TE Vwgh Erkenntnis 2001/7/18 99/13/0217

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Veröffentlicht am 18.07.2001
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht
33 Bewertungsrecht

Norm

BAO §184
BewG 1955 §1 Abs2
BewG 1955 §10
BewG 1955 §13 Abs2
BewG 1955 §62
BewG 1955 §62 Abs1 Z4
BewG 1955 §62 Abs1 Z5
BewG 1955 §69
BewG 1955 §70 Z10

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
99/13/0218
Besprechung in:
SWK 10/2021, S. 669-677;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Dr. Fuchs und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerden der A Handelsgesellschaft m.b.H. in S, vertreten durch Schuppich Sporn Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien I, Falkestraße 6, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. April 1997, 1.) Zl GA 8-1365/2-1993, betreffend Feststellung des gemeinen Wertes der Anteile an der Avanti MineralölhandelsgesmbH zum 1. Jänner 1986 und 2.) Zl GA 8-1365-1993, betreffend Feststellung des gemeinen Wertes der Anteile an der Avanti MineralölhandelsgesmbH zum 1. Jänner 1983, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 30.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der gemeine Wert der Anteile an der beschwerdeführenden GmbH (vormaliger Firmenwortlaut A M GmbH) wurde - nach einer abgabenbehördlichen Prüfung, auf Grund der es unter anderem zu berichtigten Bescheiden betreffend den Einheitswert des Betriebsvermögens zu den hier maßgeblichen Stichtagen gekommen war - mit Bescheiden des Finanzamtes für Körperschaften vom 3. Mai 1991 zum 1. Jänner 1986 mit S 38.977,-- je S 100,-- der Anteile und zum 1. Jänner 1983 mit S 3.143,-- je S 100,-- der Anteile festgestellt. Wie den in den Akten erliegenden, mit Hilfe von Vordrucken erstellten "Berechnungsbögen" für diese Feststellungsbescheide zu entnehmen ist, ging das Finanzamt dabei für die Ermittlung des "Vermögenswertes" der Gesellschaft jeweils vom Einheitswert des Betriebsvermögens aus. Im Vordruck vorgesehene "Berichtigungen gemäß § 62 BewG" wurden dabei nicht vorgenommen. Der gemeine Wert wurde schließlich jeweils aus dem Mittel von Vermögenswert und Ertragswert der Gesellschaft errechnet.

Gegen diese Bescheide wurde Berufung erhoben. Darin wurde insbesondere begehrt, die in den Jahren 1986 und 1987 entstandenen Verluste bei dem der Ermittlung des gemeinen Wertes der Geschäftsanteile unter anderem zu Grunde zu legenden Ertragswert zu berücksichtigen.

Über Berufungen unter anderem betreffend den Einheitswert des Betriebsvermögens zum 1. Jänner 1983 und zum 1. Jänner 1986 wurde mit Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat IV, vom 1. Dezember 1995 entschieden. Im Einheitswert waren jeweils die Pflichtnotstandsreserven iSd jeweiligen Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetzes in Höhe von S 100,350.488,-- zum 1. Jänner 1983 und von S 101,928.766 zum 1. Jänner 1986 sowie die damit in Zusammenhang stehenden Verbindlichkeiten zum 1. Jänner 1983 in Höhe von S 24,324.500,-- nicht enthalten.

Mit den angefochtenen Bescheiden gab die belangte Behörde in der Folge den Berufungen hinsichtlich der Feststellung des gemeinen Wertes der Geschäftsanteile teilweise statt und änderte die angefochtenen Bescheide ab. In der Begründung dieser Bescheide bezog sich die belangte Behörde auf das so genannte "Wiener Verfahren" zur Ermittlung des gemeinen Wertes solcher Anteile. Dabei zur Ermittlung des Gesamtvermögens vom Einheitswert des Betriebsvermögens auszugehen. Es seien daher die Vermögenswerte, die auf Grund steuerlicher Bestimmungen nicht im Einheitswert enthalten sind, hinzuzählen. Andererseits seien die damit im Zusammenhang stehenden Schulden abzuziehen. Bei der Ermittlung des Vermögenswertes wurden somit von der belangten Behörde in Abänderung der erstinstanzlichen Feststellungsbescheide die zu den jeweiligen Stichtagen bestehenden Pflichtnotstandsreserven hinzugerechnet und die (nur) zum 1. Jänner 1983 damit in Zusammenhang stehenden Schulden abgezogen. Den gemeinen Wert der jeweiligen Anteile ermittelte die belangte Behörde als Mittel von dem auf solche Art errechneten Vermögenswert und dem - nach eingehender rechnerischer Darstellung ermittelten - Ertragswert.

Die Behandlung der gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wurde vom Verfassungsgerichtshof mit den Beschlüssen vom 28. September 1999, B 1333/97 und B 1334/97, abgelehnt. Unter anderem verwies der Verfassungsgerichtshof in der Begründung dieser Beschlüsse auf seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung von Gesellschaftsformen des Handelsrechtes sowie auf den Umstand, dass das Bewertungsgesetz auf der Ebene der Unternehmung die Pflichtnotstandsreserven und die zu ihrer Haltung dienenden Wirtschaftsgüter unabhängig von der Rechtsform durchwegs gleich behandle (§ 62 Abs 1 Z 4 und 5 BewG).

Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Beschwerden wegen ihres persönliche und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und über sie erwogen:

Nach dem in den Beschwerdefällen noch anzuwendenden § 189 Abs 1 BAO konnte der gemeine Wert unter anderem für Anteile an inländischen Gesellschaften mit beschränkter Haftung einheitlich und gesondert festgestellt werden.

Gemäß dem in den Beschwerdefällen ebenfalls noch anzuwendenden § 72 Abs 1 BewG waren für die Bewertung von Wertpapieren und Anteilen an Kapitalgesellschaften die §§ 13 und 14 BewG maßgebend.

Nach § 13 Abs 2 BewG ist für Aktien, für Anteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und für Genussscheine, soweit sie im Inland keinen Kurswert haben, der gemeine Wert (§ 10 BewG) maßgebend. Lässt sich der gemeine Wert aus Verkäufen nicht ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen.

Zum Betriebsvermögen iSd § 57 BewG gehören gemäß § 62 Abs 1 Z. 4 BewG idF BGBl 318/1976 nicht Pflichtnotstandsreserven nach dem Erdöl-Bevorratungsgesetz, BGBl 318/1976 bzw nach derselben Gesetzesstelle idF BGBl 546/1982 nicht Pflichtnotstandsreserven nach dem Erdölbevorratungsgesetz 1982, BGBl 546. Weiters gehören nach Z 5 des § 62 Abs 1 BewG nicht zum Betriebsvermögen Wirtschaftsgüter, soweit sie für die Haltung von solchen Pflichtnotstandsreserven zu dienen bestimmt sind. Die angeführten Wirtschaftsgüter gehören nach § 70 Z 10 BewG auch nicht zum sonstigen Vermögen iSd § 69 BewG.

Nach den Materialien zu den angeführten Novellierungen des Bewertungsgesetzes sollten damit Wirtschaftsgüter, die der Haltung von Pflichtnotstandsreserven zu dienen bestimmt sind, nicht der Besteuerung unterliegen. Diese Wirtschaftsgüter sollten weder als Betriebsvermögen noch als sonstiges Vermögen besteuert werden. Sie unterlagen damit nicht der Gewerbekapitalsteuer, der Vermögensteuer und dem Erbschaftssteueräquivalent (vgl Bericht des Handelsausschusses, 213 BlgNR 14. GP).

Die Beschwerdeführerin vertritt vor dem Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass der im zweiten Satz des § 13 Abs 2 BewG gebrauchte Begriff des Gesamtvermögens nach der Bestimmung des § 76 Abs 1 BewG auszulegen ist. Abgesehen davon, dass sich die Beschwerdeführerin auf die für die Beschwerdefälle nicht anzuwendende Fassung des § 76 Abs 1 BewG nach dem Bundesgesetz BGBl 818/1993 beruft, bezog sich die Bestimmung des § 76 Abs 1 BewG aF im Wesentlichen auf den im § 4 Abs 1 VermStG 1954 gebrauchten Begriff des Gesamtvermögens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen. § 76 Abs 1 BewG aF ist somit kein Hinweis auf § 62 Abs 1 Z 4 und 5 BewG zu entnehmen, sodass daraus für den Standpunkt der Beschwerdeführerin nichts zu gewinnen ist.

In dem für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in den Beschwerdefällen noch maßgeblichen § 72 Abs 1 BewG wird nicht etwa auf die Bestimmungen zur Ermittlung des Betriebsvermögens iSd §§ 57 ff BewG, sondern auf die im ersten Teil des BewG enthaltenen allgemeinen Bewertungsvorschriften verwiesen. Dabei lässt die hier wesentliche Bestimmung des zweiten Satzes des § 13 Abs 2 BewG erkennen, dass der Gesetzgeber von einer Berücksichtigung sowohl des Sachwertes des Unternehmens der Gesellschaft als auch seines Ertragswertes ausgegangen ist. Ebenso wie die gesamten Ressourcen einer Kapitalgesellschaft sich in ihren Erträgen und damit in ihrem Ertragswert niederschlagen, wird auch hinsichtlich des Sachwertes auf den tatsächlichen Wert der einzelnen, nämlich aller dem Unternehmen gewidmeten Wirtschaftsgüter Bedacht zu nehmen sein. Dafür, dass die im § 62 BewG - und damit im zweiten, nur für die im § 1 Abs 2 BewG bezeichneten Abgaben geltenden Teil des BewG - angeführten Wirtschaftsgüter bei der Anwendung des für alle bundesrechtlich geregelten Abgaben geltenden § 13 BewG nicht anzusetzen seien, kann kein Anhaltspunkt gefunden werden. Diese vielfach aus lenkungspolitischen, nicht steuerpolitischen Gründen von der Vermögensteuer befreit gewesenen Wirtschaftsgüter werden oftmals einen Sachwert aufweisen, der den Wert des Vermögens der Gesellschaft entscheidend beeinflussen kann (vgl zB die dort auch angeführten Urheberrechte und gewerblichen Schutzrechte). Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die in § 62 Abs 1 BewG angeführten Wirtschaftsgüter seien bei der Schätzung des Vermögenswertes der Kapitalgesellschaft schon dem Grunde nach nicht zu berücksichtigen, steht somit mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die Ermittlung des gemeinen Wertes stellt sich nach der Bestimmung des § 13 Abs 2 BewG als eine Schätzung im Sinne der grundsätzlichen Vorschrift des § 184 BAO dar. Die Behörde hat in den angefochtenen Bescheiden offenkundig die Grundsätze des - für die Beschwerdefälle noch anzuwendenden - "Wiener Verfahrens 1972" angewendet, nach welcher erlassmäßigen Regelung bei der Ermittlung des gesamten Vermögens der Gesellschaft - anders als nach dem nunmehrigen "Wiener Verfahren 1996" - vom Einheitswert des Betriebsvermögens unter Hinzurechnung der in den §§ 62 und 63 BewG angeführten Wirtschaftsgüter auszugehen war. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehen dabei gegen die Schätzungsmethoden des Wiener Verfahrens an sich keine Bedenken. Ungeachtet seines fehlenden normativen Gehaltes stellt das "Wiener Verfahren (1972)" eine zwar nicht verbindliche, aber doch geeignete Grundlage für jene Schätzung dar, die nach dem zweiten Satz des § 13 Abs 2 BewG zur Ermittlung des gemeinen Wertes der Anteile vorzunehmen ist (vgl zB die hg Erkenntnisse vom 25. April 1996, Zl 95/16/0011, und vom 25. Juni 1997, Zl 95/15/0117).

Bei der von der belangten Behörde in den Berufungsbescheiden vorgenommenen Schätzung ist diese dadurch von den erstinstanzlichen Bescheiden abgewichen, dass sie die in Rede stehenden Pflichtnotstandsreserven erstmals bei der Schätzung des Sachwertes der Gesellschaft berücksichtigt hat. Die belangte Behörde hat es dabei unterlassen, die von ihr erstmals angewendete Methode der Schätzung der Beschwerdeführerin zur Kenntnis zu bringen. Die Behörde hat damit aber gegen das auch im Abgabenverfahren zu beachtende Überraschungsverbot verstoßen und die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gehör verletzt. Die Beschwerdeführerin hat dazu in den Beschwerdeschriften vorgebracht, die Verpflichtung zur Haltung von Pflichtnotstandsreserven stelle keinen Vorteil dar. Vielmehr stelle sich dieser Umstand als eine Belastung dar, weil der Mineralölunternehmer durch die Anschaffung der Lagertanks und der zu lagernden Mineralöle Kapital in Höhe von Hunderten Millionen Schilling binden, den Aufwand für die Erhaltung der Lagertanks tragen müsse und darüber auch nicht verfügen könne, weil er diese für den ausschließlichen Zugriff des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten bereit halten müsse. Da die Beschwerdeführerin ein derartiges Vorbringen auf Grund der Verletzung des Parteiengehörs im Abgabenverfahren nicht erstatten konnte, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu anderen Bescheiden hätte kommen können. Die angefochtenen Bescheide waren daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Juli 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999130217.X00

Im RIS seit

28.05.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.05.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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