RS UVS Oberösterreich 1994/06/12 VwSen-102230/16/Fra/Ka

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Veröffentlicht am 12.06.1994
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Rechtssatz

Der Berufungswerber verweist hiezu auf die Einvernahme des Beamten H., der aussagte, daß er mit dem Funkwagen nach einer Rechtskurve auf einen Abstand von ca. 100 m aufschließen konnte und dann die Geschwindigkeit auf ca. 140 km/h erhöht habe, wobei in den folgenden gekrümmten und unübersichtlichen Kurvenpassagen der Abstand zum Beschuldigten gleichgehalten wurde. Abgesehen davon, daß es aufgrund des angeblichen Abstandes zwischen seinem PKW und dem Funkwagen im Ausmaß von 100 m in einem kurvenreichen Straßenstück aufgrund der notwendigen Bremsungen und Beschleunigungen gar nicht möglich sei, einen gleichbleibenden Abstand einzuhalten, um eine objektive Geschwindigkeitsmessung durchzuführen, bestreite er ausdrücklich, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit in diesem Bereich überschritten zu haben. Der Beamte H. gebe selbst ausdrücklich an, daß im Bereich Haus F-Straße XX eine objektive Geschwindigkeitsmessung in einem gleichbleibenden Abstand von ca. 100 m erstmals durchgeführt werden konnte. Diese Aussage bestätige seine Ausführungen, wobei zu dieser Aussage noch festzuhalten sei, daß im Bereich Haus F-Straße Nr. XX eine objektive Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren technisch gar nicht möglich sei. In diesem Bereich könne zwar technisch gesehen eine Geschwindigkeit von 140 km/h erreicht werden, jedoch konnte diese Geschwindigkeit nur über eine Strecke von 112 m eingehalten werden, wobei dies einer Zeitspanne von 2,9 sec. entspreche. Anschließend habe bereits eine Verzögerung eingeleitet werden müssen. Für den Polizeiwagen, der leistungsmäßig seinem PKW unterlegen war, sei von einer maximal durchgeführten Beschleunigung von 80 Prozent der Beschleunigung seines PKW auszugehen. Damit ergebe sich, daß vom Polizeiwagen auf der angeführten Meßstrecke auch eine Geschwindigkeit von 140 km/h erreicht werden konnte, jedoch lediglich über eine Strecke von 26 m, wobei dies einer Zeitspanne von rechnerisch 0,67 sec. entspreche. Es sei daher auf keinen Fall möglich gewesen, durch Nachfahren des Polizeiwagens eine Geschwindigkeit von 140 km/h zu messen, da diese Geschwindigkeit ausgehend von einem notwendigen Beobachtungszeitraum von 9 Sekunden, um eine objektive Geschwindigkeitsmessung durchführen zu können, über eine Strecke von 350 m von beiden Fahrzeugen hätte eingehalten werden müssen. Die Ausführungen des Berufungswerbers fußen im wesentlichen auf dem im Akt befindliche Gutachten des ständig gerichtlich beeideten Sachverständigen für das gesamte Kraftfahrwesen, Prof. Mag. A.P. . In diesem Gutachten kommt der Sachverständige zum Ergebnis, daß es nicht möglich war, die dem Beschuldigten im Punkt 1 des angefochtenen Straferkenntnisses angelastete Geschwindigkeitsüberschreitung verläßlich zu messen, weil beide Fahrzeuge über eine Strecke von ca. 350 m diese Geschwindigkeit hätten einhalten müssen. Laut Berechnungen des Gutachters ergibt sich, daß vom Polizeiwagen auf der angeführten Meßstrecke auch eine Geschwindigkeit von 140 km/h erreicht, diese Geschwindigkeit jedoch nur über eine Strecke von ca. 26 m eingehalten werden konnte, was einem Zeitraum von rechnerisch 0,67 Sekunden entspricht. Der Gutachter stellt zusammenfassend fest, daß es aufgrund seiner Berechnungen grundsätzlich möglich war, an zwei Stellen der F-Straße eine Geschwindigkeit von rd. 140 km/h zu erreichen, diese Geschwindigkeit jedoch nicht ausreichend lang eingehalten werden konnte, um eine entsprechende Geschwindigkeitsmessung durch ein nachfolgendes Fahrzeug durchzuführen. Dies auch durch den Umstand, daß beide Fahrzeuge nicht zur gleichen Zeit eine Geschwindigkeit von 140 km/h erreichen und einhalten konnten. Er räumt ein, daß die im erstinstanzlichen Gutachten des Amtssachverständigen getroffenen Feststellungen grundsätzlich technisch richtig sind und bestätigt werden können. Lediglich bei den erzielbaren Kurvengeschwindigkeiten sei von einem relativ hohen seitlichen Kraftschlußbeiwert von ca. 0,9 ausgegangen worden. Unabhängig davon sei richtigerweise festgestellt worden, daß für eine Geschwindigkeitsüberprüfung durch Nachfahren eine Zeitdauer von ca. 9 sec. zur Verfügung hätte stehen müssen, in der die Fahrzeuge mit konstanter Geschwindigkeit gefahren wurden. Aufgrund des vorliegenden Straßenverlaufes sei jedoch eine derartig lange Zeitspanne für eine konstante Geschwindigkeit von 140 km/h für ein Nachfahren nicht möglich gewesen.

Der O.ö. Verwaltungssenat ersuchte den im Berufungsverfahren beigezogenen straßenverkehrstechnischen Amtssachverständigen, Herrn OAR. Ing. H. S., um Überprüfung der Schlüssigkeit dieses Gutachtens. Der Amtssachverständige führte im wesentlichen aus, daß auf Höhe des Hauses F-Straße Nr. XX auch bei Ausnützung nur des rechten Fahrstreifens eine Geschwindigkeit von 140 km/h gefahren werden kann. Zur Feststellung der Geschwindigkeit durch Nachfahren muß ca. 9 sec. in einem gleichbleibenden Abstand hinter einem verfolgten Fahrzeug nachgefahren werden. In 9 sec. durchfährt ein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h eine Wegstrecke von 350 m. Zu dieser Wegstrecke muß ein Nachfahrabstand von 100 m addiert werden, da beide Fahrzeuge sich während der Zeitdauer von 9 sec. in der Beobachtungsstrecke befinden müssen. Es würde daher mindestens eine Strecke von 450 m erforderlich sein, um eine Geschwindigkeit von 140 km/h durch Nachfahren in gleichbleibendem Abstand festzustellen. Zur Beantwortung der vom unabhängigen Verwaltungssenat gestellten Frage hielt es der Amtssachverständige für notwendig, den Straßenabschnitt auf der F-Straße von Str.km.4,0 bis 3,150 zu betrachten. Dies ist der Abschnitt von der Linkskurve (Kurve 4 im Plan des Straßenverlaufes, Abschnitt 2 F-Straße vom gerichtlich beeideten Sachverständigen) bis zur Einbindung der M-Straße. In seiner abschließenden Beurteilung kommt der Amtssachverständige zum Ergebnis, daß, wenn in der Beweiswürdigung davon ausgegangen wird, daß die Meldungsleger in der Kurve 4 die Fahrbahnmitte teilweise oder ganz überschritten haben, ihnen eine Strecke von 540 m zur Verfügung stand, auf der sie eine Geschwindigkeit von 140 km/h einhalten konnten. Die Durchfahrtszeit für diese Strecke hätte 13,7 sec., die Beobachtungszeit hätte unter Abzug des Nachfahrabstandes 11,3 sec. betragen. Geht jedoch die Beweiswürdigung davon aus, daß die Meldungsleger in der Kurve 4 nur den rechten Fahrstreifen benutzt haben, dann wäre ihnen eine Wegstrecke von 416 m zur Verfügung gestanden, auf der sie eine Geschwindigkeit von 140 km/h einhalten konnten und es hätte die Durchfahrtszeit 10,7 sec. betragen, die Beobachtungszeit hätte unter Berücksichtigung des Nachfahrabstandes von 100 m 8,1 sec. betragen.

Daraus ergibt sich, daß es der freien Beweiswürdigung unterliegt, in welcher Fahrlinie die Meldungsleger die Kurve 4 durchfahren haben, wobei sich Beobachtungszeiten zwischen 8,1 und 11,3 sec. ergeben. Lt. Meinung des Amtssachverständigen ergibt sich die Diskrepanz zum Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen Prof. Mag. A.P. daraus, daß dieses Gutachten die Fahrlinienradien, die sich aufgrund der Fahrzeugbreite, der Fahrbahnbreite und der Richtungsänderung ergeben, nicht berücksichtigt bzw dem Gutachter die Fahrbahnbreite und die Kurvenüberhöhung aufgrund der Tatsache, daß er seine Ermittlungen auf den zur Verfügung gestellten Plan stützte, verborgen blieben.

Der Amtssachverständige kommt sodann zum Ergebnis, daß eine Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h im gegenständlichen Straßenabschnitt grundsätzlich möglich ist, es jedoch der freien Beweiswürdigung unterliegt, wie die Meldungsleger diese Nachfahrt durchführten, insbesonders dahingehend, ob sie die Kurve 4 äußerst rechts oder unter Ausnützung des gesamten rechten Fahrstreifens bzw unter Ausnützung auch teilweise des linken Fahrstreifens bzw der ganzen Fahrbahnbreite durchführten. Dieses Gutachten des Amtssachverständigen wurde neuerlich dem gerichtlich beeideten Sachverständigen, Prof. Mag. A.P., zur Beurteilung vorgelegt. Prof. P. führt in seinem Ergänzungsgutachten vom 25.4.1995 aus, daß der Amtssachverständige bei der Ermittlung seiner möglichen Fahrradien davon ausging, daß es sich bei den Kurvenverläufen um exakte Kreisbögen und auch bei der Fahrlinie des PKW um exakte Kreisbögen handelte. Dazu sei jedoch anzumerken, daß ohne graphische Unterstützung eine andere Methode der Rückrechnung auch nicht möglich ist. Selbst unter der idealen Voraussetzung einer konstanten Bogenfahrt mit konstantem Radius wäre ein Fahrradius von 133 m unter Ausnützung der gesamten Fahrbahnbreite nicht möglich. Ein konstanter Bogenradius von 100 m wäre zwar möglich, allerdings wären dabei nur sehr geringe Übergangsbögen am Beginn und am Ende der Kurve möglich, sodaß dies tatsächlich nur bei einer sehr geringen Geschwindigkeit des PKW durchfahren werden könnte. Unter Berücksichtigung der Übergangsbögen während der Einlenk- und Auslenkphase des PKW ergibt sich im Kurvenstück 4 ein Scheitelradius des PKW im Bereich von 85 m. Dabei wurde bereits berücksichtigt, daß die gesamte Fahrbahnbreite vom PKW ausgenützt wurde. Letztlich kann eine absolut sichere Feststellung des möglichen Fahrradius aufgrund des Straßenverlaufes nicht erfolgen. Allerdings liegen die Abweichungen im Bereich von wenigen Prozenten. Vergleicht man dabei den Einfluß unterschiedlicher Beladungen beim PKW auf das Beschleunigungsverhalten, so ist hier bereits ein wesentlich höherer Einfluß auf eine Endgeschwindigkeit während der Beschleunigungsphase erkennbar. Letztlich geht der Kurvenradius in bezug auf die Kurvengeschwindigkeit degressiv ein. Zusammenfassend bestätigt der Sachverständige Prof. Mag. A.P. aufgrund der angeführten Ermittlungsweise der Kurvenradien die im Vorgutachten angeführten Berechnungsergebnisse und hält die Ergebnisse und Aussagen des Vorgutachtens vollinhaltich aufrecht. Aufgrund der oben im wesentlichen dargestellten umfangreichen und schlüssigen Gutachten kann festgestellt werden, daß nur dann für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlicher zweifelsfreier Beweis für die dem Beschuldigten zur Last gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung vorläge, wenn feststehen würde, wie die Meldungsleger die Kurve 4 (äußerst rechts oder unter Ausnützung des gesamten rechten Fahrstreifens oder auch teilweise des linken Fahrstreifens bzw der gesamten Fahrbahnbreite) durchfahren haben. Aus dem gesamten bisherigen Verfahrensergebnis, insbesondere den Aussagen der Meldungsleger ist jedoch keinerlei Hinweis dafür gegeben, wie die Meldungsleger mit dem Funkstreifenwagen die in Betracht kommende Strecke durchfahren haben. Es erscheint nun völlig illusorisch, hier von den Meldungslegern rund 22 Monate nach dem Vorfall allenfalls nach zeugenschaftlicher Befragung eine entsprechend präzise Antwort zu bekommen, dies insbesondere auch unter dem Aspekt, als die Meldungsleger hinsichtlich der Fakten 2, 3 und 4 die Nachfahrstrecke betreffend vor der Bundespolizeidirektion L. im März 1994 und vor dem Landesgericht L. im Dezember 1993 widersprüchlich aussagten. Unabhängig davon ergibt sich aus dem Gutachten des Prof. Mag. P., daß selbst bei einer bestätigenden Aussage der Meldungsleger hinsichtlich der Annahme des Amtssachverständigen aus technischer Sicht, was die Durchfahrt der Kurve 4 anlangt, eine Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren nicht möglich ist. Ein für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlicher - schlüssiger - Beweis hinsichtlich der gegenständlichen dem Beschuldigten zur Last gelegten Geschwindigkeitsüberschreitung liegt daher nicht vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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