RS UVS Oberösterreich 1995/10/16 VwSen-220901/5/Ga/La

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Veröffentlicht am 16.10.1995
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VwSen-260085 v. 9.9.1994; VwSen-280065 v. 6.10.1995; VwSen-260152 v. 7.9.1995 Rechtssatz

Gemäß § 21 Abs.1 VStG kann die Strafbehörde, im Berufungsfall auch der unabhängige Verwaltungssenat, von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Gleichzeitig kann der Beschuldigte unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnt werden, sofern dies erforderlich ist, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

Ein vom unabhängigen Verwaltungssenat aufzugreifender Anwendungsfall dieser Bestimmung liegt hier vor.

ISd § 21 Abs.1 VStG ist das Verschulden bzw. die Schuld des Täters gering, wenn das tatbildmäßige Verhalten hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. A (1990), 814 ff, E 7, 8 und 23a zu § 21 VStG; Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB, 3. A (1992), § 42 Rz 14). Nach der Judikatur des OGH zum vergleichbaren § 42 StGB muß die Schuld absolut und im Vergleich zu den typischen Fällen der jeweiligen Deliktsverwirklichung geringfügig sein (vgl ua EvBl 1989/189 = JBl 1990, 124; SSt 55/59; SSt 53/15; SSt 51/21). Maßgebend ist zum einen der das Unrecht mitbestimmende Handlungsunwert und zum anderen der Gesinnungsunwert, der das Ausmaß der deliktstypischen Strafzumessungsschuld ebenso entscheidend prägt (vgl Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB, 3. A, § 42 Rz 14 f mwN). Der Aspekt des Erfolgsunwerts wurde im § 21 Abs.1 VStG ebenso wie im § 42 StGB unter dem Merkmal "unbedeutende Folgen der Tat" verselbständigt (zu all dem vgl. h. Erk. vom 9.9.1994, VwSen-260085/8/Wei/Bk).

Vor diesem Hintergrund darf zunächst nicht übersehen werden, daß im Berufungsfall die Temperaturmessung bereits um 6.50 Uhr früh - und somit schon kurz nach Öffnung des Verkaufsraumes bzw. nach Arbeitsbeginn - erfolgte. Die unter solchen Vorzeichen wohl naheliegende Kontrollmessung nach einer vertretbaren Wartezeit unterblieb allerdings. Auch geht aus der Aktenlage nicht hervor, WO im Verkaufsraum die Temperatur gemessen wurde. Dies aber wäre im Hinblick auf § 14 Abs.1 zweiter Satz AAV schon für die Anzeige und Einleitung des Strafverfahrens wichtig gewesen, weil - entsprechend dieser Vorschrift - nach den konkreten betrieblichen Gegebenheiten (der Verkaufsraum hat keinen Vorraum; das ständige Öffnen der Eingangstür durch Kunden ist unausweichlich mit unkontrollierbarem Einströmen winterlich kalter Außenluft verbunden) eine gleichmäßige Raumtemperatur nicht möglich scheint. Bei diesen Gegebenheiten läßt schon die allgemeine Lebenserfahrung erwarten, daß im Eingangs- bzw. Kundenbereich des Verkaufsraumes, jedenfalls in Bodennähe bis zur mittleren Raumhöhe, eine andere, nämlich in aller Regel niedrigere Temperatur herrschen wird als hinter der Verkaufstheke, deren Barrierewirkung gegen einströmende Kaltluft nicht hätte vernachlässigt werden dürfen. Daraus folgt aber für die Strategie einer Temperaturkontolle, daß es in diesem Fall im Sinne der zuletzt zit. Vorschrift auf die Temperatur nur im Bereich des - hinter der Verkaufstheke gelegenen - ständigen Arbeitsplatzes der Verkäuferinnen angekommen wäre.

So besehen gerät die Tatbildlichkeit des angezeigten Sachverhalts ins Wanken. Hätte nämlich der rechtlichen Beurteilung, wie dargestellt, als verletzte Gebotsnorm jedenfalls nicht der § 12 Abs.2 AAV ("Klima in Arbeitsräumen"; auch nicht allenfalls iVm § 14 Abs.1 erster Satz AAV), sondern allein § 14 Abs.1 zweiter Satz AAV ("Beheizung von Arbeitsräumen") zugrundegelegt werden müssen, dann wäre konsequenterweise nicht ein Verstoß gegen das Gebot der gleichmäßigen Raumtemperatur, sondern ein Verstoß gegen die vorgeschriebene Mindesttemperatur im Bereich der ständigen Arbeitsplätze anzulasten gewesen.

Im Hinblick jedoch auf die bereits eingetretene Rechtskraft des Schuldspruchs kann freilich der Tatbildfehler, der diesfalls die Aufhebung des ganzen Straferkenntnisses erzwänge, vom unabhängigen Verwaltungssenat nicht mehr aufgegriffen werden.

Andererseits ist, was den Handlungsunwert und die Tätergesinnung angeht, nicht außer Acht zu lassen, daß der Berufungswerber ein Heizgerät immerhin vorgekehrt hat. Daraus schließt der unabhängige Verwaltungssenat, obschon dieses Gerät ersichtlich nicht ideal (aber grundsätzlich tauglich) und auch die - bloß behauptete - "Dienstanweisung" zumindest für den Tattag unwirksam war, auf eine nur geringe Schuld. Auch ohne ausdrückliche "Dienstanweisung" nämlich wäre es im eigenen Interesse der Verkäuferinnen gelegen und ihnen zumutbar gewesen, den zur Verfügung gestellten Radiator - durch simples Einstellen eines Schalters - sinnvoll so zu nutzen, daß sie ihre ständigen Arbeitsplätze über die Nacht nicht gänzlich ausgekühlt vorfinden. Dafür aber, daß der Berufungswerber den Verkäuferinnen die Anordnung gegeben haben könnte, den Radiator nach Arbeitsschluß ganz abzuschalten, gibt es nach der Aktenlage keinerlei Indiz.

Und schließlich ist vorliegend auch der Erfolgsunwert der Tat nur gering. Wenigstens nämlich war das Heizgerät kurz nach Arbeitsbeginn auf höchster Stufe eingeschaltet und kann aus der Aktenlage nicht widerlegt werden, daß das Gerät wohl hinter der Verkaufstheke aufgestellt war. Somit ist - im Zweifel zugunsten des Berufungswerbers - die Annahme gerechtfertigt, daß die Mindesttemperatur wenigstens im Aufenthaltsbereich der Verkäuferinnen in verhältnismäßig kurzer Zeit erreicht worden wäre. Dies auch deshalb, weil nach allgemeinen Erfahrungswerten in einem (in Bäckereigeschäften üblicherweise) eher kleineren Verkaufsraum nicht nur die mehr oder minder kontinuierliche Anwesenheit mehrerer Menschen (Verkäuferinnen und Kunden), sondern vor allem auch die vorhandenen und eingeschalteten elektrischen Lichtquellen zur Erwärmung dieses Raumes beitragen. Dieser Annahme kann vorliegend die nicht näher substantiierte Prognose des Arbeitsinspektorats, wonach der abgekühlte Raum "somit Stunden (brauche), um sich wieder zu erwärmen", aus folgenden Gründen nicht entgegengehalten werden:

Weder nämlich ist die Leistung des Radiators noch die Raumhöhe noch die Raumkubatur erhoben worden; ebenso unterblieb die Feststellung, wo genau der Radiator aufgestellt gewesen und wann genau er tatsächlich eingeschaltet worden ist. Auch hat, wie schon aufgezeigt, keine Kontrollmessung im Laufe des Vormittags stattgefunden, sodaß aus allen diesen Gründen in Wahrheit nur ein punktuell am Augenblick festgemachter Tatvorwurf vorliegt und die daraus abgeleitete Folgerung, nämlich ein "stundenlanges" Arbeiten der Verkäuferinnen im unterkühlten Raum, sich als unzulässige Implikation erweist. Im Lichte des hier verletzten Schutzzweckes begrenzt das daher nur kurzzeitige Zuwiderhandeln, anders als beispielsweise bei bloß kurzfristig verstellt gewesenen Notausgängen oder Feuerlöschgräten (vgl. VwGH 7.4.1995, 95/02/0072, 0073; h. Erk. 6.10.1995, VwSen-280065/5/Ga/La), schon den Unrechtsgehalt.

Aus allen diesen Gründen bewertet der unabhängige Verwaltungssenat den objektiven Unwert der Tat, so wie sie angezeigt und dem Schuldspruch zugrundegelegt worden ist, als gering. Ein geringes Unrecht jedoch kann schon denknotwendig keine besondere Tatschuld begründen, weil Schuld im strafrechtlichen Sinn immer nur die Vorwerfbarkeit des konkret verwirklichten Unrechts bedeutet (vgl. h. Erk. vom 7.9.1995, VwSen-260152/5/Wei/Bk).

Zusammenfassend ist das Verhalten des Berufungswerbers, sofern es von der belangten Behörde überhaupt als tatbildmäßig gewertet werden durfte, hinter dem in der Strafdrohung des § 31 Abs.2 lit.p ASchG typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückgeblieben und sind im Ergebnis andere als bloß unbedeutende Folgen der Tat nicht bekannt geworden.

Der Berufungswerber hatte daher einen Rechtsanspruch auf Anwendung des § 21 VStG, der auch nicht durch den, im übrigen nicht näher spezifizierten Hinweis der belangten Behörde auf 21 "einschlägige" Vorstrafen verwirkt worden ist (soweit aus dem im Strafakt einliegenden Registerauszug überhaupt ersichtlich, sind andere Schutzzwecke verletzt worden - keine der Vormerkungen betrifft Vorschriften des I. Abschnittes des II. Hauptstücks der AAV). Für dieses Ergebnis berücksichtigt der unabhängige Verwaltungssenat auch, daß (lt. Auszug aus dem Firmenbuch Landesgericht L mit Stichtag 11.10.1995) über das Bäckereiunternehmen des Berufungswerbers mittlerweile (am 20.4.1994) der Konkurs eröffnet und die Gesellschaft aufgelöst worden ist, sodaß der gegen den Täter zu richtende Abschreckungszweck der Strafe zur Sicherung künftigen Wohlverhaltens weggefallen ist. Deshalb auch war eine Ermahnung des Berufungswerbers nicht auszusprechen. Im Hinblick auf die Rechtskraft des Schuldspruchs erübrigt sich dessen gleichzeitige Bestätigung.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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