RS UVS Oberösterreich 1996/09/10 VwSen-420111/19/Gf/Km

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Veröffentlicht am 10.09.1996
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Rechtssatz

Daß die Festnahme und das Anlegen von Handfesseln des Beschwerdeführers durch ein Sicherheitswacheorgan als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt i. S.d. Art.129a Abs.1 Z2 B-VG zu qualifizieren sind, ist durch die bisherige Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (vgl. die Nachweise bei Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. A, Wien 1992, RN 610) hinreichend klargestellt und bedarf sohin keiner weiteren Begründung.

Der Umstand, daß gegen den Beschwerdeführer eine Anzeige wegen Verwaltungsübertretungen bzw. gerichtlich strafbarer Handlungen und gegen den einschreitenden Sicherheitswachebeamten eine solche wegen Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung erstattet wurde, ist gleichfalls nicht geeignet, die Zulässigkeit der Maßnahmenbeschwerde im Hinblick auf die grundsätzliche Subsidiarität dieses Rechtsmittels (vgl. z.B. VwGH v. 10.9.1981, 81/10/0057) zu hindern. Gegenstand des daraufhin - ohnedies nicht mit Gewißheit, sondern bloß möglicherweise - folgenden gerichtlichen (die Anzeige gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachtes des Widerstandes gegen die Staatsgewalt wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft L ohnedies bereits mit Benachrichtigung vom 16.7.1996, Zl., ebenso zurückgelegt wie jene gegen das Sicherheitsorgan) bzw. verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens ist nämlich jeweils gerade nicht die Frage der Rechtmäßigkeit der Vorgangsweise des einschreitenden Sicherheitsorganes, sondern vielmehr ausschließlich jene nach der Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers, sodaß in diesen Verfahren für den Rechtsmittelwerber keine Möglichkeit besteht, einen Rechtsschutz gegen die ihm spezifisch und nur durch die vorliegend in Beschwerde gezogenen Zwangsakte zugefügten Rechtsbeeinträchtigungen zu erlangen.

Da auch die sonstigen Prozeßvoraussetzungen des § 67c Abs.1 und 2 AVG erfüllt sind, ist die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde sohin zulässig.

Nach Art.1 des Bundesverfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988 (im folgenden: PersFrSchG), hat jedermann das Recht auf Freiheit und Sicherheit; die persönliche Freiheit darf einer Person nur dann entzogen werden, wenn diese Maßnahme einerseits gesetzlich vorgesehen ist und dies andererseits nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr beabsichtigten Zweck steht.

In Ausführung zu dieser Verfassungsbestimmung ordnet § 35 VStG u.a. an, daß die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen dürfen, wenn der Betretene dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist (Z1) oder wenn der Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht. Weiters legt § 2 Z3 iVm § 4 des Waffengebrauchsgesetzes, BGBl. Nr. 149/1969, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 422/1974 (im folgenden: WaffGebG), fest, daß der Gebrauch einer Dienstwaffe i.S.d. § 3 WaffGebG (Gummiknüppel, Tränengas, Wasserwerfer, Schußwaffe) zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme nur dann zulässig ist, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel, wie insbesondere Handfesseln, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.

Nach dem festgestellten Sachverhalt wurde der Beschwerdeführer vom einschreitenden Sicherheitswacheorgan dabei betreten, wie er einerseits die Ablegung eines Atemalkoholtestes - wozu er nach der (nicht einmal von ihm selbst bestrittenen) Inbetriebnahme seines vorschriftswidrig abgestellten KFZ gemäß § 5 Abs.2 der Straßenverkehrsordnung, BGBl. Nr. 159/1960, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 518/1994 (im folgenden: StVO), verpflichtet gewesen wäre - verweigerte und sich andererseits gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht aggressiv verhielt, während dieses seine gesetzlichen Aufgaben wahrnahm, und dadurch eine Amtshandlung behinderte; damit hat er offenkundig den Tatbestand des § 99 Abs.1 lit.b StVO bzw. jenen des § 82 Abs.1 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991 (im folgenden: SPG), erfüllt, sodaß er auch jeweils bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung i.S.d. § 35 VStG betreten wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Beschwerdeführer dem anhaltenden Organ unbekannt, er konnte sich nicht ausweisen und seine Identität war auch sonst nicht sofort feststellbar, da der Beschwerdeführer - auch von ihm selbst zugestanden - über keinerlei taugliche Legitimationspapiere verfügte. Hinsichtlich beider Delikte war somit der Festnahmegrund des § 35 Z1 VStG, bezüglich der Übertretung des § 82 SPG darüber hinaus auch noch jener des § 35 Z3 VStG - weil der Beschwerdeführer trotz mehrfacher Abmahnung weiterhin in dieser strafbaren Handlung verharrte - prinzipiell gegeben.

Es bleibt jedoch noch zu prüfen, ob die Festnahme i.S.d. Art.1 Abs.3 PersFrG nicht außer Verhältnis zu dem mit dieser Maßnahme beabsichtigten Zweck stand.

Die Intention der Festnahme bestand darin, die vom Sicherheitsorgan zuvor ermittelten Personaldaten des Zulassungsbesitzers des vorschriftswidrig abgestellten KFZ dahingehend zu verifizieren, ob es sich beim Beschwerdeführer auch tatsächlich um diese Person handelt, um eine Anzeige wegen Verwaltungsübertretungen bzw. wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung erstatten zu können. Wäre im gegenständlichen Fall allein die Übertretung des § 82 SPG verwirklicht worden, würde dieser Grund nicht für eine Festnahme hinreichen, denn nur der Vorwurf der Begehung eines Bagatelldeliktes (Höchststrafe: 3.000 S) rechtfertigt es im Sinne des vorangeführten verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht, bloß zum Zweck der Verifizierung der bereits zuvor erhobenen und sohin bereits - im Detail - bekannten Personaldaten dahin, ob es sich beim Beschwerdeführer auch tatsächlich um diese Person handelt - was mit guten Gründen ohnehin bereits als zutreffend angenommen werden konnte -, dessen persönliche Freiheit einzuschränken. Allenfalls hätte zunächst auch eine Anzeige gegen Unbekannt erstattet und die Verifizierung zu einem späteren Zeitpunkt - als davon auszugehen war, daß sich der Beschwerdeführer wieder beruhigt haben würde - erfolgen können, freilich mit dem - nach den Umständen des vorliegenden Falles allerdings minimalen - Risiko, daß der Beschwerdeführer tatsächlich nicht der Zulassungsbesitzer ist und damit erst zu diesem Zeitpunkt hätte begonnen werden können, seine wahren Personaldaten zu erheben. Daß sich dies aus welchen Gründen auch immer letztlich nicht als zielführend erwiesen hätte und damit ein Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen § 82 SPG obsolet geworden wäre, wäre angesichts des vergleichsweise hohen Stellenwertes, den die österreichische Rechtsordnung der persönlichen Freiheit gegenüber diesem Bagatelldelikt einräumt, hinzunehmen gewesen.

Anderes gilt hingegen hinsichtlich des Deliktes des § 99 Abs.1 lit.b StVO. Hier zeigt nicht nur die hohe Strafdrohung (Mindeststrafe: 8.000 S; Strafobergrenze: 50.000 S), sondern auch die sich daran unabdingbar knüpfende Konsequenz des Führerscheinentzuges (vgl. § 73 Abs.1 iVm § 66 Abs.2 lit.e des Kraftfahrgesetzes, BGBl. Nr. 267/1967, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 162/1995), welch hohes Unwerturteil der Gesetzgeber mit derartigen Straftaten, die bekanntlich eine der Hauptursachen für schwere und schwerste Unfälle im Straßenverkehr bilden, verbindet. Auch unter dem Aspekt des in Art.1 Abs.3 PersFrSchG grundgelegten Verhältnismäßigkeitsprinzips erschien es daher im vorliegenden Fall vertretbar, die Festnahme des Beschwerdeführers auszusprechen, um auf diese Weise jegliches Risiko dahin, daß dessen spätere Verfolgung wegen der Übertretung des § 99 Abs.1 lit.b StVO verunmöglicht wird, auszuschließen.

Die Festnahme des Beschwerdeführers erweist sich sohin im Ergebnis gemäß Art.1 Abs.2 PersFrSchG iVm § 35 Z1 VStG und § 99 Abs.1 lit.b StVO als rechtmäßig; ein Verstoß gegen Art.1 Abs.3 PersFrSchG lag insoweit nicht vor.

Was das zusätzliche Anlegen der Handfesseln zur Durchsetzung dieser Festnahme betrifft, positiviert § 2 Z3 iVm § 4 WaffGebG in Ausführung des Art.1 Abs.3 PersFrSchG einen spezifischen, weil näher detaillierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die dort aufgezählten Maßnahmen zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme stehen nämlich nicht beziehungslos nebeneinander, sondern geben vielmehr eine schrittweise Ranganordnung jener Mittel vor, die von Gesetzes wegen eingesetzt werden dürfen. Danach ist der Betretene zunächst zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes (etwa mit den Worten: "Halt, stehenbleiben!"; "Folgen Sie mir!"; etc.) aufzufordern. Nur wenn diese Aufforderung als ungeeignet erscheint oder sich diese bereits als wirkungslos erwiesen hat, ist - jeweils situationsgemäß - der Gebrauch einer Dienstwaffe (als solche kommen gemäß § 3 WaffenGebG ein Gummiknüppel, Tränengas, Wasserwerfer oder Schußwaffen in Frage) anzudrohen oder ein Flüchtender zu verfolgen. In weiterer Folge ist Körperkraft anzuwenden bzw. sind Handfesseln oder technische Sperren zu gebrauchen, um die Flucht zu verhindern. Erst als letztes Mittel ist der Einsatz von Dienstwaffen zulässig, wobei bei verschiedenartigen zur Verfügung stehenden Waffen nur von der am wenigsten gefährlichen, nach der jeweiligen Lage noch geeignet scheinenden Waffe Gebrauch gemacht werden darf (§ 5 WaffGebG).

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer - allseits unbestritten - der Aufforderung des Sicherheitsorganes, ihm zwecks Durchführung des Atemalkoholtestes auf das nahegelegene Wachzimmer Landhaus zu folgen, nicht entsprochen. Konnte das dem Beschwerdeführer vom Sicherheitsbeamten teilweise zugestandene, teilweise von ersterem aber auch erzwungene Hinaufbewegen in dessen Wohnung noch dahin gedeutet werden, dort die erforderlichen Legitimationspapiere aufsuchen zu wollen, so war es objektiv besehen jedenfalls nicht unvertretbar, das weitere Hinaufbegeben des Beschwerdeführers zur Anwaltskanzlei - nachdem er sich zuvor über deren Inhaber abfällig geäußert hatte, in seiner Wohnung die erforderlichen Dokumente nicht vorgefunden werden konnten und er bereits vorher vom einschreitenden Organ am Hosenbund festgehalten worden war - als einen Fluchtversuch anzusehen. Nachdem sich ein neuerliches Festhalten des Beschwerdeführers - und damit insgesamt dessen bloße Verfolgung sowie der Einsatz von Körperkraft - offenkundig als ineffektiv erwiesen hatte, war es sohin zulässig geworden, in weiterer Folge das Anlegen der Handfesseln als das nächsteingriffsintensivere Mittel im Rahmen dieser Rangordnungsskala zum Einsatz zu bringen. Des Einsatzes der Dienstwaffe als ultima-ratio-Maßnahme bedurfte es hingegen nicht mehr, weil sich die Situation daraufhin entspannte. Damit stellt sich im Ergebnis aber auch die Fesselung des Beschwerdeführers zur Erzwingung von dessen - wie bereits zuvor dargetan - rechtmäßiger Festnahme als durch Art.1 Abs.3 PersFrSchG iVm § 2 Z3 und § 4 WaffenGebG gesetzlich gedeckt dar. Ob bzw. inwieweit dem Beschwerdeführer hiedurch Verletzungen zugefügt wurden, hat hingegen nicht der O.ö. Verwaltungssenat, sondern vielmehr die ordentliche Gerichtsbarkeit zu beurteilen. Im übrigen ist der Oö. Verwaltungssenat aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens nicht der Auffassung, daß die Art und Weise des Anlegens der Handfesseln mangels jeglicher Anhaltspunkte hiefür eine intentional auf die Herabsetzung bzw. Mißachtung des Beschwerdeführers als Person zielende Aktion des einschreitenden Sicherheitswachebeamten i.S.d. Art.3 MRK darstellte. In gleicher Weise wurde durch die angefochtene Maßnahme auch keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrechts des Beschwerdeführers bewirkt, weil dessen Wohnung vom Sicherheitsorgan von Anfang an nicht - wie bei einer Hausdurchsuchung vorausgesetzt - zwangsweise, sondern mit Duldung von hiezu Verfügungsberechtigten, nämlich der Kinder der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, betreten wurde und damit ein Anwendungsfall des Gesetzes zum Schutz des Hausrechts, RGBl. Nr. 88/1862, gar nicht vorlag.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 67c Abs.4 AVG aus allen diesen Gründen abzuweisen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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