RS UVS Oberösterreich 1991/06/28 VwSen-400034/3/Gf/Kf

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Veröffentlicht am 28.06.1991
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Verweis auf VfSlg 8038/1977; VfGH vom 11.6.1990, B 947 und 1006/89; VfSlg 6240/1970; 11638/1988. Rechtssatz

Schubhaftbeschwerde: Voraussetzung Schubhaftbescheid. Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Unabhängigen Verwaltungssenat und der Sicherheitsdirektion: Bloß inhaltliche Kontrolle des Vollzuges des Bescheides durch UVS - formelle Elimination durch Sicherheitsdirektion oder erstinstanzliche Behörde von Amts wegen. Eingriff in die persönliche Freiheit, wenn Mandatsbescheid, der bloß geringeren Anforderungen an die Begründungspflicht genügen muß, erlassen wird, obwohl bereits ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde und der Mandatsbescheid tatsächlich nur oberflächlich begründet ist: Gesetzlosigkeit. Abschiebung vor Entscheidung des UVS dann unbedenklich, wenn der Beschwerdeführer keinen Asylantrag gestellt hat.

 

Eine Festnahme, die dazu dient, einen Fremden in Schubhaft zu nehmen und anzuhalten, darf nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur erfolgen, wenn diese Maßnahme zuvor durch Bescheid verfügt worden ist (vgl. z.B. VfSlg 8038/1977 und VfGH vom 11. Juni 1990, B 947 und 1006/89). Die Beschwerde gegen eine derart verfügte Festnahme und Anhaltung begründet sohin die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates nach Art. 129a Abs.1 Z.3 B-VG i.V.m.  § 67a Abs.1 Z.1 AVG und § 5a FrPG (und nicht nach Art. 129a Abs.1 Z.2 B-VG i.V.m. § 67a Abs.1 Z.2 AVG). Festzuhalten ist jedoch, daß durch die FrPG-Novelle 1991 die Anordnung des § 11 Abs.2 (und 3) FrPG jedenfalls formell unangetastet geblieben ist. Es hat daher nach wie vor die Sicherheitsdirektion - und nicht der unabhängige Verwaltungssenat - über Berufungen gegen Bescheide, mit denen eine Schubhaft verhängt wird, zu entscheiden. Andererseits ist den unabhängigen Verwaltungssenaten von Verfassungs wegen gemäß Art. 129 B-VG - und zwar in erster Linie - die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aufgetragen. Soll diese Funktion des unabhängigen Verwaltungssenates einerseits auch effektiv zum Tragen kommen, andererseits aber auch - dem Willen des Gesetzgebers entsprechend - den Sicherheitsdirektionen die Berufungsentscheidung über Schubhaftbeschwerden vorbehalten bleiben, so kann eine sinnvolle, der Intention des § 5a FrPG im Zusammenhalt mit Art. 6 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr.  684/1988 (im folgenden: PersFrSchG) Rechnung tragende und im Hinblick auf die Wahrung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gleichzeitig notwendige Kompetenzabgrenzung zwischen diesen beiden Organen nur folgendermaßen gefunden werden:

 

Dem unabhängigen Verwaltungssenat, der in Fremdenpolizeisachen gemäß Art. 6 Abs.1 PersFrSchG i.V.m. § 5a Abs.6 Z.2 FrPG binnen einer Woche - also sehr kurzfristig - über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung zu entscheiden hat, kommt im Hinblick auf § 11 Abs.2 FrPG eine Rechtmäßigkeitskontrolle des Schubhaftbescheides nur dahingehend zu, ob dadurch die durch das PersFrSchG verfassungsmäßig (und darauf basierend durch das FrPG einfachgesetzlich; vgl. dazu z.B. VfSlg 11638/1988, S 179, m.w.N.) geschützte Rechtssphäre des Beschwerdeführers verletzt worden ist. Trifft dies zu, so erstreckt sich die Befugnis des unabhängigen Verwaltungssenates von Gesetzes wegen aber auch dann lediglich darauf, die Rechtswidrigkeit der Festnahme und Anhaltung, also gleichsam jene des Vollzuges des Bescheides, festzustellen. Die Wahrnehmung sonstiger materiell nicht mit dem PersFrSchG im Zusammenhang stehender Rechtswidrigkeiten des Schubhaftbescheides sowie jedenfalls dessen formelle Elimination aus dem Bestand der Rechtsordnung obliegt demgegenüber nach wie vor der Sicherheitsdirektion als Berufungsbehörde, soweit nicht - etwa bei einer Rechtswidrigerklärung der Festnahme und Anhaltung durch den unabhängigen Verwaltungssenat - schon die bescheiderlassende Behörde selbst Anlaß zu einem Vorgehen gemäß § 68 Abs.2 AVG findet.

 

Wie schon oben dargetan wurde, kommt dem unabhängigen Verwaltungssenat, der in Fremdenpolizeisachen gemäß Art.6 Abs.1 zweiter Satz PersFrSchG i.V.m. § 5a Abs.6 Z.2 FrPG "binnen einer Woche" über die "Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges" bzw. die "Rechtswidrigkeit der Festnahme oder Anhaltung" zu entscheiden hat, im Hinblick auf § 11 Abs.2 FrPG nur eine durch diese Intention des PersFrSchG i.V.m. dem FrPG beschränkte materielle Kontrollmöglichkeit des Schubhaftbescheides zu. Diese Prüfung führt im vorliegenden Fall zu folgendem Ergebnis:

 

Gemäß § 5 Abs.1 FrPG kann die Behörde zur Vorbereitung einer Ausweisung sowie zur Sicherung der Abschiebung unter anderem dann die Schubhaft verhängen, wenn dies deshalb notwendig erscheint, um ein unmittelbar zu befürchtendes strafbares Verhalten des Fremden zu verhindern (vgl.  § 5 Abs.1 letzte Alternative FrPG). Wenn nun die belangte Behörde eine Augenscheinüberprüfung durchgeführt hat und aufgrund dieser zum Ergebnis gekommen ist, daß - weil unter der in Rede stehenden Meldeadresse 81 Personen aufrecht gemeldet sind, tatsächlich dort aber höchstens Platz für 24 Personen vorhanden und der Beschwerdeführer nach Zeugenaussagen dort nicht wohnhaft ist - in Wahrheit eine bloße Scheinanmeldung und damit eine Übertretung des Meldegesetzes vorliegt und die Behörde im Zusammenhang mit dem Umstand, daß der Beschwerdeführer illegal nach Österreich eingereist ist, zur Überzeugung gelangte, daß dieser auch weiterhin strafbare Handlungen begehen werde, so kann ihr insoweit nicht entgegengetreten werden: Die dem Schubhaftbescheid zugrundegelegte Annahme der Behörde steht - gemessen an den faktischen Umständen - nicht offensichtlich im Widerspruch mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, die zur Sicherung des in § 5 Abs.1 FrPG gesetzlich festgelegten Zweckes verhängte Schubhaft erscheint somit aus materiellrechtlicher Sicht nicht rechtswidrig. Es lag demnach eine denkmögliche (vgl. z.B. VfSlg 11638/1988, S. 179) Gesetzesanwendung, wie sie aufgrund des Art. 1 Abs.2 PersFrSchG ("gesetzlich vorgeschriebene Weise") i.V.m. Art.18 Abs.1 B-VG seitens der Behörde auch gegenüber Ausländern geboten ist, vor.  Der Beschwerdeführer wurde also dadurch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt.  Die vom Verfassungsgerichtshof noch in seinem Erkenntnis VfSlg 6240/1970, S. 499, vertretene, allerdings aus dem - im gegenständlichen Verfahren jedoch keinen Prüfungsmaßstab bildenden - Gleichheitsgrundsatz abgeleitete Auffassung erscheint somit durch die zwischenzeitliche Normierung des Art. 1 Abs.2 PersFrSchG als überholt.

 

Die Behörde hat jedoch den vorliegenden Schubhaftbescheid auf § 57 AVG gestützt, obwohl sie zuvor - wie sich aus dem Verwaltungsakt ergibt - bereits ein Ermittlungsverfahren (Niederschrift, Augenschein) durchgeführt hat (und innerhalb der ihr gemäß Art.4 Abs.5 PersFrSchG zur Verfügung stehenden 24-Stunden-Frist jedenfalls noch weitere Ermittlungen hätte durchführen können). Diese Vorgangsweise widerspricht zunächst der Anordnung des § 57 Abs.1 AVG. Die Behörde hätte also vielmehr einen Bescheid zu erlassen gehabt, der den vergleichsweise gesteigerten Anforderungen des § 58 und § 60 AVG, insbesondere soweit es die Pflicht zu dessen Begründung betrifft, zu genügen gehabt hätte. Auch ein gemäß § 64 Abs.2 AVG allenfalls verfügter Ausschluß der aufschiebenden Wirkung einer Berufung gegen den Schubhaftbescheid hätte demgemäß einer ausführlichen Begründung in bezug auf das Tatbestandsmerkmal der "Gefahr im Verzug" bedurft.  Die unrichtige Form der Bescheiderlassung begründet nun zwar für sich allein besehen noch keinen so gravierenden Mangel, daß der Beschwerdeführer dadurch in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden wäre. Allerdings kommt diesem Umstand - weil er im Ergebnis eine eingehendere Begründung seitens der Behörde auch für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Verhängung der Schubhaft bewirkt - aus der Sicht des Schutzzweckes des PersFrSchG hier eine maßgebliche Bedeutung zu. Weil es nämlich selbst unter Beachtung des Umstandes, daß der Beschwerdeführer illegal in Österreich eingereist ist und sich bloß zum Schein angemeldet hat, nicht von vornherein auf der Hand liegt, daß sich der Beschwerdeführer im Sinne des Art.2 Abs.1 Z.7 PersFrSchG i.V.m. § 5 Abs.1 FrPG einer bevorstehenden Abschiebung zu entziehen versuchen wird - dagegen spricht zumindest, daß er aus eigenem Antrieb persönlich bei der Behörde erschienen ist und dort einen Antrag auf Sichtvermerkserteilung gestellt hat, um in der Folge in Österreich arbeiten zu können -, hätte die Behörde das Vorliegen des Tatbestandselementes der "Gefahr im Verzug" als Voraussetzung der Anwendung des (§ 57 Abs.1 AVG bzw. des) § 64 Abs.2 AVG ausdrücklich begründen müssen. Daß sich die Fluchtgefahr aufgrund der faktischen Begleitumstände möglicherweise auch schlüssig - etwa aufgrund der bloßen Scheinanmeldung - ergeben hätte, vermag den Anforderungen des § 60 AVG jedenfalls deshalb nicht zu genügen, weil ein allfälliges Rechtsmittel gemäß § 63 Abs.3 AVG - im Gegensatz zur Vorstellung nach § 57 Abs.2 und 3 AVG - einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat, dem Rechtsmittelwerber aber eine von der Behörde bloß schlüssig getroffene Annahme, die den Bescheid tragen soll, naturgemäß nicht bekannt werden kann, wenn sich der Bescheid unrichtigerweise auf § 57 Abs.1 AVG stützt und man damit objektiv davon auszugehen hat, daß kein Ermittlungsverfahren durchgeführt wurde.

 

Tatsächlich findet sich in der Begründung des hier in Rede stehenden Bescheides keinerlei Hinweis auf das in § 57 Abs.1 AVG enthaltene Tatbestandselement der "Gefahr im Verzug".  Der Schubhaftbescheid erweist sich mithin insoweit mangels echter inhaltlicher Begründung als gesetzlos; fehlt es ihm damit aber insoweit an der von Art.6 Abs.1 PersFrSchG i.V.m. § 5 Abs.1 FrPG geforderten rechtlichen Deckung, so vermag dieser keine taugliche Rechtsgrundlage für den angeordneten Freiheitsentzug zu bilden.

 

Eine Enthaftung hatte der unabhängige Verwaltungssenat hingegen aufgrund des Umstandes, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates bereits - rechtmäßigerweise, weil dieser keinen Asylantrag gestellt hat und damit die Durchführung der Abschiebung zulässig war (vgl. dagegen aber z.B. VwSen-400017 vom 17. Mai 1991) - nicht zu verfügen.

Schlagworte
Vorstellung; Scheinanmeldung; Willkürverbot auch gegenüber Ausländern; denkmögliche Gesetzesanwendung; offensichtlicher Widerspruch zu den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut; Gleichheitsgrundsatz kein Prüfungsmaßstab; persönliches Erscheinen vor der Behörde aus eigenem Antrieb; Gefahr im Verzug; schlüssige Begründungselemente bei auf § 58 AVG basierendem Bescheid nicht ausreichend.
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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