TE Vwgh Erkenntnis 2001/4/24 96/18/0006

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Veröffentlicht am 24.04.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §39;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der am 13. Juli 1952 geborenen M A in Wien, vertreten durch Dr. Christian Kuhn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Elisabethstraße 22, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. September 1995, Zl. SD 7/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. September 1995 wurde auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin, einer iranischen Staatsangehörigen, gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass sie gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG im Iran bedroht sei.

Die Beschwerdeführerin begründe ihren Antrag damit, dass ihr Ehemann wegen seiner Freundschaft mit Angehörigen der Bahai-Religion misshandelt worden wäre und dass sich nach der Flucht tatsächlich auch schon "Revolutionswächter" nach ihrem Ehemann und ihr erkundigt hätten. Ebenso wäre die Beschwerdeführerin bereits im Zusammenhang mit Vorfällen in ihrem Betrieb verhört und ihr die Freundschaft mit Bahai-Gläubigen vorgeworfen worden; mehrere Mitarbeiter des Betriebes in der gleichen Lage wie die Beschwerdeführerin wären verurteilt, gefoltert und sogar hingerichtet worden. Mit den Gründen, aus denen die Beschwerdeführerin ihre Heimat verlassen habe, hätte sich auch bereits die Asylbehörde auseinander gesetzt.

Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des Bescheides des Bundesasylamtes, der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin und des hierüber ergangenen, den Asylantrag der Beschwerdeführerin abweisenden Bescheides des Bundesministers für Inneres führte die belangte Behörde aus, sie habe sich "dieser Auffassung" angeschlossen und sei daher zu der Ansicht gelangt, dass keine konkreten und aktuellen Umstände vorlägen, die die Gefahr einer Verfolgung der Beschwerdeführerin durch staatliche Organe oder mit deren Billigung aus den in der Konvention genannten Gründen gegeben erscheinen ließen, wobei bemerkt werden müsse, dass es sich dabei um eine Verfolgung im gesamten Gebiet dieses Staates handeln müsste. Mangels konkreter Umstände, die eine solche Verfolgung konkret und aktuell hätten erscheinen lassen können, lägen aber auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass die Beschwerdeführerin konkret und aktuell Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 97/21/0911.)

2. Die Beschwerde macht als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, das Verfahren sei "ergänzungsbedürftig" geblieben. Diese Ergänzungsbedürftigkeit ergebe sich (u.a.) daraus, dass die Behörde in keiner Weise entsprechende Beweise aufgenommen und Feststellungen getroffen habe, inwieweit Personen, die im Iran der Freundschaft mit Angehörigen der Bahai-Religion verdächtigt würden, die der Teilnahme an politischen Protesten beschuldigt würden und die Anhänger des Schahs gewesen seien, bedroht seien. Die Beschwerdeführerin habe diesbezüglich alle entsprechenden "Anhaltspunkte" geliefert; die Behörde sei jedoch ihrer Pflicht gemäß § 39 AVG zur amtswegigen Erforschung der Wahrheit nicht nachgekommen.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Feststellungsantrag vom 3. Mai 1994 vorgebracht, dass ihrem Ehemann (u.a.) vorgeworfen worden sei, mit Angehörigen der Bahai-Religion Umgang zu pflegen und mit einigen dieser Menschen gut befreundet zu sein. Diesbezüglich hätten "Revolutionswächter" versucht, ihn zum Verhör abzuholen, und angekündigt, ihn festnehmen zu wollen. Weiters sei er unter Verdacht geraten, ein Mitglied des ehemaligen Geheimdienstes des Schah gewesen zu sein, weil er stets Schah-treu gewesen und dieser Umstand auch bekannt geworden sei. Aus all diesen Gründen hätte er, seine Ehefrau und seine Kinder mit Verfolgung im Iran rechnen müssen; insbesondere hätten sie damit rechnen müssen, im Fall eines längeren Verweilens und des Hervorkommens weiterer belastender Momente (insbesondere hinsichtlich der Freundschaft mit Angehörigen der Bahai-Religion und der Kollaboration mit dem Geheimdienst des Schah) schweren Verfolgungen, unter Umständen sogar der Todesstrafe, ausgesetzt zu sein. Über Verletzungen von Menschenrechten im Iran existiere ein umfangreiches Schrifttum, darunter Veröffentlichungen von Amnesty International sowie Berichte der Vereinten Nationen zur Lage der Menschenrechte im Iran. In all diesen Veröffentlichungen werde festgestellt, dass sowohl geringfügige Verstöße gegen Normen des religiösen Gesetzes (Scharia), insbesondere aber die Angehörigkeit zur Bahai-Religion und die Freundschaft mit Mitgliedern dieser Religion, als auch die Anhängerschaft zum früheren Schah-Regime schwerste Verfolgungen nach sich zögen.

Auf Grund der Verständigung der erstinstanzlichen Behörde vom 18. Mai 1994, dass beabsichtigt sei, den Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 54 FrG abzulehnen, weil in keiner Weise eine direkt gegen sie gerichtete Verfolgung habe verdeutlicht werden können, legte die Beschwerdeführerin dieser Behörde mit Schriftsatz vom 7. Juni 1994 diverse Urkunden, darunter einen Bericht der Vereinten Nationen vom 2. Februar 1994, in dem die exponierte Situation der Bahai-Religion im Iran ausführlich dargestellt wurde, vor. Die Beschwerdeführerin brachte weiters vor, ihr Ehemann sei wegen seiner Freundschaft mit Anhängern der Bahai-Religion auch einmal von aufgebrachten Moslems schwer misshandelt worden. Sie sei mit ihrer Familie unverzüglich umgezogen, als sie von der Verhaftung zweiter Bahai-Freunde erfahren habe. Als ihr Ehemann fünf Tage danach seine bisherige Wohnung aufgesucht habe, sei ihm mitgeteilt worden, dass sich bereits "Revolutionswächter" nach ihm erkundigt hätten, offensichtlich, um ihn oder seine Familie zu verhaften.

In ihrer Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid, der den Angaben bezüglich der drohenden Verhaftung des Ehemannes der Beschwerdeführerin deshalb keine Glaubwürdigkeit zuerkannte, "da dies in keiner Weise belegt wurde", brachte die Beschwerdeführerin vor, dass die Behörde es unterlassen habe, auf die von ihr vorgelegten Urkunden einzugehen und dergestalt den von ihr behaupteten Sachverhalt zu klären.

Auch die belangte Behörde unterließ es, das (oben dargestellte) mit Urkunden belegte Vorbringen der Beschwerdeführerin zu prüfen, darüber im angefochtenen Bescheid Feststellungen zu treffen und diese ihrer rechtlichen Beurteilung nach § 54 FrG zu Grunde zu legen. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels ist gegeben, weil auf dem Boden des Vorbringens der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren, insbesondere im Licht des von ihr vorgelegten Berichts der Vereinten Nationen, nicht ausgeschlossen werden kann, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr einer Verfolgung im Sinn des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG für sie tatsächlich gegeben ist.

4. Da somit nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Unterbleiben dieser Mängel zu einem anderen, für die Beschwerdeführerin günstigen Ergebnis hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf § 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 24. April 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1996180006.X00

Im RIS seit

20.09.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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