RS UVS Oberösterreich 1997/01/16 VwSen-221390/27/Gu/Mm

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 16.01.1997
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Rechtssatz

Der Beschuldigte ist gemeinsam mit seiner Gattin M. P. Miteigentümer des landwirtschaftlichen Anwesens in W., H. Nr. 2. Am Hofe leben noch die Söhne C. und T. Der Sohn C. ist des Fleischerhandwerkes kundig und im Schlachthof L. für ein dort auftretendes holländisches Unternehmen im Rahmen eines Werkvertrages tätig. Der Beschuldigte war seit über 20 Jahren unselbständig tätig und stand bei verschiedensten Firmen im Raume S., wie z.B. in der Ziegelbrennerei W., bei der Lagerhausgenossenschaft und den B.-Werken in S., in Arbeit. Zuletzt bezog er vier Jahre lang die Langzeitarbeitslose und bekam rückwirkend per 1. Juni 1996 die Invaliditätspension bewilligt. Seit mehr als 20 Jahren ist die Gattin des Beschuldigten die landwirtschaftliche Betriebsführerin am vorgenannten landwirtschaftlichen Anwesen.

Im Rahmen dieser Landwirtschaft wurden das Jahr über ca. 30 Stück Mastrinder aller Altersstufen gehalten. Hievon wurden jährlich ca. 20 Stück geschlachtet und der Selbstvermarktung zugeführt, wobei ca. 6.000 kg als Frischfleisch verkauft wurden und 1.000 kg zur Verwurstung kamen.

Der Bestand an Schweinen betrug durchschnittlich kontinuierlich ca. 12-14 Stück. Infolge der kurzen Mastzeit wurden durchschnittlich 30 Schweine jährlich geschlachtet, wobei ca. 2.500 kg als Frischfleisch und Räucherware verkauft wurden und 500 kg zur Verwurstung gelangten.

Am landwirtschaftlichen Anwesen wurde eine Milchkuh für den Eigenbedarf gehalten.

Die nach der Urproduktion erfolgende Be- und Verarbeitung stand in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Betrieb der Landwirtschaft auf dem Gebiet der Tierproduktion, und zwar räumlich und zeitlich, und war organisatorisch mit dem Betrieb der Landwirtschaft verbunden. Trotz der Bearbeitung des Urproduktes blieb das Erscheinungsbild einer Landwirtschaft gewahrt. Die Produkte wurden nur durch Ab-Hof-Verkauf vertrieben, und zwar in der Form, daß anläßlich der zuvor beschriebenen Schlachtperioden Rundschreiben im örtlichen Umkreis und an bekannte Abnehmer bzw. Kunden versandt bzw. diese verständigt wurden, daß Frischfleisch zu haben ist. Bauernwürste wurden als Halbdauerware über Nachfrage kontinuierlich verkauft. Der Zukauf von Gewürzen und Därmen sowie von feingehacktem Eis für die Wurstproduktion stand in einem untergeordneten Verhältnis sowohl zur Urproduktion als auch bei der Bewertung des bearbeiteten Fertigproduktes.

Festgestellt wird, daß am Hofe W. für die Bearbeitung des Naturproduktes (der gemästeten Schweine und Rinder) ein Schlachtraum eingerichtet wurde, zur Wursterzeugung ein Kutter, ein Fleischwolf, eine Wurstfüllmaschine, ein Leberkäsofen und ein Brühkessel angeschafft wurden und Verwendung fanden, eine Selche und ein Kühlraum vorhanden waren und auch verwendet wurden sowie das übliche Fleischerhandwerkzeug Verwendung fand.

Ab Jänner 1996 bestand die Möglichkeit, für die Stierhaltung und Aufzucht bzw. die Mästung eine einmalige Prämie von 1.490 S zu erlangen.

Für das Schlachten eines Rindes ist eine Zeitdauer von 3-4 Stunden anzusetzen, wozu die Betäubung, der eigentliche Schlachtvorgang, das Entbluten und die Reinigung der Gerätschaft zählt. Aufgrund der im landwirtschaftlichen Anwesen W. geschlachteten Stückzahlen an Rindern und Schweinen wurde es den Verantwortlichen gestattet, das Blut noch in die Jauchengrube zu leiten, wodurch sich die ansonsten erforderliche Entsorgung von Blut- und Blutfetten nach R. kostenmäßig nicht zu Buche schlägt. Nachdem der mit der Zerlegung betraute Sohn des Beschuldigten fachkundig ist, benötigt er für die Grobzerlegung rund zwei Stunden und für die Feinzerlegung (Zuschneidung der einzelnen Fleischsorten- und teile, Befreiung von Häuten und Sehnen) weniger als fünf Stunden.

Für das Wursten selbst, z.B. die Erzeugung von Hauswurst, ist ein geringerer Zeitanteil anzusetzen.

Daß für die Tätigkeiten des Sohnes ein Entgelt bezahlt worden ist, wurde im Verfahren nicht dargetan.

Der Arbeitsaufwand für die Schlachtung und Zerlegung eines Schweines liegt jedenfalls unter den vorerwähnten Werten, wie sie beim Rind angeführt wurden.

Der Rindfleischverkaufspreis betrug im Durchschnitt 65 S per kg. Es kann von einem Durchschnittspreis von 45 S per kg Schweinefrischfleisch samt Knochen und der höherwertigen Räucherware (allerdings unter Berücksichtigung des Gewichtsverlustes) ausgegangen werden. Dies ergibt Gesamteinnahmen aus dem Schweinefleischverkauf von 112.500 S und beim Frischfleischverkauf aus der Stierverwertung 390.000 S.

An Wurstwaren wurden erzeugt:

Schweinsbratwürste jährlich ca. 200 kg und zwar zu einem kg-Preis von 80 S. Der Ausstoß der Bauernwürste, welche um einen kg-Preis von ca. 100 S verkauft wurden, betrug rund 300 kg. An Krainerwürsten wurden im Jahr ca. 140 kg erzeugt. Zur erzeugten Jahresmenge an Fleischkäse liegen keine Angaben vor. Nachdem 1.000 kg vom Rind und 500 kg vom Schwein in die Wurstwaren gingen und somit 1.500 kg Fleisch verwurstet wurden, bei den Bauernwürsten Flüssigkeitsverluste bis zu 30 Prozent anzunehmen sind, bei den übrigen erzeugten Wurstwaren hingegen keine nennenswerten Gewichtsverluste eintreten, ergab die Jahresmenge etwa 1.400 kg an Wurstwaren. Bei der Annahme eines Durchschnittskilopreises von 60 S ergibt dies einen Verkaufswert von Wurstwaren von rund 84.000 S.

Die Gesamteinnahmen aus Fleischverkauf und Wurstwarenverkauf betrugen somit rund 587.000 S per anno.

Die Gesamtaufwendungen für die Fleisch- und Wurstproduktion können aufgrund der konkret bekannt gegebenen Aufwendungen und der von Fachkundigen dargestellten Eckdaten somit mit 44.200 S per anno angesetzt werden.

Dies ergibt bei Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben einen Vermarktungserlös für alle weiterverarbeiteten Fleischprodukte (wobei keine Steuer zu berücksichtigen ist) von rund 543.000 S per anno.

Nachdem bei der Urproduktion der zu erzielende Preis pro durchschnittlichem Lebendgewicht eines Mastrindes mit 14.300 S anzunehmen war, ergab dies bei 20 herangereiften Maststieren jährliche Einnahmen von 286.000 S. Aus der Urproduktion der Schweinemast ist pro Schwein durchschnittlich als Einnahme ein Näherungswert von rund 2.470 S anzusetzen. Dies ergibt anhand der Zahl von 30 Schweinen den Betrag von 64.100 S per anno. Der Gesamtbetrag der aus der Urproduktion zu erlösenden Summen ergibt somit ohne Berücksichtigung der Aufwendungen den Betrag von 350.100 S p.a. Die Aufwände (Einstandspreise, Futterkosten, variable Kosten, AfA-Stall, minus Dünger) für die Urproduktion der Schweine, beträgt anhand der Stückzahl (30) 22.500 S und jene für 20 schlachtreife Stiere 96.000 S per anno. Dies ergibt einen Gesamtaufwand von

118.500 S.

Nach Abzug dieses Aufwandes von den Aktiva der Urproduktion ergibt sich daher eine Wertschöpfung aus der tierischen Urproduktion (unter Ausschluß der ohnedies nicht kostendeckenden Michproduktion von einer Milchkuh) von 231.600 S p.a. Diese Urproduktion diente als Dominante beim Wareneinsatz für die Weiterverarbeitung.

Setzt man diesen Wert der als Wareneinsatz erzeugten Urprodukte vom Gesamtvermarktungserlös ab (543.000 S minus 231.600 S), verbleibt als Wertschöpfung aus der Weiterverarbeitung der Betrag von 311.400

S.

Aufgrund der Beobachtung der L. Wochenmärkte steht fest, daß Bauernwürste seit jeher und Leberkäse seit etwa zwei Jahren - neben einem sonstigen hier nicht zu erörternden Sortiment - von bäuerlichen Selbstvermarktern regelmäßig angeboten werden. Eine größere Übersicht über die Selbstvermarktung in Oberösterreich, insbesonders ab Hof, besitzt die OÖ. Landwirtschaftskammer. Sie fördert diese und hat zu diesem Zwecke als Informationsdrehscheibe die sogenannte "grüne Börse" eingerichtet, wo derzeit rund 800 landwirtschaftliche Betriebe erfaßt sind und von diesen wiederum 200 bis 300 als Fleischdirektvermarkter auftreten. Die meisten der Letztgenannten erzeugen auch Wurstwaren.

Hiebei werden Bauernwürste praktisch von allen Fleischselbstvermarktern erzeugt.

Eine Grobsichtung der noch laufenden diesbezüglichen Sortiment-Erhebung durch die zuständige Referentin der Landwirtschaftskammer hat ergeben, daß etwa 20 Prozent der Fleischdirektvermarkter auch Leber- bzw. Fleischkäse erzeugen. Aufgrund dieser Sachverhaltsfeststellungen waren folgende allgemeine rechtliche Erwägungen zu treffen:

Gemäß § 1 Abs.1 GewO 1994 gilt dieses Bundesgesetz, soweit nicht die §§ 2 bis 4 anderes bestimmen, für alle gewerbsmäßig ausgeübten und nicht gesetzlich verbotenen Tätigkeiten.

Gemäß § 2 Abs.1 Z1 GewO 1994 ist dieses Bundesgesetz - unbeschadet weiterer Ausnahmen durch besondere bundesgesetzliche Vorschriften - auf die Land- und Forstwirtschaft nicht anzuwenden. Dasselbe gilt gemäß Z2 der zitierten gesetzlichen Bestimmungen für die Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft.

Gemäß § 2 Abs.3 Z2 leg.cit. gehören zur Landwirtschaft das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse.

Gemäß § 2 Abs.4 Z1 GewO 1994 sind unter Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft im Sinne dieses Bundesgesetzes (Abs.1 Z2) zu verstehen:

"Die Verarbeitung und Bearbeitung hauptsächlich des eigenen Naturproduktes bis zur Erzielung eines Erzeugnisses, wie es von Land- und Forstwirten in der Regel auf den Markt gebracht wird, soweit die Tätigkeit der Verarbeitung und Bearbeitung gegenüber der Tätigkeit der Erzeugung der Naturprodukte jeweils innerhalb des pflanzlichen oder tierischen Produktionsbereiches wirtschaftlich untergeordnet bleibt; der Wert der allenfalls mitverarbeiteten Erzeugnisse muß gegenüber dem Wert des bearbeiteten oder verarbeiteten Naturproduktes untergeordnet sein".

Gemäß § 366 Abs.1 Z1 GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung die mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen ist, wer ein Gewerbe (so auch das Fleischergewerbe) ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben. Es war somit zu prüfen, ob es sich bei der vorgeworfenen Tätigkeit um ein Nebengewerbe der Landwirtschaft gehandelt hat. Neben der Prüfung der Kriterien für das wirtschaftlich Untergeordnetbleiben waren die mit dem Vorwurf als unzulässig erzeugt bedachten Produkte auf die Marktüblichkeit (bei Landwirten) zu prüfen. Hiebei war bei Anwendung der Prüfungsmaßstäbe - weil die erste Instanz darauf abgestellt hat - zunächst darauf einzugehen, ob die Verwendung des Kutters schlechthin den Ausschluß einer nebengewerblichen Tätigkeit bildete und daher in jedem Fall mangels Vorliegen einer Gewerbeberechtigung eine unbefugte Gewerbeausübung bedeutete.

Festzustellen ist in Anknüpfung an den Kommentar von Mache-Kinscher, GewO, 5.A, Wien 1982, Fußnote 11 zu § 2 GewO 1973 (der im hiefür maßgeblichen Teil durch Novellen keine Änderung erfahren hat), welcher die erläuternden Bemerkungen des Gesetzgebers wiedergibt, daß die Nebengewerbe der Land- und Forstwirtschaft - wie schon ihr Name sagt - keineswegs Land- und Forstwirtschaft sind; sie sind vielmehr Gewerbe, die jedoch deswegen vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen werden, weil sie in einem derart innigen Zusammenhang mit der Land- und Forstwirtschaft stehen, daß sie sich für eine gewerberechtliche Regelung nicht eignen.

Die Ausnahmebestimmung bekräftigt einerseits die wirtschaftliche Unterordnung. Andererseits aber ist durch den Begriff Nebengewerbe zum Ausdruck gebracht, daß diese Tätigkeiten den Einsatz der spezifisch benötigten Geräte und des gewerblichen Erfahrungsschatzes erlaubt, wobei auch die technische Entwicklung am gewerblichen Sektor miterfaßt ist. Diese Ansicht wird auch dadurch bestätigt, daß bei den an die Urproduktion anknüpfenden Nebengewerben der Gesetzgeber keine Einschränkung (etwa auf das alte Herkommen oder die am landwirtschaftlichen Betrieb gewöhnlich vorhandenen Geräte) getroffen hat.

Hingegen verweist die Ausnahmebestimmung über den Buschenschank (§ 2 Abs.9 GewO 1994) auf das (alte) Herkommen im Bundesland und bei den Dienstleistungen (§ 2 Abs.4 Z4 und 5 leg.cit.) auf die Einschränkung der Verwendung land- und forstwirtschaftlicher Betriebsmittel bzw. hauptsächlich im eigenen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb verwendete, der eigenen Leistungsfähigkeit entsprechende Fahrzeuge. Somit ergibt auch der Umkehrschluß: Die Verwendung des Kutters ist nicht der Angelpunkt für eine etwa nur den befugten Gewerbetreibenden vorbehaltene Tätigkeit.

Auch das Erzeugnis (das veredelte Produkt) ist in der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs.4 Z1 GewO 1994 nicht versteinert. Der Gesetzgeber geht vom Tatsächlichen aus und läßt einer Entwicklung Raum (FN 167 im vorzitierten Kommentar von Mache-Kinscher).

Über die Anwendung gewerblicher Vorschriften wurde vom LH von Oö. in Anknüpfung an die Verwendung von Gerätschaft im nebengewerblichen Bereich eine Entscheidung getroffen, welche allerdings nicht rechtskräftig geworden ist. Eine Entscheidung über die Berufung der betroffenen Kammerorganisationen innerhalb angemessener Frist und somit unter Beachtung des Art.6 MRK ist nicht in Sicht. Deshalb war, weil eine solche Vakanz den Entscheidungszeitraum des § 51 Abs.7 VStG bzw. die absolute Verjährung nicht zu erstrecken vermag, die Rechtsfrage unter selbständiger Würdigung dieses Teilaspektes als Vorfrage zu beurteilen.

Zu den wesentlichen Kriterien, nämlich der Anknüpfung an die Urproduktion, die wirtschaftliche Unterordnung und die Marktmäßigkeit des erzeugten Produktes war im besonderen zu bedenken:

Nachdem an die Mästung der Tiere (an die Urproduktion) und deren Schlachtung und Zerlegung der Frischfleischverkauf und die teilweise Verwurstung unmittelbar anknüpfte, diese Verarbeitung am eigenen Hof geschah und somit organisatorisch in das dortige landwirtschaftliche Geschehen eingebunden war, an Zukauf nur jener von Gewürzen, Därmen und Eis nachgewiesen ist und somit hauptsächlich das eigene Naturprodukt verarbeitet wurde, der zeitliche Aufwand für die Urproduktion - die Fütterung der Tiere, ihre Pflege und die Entmistung der Stallungen - bei den Stieren bei weitem, jener bezüglich der Schweine nicht so deutlich, aber immerhin gegenüber dem Zeitaufwand für die Schlachtung und Verwurstung noch deutlich genug überwog, sprachen diese Kriterien im gegenständlichen Fall für den Ausnahmebereich von der Gewerbeordnung.

Bezüglich der Marktüblichkeit des Angebotes von Bauernwürsten und Leber- bzw. Fleischkäse durch Landwirte, kann aufgrund der Sachverhaltsfeststellungen gefolgert werden, daß Bauernwürste seit langem und von breitesten Kreisen an Interessenten angeboten und verkauft wurden. Bei Leber- und Fleischkäse hat sich dies, da einer Entwicklung Raum geboten wurde, innerhalb der letzten zwei Jahre verbreitet. Insoweit greift auch hier noch der Ausnahmebereich. Was die Frage der wirtschaftlichen Unterordnung im Hinblick auf die Wertschöpfung anlangt, so ist festzuhalten, daß bei ganzheitlicher Betrachtungsweise, wie sie im Verfahren vor dem O.ö. Verwaltungssenat zutage trat, am Anwesen in W. ausgehend vom Gesamteinkommen, welches unmittelbar aus dem tierischen Produktionsbereich der Landwirtschaft stammt, die Urproduktion nicht mehr überwog und die Wertschöpfung aus Be- und Verarbeitung des Naturproduktes, sohin aus der nebengewerblichen Tätigkeit, sich als wirtschaftlich bedeutender darstellte; dies selbst dann, wenn man sich der Unschärfen, die bei Schätzungen und Interpolationen einhergehen, bewußt ist. Den größten Anteil der Wertschöpfung aus der Selbstvermarktung bildete jedoch nicht die Wursterei, sondern der Frischfleischverkauf.

Dies wurde dem Beschuldigten im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgeworfen und konnte daher auch im Berufungsverfahren nicht mehr nachgeholt werden. Aus dem isolierten Bereich der Wursterei kann aber abzüglich des Wareneinsatzes aus der Urproduktion eine wirtschaftliche Unterordnung erblickt werden. Wie erwähnt, erlaubte die vom eingesetzten Detektiv über Auftrag gemachte Momentaufnahme keine hinreichende ganzheitliche Betrachtungsweise, wie sie § 2 Abs. 4 Z1 GewO 1994 erfordert.

Der O.ö. Verwaltungssenat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, daß zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes als Grundlage für die je Einzelfall zu erfolgende Beurteilung ein besonders umfangreiches erstinstanzliches Verfahren notwendig ist, welches sich umso differenzierter gestaltet, je weniger ein Beschuldigter mitwirkt. Soll eine Entscheidung jedoch die Möglichkeit eines Bestehens vor dem Verwaltungsgerichtshof haben, erscheint dies aber unentbehrlich.

Zum Maßstab der Wertschöpfung aus dem landwirtschaftlichen Nebengewerbe aus europarechtlicher Sicht:

Gemäß Art.38 Abs.1 des EG-Vertrages umfaßt der gemeinsame Markt auch die Landwirtschaft und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Unter landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind die Erzeugnisse des Bodens, der Viehzucht und der Fischerei sowie die mit diesen im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Erzeugnisse der ersten Verarbeitungsstufe zu verstehen.

Gemäß § 39 Abs.1 EG-Vertrag ist es Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik,

a) die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschrittes, Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern;

b) auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten;

c)

die Märkte zu stabilisieren;

d)

die Versorgung sicherzustellen;

e)

für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.

Gemäß Art.39 Abs.2 EG-Vertrag ist bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrarpolitik und der hiefür anzuwendenden besonderen Methoden folgendes zu berücksichtigen:

 a) die besondere Eigenart der landwirtschaftlichen Tätigkeit, die sich aus dem sozialen Aufbau der Landwirtschaft und den strukturellen und naturbedingten Unterschieden der verschiedenen landwirtschaftlichen Gebiete ergibt;

 b) die Notwendigkeit, die geeigneten Anpassungen stufenweise durchzuführen;

 c) die Tatsache, daß die Landwirtschaft in den Mitgliedstaaten einen mit der gesamten Volkswirtschaft eng verflochtenen Wirtschaftsbereich darstellt.

Gemäß Art.40 Abs.4 EG-Vertrag können zur Schaffung der Organisation eines gemeinsamen Agrarmarktes ein oder mehrere Ausrichtungs- oder Garantiefonds für die Landwirtschaft geschaffen werden. In Ausführung dessen hat der Rat der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch Verordnung Nr. 4265/88 vom 19.12.1988, abgeändert durch Verordnung Nr. 2085/93 vom 20.7.1993, den Struktur- und Garantiefonds für die Landwirtschaft beschlossen und hiebei auch Maßnahmen zur Verbesserung der Vermarktung einschließlich des Direktverkaufes ab Hof und der Verarbeitung land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie zur Förderung der Gründung von Erzeugungsvereinigungen genannt (vergl. Art.1 Titel I, Abs.2 und Titel II, Abs.2 der EWG Verordnung Nr. 4256/88 sowie Titel I, Art.2 Abs.2 der Änderungsverordnung des Rates der EWG Nr. 2085/93).

Den EG-Vorschriften ist der Wohlbestand der Landwirtschaft und eines intakten ländlichen Raumes im Zusammenhang mit einer krisenfesten Ernährung (Art.39 Abs.1 lit.d EG-Vertrag) als Europaziel und demnach auch als Staatsziel zu entnehmen. Durch den EU-Beitrittsvertrag Österreichs wurden die früheren Europanormen als "acquis communautaire" übernommen. Dadurch gelten nunmehr überlagernd im Gegensatz zu der bisherigen extrem positivistischen Rechtsprechung der österreichischen Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die auch von naturrechtlichen Aspekten getragenen europarechtlichen Betrachtungsweisen, auch was die Auslegungsregeln- und Methodenlehre anlangt. Eine programmatische Erklärung als Interpretationsmaxime von Europanormen zählt durch den Beitritt zur EU nunmehr auch in Österreich zum Rechtsbestand, auch wenn solche Normen selbst noch nicht bis ins Letzte in Paragraphen ausformuliert sind.

Da einerseits der EU-Vertrag - der den Vorrang des Gemeinschaftsrechtes vor nationalem Recht, auch nationalem Verfassungsrecht bewirkt - und seine (dynamischen) Zielsetzungen auch bei allen schon bestehenden Regelungen mitzubedenken ist, andererseits die EU-Vorschriften aber inhaltlich - bezogen auf den gegenständlichen Fall - noch nicht so konkretisiert sind, daß sie die innerstaatliche Rechtslage überdecken und subjektive Rechte gewähren würden, so sind diese Zielsetzungen dennoch wenigstens als Auslegungshilfe auch für den Begriff Nebengewerbe heranzuziehen. Dies deshalb, weil der EuGH in ständiger Judikatur die teleologische Auslegung bevorzugt, wobei insbesondere die rechtliche Tragweite einer Vorschrift durch Abstellen auf die Vertragsziele ermittelt wird; weiters ist hier die Doktrin der implied powers (ungeschriebene Zuständigkeiten kraft Sachzusammenhanges) von Bedeutung.

Es kann nicht geleugnet werden, daß die Gewerberechtsnovelle 1992, welche vor dem EU-Vertrag verabschiedet wurde, eine Einschränkung für die bäuerliche Selbstvermarktung brachte, zumal mit dieser Novelle die Spartenbezogenheit (vergl. die Worte "jeweils innerhalb des pflanzlichen oder tierischen Produktionsbereiches, wirtschaftlich untergeordnet bleibt") herbeigeführt und die ohnedies beschränkte zulässige Wertschöpfung verringert wurde. Eine Rücksichtnahme auf die Überlebenschancen der Landwirtschaft durch Selbstvermarktung bei gleichzeitigem Augenmaß auf den übrigen (z.B. gewerblichen) Wettbewerb im Sinne der europarechtlichen Bestimmungen scheint § 2 Abs.4 Z1 der GewO 1994 nicht vollinhaltlich zu gewähren.

Wenngleich die nunmehrige EU-Mitgliedschaft eine zielgerichtete neue Sicht geboten erscheinen läßt und unter dem Begriff "landwirtschaftliches Nebengewerbe" die Annahme der Zulässigkeit einer höheren Wertschöpfung rechtfertigt, als sie zur alten zielungebundenen Rechtslage von den Höchstgerichten vertreten wurde, können aber deshalb die Begriffe "Neben"... und "wirtschaftlich untergeordnet" bis zur Anpassung des innerstaatlichen Rechtes nicht zur Gänze weginterpretiert werden.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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