympathisanten der alten Regierung und der Hutu-Milizen sowie vor den Selbstjustiz ausübenden Tutsis gewährt werde. Wenn er nach Ruanda zurückkehrte, drohe ihm die Ermordung oder das Verschwindenlassen durch Tutsis, die ihn als Hutu und vor allem als im Bürgerkrieg eingesetzten Offizier der von Hutus dominierten ehemaligen Regierungsarmee für die an Tutsis verübten Massenmorde zur Verantwortung ziehen würden; es würde nicht einmal zu einem Prozess kommen. Auf Grund oftmals willkürlicher Verhaftungen befänden sich im März 1995 ca. 23.000 Menschen (fast ausnahmslos Hutus) wegen des Verdachtes der Teilnahme an den Massenmorden in Haft, deren Zahl steige wöchentlich um 1000 an. Wegen der Überfüllung der Haftanstalten stürben täglich Dutzende von Gefangenen; es komme zu Folterungen, extralegalen Hinrichtungen und zum Verschwindenlassen von Häftlingen durch die Sicherheitskräfte der derzeitigen Regierung. Es drohe ihm aber auch die Ermordung durch die Hutus, weil er von der Hutu-Armee desertiert sei und von diesen daher als Verräter angesehen werde. Die Hutus stellten die Bevölkerungsmehrheit in Ruanda dar und Sympathisanten der alten Regierung und Angehörige der ehemaligen Regierungsarmee hielten sich im ganzen Land auf. In seinem Fall würden sich diese einzelnen Verfolgungsgründe zu einer massiven Verfolgungsgefahr verdichten, die eine begründete Furcht vor Verfolgung rechtfertigten. Der Beschwerdeführer verwies in seiner Berufung mehrfach auf Berichte von Amnesty International bzw. auf das Handbuch das UNHCR über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, und legte (Teile dieser) Unterlagen seiner Berufung bei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Die belangte Behörde nahm es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Ruanda und am 8. Juli 1995 in das Bundesgebiet eingereist sei; am 11. Juli 1995 habe er einen Antrag auf Asyl gestellt. Er habe sein Heimatland verlassen, weil dort der Krieg ausgebrochen sei. Er habe einen Vertrag mit der regulären ruandesischen Armee als Korporal gehabt. Er habe aber mit der Armee nichts mehr zu tun haben wollen und sei deshalb desertiert. Der Grund hiefür sei der Ausbruch des Krieges am 6. April 1994 und der Angriff auf die Hauptstadt Kigali gewesen. Die militärische Einheit des Beschwerdeführers habe sich dann nach Zaire zurück gezogen. Dort habe der Beschwerdeführer erfahren, dass seine Frau und seine beiden Kinder im Krieg umgekommen seien.

Danach habe er den Entschluss gefasst, zu flüchten und weg zu gehen.

     Zur derzeitigen Lage in Ruanda traf die belangte Behörde

folgende Feststellungen:

     "Die ganze Macht ist heute in den Händen der FPR

(Patriotische Front Ruandas) kumuliert. Zur Zeit kann in Ruanda keine wichtige Entscheidung ohne ihre Zustimmung erfolgen. Um den Anschein zu wahren, dass ein Rest von Legalität vorhanden ist, wurden die im Abkommen von Arusha vereinbarten Strukturen als solche installiert, wobei ein neuer Posten des Vizepräsidenten von der FPR eigenmächtig ins Leben gerufen wurde. Der jetzige Vizepräsidenten, Paul Kagame, und seine Verbündeten haben die Macht an sich gerissen.

Es ist wichtig klarzustellen, dass die Macht nicht in den Händen von 'Tutsi' oder von 'Hutu' liegt. Trotz der Zugehörigkeit bzw. dem Bekenntnis der heutigen Machthaber zur Ethnie der Tutsi, begeht man einen Fehler, wenn behauptet wird, dass es die Tutsi sind, die an der Macht sind. In Ruanda herrschen einige Familien der ehemaligen Flüchtlinge, die Ruanda kurz vor der Gründung der Republik verlassen haben und sich in Uganda niedergelassen hatten. Von dort aus haben sie die Macht in ihrer Heimat wiedererobert.

Es ist sehr schwierig von Recht in Ruanda zu sprechen, denn es kann kein Recht geben, wo kein Rechtsschutz vorhanden ist. Anwälte hat es in Ruanda bis vor einigen Jahren keine gegeben. Die Verteidigung eines Angeklagten übernimmt in den meisten Fällen der Angeklagte selber. Die Idee der Verteidigung ist so sehr unbekannt und auch zT. von der herrschenden Klasse so bekämpft, dass der Verteidiger wie der Angeklagte behandelt wird. Obwohl der Staat einen Kläger zu allen Verhandlungen entsendet, ist der Pflichtverteidiger unbekannt im ruandischen Rechtssystem. Die Konsequenz ist, dass die meisten Angeklagten sich vor einem juristischen besser geschulten Gegner sehen, der sozusagen über ihr Schicksal fast entscheidet. Der Kläger entscheidet zwar nicht über den Ausgang der Verhandlung, aber Kläger und Richter sind dem gleichen politischen Druck ausgesetzt. Auch ist es so, dass Angeklagte in Ruanda immer noch misshandelt werden. Die Misshandlungen sind keinesfalls Einzelfälle, sie erfolgen systematisch.

Da der vorliegende Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit dem Berufungsvorbringen geklärt ist, konnte gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden."

Rechtlich folge nach Ansicht der belangten Behörde aus dem festgestellten Sachverhalt, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention drohe, weshalb die Gewährung von Asyl nicht statthaft gewesen sei. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen habe, reiche ein bloßer Verweis auf allgemeine Verhältnisse im Heimatland eines Asylwerbers für die Glaubhaftmachung von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht aus, wenn nicht vor diesem Hintergrund eine konkrete (den Asylwerber selbst treffende) Verfolgungsgefahr glaubhaft gemacht werde. Voraussetzung für die Gewährung von Asyl sei, dass der Asylwerber individuell gegen ihn selbst gerichtete Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes oder die Gefahr solcher Verfolgung befürchten müsse. Als fluchtauslösendes Moment habe der Asylwerber dargelegt, er wolle wegen der ständigen Konflikte zwischen den Hutu und den Tutsis dort nicht mehr leben, weil er - nachdem seine Familie ermordet worden sei - glaube, dass ihm dies auch passieren würde. Bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgründen komme es aber immer auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers, nicht auf die allgemein herrschenden politischen und sozialen Verhältnisse in seinem Heimatstaat an. Allgemeine Hinweise auf die Lage von Personen und allgemeine Lebensbedingungen genügten nicht, sondern es müssten konkrete, den Asylwerber betreffende Umstände von einer gewissen Intensität behauptet und bescheinigt werden, aus denen die in der Flüchtlingskonvention geforderte Furcht ableitbar sei. In Ermangelung direkt gegen den Beschwerdeführer gerichteter Verfolgungshandlungen liege der Schluss nahe, dass dessen Furcht als bloße Vermutung und subjektives Furchtempfinden zu werten sei. Auch in seiner Berufung habe er keine Anhaltspunkte für konkrete, gegen ihn gerichtete oder geplante Verfolgungshandlungen vorgebracht. Er habe daher keine asylrechtlich relevante Verfolgung dargelegt, zumal die Tatsache, dass es in der Heimat des Beschwerdeführers zu kriegerischen Handlungen komme, keinen Grund bilde, darin eine Gefährdung bzw. Bedrohung des Fremden im Sinne des § 37 FrG 1993 zu erblicken (Bürgerkrieg). Vielmehr ließen die Ausführungen des Beschwerdeführers, das Heimatland auf Grund der allgemein herrschenden Lebensbedingungen verlassen zu haben, darauf schließen, dass er durch keine in seiner Person gelegenen Merkmale einem erhöhten Gefährdungspotenzial ausgesetzt gewesen sei.

Zur Befürchtung des Beschwerdeführers als Deserteur von der Hutu-Armee zur Rechenschaft gezogen zu werden, sei festzuhalten, dass eine wegen der Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes bzw. wegen Desertion drohende, auch strenge Bestrafung grundsätzlich nicht als Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention angesehen werde, und zwar auch nicht in jenen Fällen, in denen in den betroffenen Heimatstaaten Bürgerkrieg, Revolten oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen stattgefunden hätten. Mangels Vorliegens deutlicher Hinweise auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention in Frage komme, sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden, weshalb für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat grundsätzlich auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG über die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, Anwendung finden. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.

Die belangte Behörde hätte im vorliegenden Fall eine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer durchführen müssen, weil dieser in seiner Berufung - von den Feststellungen der Behörde erster Instanz abweichendes - Sachverhaltsvorbringen zur Situation in Ruanda geltend gemacht und darüber hinaus (als weiteren Aspekt seiner Fluchtgründe) vorgebracht hat, von den Hutus nicht allein wegen des Umstandes seiner Desertion aus der Hutu-Armee sondern deshalb verfolgt zu werden, weil ihm auf Grund seiner Desertion eine (gegnerische) politische Überzeugung unterstellt werde. Darüber hinaus hat die belangte Behörde selbst ein Ermittlungsverfahren geführt und auf Grund des Ergebnisses dieses Verfahrens die oben wiedergegebenen Feststellungen zur derzeitigen Lage in Ruanda getroffen. Auch daraus ergibt sich im vorliegenden Fall die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid auch weder die Quelle genannt, auf die sie ihre Feststellungen zur politischen Lage in Ruanda gestützt hat, noch scheinen diesbezügliche Berichte im Akt auf; es ist auch nicht erkennbar, dass die diesen Feststellungen zu Grunde liegenden Ermittlungsergebnisse dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden sind. In der Unterlassung einer mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde sowie in der fehlenden Darlegung der Grundlagen der für den Verfahrensausgang mitentscheidenden Bescheidfeststellungen liegen Verfahrensfehler der belangten Behörde, auf die der Beschwerdeführer zu Recht hinweist.

Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur eine solche, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der Beschwerdeführer hat in der Berufung seine Fluchtgründe auf drei Aspekte konzentriert. So brachte er vor, zum einen wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hutus und wegen seiner Zugehörigkeit zur ehemaligen staatlichen, von Hutus dominierten Armee und der von dieser begangenen Gräueltaten (jeweils von den Tutsis) und zum anderen wegen der ihm durch die Desertion von der Hutu-Armee zum Ausdruck gebrachten politischen Ansichten (von den Hutus) verfolgt zu werden. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen darauf gestützt, der Beschwerdeführer habe seine Heimat wegen der allgemein herrschenden politischen und sozialen Verhältnisse, der "allgemeinen Lebensbedingungen", verlassen und sich lediglich mit dem Umstand näher befasst, dass der Beschwerdeführer nach seinen Angaben von der Hutu-Armee desertiert sei. Mit den übrigen vom Beschwerdeführer genannten, in seiner Person gelegenen Verfolgungsgründen hat sich die belangte Behörde nicht auseinander gesetzt; sie hat aber auch nicht dargetan, dass und warum sie diesen Fluchtgründen allenfalls die Glaubwürdigkeit versagt hätte.

Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerde - wegen der Unterlassung der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde nicht dem Neuerungsverbot unterliegend - unter anderem auf einen Bericht des UNHCR Wien vom 22. April 1996 verwiesen, wo es heiße "Members of former rwandese army are immediately arrested upon return and transferred to reeducation-centers. If, however, they are accused of participation in the genocide, their fate will be different." Träfe dies zu und dauerte diese Situation weiter an - gegenteilige Feststellungen finden sich nicht im angefochtenen Bescheid -, wäre es aber möglich, dass der Beschwerdeführer bereits auf Grund seiner Eigenschaft als ehemaliger Korporal der ruandesischen Armee und darüber hinaus wegen der ausdrücklich von ihm genannten Möglichkeit, der Teilnahme am "Genozid" verdächtigt zu werden, von asylrelevanter Verfolgung durch die Machthaber in Ruanda bedroht wäre. An dieser Einschätzung vermag auch eine gegebenenfalls im Heimatland des Beschwerdeführers herrschende Bürgerkriegssituation nichts zu ändern, weil der Beschwerdeführer damit auf ein - gegenüber der Allgemeinheit - erhöhtes Gefährdungspotenzial für seine Person hingewiesen hat.

Dazu kommt, dass vor dem Hintergrund der selbst von der belangten Behörde getroffenen, oben wiedergegebenen Feststellungen über die politische Situation und das (den rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügende) Rechtssystem in Ruanda auch die bereits im Verwaltungsverfahren vom Beschwerdeführer geäußerte Befürchtung, es würde wegen des Zusammenbruches des Justizsystems nicht einmal zu einem Prozess wegen angeblicher Beteiligung an Massakern kommen und er sei als ehemaliger Angehöriger der Hutu-Armee durch (vom Staat geduldete) Selbstjustiz der Tutsis gefährdet, nicht von vornherein als unzutreffend erscheint.

Die belangte Behörde hat sich - wie dargestellt - nur mit der Desertion des Beschwerdeführers als Fluchtgrund befasst und dabei übersehen, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung nicht (mehr) die Desertion als solche als Ursache seiner Angst vor Verfolgung sondern den Umstand geltend gemacht hat, dadurch habe er eine gegen die Hutus gerichtete politische Gesinnung zum Ausdruck gebracht. Mit dieser angeblichen Folge der Desertion hat sich die belangte Behörde aber ebenso wenig befasst wie mit der oben dargestellten Befürchtung des Beschwerdeführers, als ehemaliger Korporal der Hutu-Armee wegen der von dieser begangenen Massaker zur Verantwortung gezogen zu werden. Dadurch ist der belangten Behörde ein Begründungsmangel unterlaufen.

Bei Vermeidung der ihr unterlaufenen Verfahrensmängel ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid gelangt wäre, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. April 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200176.X00

Im RIS seit

29.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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