TE Vwgh Erkenntnis 2001/7/27 97/08/0162

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Veröffentlicht am 27.07.2001
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Index

67 Versorgungsrecht;
68/01 Behinderteneinstellung;

Norm

BEinstG §2 Abs1 idF 1988/721;
BEinstG §3 Abs2 idF 1988/721;
KOVG 1957 §7;
KOVG 1957 §9 Abs1;
KOVG RichtsatzV 1965 §3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Karl Katary, Rechtsanwalt in 1140 Wien, Hütteldorfer Straße 124, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 14. Jänner 1997, Zl. MA 15-II-BEG 165/95, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 21. Jänner 1995 die Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß den Bestimmungen der §§ 2 und 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 313/1992. Aus der Vorgeschichte ist zum Verständnis des Verfahrens wesentlich, dass der Beschwerdeführer im Jänner 1994 bei einem Auffahrunfall eine (augenscheinlich zunächst nicht erkannte) Fraktur der Halswirbelsäule erlitt. Nach Einholung neurologischer und chirurgischer Befunde wurde seitens des ärztlichen Dienstes des Bundessozialamtes aus chirurgischer Sicht ein Zustand nach Wirbelkörperfraktur C 2 bis C 4 mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und darauf gestützt nach der Richtsatzposition I/f/190 der Richtsatzverordnung BGBl. Nr. 150/1965, ein Grad der Behinderung von 30 % festgestellt. Aus neurologischer Sicht wurde ein Cervikolumbalsyndrom nach Fraktur der Halswirbelkörper 2 bis 4 in der Richtsatzposition IV/n/533 mit einem Grad der Behinderung von 20 % ermittelt. Die im Zusammenwirkung der genannten Gesundheitsschädigungen verursachte Funktionsbeeinträchtigung wurde nach der zusammenfassenden gutachtlichen Stellungnahme mit 40 v.H. eingestuft, weil (so die Begründung im Gutachten) "die führende MdE 1 durch die MdE 2 um eine Stufe erhöht wird". Nach Einholung einer Stellungnahme des Beschwerdeführers, der lediglich um eine Fristsetzung bat und einem weiteren Zuwarten durch etwa zwei Monate, erließ das Bundessozialamt den Bescheid vom 11. Oktober 1995, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers vom 21. Jänner 1995 auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten abgewiesen wurde. Unter Hinweis auf die Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen wurde dieser Bescheid damit begründet, dass der Grad der Behinderung 50 v.H. nicht erreiche.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Im Zuge des Berufungsverfahrens legte er verschiedene Befundberichte vor, aufgrund derer mehrfache Stellungnahmen der amtsärztlichen Untersuchungsstelle (und zu diesen Äußerungen wieder jeweils Stellungnahmen des Beschwerdeführers) und ein ergänzendes unfallchirurgisches fachärztliches Gutachten eingeholt wurden. Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid Folge gegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Grades der Behinderung (GdB) von 70 v.H. den in § 2 Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz genannten begünstigten Behinderten seit 26. Jänner 1995 zuzuzählen sei. Begründet wurde dieser Bescheid im Wesentlichen damit, dass im Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Wien der Grad der Behinderung zuletzt mit 70 v.H. ab 26. Jänner 1995 eingeschätzt worden sei. Die wesentlichen Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens seien einem Beiblatt, das einen Bestandteil der Begründung dieses Bescheides bilde, zu entnehmen. Die Gutachten seien dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden, die dagegen erhobenen Einwendungen des Beschwerdeführers seien durch Schreiben des Gesundheitsamtes vom 26. November 1996 entkräftet. Nach dem im Bescheid erwähnten Beiblatt wurde der Beschwerdeführer nunmehr wie folgt eingestuft:

"1. Höhergradige Veränderung der

  

Wirbelsäule,

I/f/191

60 v.H.

posttraumat. mit röntgenolog.

  

nachweisbarer Fehlstellung, wobei

  

die Wirbelkörperfraktur C 2

  

pseudoarthrotisch wurde

  

(zwei Stufen über dem untersten

  

RS, entsprechend der glaubhaften

  

Schmerzsymptomatik).

  

2. Okzipitalis-Neuralgie

IV/n/351

20 v.H.

(ORS, da stärkere Beschwerden)

  

Eine geringgradige periphere Atemwegserkrankung kann aufgrund des geringen vorliegenden pathalogischen Substrats laut lungenfachärztlichem Gutachten in der Einschätzung der GdB gemäß § 7 KOVG nicht berücksichtigt werden.

GUTACHTEN:

Der führende Wert der Pos. 1 mit 60 v.H. (höhergradige Veränderungen der Wirbelsäule posttraumatisch) wird durch das Zusammenwirken mit der anderen Leidenskomponente von 1 x 20 v.H.

um eine Stufe erhöht.

     Der Gesamt-GdB beträgt somit 70 v.H. und ist ab

Antragstellung anzunehmen."

     Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende,

Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 BEinStG sind begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 %.

Nach § 3 Abs. 2 BEinstG idF BGBl. Nr. 721/88 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften des § 7 KOVG und des § 9 Abs. 1 KOVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 % außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Treffen mehrere Leiden zusammen, ist nach § 3 der zu § 7 Abs. 2 KOVG erlassenen Richtsatzverordnung, BGBl. Nr. 150/1965, von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht und zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand "zufolge des Zusammenwirkens" aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung (gegenüber der bloß des führenden Leidens) rechtfertigt. Die Gesamtbeurteilung zweier oder mehrerer Leidenszustände hat nicht im Wege einer bloßen Addition, sondern nach den Grundsätzen des § 3 Richtsatzverordnung zum KOVG zu erfolgen; sie unterliegt der fachlichen Beurteilung des ärztlichen Sachverständigen, der sie ausreichend zu begründen hat. Die Gesamteinschätzung vollzieht die Verwaltungsbehörde unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis, den sie im Rahmen der ihr zustehenden freien Beweiswürdigung zu beurteilen hat.

Der einen "Grad der Gesamtbehinderung von 100 v.H." geltend machende Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die belangte Behörde - wie auch aus der Aktenlage ersichtlich ist - im Sinne dieser Rechtslage vorgegangen ist. Er wendet sich gegen die Ergebnisse der Begutachtung - wie zum Teil auch schon im Verwaltungsverfahren - im Wesentlichen mit zwei Argumenten: Der Grad der Behinderung sei aus chirurgischer Sicht deshalb unrichtig eingeschätzt, weil unberücksichtigt geblieben sei, dass nicht nur der zweite, dritte und vierte Halswirbel, sondern auch "der erste Halswirbel im Bereich Massae lateralis" verletzt worden sei. Diese Tatsache werde durch näher bezeichnete amtsbekannte Röntgenbefunde und Gutachten belegt.

Gegen die Einstufung in neurologischer Einsicht wendet der Beschwerdeführer ein, dass "die vorliegenden Verletzungen bzw. Beeinträchtigungen gemäß Kategorie IV/a/423 als unvollständige Querschnittslähmungen zu qualifizieren" seien. Die Behörde habe unberücksichtigt gelassen, dass der Beschwerdeführer "Rückenmarksschäden" erlitten habe, die sich seit dem Unfall nicht gebessert hätten und auch eine derartige Besserung nicht zu erwarten sei. Belegt werde dies unter anderem durch Befundberichte, die der Beschwerdeführer der belangten Behörde bereits vorgelegt habe, sowie durch einen Befundbericht, den er der Beschwerde beischließe. Von neurologischer Seite her habe daher die Subsumtion der Verletzungen nicht unter Position IV/n/531 (Okzipitalis-Neuralgie mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H.) zu erfolgen, sondern unter die Position IV/a/423 (unvollständige Querschnittslähmungen - 50 bis 80 vH ).

Mit beiden Vorwürfen (der Sache nach: übergangener Beweisergebnisse) ist der Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nicht im Recht:

Was zunächst die von ihm behauptete Bruchverletzung des ersten Halswirbels betrifft, ist dem Beschwerdeführer entgegenzuhalten, dass kein einziger der aktenkundigen Befunde darauf hindeutet. So ergab die am 4. Juli 1995 durchgeführte Computertomographie der Halswirbel C 1 bis C 4 einen Zustand nach Fraktur des Wirbelkörpers C 2 linksseitig, die vom Beschwerdeführer in erster Linie ins Treffen geführten Untersuchungsbefunde seiner Vertrauensärzte in Passau (Gemeinschaftspraxis S) ergeben das gleiche Bild, nämlich einen Zustand nach alter, noch deutlich klaffender Fraktur im Bereich des Wirbelkörpers von "HWK 2" sowie (ausdrücklich) keinen Nachweis von alten, knöchernen Traumenfolgen im Bereich von C 1, C 3 und C 4. Dafür, dass der erste Halswirbel des Beschwerdeführers aus Anlass des traumatischen Ereignisses gebrochen gewesen sein könnte, fehlt ihm somit nicht nur im Akt, sondern vor allem in den vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Befunden jeder Anhaltspunkt. Insoweit hat die belangte Behörde daher kein relevantes Verfahrensergebnis übergangen.

Was die Einwände in neurologischer Hinsicht betreffen, hat der Beschwerdeführer im Verfahren ein nervenärztliches Gutachten vom 28. Mai 1996 einer weiteren Passauer Gemeinschaftspraxis vorgelegt, aus dem sich hinsichtlich der von ihm behaupteten inkompletten Querschnittslähmung zwar Hinweise ergeben, jedoch mit der Feststellung, dass "deren Folgen letztmalig im Juli 1994 dokumentiert" wurden. Eine vollständige Querschnittssymptomatik - so dieses Gutachten - "hat wohl zu keiner Zeit vorgelegen". Die objektiven neurologischen Ausfälle waren nach diesem Gutachten am 28. Mai 1996 "als gering zu bewerten, sodass sie in einer deutlichen Diskrepanz zu dem subjektiven Beschwerdebild des (Beschwerdeführers) stehen". Dieses wurde letztlich von diesem Gutachter auf eine neurotische Fixierung des Beschwerdeführers zurückgeführt und die Notwendigkeit psycho-therapeutischer Maßnahmen angedeutet.

Der Aktenlage, insbesondere unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Gutachten (auf die er sich in mehrfachen Stellungnahmen an die belangte Behörde ausdrücklich bezogen hat) ist somit zu entnehmen, dass eine allenfalls vorgelegene inkomplette Querschnittsläsion aus der Sicht der Untersuchung vom 28. Mai 1996 jedenfalls nicht bestätigt werden konnte und in den Zeitraum ab 25. Jänner 1995 nicht mit objektivierbaren Folgen hineingereicht hat. Wenn daher die belangte Behörde bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitraum seit 21. Jänner 1995 einen derartigen, einen höheren Grad der Behinderung rechtfertigenden Leidenszustand beim Beschwerdeführer nicht feststellen konnte, so kann ihr aufgrund der Aktenlage insoweit ein Verfahrensfehler nicht zur Last gelegt werden.

Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet; sie war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Juli 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1997080162.X00

Im RIS seit

28.12.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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