TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/27 C2 255969-0/2008

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Veröffentlicht am 27.10.2008
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Spruch

C2 255969-0/2008/5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Marth als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Fischer-Szilagyi als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Geiger Anja über die Beschwerde des A.M., geb. 00.00.1978, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.11.2004, FZ. 01 18.331-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.

 

I. Verfahrensgang

 

Die nunmehr berufende Partei hat am 11.8.2001 einen Asylantrag gestellt.

 

Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde der unter i. bezeichnete Asylantrag der berufenden Partei mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 22.11.2004, erlassen am 30.11.2004, abgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der berufenden Partei nach Afghanistan nicht zulässig sei; ihr wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

 

Mit am 13.12.2004 bei der Behörde eingebrachter Berufung wurde gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid berufen.

 

Weiters wurden im Verfahren vor dem Bundesasylamt bzw. vor dem Asylgerichtshof ein auf den Berufungswerber lautendes Laissez-Passer der Bundesrepublik Deutschland als Beweismittel vorgelegt oder von Amts wegen beigeschafft.

 

II.

 

Anzuwenden war das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: "AsylG 1997"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichthof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005")? anzuwenden.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 66 Abs 1 AVG hat die Berufungsbehörde - das ist im vorliegenden Fall bei sinngemäßer Anwendung der leg. cit. der Asylgerichtshof - notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde - also im vorliegenden Fall durch das Bundesasylamt - durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat der Asylgerichtshof, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. etwa VwSlg. 14.945/A und dazu Wiederin, ZUV 2000/1, 20 f). In einer sinngemäßen Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG, die sich aus § 23 AsylGHG ergibt, kann der Asylgerichtshof den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverweisen, wenn der dem Asylgerichtshof vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann der Asylgerichtshof die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Auslegung des § 66 Abs. 3 kommt es jedoch nicht auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die konkrete Amtshandlung an. So wird etwa auch auf den Wohnort des Berufungswerbers bedacht zu nehmen sein (in diesem Sinne etwa VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084), vor allem aber der Umstand des förmlicheren Verfahrens vor dem Asylgerichtshof, der etwa nur die Möglichkeit hat, Verhandlungen durch zwei Richter durchführen zu lassen. Weiters muss auch berücksichtigt werden, dass ein Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der den Asylgerichtshof als besonderen Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. Art. 129 B-VG). Die verfassungsrechtlich normierte Funktion des Asylgerichtshofs als Beschwerdegericht, das zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung eingerichtet ist, wird aber ausgehöhlt und die Einräumung des Beschwerdeverfahrens zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor dem Asylgerichtshof nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in das Verfahren einzuführen (vgl. hiezu zum Unabhängigen Bundesasylsenat VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).

 

Was die Ausübung des der Berufungsbehörde durch § 66 Abs. 2 AVG eingeräumten Ermessens angeht, ist darauf hinzuweisen, dass nach der oben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes der Gesetzgeber in Asylsachen ein Beschwerdeverfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch den VfGH) eingerichtet hat, in welchem dem Asylgerichtshof die Sicherung der Rechtmäßigkeit der Verwaltung zukommt (Art. 129 B-VG), wobei in diesem Verfahren bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln hat, da es nicht im Sinne des Gesetzes ist, wenn der Asylgerichtshof, statt seine (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Stelle ist, die erstmals den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es das Bundesasylamt unterlässt, sich in die Fluchtgeschichte des Antragstellers einzulassen und ohne - wie dies dem Normzweck des § 28 AsylG entspräche - darauf hinzuwirken, dass alle für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrags geltend gemachten Umstände vervollständigt werden oder die zur Begründung des Antrags notwendigen Bescheinigungsmittel bezeichnet, vervollständigt oder von Amts wegen beigeschafft werden.

 

Im vorliegenden Fall hatte der Berufungswerber behauptet, dass sein Vater für das Regime des Najibullah im Sekretariat des Provinzkomitees der K. Partei gearbeitet hätte; in weiterer Folge seien seine Angehörigen von Mitgliedern der Hezb E Jamiat getötet worden und der Berufungswerber selbst sei drei Monate vor seiner Ausreise aus Afghanistan fast Opfer eines gegen ihn gerichteten Attentates gewesen. Der hiefür verantwortliche Kommandant sei sowohl aus persönlichen als auch aus politischen Gründen mit seinem Vater verfeindet gewesen. Beweiswürdigend führt der im Spruch bezeichnete Bescheid lediglich aus: "Die Aussagen des Ast. über die Gefahr einer Ermordung, durch Mujaheddin, sind unglaubwürdig, weil sich der Ast. zur Zeit der Machtausübung des Kommunistischen Regimes, im Kindesalter befunden hat, und es absolut unwahrscheinlich ist, dass der Ast., mangels jeder Verantwortlichkeit, für Ereignisse, bis zum Jahre 1992, gegenwärtig, in Ausübung der Rache, Opfer von Mujaheddin, oder eines früheren Kommandanten der Mujaheddin, hätte werden sollen. Eine solche Vorgangsweise würde jeder Logik entbehren und kann deshalb nicht schlüssig nachempfunden werden."

 

Nach Ansicht des Asylgerichtshofes ist es jedenfalls nicht zulässig, davon ohne weitere Beweise oder Erwägungen auszugehen, dass der Berufungswerber nicht für etwailige Taten seines Vaters, die zu einer Blutrache durch nunmehr Machthaber in Afghanistan führen könnten, nicht zur Verantwortung gezogen wird. Dies widerspricht entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes nicht jeder Logik sondern kann nach dem Amtswissen in Afghanistan durchaus vorkommen.

 

Das Bundesasylamt wird daher den Berufungswerber abermals einzuvernehmen und entweder seine Unglaubwürdigkeit schlüssig und nachvollziehbar darzutun haben - etwa auf Grund von Widersprüchen oder einem Sachverständigengutachten - oder seine Ausführungen der rechtlichen Würdigung zu unterstellen zu haben.

 

Schon aus den unter iv. dargestellten Gründen ist mit einer Vornahme der Amtshandlung durch den Asylgerichtshof keine Ersparnis an Kosten und Zeit verbunden; darüber hinaus ist in Fällen, in denen es das Bundesasylamt unterlässt, die wesentlichen Verfahrensvorschriften und - garantien zu beachten, im Hinblick auf die Sicherung der Rechtmäßigkeit der Verwaltung eine Behebung des betreffenden Bescheides mit dem Auftrag das Verwaltungsverfahren zu wiederholen, unumgänglich, um eine entsprechende Verfahrensführung des Bundesasylamtes in der Zukunft sicherzustellen.

 

II.2. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
25.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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