TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/06 E13 314147-1/2008

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Veröffentlicht am 06.10.2008
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Spruch

E13 314.147-1/2008-6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Markus STEININGER als Vorsitzenden und den Richter Dr. Friedrich KINZLBAUER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Fr. Romana Ahorner über die Beschwerde des M.A., geb. 00.00.1968, StA. Aserbaidschan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.07.2007, FZ. 06 13.098-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Aserbaidschan, stellte am 03.12.2006 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen seines Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, er fürchte Verfolgung durch die Mafia, weil er als Grenzorgan einen mit Waffen beladenen LKW angehalten habe und mit dem Fahrer und Beifahrer dieses Transportes eine Auseinandersetzung gehabt habe. Unbekannte Männer seien in der Folge bei ihm zu Hause aufgetaucht, hätten nach ihm gefragt und seine Frau sowie seine Kinder bedroht.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 30.07.2007, FZ. 06 13.098-BAI, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan, Berg Karabach, nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Aserbaidschan, Berg Karabach, verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF in wesentlichen Punkten als nicht glaubwürdig. Seine Aussagen seien widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Weil seine Angaben vage, wenig detailreich und oberflächlich geblieben seien, gelange die Behörde in einer Gesamtbetrachtung seines Fluchtvorbringens zum Schluss, dass dieses absolut nicht nachvollziehbar und daher auch absolut nicht glaubwürdig sei. Bestimmte Vorbringensteile wurde für glaubwürdig erachtet.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 13.08.2007 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (vgl. VwGH v. 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Im Wesentlichen wurde im Beschwerdeschriftsatz vorgebracht, dass zum einen ein Widerspruch nicht vorliege, weil sie (der BF und sein Kollege an der Grenze) an ihrem Posten kein Funkgerät hatten. Es sei dies eine kleine Grenzstelle gewesen, diese hatte eben keine Funkgeräte. Die belangte Behörde habe es unterlassen diesbezüglich - über die Ausrüstung von kleinen Grenzstellen - Nachforschungen anzustellen und liege daher ein Verfahrensmangel vor. Es sei auch nicht richtig, dass er nach dem Vorfall weder bedroht noch misshandelt worden sei. Er selbst habe sich versteckt gehalten, seine Familie sei von diesen bewaffneten Leuten mit dem Umbringen bedroht worden. Der Staat sei nicht willens und in der Lage, ihn zu schützen, insbesondere auch, weil er Jezide sei. Seine Verfolger könnten ihn überall finden. Die Verfolger seien Soldaten und mächtige Leute der Mafia; im Falle einer Anzeige hätte er mit weiteren Schwierigkeiten zu rechnen gehabt. Weil die Soldaten offensichtlich mit der Mafia zusammenarbeiten würden, sei es auch nachvollziehbar, dass versucht worden sei, am Tag die Grenze zu überqueren. Es sei auch nicht darauf eingegangen worden, dass er Mazdaist sei und der Volksgruppe der Jeziden angehöre; auch deshalb habe er Probleme. In diesem Punkt wurden ebenfalls mangelhafte Ermittlungen gerügt.

 

Vom BAA sei zudem nur ungenügend auf die Situation in seinem Heimatland eingegangen worden. Sein Sohn A. sei bei einem FA für Lungenkrankheiten in Behandlung und die anderen Kinder würden unter dem Erlebten leiden und schlecht schlafen.

 

Hinsichtlich des weiteren Verfahrensherganges bzw. des Vorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

II. Der AsylGH hat durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:

 

1. Die im Bescheid verwendeten Länderfeststellungen sind unzureichend.

 

So wurden zwar Feststellungen zu Aserbaidschan betreffend Politik/Opposition, Menschenrechte, Polizei/Misshandlungen, Grundversorgung, und Minderheiten getroffen. Diese Feststellungen beziehen sich jedoch auf "Rest-Aserbaidschan", nicht jedoch auf die Region Bergkarabach. Bergkarabach gehört zwar nach wie vor völkerrechtlich zu Aserbaidschan, de facto wird die Region aber seit dem Waffenstillstandsabkommen vom 12.05.1994 von Truppen der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach und von armenischen Einheiten kontrolliert, entzieht sich daher dem Zugriff Aserbaidschans, weshalb diese angeführten Feststellungen zu Aserbaidschan keine Anwendung auf die Region Bergkarabach finden können. Im angefochtenen Bescheid wurden zwar auch Feststellungen zu Bergkarabach getroffen (vgl. Seiten 25 - 26); diese betreffen jedoch nur 5 kurze Absätze, die zudem im vorliegenden Fall nicht einschlägig sind. Es fehlen jedenfalls Feststellungen über die dortige Sicherheitslage, über den Einfluss des organisierten Verbrechens und über Beziehungen zwischen mafiösen Gruppierungen und dem Militär. Des Weiteren fehlen spezifische Feststellungen zu Fragen, die nachfolgend unter Punkt 2. behandelt werden, ob es eine Grenzsicherung zwischen Armenien und den besetzten Gebieten bzw. zwischen Karabach und den besetzen Gebieten gibt, gegebenenfalls wie diese organisiert ist (Ausrüstung, Heranziehung von Teilzeitkräften (Zivilisten)), ob es in Kelbadschar einen offiziellen Übergang gibt, ob beispielsweise von der international nicht anerkannten Republik Karabach ausgegebene Reisepässe etwa in angrenzenden Staaten (Georgien) "toleriert" werden und wie sich die Beziehungen zwischen Militär und Zivilbevölkerung darstellen.

 

Eine abschließende schlüssige Beurteilung des Vorbringens des BF wird erst nach Vervollständigung der Länderdokumentation möglich sein, da vorher das individuelle Vorbringen zum objektiven Sachverhalt laut Länderdokumentation nicht in Relation gesetzt werden kann.

 

2. Der Bescheid enthält keine schlüssige Beweiswürdigung.

 

2.1. Die Erstbehörde geht aufgrund der Sprache, des Aussehens und der allgemeinen und geographischen Kenntnisse des Antragstellers über Bergkarabach im Rahmen der freien Beweiswürdigung davon aus, dass der Antragsteller aus Aserbaidschan, Bergkarabach, stamme und aserbaidschanischer Staatsbürger sei.

 

Der BF hatte in seiner Einvernahme behauptet, von der Grenze bis M. sei es ca. 25 - 30 km (sein Kollege an der Grenze sei dorthin gefahren, um Verstärkung zu holen und nach 2 Stunden mit zwei Soldaten zurückgekommen). Misst man in der Karte nach, so beträgt schon die Luftlinie zwischen K. (angebl. Grenzstelle) und M. etwa 70 km. Die geographischen Kenntnisse sind daher schon aus diesem Grund in Zweifel zu ziehen und die Wertung des Bundesasylamtes insofene nicht nachvollziehbar.

 

2.2. Das Bundesasylamt führte weiter aus, es sei glaubhaft, dass der Antragsteller legal und ohne Probleme von Bergkarabach nach Georgien habe reisen können. Der BF hatte aber behauptet, mit seinem karabachischen Reisepass (der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach) ausgereist zu sein. Wie er mit einem von keinem Staat der Welt anerkannten Dokument - zumindest nach Georgien - gereist sein will und dabei keine Probleme gehabt haben will, ist daher nicht nachvollziehbar. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, wie er dann weiter in die Ukraine - auf dem Luftwege - gereist sein will; zumindest ist der Sachverhalt in dieser Hinsicht jedenfalls aufklärungsbedürftig. Auch insoweit ist die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes nicht nachvollziehbar.

 

2.3. Im bekämpften Bescheid wird Beweis würdigend ausgeführt, der Antragsteller habe vorerst angegeben, er habe von einem Kriegskameraden das Angebot erhalten, nebenbei als Wache zu arbeiten, im Zuge der Befragung dem widersprechend gemeint, dass seine Kriegskameraden zu ihm gekommen wären und ihn gebeten hätten, für sie an der Grenze zu arbeiten und auf Vorhalt, dass seine Angaben in krassem Widerspruch zueinander stünden angegeben, dass sein Freund ihn für diese Person weiter empfohlen hätte. Der Asylgerichtshof vermag hier keine krassen Widersprüche erblicken, sind die Erklärungen des BF hier vielmehr nebeneinander denkbar. Gleiches gilt für die Aussage, dass er als Spezialist und Ortskundiger an der Grenze tätig gewesen sei. Auch diese Aussage ist neben den vorherigen denkbar und diesen nicht widersprechend, weil der BF mehrere Gründe für seine (behauptete) Tätigkeit gehabt haben konnte.

 

2.4. Das BAA führte weiter aus, es sei festzuhalten, dass, um als bewaffnete Wache in einer bestimmten Gegend eingesetzt zu werden, man vorerst beim Militär aufgenommen werden müsse. Erst nach der Grundausbildung oder während der Grundausbildung werde man an bestimmten Orten eingesetzt. Die vom Antragsteller behauptete Gefälligkeit könne nur in der Privatwirtschaft und Privatleben vorkommen, weshalb die Behauptung des Antragstellers, einfach so aus Gefälligkeit für einen Freund so einen Job anzunehmen, weder glaubhaft, noch nachvollziehbar sei.

 

Vorerst ist auf die Argumentation unter 2.3. hinzuweisen, womit die Gefälligkeit nur einer von mehreren Gründen gewesen sein könne. Darüber hinaus ist die eingangs erwähnte Argumentation, dass man vorerst beim Militär aufgenommen werden müsse und man erst nach einer Grundausbildung eingesetzt werde, im vorliegenden Fall aus zweierlei Gründen speklulativ. So werden einerseits in neuerer Zeit zunehmend Aufgaben aus dem Bereich des staatlichen Gewaltmonopols von privaten Sicherheitsfirmen übernommen (man denke an die polizeilichen Agenden, die private Sicherheitsfirmen in westlichen Ländern übernehmen, es werden aber auch z.T. militärische Leistungen von solchen Firmen erbracht - siehe Beispiel Irak) und hatte der BF andererseits im Zuge der Einvernahme erklärt, er sei 3 Jahre im Krieg gewesen; dem folgend war er also aufgrund seiner militärischen Erfahrung jedenfalls wesentlich geeigneter, als Wachposten zu arbeiten, als jemand, der nur seine Grundausbildung absolviert hat. Warum für den BF zur Ausübung der Tätigkeit als Wachposten eine Grundausbildung erforderlich sein sollte ist folglich nicht nachvollziehbar. Letztlich kann aber ohne entsprechende Informationen aus der Herkunftsregion - ob Tätigkeiten, wie vom BF beschrieben, gleichsam im "Nebenerwerb" tatsächlich durchgeführt werden können - auch das Vorbringen des BF nicht abschließend beurteilt werden, ob es nun insofern glaubhaft oder nicht glaubhaft ist.

 

2.5. Der BF hatte auf Vorhalt, warum er nicht per Funk die Zentrale angerufen habe angegeben, dass sie an der Grenze keine Funkgeräte gehabt hätten. Diese Aussage sei nicht nur unglaubwürdig, sondern entspreche (gemeint wohl: widerspreche) jeglicher Vorstellungen und allgemeiner Erfahrung, dass es in einem Krisengebiet wie Bergkarabach und vor allem an der Grenze keine Funkgeräte gegeben habe - so das BAA. Auch sei an der Glaubwürdigkeit zu zweifeln, wenn der BF angebe, dass nur Offiziere Funkgeräte gehabt hätten und die Ausrüstung in Bergkarabach nicht so gut sei, denn die Grenzen - vor allem in Krisengebieten - seien normalfalls zumindest mit Funkgeräten ausgerüstet; Funkgeräte seien in solchen Gebieten unerlässlich.

 

Dem ist einerseits zu entgegnen, dass der BF ja angab, es habe sich um einen Grenzposten zwischen Bergkarabach und Armenien gehandelt (wo im Gegensatz zur Grenze bzw. Waffenstillstandslinie zu Aserbaidschan ein militärisches Bedrohungsszenario nicht so ohne weiteres ersichtlich ist), andererseits die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid über die Ausrüstung von Grenzorganen ohne detaillierte diesbezügliche Hintergrundinformationen sich im Bereich der Spekulation bewegen.

 

2.6. Wenn das BAA ausführt, es widerspreche jeglicher Vorstellung und Lebenserfahrung, dass an der Grenze, wo sein Kollege und er stationiert gewesen wären, ein LKW voller Kisten mit Maschinengewehren offiziell am helllichten Tag einfach so ohne Eskorte und Papiere die grüne Grenze hätte passieren wollen, so ist hier anzumerken, dass die Formulierung Grenze und Stationierung wohl eher für einen Kontrollpunkt sprechen. Unter grüner Grenze versteht man gemeinhin die übrige Grenze, eben abseits von derartigen Kontrollpunkten oder vorgesehenen Übergängen. Dass der bezeichnete LKW die "grüne Grenze" hätte passieren wollen, wurde vom BF im Zuge seiner Einvernahmen auch nie behauptet, vielmehr hatte er stets angegeben, er habe den LKW am Kontrollpunkt angehalten, er sei aufgefordert worden, die Grenze zu öffnen, was offensichtlich nur an einem Kontrollpunkt möglich ist. Dass der BF darüber keine plausible Erklärung abliefern konnte, versteht sich von selbst. Auch insoweit ist die Beweiswürdigung der Erstbehörde unschlüssig.

 

2.7. Laut Bundesasylamt habe der BF bei der Einvernahme im Widerspruch zur Einvernahme vor der EAST West nicht angegeben, dass sein Freund Vanik in der Kaserne gewesen sei und dort Informationen über den Waffenschmuggel in Erfahrung gebracht habe. Auf diesbezüglichen Vorhalt habe der BF gemeint, dass er insofern nicht konkret befragt worden sei bzw. diesen Umstand zu erwähnen vergessen habe. Diese Verantwortung ist für den Asylgerichtshof durchaus nachvollziehbar, handelte es sich dabei (dass sein Freund in der Kaserne gewesen sei) doch für ihn nicht um einen essentiellen Teil seines Vorbringens sondern aus seiner Sicht eher um einen Nebenumstand.

 

Das Bundesasylamt würdigt weiter, es sei auch absolut unglaubwürdig und daher auch nicht nachvollziehbar, dass sein Freund als einfacher Viehzüchter (als Zivilperson) einfach in die Kaserne spazieren und solch wichtige Informationen über "Waffenschmuggel" habe erfahren können. Dieser Schluss mag auf hierortige Verhältnisse zutreffen, ist aber ohne diesbezügliche Informationen (insbes. über das dortige Militär und die Beziehungen zur Zivilbevölkerung - Teile dieser hatten dort vor etwas mehr als einem Jahrzehnt miteinander im Krieg gekämpft) aus der Herkunftsregion des BF nicht zwingend.

 

2.8. Inwieweit dem BF im Falle des Zutreffens der Bedrohung durch Private in Bergkarabach (das nur ca. 4400 km² groß ist) eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe wurde zwar vom BAA in den Raum gestellt, jedoch nicht näher begründet. Aufgrund der Begrenztheit der Region wäre selbst unter Hinzurechnung der besetzen Gebiete eine diesbezügliche schlüssige Begründung erforderlich gewesen.

 

2.9. Schließlich ist anzumerken, dass der vom BF behauptete Grenzposten (K.) an der Grenzlinie zwischen Armenien und den besetzten Gebieten (diese sind einerseits von Einheiten der nicht anerkannten Republik Bergkarabach, andererseits von Einheiten der Republik Armenien besetzt) liegt. Aufgrund dieser Situation ist überhaupt fraglich, ob diese "Grenze" existiert und zutreffendenfalls ob sie auch kontrolliert wird.

 

2.10. Die Erstbehörde hatte ausgeführt, der BF sei mit seinem ohne Schwierigkeiten ausgestellten nationalen Reisedokument - sich der staatlichen Grenzkontrolle unterziehend -ausgereist, ohne Probleme in diesem Zusammenhang auch nur zu behaupten. Es sei daher in höchstem Maße als wahrscheinlich anzusehen, dass es kein Interesse an seiner Person gab bzw. dass sie (gemeint wohl: er) eine solche für den Fall einer etwaigen Heimkehr zu erwarten hätte. Bei dem behaupteten Reisedokument kann vor dem Hintergrund des Vorbringens wohl nur ein solches der international nicht anerkannten Republik Bergkarabach gemeint sein. Für diese Schlussfolgerung (kein Interesse an seiner Person) fehlten aber die entsprechenden Sachverhaltsermittlungen (wo erfolgte die Ausreise?) sowie die entsprechenden Feststellungen (wo ist eine Ausreise möglich? - wie sehen dort die Kontrollen aus (bspw. Passlesegeräte)?).

 

Schließlich ist die Schlussfolgerung, es sei wahrscheinlich, dass kein Interesse an einer Verfolgung des BF bestanden habe, insofern nicht nachvollziehbar, als der BF auch keine Verfolgung durch staatliche Organe behauptet hatte. Sinn würde dieser Schluss nur machen, wenn es seine Verquickung staatlicher Organe mit Mitgliedern der Mafia (deren Verfolgung der BF fürchtet) gebe, wozu aber die entsprechenden Länderfeststellungen fehlen.

 

2.11. Der BF hatte im Zuge seiner Einvernahme angegeben, seine Kinder hätten in "Aserbaidschan" die Schule besucht. Dieses Vorbringen hätte folglich ebenso näher hinterfragt werden müssen.

 

Aufklärungsbedürftig sind auch die widersprüchlichen Angaben des BF, als er bei der Erstbefragung bei der Religionszugehörigkeit "Sonnenanbeter" und bei der Volksgruppenzugehörigkeit "Jezide" angegeben hatte. Im Zuge der Einvernahme am 06.12.2006 hatte er auf die Frage, ob er aufgrund seines Glaubensbekenntnisses Probleme gehabt habe mit "nein" und auf die Frage, nach Problemen wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit damit geantwortet, dass er wegen seiner kurdischen Angehörigkeit immer unterdrückt worden sei. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 24.07.2007 hatte er die Frage, ob er in seinem Heimatland von staatlicher Seite jemals wegen seiner Religion, seiner Volksgruppe oder Rasse verfolgt worden sei, mit "nein, absolut nicht" beantwortet. Die Beschwerdeschrift rügt in diesem Zusammenhang, es sei nicht darauf eingegangen worden, dass er angegeben habe, er sei "Mazdaist" und Angehöriger der Volksgruppe der Jeziden gewesen und habe deshalb Probleme gehabt.

 

Im gegebenen Zusammenhang wäre auch zu eruieren gewesen, was er jeweils unter den Begriffen "Sonnenanbeter" bzw. "Mazdaist" verstehe bzw. ob und zu welcher Religion er sich bekenne.

 

Aus den angeführten Gründen ist die Beweiswürdigung der Erstbehörde, die Vorbringensteile seien einerseits glaubhaft, zum überwiegenden Teil aber nicht glaubhaft, nicht schlüssig.

 

Das Bundesasylamt hat es verabsäumt, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln und nachvollziehbar darzulegen, warum ganz konkret welcher Teil des Vorbringens aufgrund welcher Erwägung als glaubwürdig bzw. nicht glaubwürdig angenommen wird.

 

III. Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Beim Verwaltungsgerichtshof oder beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren über Beschwerden gegen Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates sind von diesen mit der Maßgabe weiterzuführen, dass als belangte Behörde der Asylgerichtshof gilt.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gem. § 75 (1) des Asylgesetzes 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG 2005) idgF sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Behörde zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs. 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31. Dezember 2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gegenständliches Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig, weshalb es nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zu Ende zu führen war.

 

Das erkennende Gericht ist berechtigt, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das Erk. d. VwGH vom 4. 10. 1995, 95/01/0045; VwGH 24. 11. 1999, 99/01/0280; auch VwGH 8. 3. 1999, 98/01/0278), weshalb im gegenständlichen Fall im bereits genannten Umfang auf den erstinstanzlichen Bescheid verwiesen wird.

 

Ebenso ist das erkennende Gericht berechtigt, auf die außer Zweifel stehende Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) zu verweisen, weshalb auch hierauf im gegenständlichen Umfang verwiesen wird.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH (vorher UBAS) ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat (jetzt AsylGH) - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BF und der Geschäftsverteilung des AsylGH für das Jahr 2008 eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt und gründen sich die Feststellungen des Bundesasylamtes zur Person des BF und zu seinem Fluchtvorbringen auf eine unschlüssige Beweiswürdigung. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten - ev. auch durch Anfragen an die zuständige österr. Vertretung - im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf einem mangelhaften Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung des BF, bzw. eine Konfrontation des BF mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.

 

Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch den BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es dem BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihm die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern und ihm hinsichtlich der der Entscheidung zu Grunde liegenden Quellen das Parteiengehör zu gewähren haben. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Militärdienst, Organisierte Kriminalität, Parteiengehör, Religion, Sicherheitslage, Volksgruppenzugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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