TE Vwgh Erkenntnis 2001/5/31 2001/20/0215

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.05.2001
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des RC in F, geboren am 1. Jänner 1972 (auch 1974), vertreten durch Dr. Barbara Jantscher, Rechtsanwältin in 8330 Feldbach, Hauptplatz 7/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Jänner 2001, Zl. 213.889/0-IV/10/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, betrat am 15. September 1999 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am 20. September 1999 einen schriftlich näher begründeten Asylantrag und gab bei seiner Befragung durch das Bundesasylamt am 7. Oktober 1999 u.a. an, dass er als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe in der Türkei beschimpft, unterdrückt und unter dem Vorwurf, die "PKK"-Kämpfer zu unterstützen, geschlagen worden sei. Sein Vater habe ihm geraten "mein Sohn schau, dass du wegkommst, bevor die Sache noch schlimmer wird". Der Beschwerdeführer führte näher aus, dass er im Jahre 1999 in Halfeti bzw. auf dem Weg dort hin fünf bis sechs mal von Gendarmeriesoldaten kontrolliert und unter Beschimpfungen und Schlägen beschuldigt worden sei, die "PKK" zu unterstützen. Vor dem Jahr 1999 seien alle jungen männlichen Dorfbewohner von Gendarmeriesoldaten von zu Hause abgeholt und zum Dorfvorsteher gebracht worden. Dort seien sie gefragt worden, ob sie die "PKK" unterstützten. Der Beschwerdeführer habe eine solche Unterstützung immer verneint. Die Befragungen hätten ein bis zwei Stunden gedauert. Die Dorfbewohner seien befragt, beschimpft und dann freigelassen worden. Dem Beschwerdeführer habe nichts nachgewiesen werden können. Eine Woche vor seiner Ausreise sei der Beschwerdeführer vor den Augen seiner Eltern beschimpft worden. Er müsse diese Belästigungen seit vier bis fünf Jahren ertragen. Seine Eltern bzw. seine Geschwister seien aus wirtschaftlichen Gründen zur Flucht nicht in der Lage.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und sprach aus, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Selbst wenn die vom Beschwerdeführer geschilderten behördlichen Maßnahmen tatsächlich stattgefunden haben sollten, käme ihnen keine asylrelevante Intensität zu. Im Falle der Rückkehr in die Türkei habe der Beschwerdeführer keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte die Vertreterin des Beschwerdeführers unter anderem aus:

"Der Berufungswerber hat im schriftlichen Antrag ausgeführt, dass seine Familie sehr groß ist. Einige Leute seiner Familie haben sich der PKK angeschlossen, weshalb die ganze Familie für das Militär verdächtig ist. Einige Familienmitglieder sind schon geflüchtet und leben in verschiedenen Ländern Europas. Einige wurden schon getötet oder befinden sich im Gefängnis. Die Familie C. wird vom Militär daher besonders beobachtet, schikaniert und verfolgt. Das Militär taucht immer wieder auf, verhört die Leute, will herausbekommen, wer bei der PKK ist und wo sich PKK-Leute verstecken.

Dieser familiäre Hintergrund ist im Zusammenhang mit dem Asylgesuch des Berufungswerbers von wesentlicher Bedeutung, da sich hieraus die besondere Gefährdung der Familie C. und deren behördliche Verfolgung ergibt. Wie stark diese Verfolgung ist, ergibt sich auch daraus, dass, wie vorgebracht, vor kurzer Zeit die Freundin und das Kind des I.C. von Soldaten einfach erschossen wurde, als diese auf dem Traktor unterwegs waren. I.C. ist auch Teil der Familie des Berufungswerbers. Weiters hat er auch angegeben, dass nach der Flucht des E.C. (Sohn des R.C.) die Soldaten auch von ihm wissen wollten, wo E. ist. Er wurde mitgenommen, verhört und geschlagen.

Er hat auch vorgebracht, dass auf Grund der bisherigen Erlebnisse, wie Festnahmen, Verhöre, Misshandlungen und Bedrohungen, er weiterhin mit derartigen willkürlichen Verfolgungsmaßnahmen rechnen muss, wie auch, dass jederzeit die Gefahr besteht tatsächlich erschossen zu werden (wurden doch Freundin und Kind des I.C. von Soldaten einfach erschossen).

Schon aus diesen schriftlichen Ausführungen ergibt sich eine akute Gefährdungslage auch des Berufungswerbers selbst. Dieser hat anlässlich seiner Einvernahme auch hiezu ergänzende Angaben gemacht und ausgeführt, dass er selbst schon mehrer Jahre lang von Verfolgungshandlungen betroffen war, immer wieder befragt, beschimpft und geschlagen worden ist. Er immer wieder verdächtigt worden ist die PKK-Kämpfer zu unterstützen, was er immer wieder abgestritten hat."

In der mündlichen Berufungsverhandlung wiederholte der Beschwerdeführer u. a., dass er von der Gendarmerie sieben mal innerhalb eines Jahres kontrolliert worden sei. Er sei aus seinem Heimatdorf ohne Grund abgeholt worden. Auf dem Gendarmerieposten sei er unter Druck gesetzt worden, die Verstecke der PKK Leute zu verraten, denn die Gendarmerie sei davon ausgegangen, dass er diese Verstecke als Hirte kennen müsste. Bei jeder Einvernahme am Gendarmerieposten sei er beschimpft, misshandelt und geschlagen worden.

Er werde mehr als die anderen Bewohner dieses Gebietes verfolgt, weil er die Landschaft als Hirte kenne und die Gendarmerie unbedingt Verstecke erfahren wolle. Weil er sieben mal in einem Jahre befragt worden sei, sehe er darin eine Verfolgung und habe Angst um sein Leben. In der Türkei habe er keine Fluchtalternative. Er werde von den Türken überall schlecht behandelt. Sonst habe er mit den Behörden keine nachteiligen Erfahrungen gemacht. Frau und Kinder des Beschwerdeführers lebten unbehelligt in der Türkei. Die Verfolgung seiner Familie durch den türkischen Staat sei während seines Aufenthaltes in der Türkei erfolgt, als er von der Gendarmerie immer wieder zur Einvernahme geholt worden sei. Die Familie werde jetzt nicht mehr geholt.

Die belangte Behörde holte über die PKK und die Lage der Kurden in der Türkei das Gutachten eines Sachverständigen ein, wobei sowohl das schriftliche Gutachten als auch dessen Erörterung in der mündlichen Verhandlung zum Teil wörtlich im angefochtenen Bescheid wiedergegeben werden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG (neuerlich) aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei. Die belangte Behörde schloss sich der Ansicht der Behörde erster Instanz an und gelangte zur Auffassung, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling i.S. des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention sei und keine Gefahr einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Neben umfangreichem, mit dem behaupteten Sachverhalt nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Vorbringen über die allgemeine Situation der Kurden in der Türkei lassen sich die Beschwerdegründe im Wesentlichen dahin zusammenfassen, dass nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen sei, welchen Sachverhalt die belangte Behörde festgestellt habe. Die belangte Behörde hätte dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die stattgefundenen Verfolgungshandlungen und über die fehlende innerstaatliche Fluchtalternative folgen und entsprechende Feststellungen treffen müssen.

Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722).

Diesen Anforderungen wird der angefochtene, insgesamt 23 Seiten umfassende Bescheid nicht gerecht. Er besteht zu einem großen Teil (nahezu 15 Seiten) aus der wörtlichen Wiedergabe der Berufungsschrift des Beschwerdeführers, eines Sachverständigengutachtens über die Lage der Kurden in der Türkei, ergänzender Ausführungen des Sachverständigen in der Berufungsverhandlung und des Protokolls über die Vernehmung des Beschwerdeführers in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 24. Jänner 2000.

Erst danach wendet sich die belangte Behörde in verhältnismäßiger Kürze den rechtlich relevanten Begründungsteilen zu und führt als Feststellung bzw. zur Beweiswürdigung nur Folgendes aus:

"3) Sowohl dem persönlichen Eindruck nach (im Rahmen der über seinen Antrag notwendigen (!) Berufungsverhandlung) noch nach dem oben wörtlich zitierten Inhalt seines Vorbringens konnte der Asylwerber einen anderen Sachverhalt glaubhaft machen, als dies der Entscheidung der Behörde erster Instanz zu Grunde liegt.

Der Berufungswerber gab vielmehr neuerlich (oft innerhalb weniger Minuten, widersprüchlich) zu Protokoll.

Auch stand das neue Vorbringen des in der Berufungsverhandlung Berufungswerbers mit der Ersteinvernahme und seinen Schriftsatz in Widerspruch und zwar in den Fragen:

-

von Gendarmerie (- kontrolliert - einvernommen - "Verhaftet")

-

kurdische Sprachkenntnisse (- nicht perfekt - ... mentät)

-

Verfolgung der weiteren Verfolgung (- derzeit - seinerzeit) derzeit unverfolgt.

-

Fluchtmöglichkeit in 4 Jahren seit "Verfolgung" (keine Möglichkeit - Schafe mussten erst verkauft werden - wöchentlichen Schafmarkt)

              4)              Der Berufungswerber gab nichts Substanzielles von sich aus an, relativierte widersprüchliches, (wenn überhaupt) erst nach Vorhalt, dann aber meist durch, unbestimmte Aussagen oder die Behauptung es letztlich nicht zu wissen.

Es konnte daher die Glaubwürdigkeit des Inhaltes des Vorbringens im Sinne einer schweren staatlichen Verfolgung oder Gefährdung i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention und der § 57 FRG nicht erkannt werden."

Die grammatikalische Ungereimtheit dieses Textes, die offenbar mit dessen unterbliebener Kontrolle oder Verbesserung im Zusammenhang steht, erreicht ein Ausmaß, das eine Ermittlung dessen, was die belangte Behörde gemeint haben könnte, nicht mehr zulässt. So ist aus den eben zitierten bruchstückhaften und inkohärenten Aufzählungen zur Beweiswürdigung nicht ersichtlich, ob und warum die angeführten Argumente nun für oder gegen die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführers sprechen. Auch der letzte Teil des zitierten Textstücks wird den an eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung gestellten Anforderungen nicht gerecht. Die nicht getrennte Darstellung von Ermittlungsergebnissen, Feststellungen, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung verhindert eine verlässliche Zuordnung der schon für sich mangelhaften Textteile (vgl. zum Zweck einer Trennung der verschiedenen Kategorien Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 5 zu § 60 AVG).

Dem angefochtenen Bescheid ist - worauf auch der Beschwerdeführer zutreffend verweist - auf Grund der Unzulänglichkeit seiner Formulierungen nicht mehr zu entnehmen, ob, inwieweit und aus welchen Gründen die belangte Behörde dem Beschwerdeführer Glauben geschenkt hat und welche - allenfalls negativen - Feststellungen auf Grund welcher Ermittlungsergebnisse getroffen worden sind. Nur dann ist der Partei eine Verfolgung ihrer Rechte und dem Verwaltungsgerichtshof eine Überprüfung des Bescheides auf seine Richtigkeit möglich. Mit einer diesen Kriterien nicht entsprechenden Bescheidbegründung werden Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 1ff E 19ff und E 157ff zu § 60 AVG).

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. Mai 2001

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2001200215.X00

Im RIS seit

17.09.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten