RS UVS Oberösterreich 1997/12/29 VwSen-230635/3/Br

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Veröffentlicht am 29.12.1997
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Rechtssatz

Gemäß § 81 Abs. 1 SPG begeht eine Verwaltungsübertretung, "wer durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt stört; er  ist mit einer Geldstrafe bis zu 3.000 S zu bestrafen. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden."

Nach § 85 SPG liegt jedoch eine Verwaltungsübertretung  nicht vor, wenn eine Tat nach den §§ 81 bis 84 (auch) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.

Der § 85 SPG schränkt somit die Reichweite der Tatbestände der §§ 81 bis 84 SPG - in Abkehrung von der früheren Gesetzeslage (vgl. etwa VfSlg. 3597/1959) - ein. Eine Verwaltungsübertretung liegt nicht vor, wenn die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet; die Tatbestandsumschreibungen der §§ 81ff SPG sind also um das Tatbestandsmerkmal: "soweit die Tat nicht gerichtlich strafbar ist" erweitert zu lesen. So ist etwa nunmehr ein Täter - im Gegensatz zur Rechtslage vor dem SPG - der an einem öffentlichen Ort einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt hat, nicht mehr vom Gericht (Körperverletzung; §§ 83ff StGB) und zugleich auch von einer Verwaltungsbehörde (Ordnungsstörung; § 81 SPG) zu bestrafen.

Dabei ist gleichgültig, ob der Täter tatsächlich von einem Gericht etwa auch tatsächlich bestraft wird (vgl. VwSlg. 2079A/1951 und 3640A/1955). Ausschlaggebend ist allein, ob eine Handlung (Unterlassung) den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt. Auch wenn die gerichtliche Bestrafung mangels Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit oder etwa auch nur wegen Arbeitsüberlastung der Gerichte entfällt, liegt gleichwohl keine Verwaltungsübertretung vor.

Ein Vorgehen der Anklagebehörde nach § 42 StGB läßt jedenfalls den so beurteilten Tatbestand als einen in die Zuständigkeit der Gerichte fallend qualifizierbar erachten.

Die Verwaltungsbehörden haben die Frage, ob eine Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt, im Grundsatz eigenständig als Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu beurteilen; dabei sind die besonderen Regelungen des § 30 Abs. 2 und 3 VStG zu beachten.

Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet, und ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat  die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist. Die Behörde war also bislang schon an ein "verurteilendes Erkenntnis des Strafgerichtes, nicht aber durch dessen Einstellungsbeschluß gebunden" (VwSlg. 2079A/1951); im Fall der Einstellung - das gleiche muß auch für den Freispruch gelten - "hat die Verwaltungsstrafbehörde die Frage, ob die von ihr dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat einen gerichtlich zu ahndenden Tatbestand bildet, selbst zu beurteilen" (VwSlg.  10276A/1980). Eine diesbezügliche Prüfung hat hier die Behörde offenbar vorgenommen. Durch eine irrtümliche Doppelprotokollierung wurde seitens der Erstbehörde offenbar von einer bloßen Einstellung nach § 90 StPO ausgegangen.

Diese Tat war hier im äußeren Tatbild (Körperverletzung)  als in die Zuständigkeit des Gerichtes fallend zu erachten. Dies gelangte hier insbesondere  darin zum Ausdruck, daß  die Anklagebehörde unter Anwendung des § 42 StGB vorgegangen ist, was besagt, daß vom Vorliegen einer an sich gerichtlich strafbaren Handlung ausgegangen wurde. Aber selbst schon bei einer Einstellung nach § 90 StPO wäre der Sachverhalt bereits einer behördlichen Prüfung unterzogen worden, so daß eine nachfolgende verwaltungsstrafrechtliche Beurteilung im Lichte des oben gesagten wohl als unzulässig angesehen werden müßte, weil es dem Verbot der Doppelverwertung (ne bis in idem) entgegenstehen würde. Dies muß nunmehr im Lichte der Judikatur des EGMR und der jüngsten Entscheidung der EKMR - zur Vermeidung einer doppelten Ahndung (ne bis in idem) nicht nur eng ausgelegt werden, sondern es ist fraglich, ob für die Verwaltungsbehörde im Falle einer gerichtlichen Befassung mit einer Sache überhaupt noch Raum bleibt.

Bei dieser Fallgestaltung wird das Vorliegen eines Verwaltungsstraftatbestandes  zu verneinen sein, weil es im Lichte des Gradinger-Urteiles naheliegt, "eine Tat" (die Tat) iSd Subsidiaritätsvorschrift mit "dem gesamten Verhaltensumfeld" ((dem die Tat bildenden Verhalten), EGMR 23.10.1995, 33/1994/480/562) gleichzusetzen.

Zusätzlich verdeutlicht wird diese Problematik in einer jüngsten Entscheidung der europäischen Kommission für Menschenrechte vom 9. April 1997, 22541/93 (Fall Marte/Achberger gegen Österreich). Hier wurde nach einem ordnungsstörenden und anstandsverletzenden Verhalten der Beschwerdeführer die Gendarmerie gerufen. Im Verlaufe des Einschreitens dieser Organe, naturgemäß zeitlich wohl um etliches später gelegen, kam es zusätzlich zu einer Körperverletzung an einem Gendarmeriebeamten und zu einem Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wegen letzterem erfolgte eine gerichtliche Verurteilung. Obwohl das ordnungsstörende Verhalten bereits vor jenem des zur gerichtlichen Verurteilung führenden lag, qualifizierte die EKMR unter Hinweis auf das sog. Gradinger-Urteil als ein "tateinheitliches (überlappendes)" Geschehen (based on the same conduct) und qualifizierte eine Bestrafung auch wegen der Verwaltungsdelikte als  Verstoß gegen Art.6 Abs.1 MRK und als Verletzung des Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK durch Österreich. Durch das gerichtliche Verfahren sei, so die Kommission,  auch das vorherige Verhalten, welches gleichsam als Teil des nachfolgenden und somit bereits zu einer gerichtlichen Beurteilung führenden zu sehen ist, abgedeckt. In diesem Sinn ist ein bestimmtes Verhalten als ganzheitlich zu sehen, auch wenn es in seiner zeitlichen Abfolge mehrere Tatbestandselemente verwirklicht, welche verschiedenen Rechtsgutbeeinträchtigungen vorzubeugen suchen. Die bislang durchaus als gerechtfertigt erscheinende Trennung dieser Verhalten und folglich eine entsprechende Ahndung der Verwaltungsstraftatbestände  vermag aus dieser Sicht gemäß dem Grundsatz des Verbotes einer Doppelverwertung nicht länger aufrecht haltbar zu sein. Der Berufungswerber ist daher mit seinem Vorbringen im Ergebnis im Recht. Mangels eines im Lichte der obigen Ausführungen vorliegenden Verwaltungsstraftatbestandes war daher ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung mit einer Verfahrenseinstellung vorzugehen.

Schlagworte
Doppelbestrafung, ne bis in idem
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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