TE Vwgh Beschluss 2001/4/25 2001/10/0030

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Veröffentlicht am 25.04.2001
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E1N;
E3D E05203030;
E3D E16300000;
E3L E06205000;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
59/04 EU - EWR;
82/03 Ärzte Sonstiges Sanitätspersonal;

Norm

11992E052 EGV Art52;
11994NN01/11/D3 EU-Beitrittsvertrag Anh1 11D3 Z3 lita;
11997E012 EG Art12;
11997E039 EG Art39;
11997E043 EG Art43;
11997E234 EG Art234;
31963D0266 Grundsätze Berufsausbildung;
31978L0686 Anerkennungs-RL Diplome Prüfungszeugnisse Zahnarzt Art19b idF 11994NN01/11/D3;
31993L0016 Anerkennungs-RL Diplome Prüfungszeugnisse Ärzte Art1;
31993L0016 Anerkennungs-RL Diplome Prüfungszeugnisse Ärzte Art3;
31993L0016 Anerkennungs-RL Diplome Prüfungszeugnisse Ärzte Art9;
61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB;
61983CJ0293 Gravier VORAB;
61989CJ0106 Marleasing VORAB;
61995CJ0266 Merino Garcia VORAB;
61996CJ0176 Lehtonen VORAB;
61996CJ0350 Clean Car Autoservice VORAB;
61998CJ0238 Hocsman VORAB;
EURallg;
VwGG §38a;
ZahnärzteausbildungsO 1925 §17;
ZahnärzteausbildungsO 1925;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: * EuGH-Zahl: C-204/01 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62001CO0204 5. November 2002 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2002/10/0206 E 16. Dezember 2002 VwSlg 15980 A/2002

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Stöberl und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Zavadil, über die Beschwerde des Dr. Tilmann K in Würzburg, vertreten durch Dr. Rainer Roniger, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Gußhausstraße 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur vom 6. Februar 2001, Zl. 35.515/4-VII/B/5/2001, betreffend Zulassung zum Zahnarztlehrgang, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr in der Fassung der Beitrittsakte, Amtsblatt Nr. C 241 vom 29. August 1994, S. 218, Art. 12 EG und Art. 39 EG sowie Art. 1 in Verbindung mit Art. 3 und Art. 9 der Richtlinie 93/16/EWG zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise dahingehend auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, wonach die Zulassung zu dem von Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG erfassten zahnärztlichen Ausbildungslehrgang den Erwerb des Doktorats der gesamten Heilkunde an einer inländischen Universität voraussetzt?

Begründung

1. Sachverhalt (Ausgangsverfahren):

Beim Verwaltungsgerichtshof ist die Beschwerde eines deutschen Staatsbürgers anhängig, der die Abweisung seines Antrags auf Zulassung zum Ausbildungslehrgang gemäß der Verordnung BGBl. Nr. 381/1925 für die fachliche Ausbildung von Doktoren der gesamten Heilkunde auf dem Gebiete der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde an der Universität Graz bekämpft (die genannte Verordnung gilt gemäß Art. I des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 184/1986 als Bundesgesetz). Der Beschwerdeführer hat in der Bundesrepublik Deutschland das Studium der Humanmedizin absolviert und erhielt am 14. Februar 1974 vom Bayerischen Staatsministerium des Innern die Urkunde über die erfolgreiche Ablegung der ärztlichen Staatsprüfung. Am 2. Juli 1975 hat er vom Bayerischen Staatsministerium des Innern die Approbation als Arzt erhalten und insofern die Berechtigung zur selbständigen ärztlichen Berufsausbildung erworben. Zudem hat er am 10. September 1980 an der Universität Hamburg den Doktortitel der Medizin erworben. Der Beschwerdeführer hat nach seinen Angaben seit 1975 dauernd als Arzt gearbeitet. Er hat seinen Wohnsitz nach den Beschwerdeangaben in Würzburg.

Der Beschwerdeführer beantragte die Zulassung für den zahnärztlichen Lehrgang an der Universität Graz am 29. März 1995. Die Nichtaufnahme in diesen Lehrgang wurde ihm formlos mitgeteilt. In der Folge kam es zu verschiedenen telefonischen Kontakten im Gegenstand und zu einem Schriftverkehr, in dessen Zuge dem Vertreter des Beschwerdeführers u.a. in einem Schreiben des (damaligen) Bundesministeriums für Wissenschaft und Verkehr vom 21. Februar 2000 unter Berufung auf eine Stellungnahme der Europäischen Kommission mitgeteilt wurde, dass das Bundesministerium (im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) bei seiner Entscheidung, den Beschwerdeführer nicht zum zahnärztlichen Lehrgang zuzulassen, bleibe (entsprechend der Notwendigkeit zur Änderung des Bundesministeriengesetzes 1986, BGBl. Nr. 76, in der Fassung der Bundesgesetze BGBl. Nr. 78/1987, Nr. 287/1987, Nr. 45/1991, Nr. 419/1992, Nr. 25/1993, Nr. 256/1993, Nr. 550/1994, Nr. 1105/1994, BGBl. Nr. 522/1995, Nr. 820/1995, Nr. 201/1996, BGBl. I Nr. 21/1997, BGBl. I Nr. 113/1997 und BGBl. I Nr. 10/1999, zur Durchführung von Kompetenzänderungen zwischen den Bundesministerien bestanden ungeachtet der Angelobung der neuen Bundesregierung am 4. Februar 2000 zu diesem Zeitpunkt noch das Bundesministerium für Wissenschaft und Verkehr und das Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales; die Änderung des Bundesministeriengesetzes wurde unter BGBl. I Nr. 16/2000 kundgemacht; das entsprechende Stück des BGBl. wurde am 31. März 2000 versendet und trat gemäß Art. 49 B-VG am 1. April 2000 in Kraft; die "Angelegenheiten der Wissenschaften, insbesondere der wissenschaftlichen Forschung und Lehre", gingen mit dieser Novelle auf das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur über; gemäß § 16a Bundesministeriengesetz wurden damit auch besondere Zuständigkeitsbestimmungen in Bundesgesetzen, daher auch jene in der hier maßgeblichen, in Gesetzesrang stehenden Verordnung BGBl. Nr. 381/1925 für die fachliche Ausbildung von Doktoren der gesamten Heilkunde auf dem Gebiete der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, entsprechend geändert; für die Vollziehung dieser Verordnung ist daher seit 1. April 2000 die Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur zuständig. Die Angelegenheiten des Gesundheitswesens besorgt nunmehr der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen). Es ergingen auch zwei Stellungnahmen der Generaldirektion Binnenmarkt vom 14. Jänner 2000 und vom 10. Oktober 2000. Im ersten Schreiben wurde resümiert, dass der gegenständliche Fall nicht durch Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG "gedeckt" sei. Im zweiten Schreiben wurde die Auffassung vertreten, dass die gegenständliche Übergangsregelung nach der Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen sei; gleichzeitig kam die Generaldirektion aber zum Schluss, dass die österreichischen Behörden gegen Art. 19b der Richtlinie verstießen, wenn sie "jenen, die ihre Diplome als Arzt in einem anderen Mitgliedstaat als Österreicher erworben haben, über den Fachlehrgang Zugang zum Beruf des Zahnarztes" gewährten.

Nachdem auch in der Folge kein formeller Bescheid erlassen wurde, erhob der Beschwerdeführer schließlich - anwaltlich vertreten - Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Die Säumnisbeschwerde wurde zunächst mit hg. Beschluss vom 27. September 2000, Zl. 2000/12/0204-3, mangels Säumnis der als belangte Behörde bezeichneten Behörde (des früheren Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr) zurückgewiesen. Auch eine neuerliche Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht wurde mit Beschluss vom 19. Dezember 2000, Zl. 2000/12/0260-3, wegen Unzuständigkeit und daher mangelnder Säumnis der belangten Behörde (des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie) zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 12. Jänner 2001 brachte der Beschwerdeführer, nunmehr durch seinen derzeitigen Rechtsvertreter, neuerlich Säumnisbeschwerde (gegen die Säumnis der Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur) an den Verwaltungsgerichtshof ein. Mit Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 2001 wurde die belangte Behörde aufgefordert, den versäumten Bescheid binnen einer Woche zu erlassen und eine Abschrift des Bescheides dem Verwaltungsgerichtshof vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege. Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 6. Februar 2001, GZ. 35.514/4-VII/B/5/2001, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen wird, und stellte diesen dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 7. Februar 2001 zu. Gegen diesen Bescheid richtet sich die beim Verwaltungsgerichtshof anhängige Beschwerde.

Begründet wird die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers auf Zulassung zum zahnärztlichen Lehrgang damit, dass nach der Verordnung BGBl. Nr. 381/1925 ein an einer österreichischen Universität erworbenes Doktorat der gesamten Heilkunde Voraussetzung für die Zulassung zum Lehrgang sei. Unter Hinweis auf Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr in der Fassung der Beitrittsakte, Amtsblatt Nr. C 241 vom 29. August 1994, S. 218, vertritt die belangte Behörde die Auffassung, dass bei der Aufnahme in den zahnärztlichen Lehrgang der in Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG normierte Studienabschluss in Österreich vorausgesetzt werde. Wie auch die Europäische Kommission (GD Binnenmarkt; freier Warenverkehr und reglementierte Berufe) mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 bestätigt habe, sei davon auszugehen, dass das Erfordernis eines in Österreich ausgestellten Befähigungsnachweises, der die Absolvierung eines Medizinstudiums bescheinige, darauf abziele, die rechtmäßig erworbenen Rechte jener Ärzte zu schützen, die in Österreich den Beruf des Zahnarztes zu einem Zeitpunkt ausgeübt haben, als es noch keinen vom normalen Arztberuf unabhängigen eigenständigen Beruf des Zahnarztes gegeben habe. Diese Bestimmung diene nicht dazu, Ärzten aus anderen EU-Mitgliedstaaten Rechte zu verleihen, die Inhaber eines Nachweises über die ärztliche Prüfung seien, der in einem Mitgliedstaat ausgestellt worden sei, in dem es eine eigene zahnärztliche Fachausbildung und den eigenständigen Beruf des Zahnarztes gebe. Ihnen die Aufnahme in den Fachlehrgang und damit den Zugang zum Beruf des Zahnarztes in Österreich zu gestatten, würde bedeuten, dass man ihnen eine Umgehung der für Zahnärzte geltenden Richtlinie erlaube.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur hg. Zl. 2001/10/0030 protokollierte Beschwerde. In dieser wird insbesondere die Rechtsauffassung bestritten, dass aus Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG folge, dass das Medizinstudium in Österreich absolviert worden sein müsse, um entsprechend Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG die Zahnarztausbildung zu absolvieren. Bereits im Verwaltungsverfahren hatte der Beschwerdeführer sich für seine Auffassung auf die erste Stellungnahme der Generaldirektion Binnenmarkt berufen, da er die Aussage, dass Art. 19b der Richtlinie auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, offenbar dahingehend deutete, dass die Generaldirektion die Auffassung vertrete, dass die Zulassung auszusprechen sei.

Der im Sommersemester 2001 begonnene Lehrgang nach der Verordnung vom 26. September 1925 betreffend Regelung der Ausbildung zum Zahnarzt, BGBl. Nr. 381, ist der letzte derartige Lehrgang. In Hinkunft erfolgt die Ausbildung zum Zahnarzt entsprechend der Richtlinie 78/686/EWG durch ein Studium der Zahnmedizin. Im Hinblick auf die aus der Sicht der Gemeinschaft nicht ausreichende Ausbildung durch den hier in Rede stehenden Lehrgang wurde anlässlich des Beitritts Österreichs zu den Gemeinschaften die Übergangsbestimmung des Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG geschaffen. Dieser regelt die Anerkennung "zum Zwecke der Ausübung der in Artikel 1 dieser Richtlinie genannten Tätigkeiten" der "Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der Ärzte", die in Österreich Personen ausgestellt werden, die ihre Universitätsausbildung vor dem 1. Jänner 1994 begonnen hatten.

2. Voraussetzungen für die Vorlage nach Art. 234 EG:

2.1. Bei der Entscheidung über die Beschwerde wird der Verwaltungsgerichtshof insbesondere zu prüfen haben, ob die von der belangten Behörde aus Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG abgeleiteten Schlussfolgerungen zutreffend sind. Ungeachtet des Umstandes, dass die Rechtsauffassung der belangten Behörde von der zuständigen Generaldirektion der Europäischen Kommission geteilt wird (vgl. das zitierte Schreiben vom 10. Oktober 2000), kann diese Rechtsfrage nicht als eine solche beurteilt werden, deren Beantwortung als offenkundig im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bezeichnet werden könnte (vgl. z.B. das Urteil vom 6. Oktober 1982, Rs 283/81, CILFIT, Slg. 1982, 3415). Wenngleich die Überlegung der belangten Behörde, dass bei Zulassung von Absolventen ausländischer Universitäten eine Umgehung der für die übrigen Mitgliedstaaten bestehenden Verpflichtungen aus der genannten Richtlinie möglich wäre, plausibel erscheint, hat auch die Interpretation des Beschwerdeführers, der in Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG lediglich eine Vorschrift darüber erblickt, welche Ausbildungen die übrigen Mitgliedstaaten hinsichtlich von Zahnärzten, die in Österreich ausgebildet wurden, anerkennen müssen, nicht jedoch darüber, welche Personen zu dieser Ausbildung in Österreich zuzulassen seien, einiges für sich.

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die Auslegung der belangten Behörde, dass die Zulassung zum Lehrgang nach der Verordnung BGBl. Nr. 381/1925 ein an einer österreichischen Universität erworbenes Doktorat der gesamten Heilkunde voraussetzt, aus dem systematischen Zusammenhang der Regelungen der Verordnung ableitbar ist (die Verordnung enthält in § 4 lediglich hinsichtlich der Zulassung zur Prüfung nach Absolvierung des Kurses eine diesbezügliche ausdrückliche Anordnung). Da die Argumentation der belangten Behörde aber im Anschluss an die Äußerung der Generaldirektion für den Binnenmarkt vom 10.Oktober 2000 dahin geht, dass die gemeinschaftsrechtliche Bestimmung des Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr in der Fassung der Beitrittsakte, Amtsblatt Nr. C 241 vom 29. August 1994, S. 218, die Annahme des Erfordernisses an einer österreichischen Universität erworbenen Doktorats gebiete, stellt sich primär die Frage nach der Auslegung des Art. 19b der genannten Richtlinie, da die nationalen Behörden und Gerichte gehalten sind, das nationale Recht gegebenenfalls gemeinschaftsrechtskonform (richtlinienkonform) auszulegen (vgl. z. B. EuGH 13. 11. 1990, Rs C-106/89, Marleasing, Slg. 1990, I- 4135, Rdnr. 8).

Zu dieser Frage besteht keine Rechtsprechung des EuGH.

Es kann daher auch die gegenteilige Auffassung, die der Beschwerdeführer vertritt (und für welche er sich im Verwaltungsverfahren auf ein Gutachten von Prof. Dr. iur. habil. Dieter H. Scheuing, Universität Würzburg, berufen hat), dass Art. 19b der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei bzw. sich daraus die von der belangten Behörde gezogenen Schlüsse nicht ableiten ließen, nicht mit Hinweis auf Rechtsprechung des EuGH entkräftet werden.

Dem Verwaltungsgerichtshof ist es daher im Hinblick auf Art. 234 EG verwehrt, den Beschwerdefall ohne Einholung einer Entscheidung über die dargestellte Frage durch den Europäischen Gerichtshof zu entscheiden. Im Hinblick darauf, dass gemäß Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG für Österreich eine spezifische Rechtslage besteht, wurde davon Abstand genommen, die Frage generell (für Übergangsregelungen "wie" Art. 19b der genannten Richtlinie) zu formulieren. Für die Beantwortung der Frage könnten zudem spezifische Überlegungen aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift von Bedeutung sein, sodass die Beschränkung der Frage auf die etwaige Ausschlusswirkung der konkreten Regelung im vorstehend dargestellten Sinn angezeigt erschien.

2.3. Für den Fall, dass Art. 19b der Richtlinie 78/686/EWG keine Grundlage für die Abweisung des Antrags des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren bildet, stellte sich die Frage, ob Gemeinschaftsrecht der nationalen Regelung, dass die Zulassung zum Zahnarztlehrgang ein an einer österreichischen Universität erworbenes Doktorat der gesamten Heilkunde voraussetze, entgegensteht.

2.4. Der Beschwerdeführer beruft sich hiezu zunächst auf Art. 39 EG.

In diesem Zusammenhang wäre aber auch zu klären, ob (sofern Art. 39 EG nicht eingreift) das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 12 EG auch für eine Ausbildung zum Facharzt für Zahnheilkunde zum Tragen kommt.

Soweit zu sehen, besteht auch zu dieser Frage keine gesicherte Rechtsprechung des EuGH, die eine Lösung der Rechtsfrage, die keinen Raum für einen vernünftigen Zweifel ließe, erlaubte (vgl. EuGH 6. 10. 1992, Rs 283/81, CILFIT, Slg. 1982, 3415).

Nach ständiger Rechtsprechung kann Art. 12 EG, in dem das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit als allgemeiner Grundsatz niedergelegt ist, autonom nur auf vom Gemeinschaftsrecht geregelte Situationen angewendet werden, für die der Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht (vgl. etwa EuGH, 13. 4. 2000, Rs C-176/96, Jyri Lehtonen, Rdnr. 37).

Da dieser Grundsatz für Arbeitnehmer durch Art. 39 EG konkretisiert und durchgeführt wird, ist zunächst zu klären, ob und inwieweit auf das vorliegende Ausbildungsverhältnis die Regelungen des Art. 39 EG oder auch der RL 93/16/EWG Anwendung finden.

Aus diesem Grund richtet sich die Frage auch darauf, ob Art. 39 EG oder Richtlinie 93/16/EWG dahingehend auszulegen sind, dass sie der gegenständlichen nationalen Bestimmung entgegenstehen.

Zu klären wäre nämlich, welche gemeinschaftsrechtlichen Folgen der Umstand hat, dass die Teilnehmer an dem in Rede stehenden Ausbildungslehrgang gemäß § 17 der Verordnung BGBl. Nr. 381/1925 für die Dauer des Lehrgangs Anspruch auf ein monatliches Entgelt haben.

Unabhängig von einer Anwendung der Richtlinie 93/16/EWG könnte aus dem Umstand, dass im gegenständlichen Ausbildungsverhältnis dem Auszubildenden ein Entgelt gezahlt wird, folgen, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt, welches die Anwendbarkeit des Art. 39 EG nach sich zieht. Diesfalls wäre das Diskriminierungsverbot des Art. 39 Abs. 2 EG zu beachten und zu klären, ob in dem Abstellen auf ein inländisches Doktorat eine unzulässige indirekte Diskriminierung liegt. Nach ständiger Rechtsprechung verbietet der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die mit Hilfe der Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu demselben Ergebnis führen (vgl. EuGH 12. 6. 1997, Rs C-266/95, Merino Garcia, Slg. 1997, I-3279, Rdnr. 33, oder EuGH 7. 5. 1998, Rs. C-350/96, Clean Car, Slg. 1998, I-2521, Rdnr. 27). Objektive Gründe, die eine Rechtfertigung der Differenzierung liefern könnten (vgl. EuGH 7. 5. 1998, Rs. C-350/96, Clean Car, Slg. 1998, I-2521, Rdnr. 31) hat die belangte Behörde nicht ins Treffen geführt.

2.5. Darüber hinaus wäre es denkbar, auf Grund allgemeiner Überlegungen zu einem Gebot der Anerkennung ausländischer Diplome unabhängig davon, ob eine einschlägige Gemeinschaftsrichtlinie besteht, zu kommen (in diesem Sinne zu Art. 52 EGV, nunmehr Art. 43 EG, die finnische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission in der Rechtssache Hocsman, EuGH 14. 9. 2000, Rs. C-238/98, Rdnr. 29). Auch der Beschwerdeführer beruft sich darauf, dass nach der Rechtsprechung des EuGH dann, wenn der Fall nicht durch eine Diplomanerkennungsrichtlinie erfasst sei, die Anerkennung des in Deutschland erworbenen Doktorats der Medizin jedenfalls vorzunehmen sei. Dazu ist jedoch darauf zu verweisen, dass die vom Beschwerdeführer bezogene Rechtsprechung die Frage der Zulassung zur Ausübung eines Berufes betrifft (vgl. das genannte Urteil in der Rechtssache Hocsman). Ob diese Rechtsprechung auch auf das vorliegende Ausbildungsverhältnis anwendbar ist, soll mit der Vorlagefrage geklärt werden.

2.6. Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang auch auf die Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, ABl. 1993 L 165, 1. Es wäre zu entscheiden, ob diese Richtlinie, die die Ausübung ärztlicher Tätigkeit (und nicht die Ausbildung hiefür) regelt, im Falle eines Ausbildungsverhältnisses eines Arztes, der im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses zum Zahnarzt ausgebildet wird, insofern zur Anwendung kommt, als im Falle einer Ausbildung zum Zahnarzt nach abgeschlossener Ausbildung zum Arzt ebenfalls eine ärztliche Tätigkeit vorliegen könnte, die unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Im Hinblick auf das aus den Erwägungsgründen und aus Art. 1 der Richtlinie ableitbare Ziel der Richtlinie könnte man zwar ableiten, dass unter der ärztlichen Tätigkeit im Sinn der Richtlinie nur die Ausübung des Arztberufes als angestellter wie auch als freiberuflich tätiger Arzt zu verstehen sei, sodass eine weiterführende Ausbildung (selbst wenn hiefür ein Entgelt bezahlt wird) nicht unter den Anwendungsbereich der Richtlinie fiele; allein, auch zu dieser Frage ist keine Rechtsprechung des EuGH ersichtlich, sodass der nationale Richter auch diese Frage nicht ohne Vorabentscheidung des EuGH beurteilen kann.

2.7. Schließlich wäre (wenn die vorstehenden Überlegungen nicht bereits zur Unanwendbarkeit bzw. dem Erfordernis der richtlinienkonformen Interpretation der gegenständlichen nationalen Regelung führen) die Frage der Anwendung des Art. 12 EG im vorliegenden Zusammenhang zu klären. Aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG könnte sich die Unzulässigkeit einer Bestimmung ergeben, die für die Ausbildung zum Zahnarzt den Erwerb eines Diploms der gesamten Heilkunde in jenem Staat, in dem die Ausbildung absolviert werden soll, als Voraussetzung vorsieht.

Der Verwaltungsgerichtshof geht dabei davon aus, dass dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG nach der Rechtsprechung des EuGH keine selbständige Bedeutung (im Sinn eines allgemeinen Gleichheitsgebotes für die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten) zukommt, sondern eine allfällige unzulässige Beschränkung nur dann gegen Art. 12 EG verstößt, "sofern sie in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt." (EuGH 13. Februar 1985, Rs 293/83, Gravier, Slg. 1985, 593, Rdnr. 15, und etwa EuGH, 13. 4. 2000, Rs C-176/96, Jyri Lehtonen, Rdnr. 37).

Die Organisation des Bildungswesens gehört zwar nicht zu den Materien, die der Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt aber der Zugang zum und die Teilnahme am Unterricht im Bildungswesen und in der Lehrlingsausbildung, insbesondere wenn es sich um die Berufsausbildung handelt, nicht außerhalb des Gemeinschaftsrechts (EuGH 13.2.1985, Rs 293/83, Gravier, Slg. 1985, 593, Rdnr. 19).

Der EuGH hat in dem genannten Urteil den Schluss gezogen, dass "die Voraussetzungen für den Zugang zur Berufsausbildung in den Anwendungsbereich des EWG-Vertrages" fallen (a.a.O., Rdnr. 25).

Nach der Begründung dieses Urteiles erscheint aber nicht geklärt, ob die Ausbildung zum Zahnarzt unter die im Urteil des EuGH vom 13. Februar 1985, Rs 293/83, Gravier, Slg. 1985, 593, umschriebene "Berufsausbildung" fällt oder nicht. In dem genannten Urteil hat der EuGH zwar wie ausgeführt ausgesprochen, dass der Zugang zum und die Teilnahme am Unterricht im Bildungswesen und in der Lehrlingsausbildung, insbesondere wenn es sich um die Berufsausbildung handelt, nicht außerhalb des Gemeinschaftsrechts falle (Rdnr. 19); die Bezugnahme auf den Beschluss 63/266/EWG hinsichtlich des Begriffes der Berufsausbildung in diesem Urteil (Rdnr. 21 und 28) lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob eine postpromotionelle Ausbildung unter diesen Begriff fällt, da fraglich ist, ob die Ausbildung zum Zahnarzt eine "Ausbildung Jugendlicher und Erwachsener, die für eine Berufstätigkeit bis zu mittleren Stellungen in Betracht kommen oder eine solche bereits ausüben" darstellt.

Wenn auch die Ausbildung zum Zahnarzt im vorstehenden Sinn in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt, stellt sich die Frage, ob das Abstellen auf ein an einer österreichischen Universität erworbenes Doktorat eine nach Art. 12 EG unzulässige (versteckte) Diskriminierung darstellt. Wenngleich eine solche Vorschrift nicht nach der Staatsbürgerschaft differenziert, könnte in dem Umstand, dass sie bewirkt, dass es überwiegend ausländische Staatsbürger, die in ihrem Heimatstaat ein Diplom erworben haben, sein werden, denen auf diese Weise der Zugang zur Ausbildung versagt wird, eine unzulässige Diskriminierung erblickt werden.

3. Aus diesem Grund war die oben formulierte Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Wien, am 25. April 2001

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Zulassung zum Zahnarztlehrgang

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2001100030.X00

Im RIS seit

08.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

05.02.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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